Achmad, Gesellschaftsfotograf in einem exklusiven Kairoer Hotel, wird Zeuge, wie ein Freund bei einem Attentat auf zwei rivalisierende Geschäftsleute in der Bar Vertigo brutal ermordet wird. Es gelingt ihm, das Geschehen mit der Kamera festzuhalten, bevor er sich unerkannt vom Tatort entfernen kann. Das brisante Material spielt er einer Zeitung zu, deren Chefredakteur eine wichtige Rolle im alles durchdringenden Geflecht aus Korruption, Intrigen und Klientelpolitik spielt. Unversehens verfängt Achmad sich in diesem Netz, das bis in höchste Kreise reicht. Er sieht sich gezwungen unterzutauchen, denn seine skrupellosen Gegner schrecken vor nichts zurück. - Mit "Vertigo" begründete Ahmed Mourad 2007 das Genre des Politthrillers in Ägypten. Das Buch wurde 2012 als Fernsehserie verfilmt.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Dass Ahmed Mourad in seinem Kairo-Noir-Krimi "Vertigo" mit vielen Anspielungen, aus Hitchcock-Filmen, aber auch ägyptischen Filmen spielt, ist für Rezensent Alex Rühle nur ein Grund, die Lektüre zu empfehlen. Der andere ist, dass die Geschichte um den Fotografen Ahmed, der einem weitreichenden Netz von Korruption und Opportunismus im Ägypten Mubaraks auf die Spur kommt, derart explosiv ist, dass der Kritiker sich wundert, warum das Buch für den Autor folgenlos blieb. Insbesondere, weil Mourad, selbst jahrelang Mubaraks Hoffotograf, hier die autobiografischen Parallelen zu seinem Helden bis zur "Tollkühnheit" ausreizt, informiert Rühle. Dass der Krimi ansonsten im konventionellen Gewand mit Liebesgeschichte daherkommt, stört den Rezensenten angesichts des grandios gezeichneten Generationenporträts gar nicht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.04.2016Café noir für das Krokodil
Ahmed Mourad zeichnet in seinem Kairo-Krimi „Vertigo“ ein beeindruckendes Generationenporträt aus dem Ägypten der Gegenwart.
Dass er seinen Roman mit Filmzitaten spickt, ist ein Hinweis, dass sich auf Rollenspiele verstehen muss, wer in einer Diktatur am Leben bleiben will
VON ALEX RÜHLE
Bei solch einem Doppelleben muss einem fast zwangsweise schwindlig werden: Tagsüber war Ahmed Mourad jahrelang der Hoffotograf von Hosni Mubarak und rückte den ägyptischen Präsidenten immer neu ins rechte Licht, fotografierte Staatsempfänge, Fabrikeröffnungen und Mubarak im Kreise seiner Familie. Abends saß er mit seinen jungen, gut ausgebildeten, arbeitslosen Freunden in den Bars von Kairo rum und hörte ihnen dabei zu, wie sie über ihr von Mubarak verpfuschtes Leben lamentierten.
Schreiben als psychische Notwehr, Ahmed Mourad hat in mehreren Interviews diesen Impuls betont. Er habe gar nicht anders gekonnt, als seine Wut und Ohnmacht ins Schreiben zu kanalisieren. Andernfalls, so sagte er es 2012, nach dem Sturz Mubaraks, wäre er „explodiert“. So kam es also, dass er tagsüber für ihn arbeitete und nachts gegen ihn anschrieb. Man muss ihm glauben, dass er anfangs, also 2007, gar nicht daran dachte, seinen Text jemals zu veröffentlichen, schließlich sind die Parallelen zwischen seinem Helden und ihm offensichtlich bis zur Tollkühnheit. Beide heißen Ahmed, tragen eine Brille, sind am 14. Februar, dem Valentinstag, geboren und haben ihren Fotografenjob von ihrem Vater geerbt. Nur dass der fiktive Achmad Kamâl nicht Hoffotograf ist, sondern nach einem BWL-Studium mittlerweile mit Hochzeitsbildern sein Geld verdient (warum die deutsche Übersetzung den Autor Ahmed, den Helden aber Achmed nennt, bleibt ein Geheimnis des Lenos-Verlags).
