Zu Ende ging das Jahr 1989, »da in Europa von Tag zu Tag und Land zu Land so vieles, und so wunderbar leicht, anders zu werden schien.« Könnte er sich in einer Zeit, als »das große Märchen der Welt« sich selber forterzählte, an einem weltfremden Gegenstand, der Jukebox ersuchen?
Im Hotel fand er ein Zimmer, das ihm Fläche genug bot für ein Blatt Papier, Bleistifte und Radiergummi. Zunächst war ihm sein Versuch über die Jukebox als Dialog auf der Bühne, als »Bühnen-Zwiegespräch« in den Sinn gekommen, jetzt, in der Einsamkeit und Freiheit von Soria, drängte sich ihm auch die Befreiung von gegebenen literarischen Formen auf, eine Befreiung für neue, unbekannte literarische Möglichkeiten.
Der Held von Handkes neuer Erzählung ist die Erzählung selbst. Ihre Struktur bringt den Leser immer wieder dazu, den Verlauf des Erzählten für sich aufzunehmen. Roland Barthes hat geschrieben, ein Text errege ihm dann als Leser die größte Lust, »wenn es ihm gelingt, sich indirekt zu Gehör zu bringen, den Kopf zu heben, etwas anderes zu hören«. So wirken auch Handkes Texte; man solle beim Lesen, so sagte er einmal, innehalten, tief einatmen, »sich von der Sonne bescheinen lassen, auch wenn diese gar nicht scheint«. Selten hat Handke so wie hier das Konkrete, das Äußere einer Landschaft, einer Stadt, einer Zivilisation der Zeitgeschichte beschrieben und damit auch das Innere getroffen. In dieser Erzählung halten sich Phantasie und Welt in großem, schönem Gleichgewicht.
Im Hotel fand er ein Zimmer, das ihm Fläche genug bot für ein Blatt Papier, Bleistifte und Radiergummi. Zunächst war ihm sein Versuch über die Jukebox als Dialog auf der Bühne, als »Bühnen-Zwiegespräch« in den Sinn gekommen, jetzt, in der Einsamkeit und Freiheit von Soria, drängte sich ihm auch die Befreiung von gegebenen literarischen Formen auf, eine Befreiung für neue, unbekannte literarische Möglichkeiten.
Der Held von Handkes neuer Erzählung ist die Erzählung selbst. Ihre Struktur bringt den Leser immer wieder dazu, den Verlauf des Erzählten für sich aufzunehmen. Roland Barthes hat geschrieben, ein Text errege ihm dann als Leser die größte Lust, »wenn es ihm gelingt, sich indirekt zu Gehör zu bringen, den Kopf zu heben, etwas anderes zu hören«. So wirken auch Handkes Texte; man solle beim Lesen, so sagte er einmal, innehalten, tief einatmen, »sich von der Sonne bescheinen lassen, auch wenn diese gar nicht scheint«. Selten hat Handke so wie hier das Konkrete, das Äußere einer Landschaft, einer Stadt, einer Zivilisation der Zeitgeschichte beschrieben und damit auch das Innere getroffen. In dieser Erzählung halten sich Phantasie und Welt in großem, schönem Gleichgewicht.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2012Ideal
Standard
Des Dichters Feuchtgebiete: Peter Handke meditiert
ironiefrei über die Toilette als utopischen Ab-Ort
VON CHRISTOPHER SCHMIDT
Man könnte es für einen Scherz der Titanic -Redaktion halten: Wenn Peter Handke, der Pilz- und Sinnsucher der deutschen Literatur, dieser Sensibilissimus und Sonderling, Schamane und Schmerzensmann, nun ein Buch über den stillen Ort vorlegt, liegt der Verdacht nahe, es handle sich dabei um Satire. Denn Handke, der ob der weihevollen Esoterik, mit der er die Epiphanien des Alltags beschwört, seinen Spöttern noch stets eine offene Flanke bot, versteht diesen stillen Ort nicht etwa im übertragenen Sinne – das auch –, sondern es geht ganz indiskret um die Toilette, wenn auch vom Gestank ausdrücklich „keine Rede“ sein soll.
