Quo vadis, Deutschland? Peer Steinbrück unterzieht unsere bundesdeutsche Gegenwart einer schonungslosen Analyse und wirft einen genauen Blick auf die Herausforderungen, deren Bewältigung über Deutschlands Zukunft entscheidet.
Deutschland steht im Vergleich mit vielen anderen europäischen Staaten gut da. Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum sind zufriedenstellend, Arbeitslosenquote und Verschuldung halten sich im Rahmen. Kein Anlass zur Sorge also? Keineswegs, sagt Peer Steinbrück. Wohlstand und Stabilität sind gefährdet, wenn wir aus Ruhebedürfnis weiterhin alle heiklen Themen verdrängen. Wir sind selbstzufrieden geworden und merken nicht, dass unsere Lebens- und Arbeitsverhältnisse sich radikal verändert haben. Deutschland braucht dringend einen neuen Generationenvertrag und neue Spielregeln für das Internet-Zeitalter. Der Wandel darf nicht anonymen Marktkräften und einem enthemmten Finanzsektor überlassen bleiben. Steinbrück entwirft eine gesellschaftspolitische Agenda jenseits parteipolitischer Barrieren. Und er fragt, ob die Große Koalition ihrem Anspruch gerecht wird.
Prägnant und kompetent, leidenschaftlich und mit Augenmaß.
Deutschland steht im Vergleich mit vielen anderen europäischen Staaten gut da. Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum sind zufriedenstellend, Arbeitslosenquote und Verschuldung halten sich im Rahmen. Kein Anlass zur Sorge also? Keineswegs, sagt Peer Steinbrück. Wohlstand und Stabilität sind gefährdet, wenn wir aus Ruhebedürfnis weiterhin alle heiklen Themen verdrängen. Wir sind selbstzufrieden geworden und merken nicht, dass unsere Lebens- und Arbeitsverhältnisse sich radikal verändert haben. Deutschland braucht dringend einen neuen Generationenvertrag und neue Spielregeln für das Internet-Zeitalter. Der Wandel darf nicht anonymen Marktkräften und einem enthemmten Finanzsektor überlassen bleiben. Steinbrück entwirft eine gesellschaftspolitische Agenda jenseits parteipolitischer Barrieren. Und er fragt, ob die Große Koalition ihrem Anspruch gerecht wird.
Prägnant und kompetent, leidenschaftlich und mit Augenmaß.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Lesenswert findet Franziska Augstein Peer Steinbrücks ausdrücklich selbst geschriebenes Buch. Auch wenn der Autor ihr in seinem verzweifelten Versuch, seine Position zum SPD-Wahlprogramm zu erklären, alles andere als professionell und konsistent erscheint, scheint sie für Steinbrücks Eiertanz doch etwas übrig zu haben, vielleicht Sympathie für einen, der sich "unwohl fühlt, sich selbst untreu gewesen zu sein". Davon abgesehen hat der Autor Augstein allerhand über große Politik zu berichten, was die Rezensentin mit Interesse hört. Etwa über die Globalisierung, die Finanzkrise oder über geopolitische Fragen, Russland zum Beispiel. Da bekommt Augstein nicht nur Bedenkenswertes zu lesen, sondern auch in einer Form, die selbst Trockenes amüsant und mit Verve zu fassen weiß, wie sie versichert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.06.2015Steinbrücks Steinbruch
Vor den Unbilden der Zukunft schützen: SPD-Agenda für die Bundestagswahl 2017
Die SPD schwächelt schon lange. Sie gehört im Bund zur Kategorie von Verliererparteien. Seit über zehn Jahren schafft sie es nicht mehr, über 25 Prozent der Wählerstimmen zu kommen. An diesem Befund ändert auch nichts die Tatsache, dass sie in Berlin mitregiert und in XXL-Formaten in vielen Bundesländern dominiert. Unterschiedliche Kanzlerkandidaten, veränderte Programmatik, neue Wahlkampf-Instrumente - nichts half, um die SPD nach Schröder wieder zur Kanzlerpartei zu machen. Gleichgültig, ob die SPD in der großen Koalition mitregierte oder in der Opposition verharrte, über 30 Prozent blieben unerreicht.