Am Rande einer solchen Hochzeitsfeier wird er Zeuge eines Massakers, bei dem ein sinistrer Wirtschaftsmogul umgebracht und ein anderer Magnat so brutal eingeschüchtert wird, dass er danach das Land verlässt. Die Attentäter exekutieren aber auch alle Augenzeugen, darunter Ahmads besten Freund. Er selbst hat sich auf einem Balkon versteckt, von wo aus er die Morde fotografiert.
Die Bar, in der der Mord geschieht, liegt schwindelerregende vierzig Stockwerke über Kairo und heißt „Vertigo“, so wie Mourads Roman – und der Hitchcock-Thriller, in dem James Stewart die eigene Höhenangst überwinden muss, um ein diabolisches Lügengespinst aufzudecken.
Mourad, der an der Filmhochschule von Kairo studiert hat, spickt seinen Krimi mit vielen Hitchcock-Anspielungen und mit noch mehr Zitaten und Namen aus ägyptischen Filmen. Auch sonst arbeitet er viel mit Metaphern aus der Film- und Fernsehwelt, etwa wenn er über einen Bediensteten schreibt: „,Kaffee, Eure Exzellenz, so wie jedes Mal?‘, warf Mustafa ein, ähnlich wie die Leute, die sich in den Nachrichten hinter die Reporterin stellen und winken, um ins Bild zu kommen.“ Es geht eben viel um Inszenierung und Rollenspiel, wenn man in einer Diktatur überleben will.
Im Nachhinein kann man sich nur wundern, dass Ahmed Maroud mit seinem Debütroman, der 2007 in Kairo erschien, keine Probleme bekam, schließlich zeichnet er in „Vertigo“ ein desaströses Bild seines Heimatlandes. Achmad Kamâl kommt einem immer größeren Geflecht aus Korruption und Opportunismus auf die Spur, ganz Kairo wirkt wie ein einziger Morast, in dessen Mitte „der Pascha“ sitzt wie ein zwar träges, aber doch bis zuletzt hochgefährliches Krokodil. Hätten Mubarak und seine Entourage damals mehr Bücher gelesen, vielleicht hätten sie gemerkt, was für ein explosives Gemisch sich da direkt vor ihren Palästen zusammenbraute.
Die Wirtschaftsbosse und Paten bereichern sich alle auf Kosten der Armen, ihr Netz ist so engmaschig geknüpft, dass auch der kleinste Fisch darin hängen bleiben muss. Selbst der vermeintlich so mutige Chefredakteur einer vermeintlich oppositionellen Zeitung erweist sich als korrupt: Anfangs glaubt Ahmad noch, es reicht, wenn er seine Fotos der Staatsanwaltschaft zuspielt. Es geschieht natürlich nichts. Als er sein Material dann aber der Zeitung schickt, die ironischerweise Freiheit heißt, und die all die Bilder nur nutzt, um sie zu vermeintlichen Beweisen einer abstrusen Eifersuchtsstory umzudeuten, weiß er, dass er, so wie es sich in einem Noir gehört, auf sich allein gestellt ist.
Der Krimi selbst ist konventionell gebaut, es gibt die zwei loyalen, mutigen Freunde, es gibt die verschiedenen Kartelle, es gibt eine Liebesgeschichte, die mit ähnlich süßen Aromastoffen versetzt ist wie ägyptisches Gebäck. Mourad hat seinen Krimi aber dazu genutzt, ein beeindruckendes Generationenporträt zu skizzieren, Ahmads Freunde, die in London und New York studiert haben, um jetzt in Kairo dabei zusehen zu müssen, wie ihr Land an Inkompetenz, Opportunismus und gerontokratischer Lähmung zugrunde geht. Auf der anderen Seite gibt es Menschen wie Ahmads Schwester, die sich mit einem muslimischen Fundamentalisten eingelassen hat, eine Frau, die einst Soziologie studiert hat, aber nun zwischen sich und ihre Vergangenheit den Gesichtsschleier zieht. All das ist in so sicherem Stil und so witziger Sprache erzählt, dass es nicht wundert, das Mourad mittlerweile zu den wichtigsten Autoren seiner Generation gehört.