Peter Handke ist also seinen Parodisten zuvorgekommen mit diesem Bändchen, das zwanzig Jahre nach dem vorläufigen Ende seiner kleinen Reihe wieder anknüpft an das Genre der erzählerischen Hommage, diesmal mit einer Hommage an einen denkbar profanen Gegenstand. Begonnen hatte es 1989 mit dem „Versuch über die Müdigkeit“, war ein Jahr später fortgesetzt worden mit dem „Versuch über die Jukebox“, bevor der „Versuch über den geglückten Tag“ 1992 die Trilogie abschloss. Obwohl schon die jüngsten Bücher Handkes von einer neuen Entspanntheitzeugten, ist es ihm nun nicht darum zu tun, seinen Hang zum Pathos das Bächlein inkontinenter Selbstverspottung hinunter gehen zu lassen. „Schluss jetzt mit der Ironie“, heißt es da, „nicht zum ersten Mal erkenne ich, daß die, zumindest im Schriftlichen, nicht meine Sache ist“.
Wohl wahr, aber überraschender als diese Einsicht ist die Offenheit, mit der sie geäußert wird. Und es gibt einige überraschend deutliche Selbstauskünfte mehr in dem schmalen Bändchen. So etwa erzählt Handke, dass seine erste große Wanderung eben nicht die nach Jugoslawien war, die für ihn und die Nachkriegsliteratur so wichtig wurde. Vielmehr endetet der Aufbruch zunächst kläglich, als er, nach dem Ende der Schulzeit in Kärnten, allein sich aufmachte. Die dritte Nacht brachte er in einem Bahnhofsklo zu, „in einem Halbkreis um die Klosettmuschel geringelt“, um am nächsten Morgen zu beschließen: „nichts wie heim“. In seiner Erzählung „Die Wiederholung“ hat er dieses Erlebnis dann ins Heroische abgewandelt .
Man erfährt neben solchen Korrekturen an Leben und Werk, dass Handke, der Autor der Innerlichkeit, von dem man meinte, er schöpfe seinen Stoff einzig aus sich selbst, durchaus recherchiert. Nur hat er die „nicht wenigen“ Bücher „zum Bedeutungswandel der Notdurftverrichtung“, die er konsultierte, dann doch wieder beiseite gelegt, weil sie ihm bei seinem Thema nicht weiterhalfen. Statt dessen orientiert sich die Reise durch die Welt der Feuchtgebiete an den selbsterlebten stillen Orte, vom bäuerlichen Plumpsklo des Großvaters bis zum japanischen Friedhofs- oder Tempelklo. Denn das Erkenntnisinteresse dieses „seltsamen Forschers“ besteht darin, die „Stillen Orte“ wörtlich zu nehmen und groß zu schreiben, als „Zuflucht, Asyl, Verstecke, Rückzugsgebiete, Abschirmungen, Einsiedeleien“, als Orte, „wo der Geist im wahrsten Sinne Ruhe findet“, ja als utopische „Ab-Orte“ innerer Einkehr.