Auch der Modus des SPD-Mitregierens ändert nichts an der Wahrnehmung der Bürger. In der ersten großen Koalition unter Merkel von 2005 bis 2009 versuchte sich die SPD als Opposition in der Regierung. Zurzeit unterstützt sie staatsmännisch-ruhig den Kurs der Union bis 2017. Dennoch haben die Wähler offenbar die rasant umgesetzten Wahlversprechen der SPD, von Mindestlohn bis Rente mit 63, längst eingepreist. Sie fühlten sich bestätigt in ihrer Wahl einer sozialstaatlichen Leistungssteigerung. Wählen würden sie hingegen lieber die immerwährende Krisenlotsin Angela Merkel. Vor diesem Hintergrund war die Kandidatur von Peer Steinbrück zur Bundestagswahl 2013 von Beginn an zum Scheitern verurteilt, zumal auch eine rot-grüne Mehrheit nie realistisch in Sicht war. Kanzlerkandidaten sind die höchsten Ehrenämter, die Parteien befristet vergeben können. In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gehören die Kanzlerkandidaten, die in keiner Satzung oder Geschäftsordnung auftauchen, zu den erfolglosen tragischen Helden.
Diese Geschichte des Scheiterns kann man jetzt in einer neuen Variation auch bei Peer Steinbrück nachlesen. Eines seiner zehn Kapitel widmet er explizit der Diagnose des 51 Wochen umfassenden Kandidatenlaufs. Das ist für die Wahlkampfforschung wie bei einer teilnehmenden Beobachtung extrem hilfreich. Denn nicht nur die geplanten Phasen des Wahlkampfes werden aus der Innensicht beschrieben, sondern auch das Misslingen, die Überforderungen, die Kränkungen. Sehr anschaulich wird dokumentiert, wie die Journalisten über viele Wochen nur noch nach Fehlern suchten, wie das Kandidaten-Bashing eine historische Größe erreichte. Für Steinbrück, der - wie kein anderer - alle wichtigen Qualifikationen zum Bundeskanzler mitbrachte, waren diese medialen Exzesse bis dahin unvorstellbar. Selbst so ein Vollprofi war überrascht, dass Inhalte kaum Beachtung finden, wenn sich der Rudeljournalismus in Gang setzt und das Verlierer-Narrativ intoniert.
Gleichwohl sieht Steinbrück eigene Fehler, die er konkret benennt. Dass er überhaupt kandidiert hat, sieht er im Rückblick klar als Fehler an, als eine Fehleinschätzung seiner eigenen Möglichkeiten. Denn wie hätten er und seine SPD zu einer Wechselstimmung im Land beitragen können? Wie inszeniert man den Wechsel, wenn die absolute Mehrheit der Bürger sowohl mit der Kanzlerin als auch mit der politischen und ökonomischen Lage zufrieden ist? "Merkel plus x" - so stellte sich für die meisten Wähler die Wahloption damals dar.
Die extrem hohen und stabilen lagerübergreifenden Werte der Zustimmung zur Programm-Person der Kanzlerin machten die Bundestagswahl zu einer ausgeprägten Personenwahl: Angela Merkel fungierte als Orientierungs-Autorität in Zeiten relativer Zufriedenheit. Die Unzufriedenheit der Wähler bezog sich auf die schwarz-gelbe Regierung der Jahre 2009 bis 2013, aber nie auf Merkel. Mit einem Vermeidungswahlkampf auf Samtpfoten erzwang die Kanzlerin eine Demobilisierung der SPD. Merkel agierte als Kanzlerpräsidentin mit hohen persönlichen Sympathiewerten.
All das war Steinbrück vertraut, und dennoch glaubte er, dass er als Kandidat das Blatt wenden könnte. Die SPD setzte sich markant im Wahlkampf für Verlierer, Marginalisierte, Minderheiten in der Gesellschaft ein und hoffte auf Solidarisierungseffekte. Analytisch klar arbeitet Steinbrück heraus, dass damit die sozialen Aufsteiger und die politische Mitte keine Angebote seitens der SPD erhielten. Im Umkehrschluss rüstet sich Steinbrück für die Zeit nach Merkel - nicht persönlich, sondern programmatisch.
Die meisten Kapitel seines Buches enthalten Auflistungen, Befunde, Notwendigkeiten, Reformansätze, Gesetzesvorschläge, wie der Wohlfahrtsstaat Deutschland fit bleiben kann. Das ist zutiefst sozialdemokratisch, keineswegs primär technokratisch-marktgetrieben und effizienzgetrieben. Viele Kapitel könnten ein Steinbruch für die kommende Wahlkampfprogrammatik sein. Denn Steinbrück zielt auf die arbeitende Mitte. Hier setzt er auf eine Balance zwischen Sozial- und Wirtschaftskompetenz. Moderne Zeitsouveränität und Leistungsgerechtigkeit sind viel wichtiger als klassische Verteilungsakzente. Soziale Sicherheit bedeutet danach auch Planungssicherheit für das eigene Arbeits- und Familienleben.