Ahmed Mourad: Vertigo. Aus dem Arabischen von Christine Battermann. Lenos Verlag, Basel 2016. 398 Seiten, 22 Euro. E-Book 15,99 Euro.
Wie in Alfred Hitchcocks
„Rear Window“ wird ein Foto
zum Beweismittel
Ahmed Mourad,
geboren 1978 in Kairo, war bis zu Mubaraks Sturz dessen Fotograf. Er veröffentlichte bislang drei Thriller und einen historischen Roman, die allesamt zu Bestsellern in Ägypten wurden. Foto: Lenos
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Ahmed Mourad zeichnet in seinem Kairo-Krimi „Vertigo“ ein beeindruckendes Generationenporträt aus dem Ägypten der Gegenwart.
Dass er seinen Roman mit Filmzitaten spickt, ist ein Hinweis, dass sich auf Rollenspiele verstehen muss, wer in einer Diktatur am Leben bleiben will
VON ALEX RÜHLE
Bei solch einem Doppelleben muss einem fast zwangsweise schwindlig werden: Tagsüber war Ahmed Mourad jahrelang der Hoffotograf von Hosni Mubarak und rückte den ägyptischen Präsidenten immer neu ins rechte Licht, fotografierte Staatsempfänge, Fabrikeröffnungen und Mubarak im Kreise seiner Familie. Abends saß er mit seinen jungen, gut ausgebildeten, arbeitslosen Freunden in den Bars von Kairo rum und hörte ihnen dabei zu, wie sie über ihr von Mubarak verpfuschtes Leben lamentierten.
Schreiben als psychische Notwehr, Ahmed Mourad hat in mehreren Interviews diesen Impuls betont. Er habe gar nicht anders gekonnt, als seine Wut und Ohnmacht ins Schreiben zu kanalisieren. Andernfalls, so sagte er es 2012, nach dem Sturz Mubaraks, wäre er „explodiert“. So kam es also, dass er tagsüber für ihn arbeitete und nachts gegen ihn anschrieb. Man muss ihm glauben, dass er anfangs, also 2007, gar nicht daran dachte, seinen Text jemals zu veröffentlichen, schließlich sind die Parallelen zwischen seinem Helden und ihm offensichtlich bis zur Tollkühnheit. Beide heißen Ahmed, tragen eine Brille, sind am 14. Februar, dem Valentinstag, geboren und haben ihren Fotografenjob von ihrem Vater geerbt. Nur dass der fiktive Achmad Kamâl nicht Hoffotograf ist, sondern nach einem BWL-Studium mittlerweile mit Hochzeitsbildern sein Geld verdient (warum die deutsche Übersetzung den Autor Ahmed, den Helden aber Achmed nennt, bleibt ein Geheimnis des Lenos-Verlags).
Am Rande einer solchen Hochzeitsfeier wird er Zeuge eines Massakers, bei dem ein sinistrer Wirtschaftsmogul umgebracht und ein anderer Magnat so brutal eingeschüchtert wird, dass er danach das Land verlässt. Die Attentäter exekutieren aber auch alle Augenzeugen, darunter Ahmads besten Freund. Er selbst hat sich auf einem Balkon versteckt, von wo aus er die Morde fotografiert.
Die Bar, in der der Mord geschieht, liegt schwindelerregende vierzig Stockwerke über Kairo und heißt „Vertigo“, so wie Mourads Roman – und der Hitchcock-Thriller, in dem James Stewart die eigene Höhenangst überwinden muss, um ein diabolisches Lügengespinst aufzudecken.
Mourad, der an der Filmhochschule von Kairo studiert hat, spickt seinen Krimi mit vielen Hitchcock-Anspielungen und mit noch mehr Zitaten und Namen aus ägyptischen Filmen. Auch sonst arbeitet er viel mit Metaphern aus der Film- und Fernsehwelt, etwa wenn er über einen Bediensteten schreibt: „,Kaffee, Eure Exzellenz, so wie jedes Mal?‘, warf Mustafa ein, ähnlich wie die Leute, die sich in den Nachrichten hinter die Reporterin stellen und winken, um ins Bild zu kommen.“ Es geht eben viel um Inszenierung und Rollenspiel, wenn man in einer Diktatur überleben will.