Auch hier zeigt sich Handke ungewohnt selbstkritisch, wenn er sich fragt, ob sein jäher Drang, den stillen Ort aufzusuchen, nicht einer Gesellschaftsflucht gleichkomme, Ausdruck von „Gesellschaftswiderwillen“ sei, von „Geselligkeitsüberschuss“, „ein asozialer – ein antisozialer Akt?“ im Grunde. Dabei ist er „versucht, ,Ideal Standard‘ – nicht die Warenmarke, sondern das Wort – auf mein Problem anzuwenden“, dieses dringende Bedürfnis, sich abzusondern. Ein Schlüsselerlebnis ist da die Episode, wie Handke als Neuling im Internat nicht die Toilette findet oder sich nicht traut, danach zu fragen, so dass er gleich zum verspotteten Einzelgänger wird, als sich im Speisesaal ein verräterisches Rinnsal unter seinen Füßen bildet. Es geht aber jenseits der Notdurft um „eine ganz andere Not“, die Langeweile „als die andere; die umgekehrte Zeitnot“, vor allem jedoch um die Sprachnot. Zum Schweigen gebracht „durch die Worte wie Wörter der anderen“, entzieht er sich mit einem „ich muss kurz verschwinden!“. Und erlebt: „die Sprach- und Wörterquelle springt frisch auf“, zurückkehrend ins „Grölen, Gellen, Toben und Kreischen“, ist er wieder „vielsilbig, voll von der Redelust“.
Dass der große Dichter Peter Handke ausgerechnet zu sich selber kommt, wenn er mal für kleine Jungs muss, hätte seine Leser-Gemeinde vielleicht so nicht erwartet. Dass er aber selbst diesem heiklen Sujeteinen wunderbaren Essay abgewinnt, macht ihm keiner nach. Diese wahrscheinlich stillste Neuerscheinung mag eine Beckenranderscheinung des Bücherherbstes sein, sie dürfte jedoch für Gesprächsstoff sorgen, zumindest an den stillen Orten der Frankfurter Buchmesse.
Peter Handke: Versuch
über den Stillen Ort.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 109 Seiten, 17,95 Euro.
„Herr Pfarrer, ich soll sie grüßen von meinen Eltern, mit diesen Birnen vom Scheißhausbaum!“
FOTO: PLAINPICTURE/MASKOT
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Des Dichters Feuchtgebiete: Peter Handke meditiert
ironiefrei über die Toilette als utopischen Ab-Ort
VON CHRISTOPHER SCHMIDT
Man könnte es für einen Scherz der Titanic -Redaktion halten: Wenn Peter Handke, der Pilz- und Sinnsucher der deutschen Literatur, dieser Sensibilissimus und Sonderling, Schamane und Schmerzensmann, nun ein Buch über den stillen Ort vorlegt, liegt der Verdacht nahe, es handle sich dabei um Satire. Denn Handke, der ob der weihevollen Esoterik, mit der er die Epiphanien des Alltags beschwört, seinen Spöttern noch stets eine offene Flanke bot, versteht diesen stillen Ort nicht etwa im übertragenen Sinne – das auch –, sondern es geht ganz indiskret um die Toilette, wenn auch vom Gestank ausdrücklich „keine Rede“ sein soll.
Peter Handke ist also seinen Parodisten zuvorgekommen mit diesem Bändchen, das zwanzig Jahre nach dem vorläufigen Ende seiner kleinen Reihe wieder anknüpft an das Genre der erzählerischen Hommage, diesmal mit einer Hommage an einen denkbar profanen Gegenstand. Begonnen hatte es 1989 mit dem „Versuch über die Müdigkeit“, war ein Jahr später fortgesetzt worden mit dem „Versuch über die Jukebox“, bevor der „Versuch über den geglückten Tag“ 1992 die Trilogie abschloss. Obwohl schon die jüngsten Bücher Handkes von einer neuen Entspanntheitzeugten, ist es ihm nun nicht darum zu tun, seinen Hang zum Pathos das Bächlein inkontinenter Selbstverspottung hinunter gehen zu lassen. „Schluss jetzt mit der Ironie“, heißt es da, „nicht zum ersten Mal erkenne ich, daß die, zumindest im Schriftlichen, nicht meine Sache ist“.