Die Modernisierungsverunsicherten, die Angstmitte der Republik gewinnt man nicht mit neuen Steuerplänen, aber mit dem Versprechen, sie vor den Unbilden der Zukunft zu schützen. Sicherheitskonservativ kommt daher Steinbrücks Plädoyer daher. Doch um den Status quo zu erhalten, sind zahlreiche Anstrengungen notwendig - national wie international. Wenig überraschend lesen sich die finanzpolitischen Einschätzungen brillant und klar.
Steinbrück möchte themenbezogen Unruhe stiften. So gut dieses Anliegen inhaltlich begründet ist, so deutlich eignet sich dieses Buch dazu allerdings nicht. Denn Steinbrücks Sprache ist stets analytisch-trocken, aber wenig emotional-mitreißend. Zu viele Kapitel - von der Außen- und Sicherheitspolitik bis zur Bildungsfrage - sind wie Arbeitskataloge aufgebaut. Für die SPD könnten weniger die aufklärerischen Passagen wichtig werden als die Perspektive eines veränderten Erzählstrangs zur Mobilisierung von Wählern. Gleichwohl ist selbst mit mitreißend-motivierender SPD-Programmatik im Moment keinem SPD-Politiker zur Kandidatur gegen die amtierende Kanzlerin zu raten. Warmlaufen schadet aber auch nicht.
KARL-RUDOLF KORTE
Peer Steinbrück: Vertagte Zukunft. Die selbstzufriedene Republik. Hoffmann und Campe, Hamburg 2015. 304 S., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vor den Unbilden der Zukunft schützen: SPD-Agenda für die Bundestagswahl 2017
Die SPD schwächelt schon lange. Sie gehört im Bund zur Kategorie von Verliererparteien. Seit über zehn Jahren schafft sie es nicht mehr, über 25 Prozent der Wählerstimmen zu kommen. An diesem Befund ändert auch nichts die Tatsache, dass sie in Berlin mitregiert und in XXL-Formaten in vielen Bundesländern dominiert. Unterschiedliche Kanzlerkandidaten, veränderte Programmatik, neue Wahlkampf-Instrumente - nichts half, um die SPD nach Schröder wieder zur Kanzlerpartei zu machen. Gleichgültig, ob die SPD in der großen Koalition mitregierte oder in der Opposition verharrte, über 30 Prozent blieben unerreicht.
Auch der Modus des SPD-Mitregierens ändert nichts an der Wahrnehmung der Bürger. In der ersten großen Koalition unter Merkel von 2005 bis 2009 versuchte sich die SPD als Opposition in der Regierung. Zurzeit unterstützt sie staatsmännisch-ruhig den Kurs der Union bis 2017. Dennoch haben die Wähler offenbar die rasant umgesetzten Wahlversprechen der SPD, von Mindestlohn bis Rente mit 63, längst eingepreist. Sie fühlten sich bestätigt in ihrer Wahl einer sozialstaatlichen Leistungssteigerung. Wählen würden sie hingegen lieber die immerwährende Krisenlotsin Angela Merkel. Vor diesem Hintergrund war die Kandidatur von Peer Steinbrück zur Bundestagswahl 2013 von Beginn an zum Scheitern verurteilt, zumal auch eine rot-grüne Mehrheit nie realistisch in Sicht war. Kanzlerkandidaten sind die höchsten Ehrenämter, die Parteien befristet vergeben können. In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gehören die Kanzlerkandidaten, die in keiner Satzung oder Geschäftsordnung auftauchen, zu den erfolglosen tragischen Helden.
Diese Geschichte des Scheiterns kann man jetzt in einer neuen Variation auch bei Peer Steinbrück nachlesen. Eines seiner zehn Kapitel widmet er explizit der Diagnose des 51 Wochen umfassenden Kandidatenlaufs. Das ist für die Wahlkampfforschung wie bei einer teilnehmenden Beobachtung extrem hilfreich. Denn nicht nur die geplanten Phasen des Wahlkampfes werden aus der Innensicht beschrieben, sondern auch das Misslingen, die Überforderungen, die Kränkungen. Sehr anschaulich wird dokumentiert, wie die Journalisten über viele Wochen nur noch nach Fehlern suchten, wie das Kandidaten-Bashing eine historische Größe erreichte. Für Steinbrück, der - wie kein anderer - alle wichtigen Qualifikationen zum Bundeskanzler mitbrachte, waren diese medialen Exzesse bis dahin unvorstellbar. Selbst so ein Vollprofi war überrascht, dass Inhalte kaum Beachtung finden, wenn sich der Rudeljournalismus in Gang setzt und das Verlierer-Narrativ intoniert.