Im Nachhinein kann man sich nur wundern, dass Ahmed Maroud mit seinem Debütroman, der 2007 in Kairo erschien, keine Probleme bekam, schließlich zeichnet er in „Vertigo“ ein desaströses Bild seines Heimatlandes. Achmad Kamâl kommt einem immer größeren Geflecht aus Korruption und Opportunismus auf die Spur, ganz Kairo wirkt wie ein einziger Morast, in dessen Mitte „der Pascha“ sitzt wie ein zwar träges, aber doch bis zuletzt hochgefährliches Krokodil. Hätten Mubarak und seine Entourage damals mehr Bücher gelesen, vielleicht hätten sie gemerkt, was für ein explosives Gemisch sich da direkt vor ihren Palästen zusammenbraute.
Die Wirtschaftsbosse und Paten bereichern sich alle auf Kosten der Armen, ihr Netz ist so engmaschig geknüpft, dass auch der kleinste Fisch darin hängen bleiben muss. Selbst der vermeintlich so mutige Chefredakteur einer vermeintlich oppositionellen Zeitung erweist sich als korrupt: Anfangs glaubt Ahmad noch, es reicht, wenn er seine Fotos der Staatsanwaltschaft zuspielt. Es geschieht natürlich nichts. Als er sein Material dann aber der Zeitung schickt, die ironischerweise Freiheit heißt, und die all die Bilder nur nutzt, um sie zu vermeintlichen Beweisen einer abstrusen Eifersuchtsstory umzudeuten, weiß er, dass er, so wie es sich in einem Noir gehört, auf sich allein gestellt ist.
Der Krimi selbst ist konventionell gebaut, es gibt die zwei loyalen, mutigen Freunde, es gibt die verschiedenen Kartelle, es gibt eine Liebesgeschichte, die mit ähnlich süßen Aromastoffen versetzt ist wie ägyptisches Gebäck. Mourad hat seinen Krimi aber dazu genutzt, ein beeindruckendes Generationenporträt zu skizzieren, Ahmads Freunde, die in London und New York studiert haben, um jetzt in Kairo dabei zusehen zu müssen, wie ihr Land an Inkompetenz, Opportunismus und gerontokratischer Lähmung zugrunde geht. Auf der anderen Seite gibt es Menschen wie Ahmads Schwester, die sich mit einem muslimischen Fundamentalisten eingelassen hat, eine Frau, die einst Soziologie studiert hat, aber nun zwischen sich und ihre Vergangenheit den Gesichtsschleier zieht. All das ist in so sicherem Stil und so witziger Sprache erzählt, dass es nicht wundert, das Mourad mittlerweile zu den wichtigsten Autoren seiner Generation gehört.
Ahmed Mourad: Vertigo. Aus dem Arabischen von Christine Battermann. Lenos Verlag, Basel 2016. 398 Seiten, 22 Euro. E-Book 15,99 Euro.
Wie in Alfred Hitchcocks
„Rear Window“ wird ein Foto
zum Beweismittel
Ahmed Mourad,
geboren 1978 in Kairo, war bis zu Mubaraks Sturz dessen Fotograf. Er veröffentlichte bislang drei Thriller und einen historischen Roman, die allesamt zu Bestsellern in Ägypten wurden. Foto: Lenos
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.07.2016Das zweite Buch ist immer das schwerste
Krimis in Kürze: Max Annas, Ahmed Mourad und Joakim Zander
Unser Mann in Südafrika heißt Max Annas, lebt in Berlin und hat es nach einem Achtungserfolg mit seinem Debüt "Die Farm" (F.A.Z. vom 15. Dezember 2014) mit seinem zweiten Roman "Die Mauer" (Rowohlt Taschenbuch, 223 S., 12,- [Euro]) nicht nur zu einem großen Verlag, sondern aus dem Stand auf den Spitzenplatz der KrimiZeit-Bestenliste gebracht. Der Mann kann also etwas, und er hat eine Lobby.
