Um das Jahr 1927 gerät der bedeutende expressionistische Maler und Zeichner Ludwig Meidner (1884-1966) in eine Krise, die sich hemmend auf seine künstlerische Produktivität auswirkt und zugleich ein Motiv dafür abgibt, ebendiese Situation in Feuilletons zu glossieren. Zwischen 1927 und 1932 entstehen so rund 100 feuilletonistische Texte, die etwa zur Hälfte in Berliner Zeitungen veröffentlicht wurden. Die Summe der Texte ist mit dem - auch von Meidner selbst bevorzugten - Etikett humoristische Geschichten aus dem Berliner Alltagsleben griffig, aber unzureichend charakterisiert.Autorenporträt: Der Herausgeber: Michael Assmann, geboren 1946, Ausbildung als Verlagsbuchhändler, Studium der Germanistik und Philosophie. Nach Tätigkeiten im Suhrkamp Verlag und im Verlag Lambert Schneider ist er seit 1986 Lektor bei der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Veröffentlichungen u.a.: Stoßseufzer eines alternden Ekstatikers - Ludwig Meidners Feuilletons und die Erzählungen aus dem Nachlaß.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.02.2004Der Rollmops in der Kunst
Ironisieren, bis der Arzt kommt: Feuilletons von Ludwig Meidner
Die Expressionisten kriegen ihr Fett weg. Von miserablem Gezeichne ist die Rede in dem "lustigen Traktat über Porträtmalerei". Lästert Ludwig Meidner im Jahre 1929 über sich und seine früheren Freunde, die ekstatischen Künstler, Dichter, Literaten? Oder doch eher über den schwankenden, gedächtnislosen Zeitgeist, der so tut, als sei da nichts gewesen. Meidner gehörte in jüngeren Jahren zu diesen lauten Künstlern, war ein exzellenter Porträtzeichner für die kunstrevolutionäre Zeitschrift "Die Aktion". Herausgeber Franz Pfemfert, einer der Menschheitsdämmerungs-Meteorologen, sprach den jungen Maler damals "kurfürstendammfähig". Und nun ausrangiert, abgebaut?
Einer wie er, so meint der Fatalist, der nun als gläubiger Jude auch religiöse Schriften verfaßt, habe kein Recht mehr, in die Welt hinauszuschreien. Spricht der Moralist? Oder der Ironiker, ein ganz raffinierter? Wohl beide Meidners melden sich zu Wort. Doch eines ist beiden gewiß: Man sollte das Maul lieber nicht mehr so voll nehmen wie ehedem, als man Manifeste schmetterte, daß es nur so rauchte, als sich der Maler Meidner ebenso wie sein berühmterer Kollege Oskar Kokoschka auch literarisch hervortat mit Expressionisten-Prosa. Sogar mit erfolgreichen Büchern, die Titel haben wie "Im Nacken das Sternemeer" oder "Septemberschrei", Sammlungen von Hymnen und Lästerungen. Nun heißt es in einer autobiographischen Plauderei des Fünfunddreißigjährigen: "Es wird nicht armseliger das Leben mit dem Älterwerden. Nüchternheit ist schöner als Verrücktheit."
Nach dem Ex-Expressionisten "kräht kein Hahn mehr, schon zu Lebzeiten". Er hat dem Pathos, der Kunst des Schreis abgeschworen. Die Gefühlswoge ist verebbt. Weit zurück die Zeit, als Meidner und Freunde "wie die Heuochsen malten, die Farben fraßen und soffen und nicht genau hinschauten, ob die Gusche richtig mitten ins Gesicht gepflanzt ward oder mehr ans rechte Ohr rutschte". In den Jahren zwischen 1927 und 1932 ist Meidner zu den Journalisten übergelaufen. Es entstehen jetzt feuilletonistische Texte; nicht alle werden in den Berliner Zeitungen gedruckt. Der Autor selber, als Porträtist präziser Beobachter des Hintergründigen, versieht sie mit dem Etikett "humoristische Geschichten aus dem Berliner Alltagsleben". Doch nach der überstandenen künstlerischen Krise ist ihm nicht immer humorig zumute.