Wohl wahr, aber überraschender als diese Einsicht ist die Offenheit, mit der sie geäußert wird. Und es gibt einige überraschend deutliche Selbstauskünfte mehr in dem schmalen Bändchen. So etwa erzählt Handke, dass seine erste große Wanderung eben nicht die nach Jugoslawien war, die für ihn und die Nachkriegsliteratur so wichtig wurde. Vielmehr endetet der Aufbruch zunächst kläglich, als er, nach dem Ende der Schulzeit in Kärnten, allein sich aufmachte. Die dritte Nacht brachte er in einem Bahnhofsklo zu, „in einem Halbkreis um die Klosettmuschel geringelt“, um am nächsten Morgen zu beschließen: „nichts wie heim“. In seiner Erzählung „Die Wiederholung“ hat er dieses Erlebnis dann ins Heroische abgewandelt .
Man erfährt neben solchen Korrekturen an Leben und Werk, dass Handke, der Autor der Innerlichkeit, von dem man meinte, er schöpfe seinen Stoff einzig aus sich selbst, durchaus recherchiert. Nur hat er die „nicht wenigen“ Bücher „zum Bedeutungswandel der Notdurftverrichtung“, die er konsultierte, dann doch wieder beiseite gelegt, weil sie ihm bei seinem Thema nicht weiterhalfen. Statt dessen orientiert sich die Reise durch die Welt der Feuchtgebiete an den selbsterlebten stillen Orte, vom bäuerlichen Plumpsklo des Großvaters bis zum japanischen Friedhofs- oder Tempelklo. Denn das Erkenntnisinteresse dieses „seltsamen Forschers“ besteht darin, die „Stillen Orte“ wörtlich zu nehmen und groß zu schreiben, als „Zuflucht, Asyl, Verstecke, Rückzugsgebiete, Abschirmungen, Einsiedeleien“, als Orte, „wo der Geist im wahrsten Sinne Ruhe findet“, ja als utopische „Ab-Orte“ innerer Einkehr.
Auch hier zeigt sich Handke ungewohnt selbstkritisch, wenn er sich fragt, ob sein jäher Drang, den stillen Ort aufzusuchen, nicht einer Gesellschaftsflucht gleichkomme, Ausdruck von „Gesellschaftswiderwillen“ sei, von „Geselligkeitsüberschuss“, „ein asozialer – ein antisozialer Akt?“ im Grunde. Dabei ist er „versucht, ,Ideal Standard‘ – nicht die Warenmarke, sondern das Wort – auf mein Problem anzuwenden“, dieses dringende Bedürfnis, sich abzusondern. Ein Schlüsselerlebnis ist da die Episode, wie Handke als Neuling im Internat nicht die Toilette findet oder sich nicht traut, danach zu fragen, so dass er gleich zum verspotteten Einzelgänger wird, als sich im Speisesaal ein verräterisches Rinnsal unter seinen Füßen bildet. Es geht aber jenseits der Notdurft um „eine ganz andere Not“, die Langeweile „als die andere; die umgekehrte Zeitnot“, vor allem jedoch um die Sprachnot. Zum Schweigen gebracht „durch die Worte wie Wörter der anderen“, entzieht er sich mit einem „ich muss kurz verschwinden!“. Und erlebt: „die Sprach- und Wörterquelle springt frisch auf“, zurückkehrend ins „Grölen, Gellen, Toben und Kreischen“, ist er wieder „vielsilbig, voll von der Redelust“.
Dass der große Dichter Peter Handke ausgerechnet zu sich selber kommt, wenn er mal für kleine Jungs muss, hätte seine Leser-Gemeinde vielleicht so nicht erwartet. Dass er aber selbst diesem heiklen Sujeteinen wunderbaren Essay abgewinnt, macht ihm keiner nach. Diese wahrscheinlich stillste Neuerscheinung mag eine Beckenranderscheinung des Bücherherbstes sein, sie dürfte jedoch für Gesprächsstoff sorgen, zumindest an den stillen Orten der Frankfurter Buchmesse.
Peter Handke: Versuch
über den Stillen Ort.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 109 Seiten, 17,95 Euro.
„Herr Pfarrer, ich soll sie grüßen von meinen Eltern, mit diesen Birnen vom Scheißhausbaum!“
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