"Ein Kind kommt, ein Kind geht."- Emma rätselt über den Spruch der Kartenlegerin. Als sie von Fionnas zweiter Schwangerschaft erfährt, überfallen sie böse Vorahnungen. Wie soll es gelingen, die eigene Himmelsburg zu verteidigen? Doch dann wirft Fionna sie aus der gemeinsamen Wohnung ...
Anstatt einen Schritt nach vorn zu machen, verlaufen sich vier Protagonisten auf der Suche nach einer Ersatzfamilie in ihren eigenen Gefühlskulissen. Sie wollen ihre eigene Kindheit noch nicht loslassen, da sollen sie auch schon selbst"Eltern"spielen. Und ihre eigenen Eltern wollen nicht mehr als die Kumpel ihrer Kinder sein. Heimliches Zentrum - von allen unbeachtet - ist Julia, Fionnas Tochter aus erster Ehe: der einzig wirklich authentische Mensch. Während die Erwachsenen sich mit ihren Lebensrollen arrangieren, wagt sie den Aufbruch: Ein Kind geht.
Sebastian Orlac legt mit seinem klugen Debüt eine Zustandsbeschreibung einer Generation vor. Klar, pointiert und ohne falsche Sentimentalität beschreibt er Lebenswirklichkeiten und Befindlichkeiten der heute Dreißig- bis Vierzigjährigen. So formieren sich die Wahlverwandtschaften des 21. Jahrhunderts.
Anstatt einen Schritt nach vorn zu machen, verlaufen sich vier Protagonisten auf der Suche nach einer Ersatzfamilie in ihren eigenen Gefühlskulissen. Sie wollen ihre eigene Kindheit noch nicht loslassen, da sollen sie auch schon selbst"Eltern"spielen. Und ihre eigenen Eltern wollen nicht mehr als die Kumpel ihrer Kinder sein. Heimliches Zentrum - von allen unbeachtet - ist Julia, Fionnas Tochter aus erster Ehe: der einzig wirklich authentische Mensch. Während die Erwachsenen sich mit ihren Lebensrollen arrangieren, wagt sie den Aufbruch: Ein Kind geht.
Sebastian Orlac legt mit seinem klugen Debüt eine Zustandsbeschreibung einer Generation vor. Klar, pointiert und ohne falsche Sentimentalität beschreibt er Lebenswirklichkeiten und Befindlichkeiten der heute Dreißig- bis Vierzigjährigen. So formieren sich die Wahlverwandtschaften des 21. Jahrhunderts.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.08.2006Man steckt nicht drin
Papa und Mama mit Hinlegen: Sebastian Orlacs Familienroman
Wer sich eine Himmelsburg aufgebaut hat, der muß sie nach Kräften verteidigen. Weil es dafür aber kein Patentrezept gibt, versuchen es Fionna und Markus mit möglichst viel Freiheit - und schaffen ein Chaos. Während er in Irland einer sinnlosen Arbeit nachgeht, wacht sie eines Morgens mit einem anderen Mann und einem Filmriß auf. Der vermeintliche one night stand Paul verliebt sich bald in Emma, die mit Fionna und deren Tochter Julia eine Wohnung teilt, dort aber demnächst ausziehen soll. Die ist sich unsicher, ob Paul wirklich sie will oder nur ihre Stimme mag, mit der sie Jodie Foster synchronisiert. Nichts scheint gefestigt im Geflecht dieser Beziehungen. Das einzige, was sie zusammenhalten kann, sind Gefühle - mal freundschaftliche, mal die ganz großen, so genau kann man das oft nicht unterscheiden.
Sebastian Orlac wagt sich in "Verteidigung der Himmelsburg" an ein Porträt seiner Generation der heute Dreißig- bis Vierzigjährigen und legt ein desillusionierendes Zeugnis ab: Weil das Verhältnis zu den eigenen Eltern so locker ist, daß man sich gar nicht wirklich berührt, gibt es mit denen kaum Probleme. Dafür aber sucht man sich Wahlverwandtschaften in Form von Partnern und Freunden und lebt mit diesen das nicht auszumerzende Bedürfnis nach familienähnlichen festen Strukturen aus - so intensiv, daß die mit den Eltern vermiedenen Erwartungen und Verbindlichkeiten an anderer Stelle entstehen. Man klammert sich aneinander, gehört zusammen und doch wieder nicht. In jedem Fall sind die Verhältnisse so problembelastet, daß die früh verwaiste Emma bei einer Familienaufstellung nicht ihre Eltern, sondern lieber ihre Freunde und Mitbewohner betrachten möchte.