Keinen Spaß versteht der Autor, wenn er ins Kino geht. Mit "einigen Bemerkungen gegen den Film" rechnet er mit dem neuen Massenmedium ab, einem Götzen der Epoche - "neben dem Sport und der Erotik". Weil ihr das Wesentliche fehle, nämlich Magie und Duft. All der ehrliche Schweiß, der von den bedauernswerten Filmleuten und den liberalistischen Intellektuellen vergossen wird, die redliche Mühe der Schauspieler, Regisseure, Produzenten - nützt alles nichts. Der Film bleibt die Maschine, die surrt und ihr Pensum herunterrasselt.
Was für ein Wunder, welches Wesen dagegen eine kleine Handzeichnung von Adolph von Menzel in der Berliner Nationalgalerie, nicht größer als ein Handteller. Ein Blättchen Papier im Wert von einem Pfennig und der Bleistiftverbrauch: nicht mehr als für drei Pfennige. Eine sitzende Greisin, zart und präzise modelliert, ein Menschenschicksal. Mit Wärme und Feingefühl wird beredt erzählt von einem langen Leben und seinem sinnstiftenden Abschluß. Wer sich in diese Gestalt hineinsieht, ist gerührt, auch erhoben. Mit einem Nichts an materiellen Dingen eine ganze Welt von Seelenhaftigkeit. Dagegen der Monumentalfilm: laut, kraß, grotesk. Gewiß auch spannend und aufregend. Doch was ist solche atemlose Spannung, fragt Meidner, gegen eine Gemütsverfassung, in die uns die Sixtina oder die Johannespassion versetzen.
Und wieder die Auseinandersetzung mit der eigenen expressionistischen Vergangenheit, dem frechen Draufgängertum, das sich mit Getöse bemerkbar macht. Der geläuterte Künstler erblickt im Film das garstige Kind einer Zeit, der es an Geschmack fehlt. Entschuldigt bitte, liebe Leser, scheint der Feuilletonist Meidner zu seufzen: "Ich hab' halt solche Rosinen von Kunst, Schönheit und Größe im Kopf." Die Feuilletons sind ihm seelische Entlastung, eine Art Kunst-Therapie, zugleich Bekenntnis und Rechtfertigung eines "alternden Ekstatikers". Mit diabolischer Freude schildert er skurrile Alltäglichkeiten, auch "diesen trübselig-tristen Malerwerktag über Konzeptbogen und Tintenfaß", oder er feuilletonisiert flapsig über die Sehnsucht nach Gänsebraten und die wohltätigen künstlerischen Konsequenzen eines Rollmops-Essens. Hinter einem harmlos klingenden Titel wie "Hundstage in der Weltstadt" verbirgt sich die Leidensgeschichte von der Schwermut großstädtischer Monotonie und Naturferne; vorgetragen allerdings in sympathischer Prosa.
Meidner hatte vor seiner Emigration nach England eine Buchveröffentlichung dieser alles in allem doch freundlichen Weltbetrachtungen im Sinn. Erst jetzt, ein dreiviertel Jahrhundert später, erscheint eine überzeugende Auswahl der Texte im Frankfurter Schöffling Verlag, herausgegeben von Michael Assmann, Lektor bei der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Die beiden Städte waren im Alter Meidners Lebensraum. Der schriftliche Nachlaß, aus dem dieses atmosphärisch dichte, interessante Buch schöpft, wird im Stadtarchiv Darmstadt verwahrt. Der reiche bildnerische Bestand gehört dem Jüdischen Museum in Frankfurt am Main. Im jüdischen Altersheim dieser Stadt lebte Meidner zunächst nach seiner endgültigen Rückkehr nach Deutschland im Jahre 1953. Zehn Jahre später übersiedelte er nach Darmstadt. Dort starb der Künstler, im hohen Alter vielfach geehrt, mit 82 Jahren.