Gleichwohl sieht Steinbrück eigene Fehler, die er konkret benennt. Dass er überhaupt kandidiert hat, sieht er im Rückblick klar als Fehler an, als eine Fehleinschätzung seiner eigenen Möglichkeiten. Denn wie hätten er und seine SPD zu einer Wechselstimmung im Land beitragen können? Wie inszeniert man den Wechsel, wenn die absolute Mehrheit der Bürger sowohl mit der Kanzlerin als auch mit der politischen und ökonomischen Lage zufrieden ist? "Merkel plus x" - so stellte sich für die meisten Wähler die Wahloption damals dar.
Die extrem hohen und stabilen lagerübergreifenden Werte der Zustimmung zur Programm-Person der Kanzlerin machten die Bundestagswahl zu einer ausgeprägten Personenwahl: Angela Merkel fungierte als Orientierungs-Autorität in Zeiten relativer Zufriedenheit. Die Unzufriedenheit der Wähler bezog sich auf die schwarz-gelbe Regierung der Jahre 2009 bis 2013, aber nie auf Merkel. Mit einem Vermeidungswahlkampf auf Samtpfoten erzwang die Kanzlerin eine Demobilisierung der SPD. Merkel agierte als Kanzlerpräsidentin mit hohen persönlichen Sympathiewerten.
All das war Steinbrück vertraut, und dennoch glaubte er, dass er als Kandidat das Blatt wenden könnte. Die SPD setzte sich markant im Wahlkampf für Verlierer, Marginalisierte, Minderheiten in der Gesellschaft ein und hoffte auf Solidarisierungseffekte. Analytisch klar arbeitet Steinbrück heraus, dass damit die sozialen Aufsteiger und die politische Mitte keine Angebote seitens der SPD erhielten. Im Umkehrschluss rüstet sich Steinbrück für die Zeit nach Merkel - nicht persönlich, sondern programmatisch.
Die meisten Kapitel seines Buches enthalten Auflistungen, Befunde, Notwendigkeiten, Reformansätze, Gesetzesvorschläge, wie der Wohlfahrtsstaat Deutschland fit bleiben kann. Das ist zutiefst sozialdemokratisch, keineswegs primär technokratisch-marktgetrieben und effizienzgetrieben. Viele Kapitel könnten ein Steinbruch für die kommende Wahlkampfprogrammatik sein. Denn Steinbrück zielt auf die arbeitende Mitte. Hier setzt er auf eine Balance zwischen Sozial- und Wirtschaftskompetenz. Moderne Zeitsouveränität und Leistungsgerechtigkeit sind viel wichtiger als klassische Verteilungsakzente. Soziale Sicherheit bedeutet danach auch Planungssicherheit für das eigene Arbeits- und Familienleben.
Die Modernisierungsverunsicherten, die Angstmitte der Republik gewinnt man nicht mit neuen Steuerplänen, aber mit dem Versprechen, sie vor den Unbilden der Zukunft zu schützen. Sicherheitskonservativ kommt daher Steinbrücks Plädoyer daher. Doch um den Status quo zu erhalten, sind zahlreiche Anstrengungen notwendig - national wie international. Wenig überraschend lesen sich die finanzpolitischen Einschätzungen brillant und klar.
Steinbrück möchte themenbezogen Unruhe stiften. So gut dieses Anliegen inhaltlich begründet ist, so deutlich eignet sich dieses Buch dazu allerdings nicht. Denn Steinbrücks Sprache ist stets analytisch-trocken, aber wenig emotional-mitreißend. Zu viele Kapitel - von der Außen- und Sicherheitspolitik bis zur Bildungsfrage - sind wie Arbeitskataloge aufgebaut. Für die SPD könnten weniger die aufklärerischen Passagen wichtig werden als die Perspektive eines veränderten Erzählstrangs zur Mobilisierung von Wählern. Gleichwohl ist selbst mit mitreißend-motivierender SPD-Programmatik im Moment keinem SPD-Politiker zur Kandidatur gegen die amtierende Kanzlerin zu raten. Warmlaufen schadet aber auch nicht.
KARL-RUDOLF KORTE
Peer Steinbrück: Vertagte Zukunft. Die selbstzufriedene Republik. Hoffmann und Campe, Hamburg 2015. 304 S., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Er benennt gewohnt klar die Herausforderungen, die über Deutschlands Zukunft entscheiden.« Hellweger Anzeiger, 27.03.2015