In einer oberflächlich harmonischen, zeitweilig sogar amüsanten, doch unterschwellig bedrückenden Schlüsselszene stellt Orlac das Familien- und Freundesgefüge dar. Markus und Fionna laden ihre Familien und Emma in ein Restaurant ein, weil sie ein Kind erwarten. Der werdende Vater hatte es auf dem Ultraschallbild für einen Tumor gehalten - auch das ein Symptom für die Unreife derer, die ewig Kind oder berufsjugendlich bleiben wollen. Beim Essen zeigt sich der Grund für die verzweifelte Suche der Hauptfiguren nach Stabilität: Weil die Eltern sie durch Scheidung oder Emigration selbst aufgegeben haben, können sie ihren Kindern keine bieten. Fionnas Vater trinkt, so daß sie über seine viel zu junge, hysterische Freundin wenigstens als Aufsichtsperson froh sein muß, auch wenn sie mit ihrer Mutter leidet. Markus' Vater bedauert, "daß sie nicht nur verschiedene Namen tragen, sondern einander gar nicht kennen würden und alles andere seien als eine Familie" - ein klarsichtiger Moment, doch niemand kann oder will diese Tatsache ändern. Die Schwangerschaft ist keine rechte Überraschung mehr, weil nur ihre Preisgabe die Eltern zu diesem Essen locken konnte.
In nüchterner Sprache und kurzen Sätzen wirft der Autor den Leser oft direkt in die Gedanken der Figuren hinein, bevor dieser sie überhaupt als solche identifizieren kann. Auf diese Weise kommt man ihnen schnell nahe, rauschen einem beispielsweise Emmas Überlegungen zu Paul geradezu entgegen: "Soll er ihre Stimme mögen, sie liebt seinen Mund. Wie gut sie zusammenpassen. Ob auch er das so sieht? Zu dumm. Man steckt nicht drin. Oder man steckt drin und hat trotzdem keine Ahnung." Von dieser Art sind viele Gedankengänge. Es mangelt an Kommunikation. Aber wie soll man sich jemandem erklären, wenn man sich selbst ein Rätsel ist? Auswüchse dieses Dilemmas legt Markus an den Tag, als seine und Fionnas Wohnung eine richtige Familienwohnung werden soll. Kein eigenes Zimmer für ihn, statt dessen ein Wohnzimmer. Statt dies wahrzunehmen und zu äußern, daß er sich dadurch eingeengt fühlt, läuft er wie ein Irrer durch die Räume und reißt eine Mauer ein, weil dahinter doch irgendwo noch eine Kammer sein muß - mit dem durchschlagenden Erfolg, daß er im Hohlraum steckenbleibt und mehr eingeengt ist denn je.
Die einzige Person, in deren Gefühlswelt Orlac keinen tiefen Einblick liefert, ist Fionnas Tochter Julia. Genau so, wie sie emotional in der Freundschaftsfamilie nebenher läuft, steht sie erzählerisch über weite Strecken am Rand. Daß der Autor ausgerechnet sie in den Mittelpunkt eines dramatischen Schlusses stellt, wirkt inkonsequent und ist der einzige wirkliche Schwachpunkt des Romans. Plötzlich soll der flachste Charakter der authentischste sein, der anscheinend die Unklarheiten in den Beziehungen nicht ertragen kann. Wenn dem so ist, hätte man das Mädchen wirklich gerne kennengelernt im Verlauf des Buches.
JULIA BÄHR
Sebastian Orlac: "Verteidigung der Himmelsburg". Roman. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2006. 214 S., geb., 19,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Papa und Mama mit Hinlegen: Sebastian Orlacs Familienroman
Wer sich eine Himmelsburg aufgebaut hat, der muß sie nach Kräften verteidigen. Weil es dafür aber kein Patentrezept gibt, versuchen es Fionna und Markus mit möglichst viel Freiheit - und schaffen ein Chaos. Während er in Irland einer sinnlosen Arbeit nachgeht, wacht sie eines Morgens mit einem anderen Mann und einem Filmriß auf. Der vermeintliche one night stand Paul verliebt sich bald in Emma, die mit Fionna und deren Tochter Julia eine Wohnung teilt, dort aber demnächst ausziehen soll. Die ist sich unsicher, ob Paul wirklich sie will oder nur ihre Stimme mag, mit der sie Jodie Foster synchronisiert. Nichts scheint gefestigt im Geflecht dieser Beziehungen. Das einzige, was sie zusammenhalten kann, sind Gefühle - mal freundschaftliche, mal die ganz großen, so genau kann man das oft nicht unterscheiden.
Sebastian Orlac wagt sich in "Verteidigung der Himmelsburg" an ein Porträt seiner Generation der heute Dreißig- bis Vierzigjährigen und legt ein desillusionierendes Zeugnis ab: Weil das Verhältnis zu den eigenen Eltern so locker ist, daß man sich gar nicht wirklich berührt, gibt es mit denen kaum Probleme. Dafür aber sucht man sich Wahlverwandtschaften in Form von Partnern und Freunden und lebt mit diesen das nicht auszumerzende Bedürfnis nach familienähnlichen festen Strukturen aus - so intensiv, daß die mit den Eltern vermiedenen Erwartungen und Verbindlichkeiten an anderer Stelle entstehen. Man klammert sich aneinander, gehört zusammen und doch wieder nicht. In jedem Fall sind die Verhältnisse so problembelastet, daß die früh verwaiste Emma bei einer Familienaufstellung nicht ihre Eltern, sondern lieber ihre Freunde und Mitbewohner betrachten möchte.