ARND RÜHLE
Ludwig Meidner: "Verteidigung des Rollmopses". Feuilletons. Herausgegeben von Michael Assmann. Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2003. 240 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ironisieren, bis der Arzt kommt: Feuilletons von Ludwig Meidner
Die Expressionisten kriegen ihr Fett weg. Von miserablem Gezeichne ist die Rede in dem "lustigen Traktat über Porträtmalerei". Lästert Ludwig Meidner im Jahre 1929 über sich und seine früheren Freunde, die ekstatischen Künstler, Dichter, Literaten? Oder doch eher über den schwankenden, gedächtnislosen Zeitgeist, der so tut, als sei da nichts gewesen. Meidner gehörte in jüngeren Jahren zu diesen lauten Künstlern, war ein exzellenter Porträtzeichner für die kunstrevolutionäre Zeitschrift "Die Aktion". Herausgeber Franz Pfemfert, einer der Menschheitsdämmerungs-Meteorologen, sprach den jungen Maler damals "kurfürstendammfähig". Und nun ausrangiert, abgebaut?
Einer wie er, so meint der Fatalist, der nun als gläubiger Jude auch religiöse Schriften verfaßt, habe kein Recht mehr, in die Welt hinauszuschreien. Spricht der Moralist? Oder der Ironiker, ein ganz raffinierter? Wohl beide Meidners melden sich zu Wort. Doch eines ist beiden gewiß: Man sollte das Maul lieber nicht mehr so voll nehmen wie ehedem, als man Manifeste schmetterte, daß es nur so rauchte, als sich der Maler Meidner ebenso wie sein berühmterer Kollege Oskar Kokoschka auch literarisch hervortat mit Expressionisten-Prosa. Sogar mit erfolgreichen Büchern, die Titel haben wie "Im Nacken das Sternemeer" oder "Septemberschrei", Sammlungen von Hymnen und Lästerungen. Nun heißt es in einer autobiographischen Plauderei des Fünfunddreißigjährigen: "Es wird nicht armseliger das Leben mit dem Älterwerden. Nüchternheit ist schöner als Verrücktheit."
Nach dem Ex-Expressionisten "kräht kein Hahn mehr, schon zu Lebzeiten". Er hat dem Pathos, der Kunst des Schreis abgeschworen. Die Gefühlswoge ist verebbt. Weit zurück die Zeit, als Meidner und Freunde "wie die Heuochsen malten, die Farben fraßen und soffen und nicht genau hinschauten, ob die Gusche richtig mitten ins Gesicht gepflanzt ward oder mehr ans rechte Ohr rutschte". In den Jahren zwischen 1927 und 1932 ist Meidner zu den Journalisten übergelaufen. Es entstehen jetzt feuilletonistische Texte; nicht alle werden in den Berliner Zeitungen gedruckt. Der Autor selber, als Porträtist präziser Beobachter des Hintergründigen, versieht sie mit dem Etikett "humoristische Geschichten aus dem Berliner Alltagsleben". Doch nach der überstandenen künstlerischen Krise ist ihm nicht immer humorig zumute.
Keinen Spaß versteht der Autor, wenn er ins Kino geht. Mit "einigen Bemerkungen gegen den Film" rechnet er mit dem neuen Massenmedium ab, einem Götzen der Epoche - "neben dem Sport und der Erotik". Weil ihr das Wesentliche fehle, nämlich Magie und Duft. All der ehrliche Schweiß, der von den bedauernswerten Filmleuten und den liberalistischen Intellektuellen vergossen wird, die redliche Mühe der Schauspieler, Regisseure, Produzenten - nützt alles nichts. Der Film bleibt die Maschine, die surrt und ihr Pensum herunterrasselt.
Was für ein Wunder, welches Wesen dagegen eine kleine Handzeichnung von Adolph von Menzel in der Berliner Nationalgalerie, nicht größer als ein Handteller. Ein Blättchen Papier im Wert von einem Pfennig und der Bleistiftverbrauch: nicht mehr als für drei Pfennige. Eine sitzende Greisin, zart und präzise modelliert, ein Menschenschicksal. Mit Wärme und Feingefühl wird beredt erzählt von einem langen Leben und seinem sinnstiftenden Abschluß. Wer sich in diese Gestalt hineinsieht, ist gerührt, auch erhoben. Mit einem Nichts an materiellen Dingen eine ganze Welt von Seelenhaftigkeit. Dagegen der Monumentalfilm: laut, kraß, grotesk. Gewiß auch spannend und aufregend. Doch was ist solche atemlose Spannung, fragt Meidner, gegen eine Gemütsverfassung, in die uns die Sixtina oder die Johannespassion versetzen.
Und wieder die Auseinandersetzung mit der eigenen expressionistischen Vergangenheit, dem frechen Draufgängertum, das sich mit Getöse bemerkbar macht. Der geläuterte Künstler erblickt im Film das garstige Kind einer Zeit, der es an Geschmack fehlt. Entschuldigt bitte, liebe Leser, scheint der Feuilletonist Meidner zu seufzen: "Ich hab' halt solche Rosinen von Kunst, Schönheit und Größe im Kopf." Die Feuilletons sind ihm seelische Entlastung, eine Art Kunst-Therapie, zugleich Bekenntnis und Rechtfertigung eines "alternden Ekstatikers". Mit diabolischer Freude schildert er skurrile Alltäglichkeiten, auch "diesen trübselig-tristen Malerwerktag über Konzeptbogen und Tintenfaß", oder er feuilletonisiert flapsig über die Sehnsucht nach Gänsebraten und die wohltätigen künstlerischen Konsequenzen eines Rollmops-Essens. Hinter einem harmlos klingenden Titel wie "Hundstage in der Weltstadt" verbirgt sich die Leidensgeschichte von der Schwermut großstädtischer Monotonie und Naturferne; vorgetragen allerdings in sympathischer Prosa.
Meidner hatte vor seiner Emigration nach England eine Buchveröffentlichung dieser alles in allem doch freundlichen Weltbetrachtungen im Sinn. Erst jetzt, ein dreiviertel Jahrhundert später, erscheint eine überzeugende Auswahl der Texte im Frankfurter Schöffling Verlag, herausgegeben von Michael Assmann, Lektor bei der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Die beiden Städte waren im Alter Meidners Lebensraum. Der schriftliche Nachlaß, aus dem dieses atmosphärisch dichte, interessante Buch schöpft, wird im Stadtarchiv Darmstadt verwahrt. Der reiche bildnerische Bestand gehört dem Jüdischen Museum in Frankfurt am Main. Im jüdischen Altersheim dieser Stadt lebte Meidner zunächst nach seiner endgültigen Rückkehr nach Deutschland im Jahre 1953. Zehn Jahre später übersiedelte er nach Darmstadt. Dort starb der Künstler, im hohen Alter vielfach geehrt, mit 82 Jahren.
ARND RÜHLE
Ludwig Meidner: "Verteidigung des Rollmopses". Feuilletons. Herausgegeben von Michael Assmann. Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2003. 240 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Atmosphärisch dicht, interessant und überzeugend findet Rezensent Arnd Rühle die "alles in allem doch freundlichen Weltbetrachtungen" und Feuilletons des expressionistischen Malers Ludwig Meidner, deren Erscheinen ein dreiviertel Jahrhundert nach ihrem Entstehen er ausdrücklich würdigt. Auch der reiche, aus Frankfurts Jüdischem Museum stammende Bildbestand des Buches tragen Rühle zufolge zum Gelingen dieses Projektes dar. Besonders schätzt der Rezensent an den Texten des Ex-Expressionisten, dass er darin dem Pathos und der Kunst des Schreiens abgeschworen hat. Meidners Betrachtungen aus den Jahren 1927-1932 widmen sich der Malerei, dem "frechen Draufgängertum" seiner expressionistischen Vergangenheit, humoristischen Geschichten aus dem Berliner Alltagsleben oder dem Film. Besonders berührt zeigt sich Rühle vom Text über eine Menzel-Zeichnung. Vergnügt hat er aber auch Ludwig Meidners mit diabolischer Freude geschilderten skurrilen Alltäglichkeiten gelesen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Mit diabolischer Freude schildert er skurrile Alltäglichkeiten, oder er feuilletonisiert über die Sehnsucht nach Gänsebraten und die Konsequenzen eines Rollmops-Essens. Eine überzeugende Auswahl.« Arnd Rühle, Frankfurter Allgemeine Zeitung »Eine schöne Entdeckung.« Journal Frankfurt