In einer oberflächlich harmonischen, zeitweilig sogar amüsanten, doch unterschwellig bedrückenden Schlüsselszene stellt Orlac das Familien- und Freundesgefüge dar. Markus und Fionna laden ihre Familien und Emma in ein Restaurant ein, weil sie ein Kind erwarten. Der werdende Vater hatte es auf dem Ultraschallbild für einen Tumor gehalten - auch das ein Symptom für die Unreife derer, die ewig Kind oder berufsjugendlich bleiben wollen. Beim Essen zeigt sich der Grund für die verzweifelte Suche der Hauptfiguren nach Stabilität: Weil die Eltern sie durch Scheidung oder Emigration selbst aufgegeben haben, können sie ihren Kindern keine bieten. Fionnas Vater trinkt, so daß sie über seine viel zu junge, hysterische Freundin wenigstens als Aufsichtsperson froh sein muß, auch wenn sie mit ihrer Mutter leidet. Markus' Vater bedauert, "daß sie nicht nur verschiedene Namen tragen, sondern einander gar nicht kennen würden und alles andere seien als eine Familie" - ein klarsichtiger Moment, doch niemand kann oder will diese Tatsache ändern. Die Schwangerschaft ist keine rechte Überraschung mehr, weil nur ihre Preisgabe die Eltern zu diesem Essen locken konnte.
In nüchterner Sprache und kurzen Sätzen wirft der Autor den Leser oft direkt in die Gedanken der Figuren hinein, bevor dieser sie überhaupt als solche identifizieren kann. Auf diese Weise kommt man ihnen schnell nahe, rauschen einem beispielsweise Emmas Überlegungen zu Paul geradezu entgegen: "Soll er ihre Stimme mögen, sie liebt seinen Mund. Wie gut sie zusammenpassen. Ob auch er das so sieht? Zu dumm. Man steckt nicht drin. Oder man steckt drin und hat trotzdem keine Ahnung." Von dieser Art sind viele Gedankengänge. Es mangelt an Kommunikation. Aber wie soll man sich jemandem erklären, wenn man sich selbst ein Rätsel ist? Auswüchse dieses Dilemmas legt Markus an den Tag, als seine und Fionnas Wohnung eine richtige Familienwohnung werden soll. Kein eigenes Zimmer für ihn, statt dessen ein Wohnzimmer. Statt dies wahrzunehmen und zu äußern, daß er sich dadurch eingeengt fühlt, läuft er wie ein Irrer durch die Räume und reißt eine Mauer ein, weil dahinter doch irgendwo noch eine Kammer sein muß - mit dem durchschlagenden Erfolg, daß er im Hohlraum steckenbleibt und mehr eingeengt ist denn je.
Die einzige Person, in deren Gefühlswelt Orlac keinen tiefen Einblick liefert, ist Fionnas Tochter Julia. Genau so, wie sie emotional in der Freundschaftsfamilie nebenher läuft, steht sie erzählerisch über weite Strecken am Rand. Daß der Autor ausgerechnet sie in den Mittelpunkt eines dramatischen Schlusses stellt, wirkt inkonsequent und ist der einzige wirkliche Schwachpunkt des Romans. Plötzlich soll der flachste Charakter der authentischste sein, der anscheinend die Unklarheiten in den Beziehungen nicht ertragen kann. Wenn dem so ist, hätte man das Mädchen wirklich gerne kennengelernt im Verlauf des Buches.
JULIA BÄHR
Sebastian Orlac: "Verteidigung der Himmelsburg". Roman. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2006. 214 S., geb., 19,50 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Sebastian Orlacs Familienroman "Verteidigung der Himmelsburg" hat Rezensentin Julia Bähr zeitweise eine vergnügliche Lektüre bereitet. Das reine Amüsement bietet das Buch allerdings nicht, bei der Rezensentin stellt sich immer wieder eine gewisse Beklemmung ein. Orlacs Porträt kommt der heute Dreißig- bis Vierzigjährigen nach Ansicht Bährs ernüchternd illusionslos daher. Deutlich wird für Bähr: die ganzen Probleme, die frühere Generationen mit ihren Eltern hatten, haben die Protagonisten dieses Romans mit ihren Partnern und Freunden auszufechten, mit denen leben sie in familienähnlichen Strukturen zusammenleben. "Man klammert sich aneinander", beschreibt Bähr die von Orlac in lakonischen Sätzen geschilderten Verhältnisse, "gehört zusammen und doch wieder nicht."
© Perlentaucher Medien GmbH
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