Annas zeigt sich auch in seinem zweiten Buch als Vertreter der hartkochenden, reduktionistischen Schule. Hundertfünfzehn Kapitel, ungefähr für jede Minute der erzählten Zeit eines, sorgen für mächtig Druck auf dem Kessel eines Plots, der eigentlich ganz harmlos beginnt. Nach einer Autopanne sucht der junge Schwarze Moses Hilfe ausgerechnet in einer Gated Community von Weißen, die um die Mittagszeit einigermaßen entvölkert in der Sonne grillt. Dort schnürt zur gleichen Zeit ein Einbrecherpärchen durch die leeren Häuser. Dummerweise stoßen Thembinkosi und Nozipho dabei auf eine noch nicht wirklich kalte Frauenleiche, die man in einer Kühltruhe deponiert hat. Kann ja keiner ahnen, dass die Täter an den Tatort zurückkehren werden, das Diebespaar sich im Schrank verstecken muss und dass der geplagte Moses von einem Schlamassel in den nächsten stolpert.
Auf der Flucht vor der Security hechtet er über Mauern und Hecken, rammt Bewohner und stört ein schwarz-weißes Paar beim Sex - und ruft endlich die Polizei auf den Plan. Am Ende liegen viele Tote auf dem Asphalt, und die Verfilmung wird "Moses rennt" heißen. Auch wenn der Dauersprint ermüdet, Annas' multiperspektivische Figurenregie führt von einem Alleingang zu einer vollen Bühne - und zu einem sehr spaßigen Abgang.
Noch ein zweites Buch: Anders, aber nicht wirklich besser, stehen die Dinge am Nordende des afrikanischen Kontinents. Aus der ägyptischen Hauptstadt Kairo schickt Ahmed Mourad nach "Diamantenstaub" (dt. 2014) einen im Original bereits 2007 erschienenen Thriller mit dem Titel "Vertigo" (Lenos Verlag, 398 S., geb., 22, - [Euro] ), eine Wortmeldung aus einem Land im Würgegriff der Korruption. Mit dem Autor hat es eine besondere Bewandtnis: Er war Hoffotograf des mittlerweile gestürzten Diktators Mubarak, sein Roman ist das Ergebnis einer Art Therapie, mit der Mourad schreibend bewältigen wollte, was er tagsüber ablichten musste und nicht ertragen konnte. Sein Protagonist Achmed ist ebenfalls Fotograf, allerdings spezialisiert auf Society. In der Bar Vertigo wird er Zeuge eines Attentats auf zwei mächtige Wirtschaftsbosse, das er mit seiner Kamera festhält, und daraufhin selbst zum Gejagten.
Mourad gilt in Ägypten als wichtige Stimme, der Roman wurde verfilmt, auch weil er - wie die Titelverbeugung vor Hitchcock andeutet - voller Filmzitate ist, die sich dem im ägyptischen Filmschaffen unkundigen deutschen Leser nicht alle erschließen. Das Buch verbindet die arabische Erzähltradition mit dem westlichen Politthriller und ist dabei näher an einem Gesellschaftsroman als an einem konfektionierten Pageturner aus einer amerikanischen Schreibfabrik. Man erfährt darin viel über die Machtmechanismen eines Landes, das sich bis heute nicht aus den Fängen des Klientilismus befreien konnte.
Und noch ein zweites Buch: Der Schwede Joakim Zander debütierte vor zwei Jahren mit "Der Schwimmer". Auch in seinem neuen Buch "Der Bruder" (Rowohlt Polaris, 459 S., br., 14,99 [Euro]) spielt die Figur Klara Walldéen eine Rolle. Die Schwedin arbeitet an einem Londoner Institut an einer Studie, die bei einer EU-Konferenz von ihrer Vorgesetzten Charlotte präsentiert wird und beweisen soll, dass nationale Polizeiapparate mit den Folgen der Masseneinwanderung überfordert sind und Unterstützung durch private Sicherheitsfirmen brauchen.
Wie praktisch, dass kurz vor der Konferenz im Stockholmer Problemviertel Bergort Unruhen ausgebrochen sind. Mitten in diesen steckt das Geschwisterpaar Yasemine und Fadi, Abkömmlinge von Zuwanderern und schwedische Staatsbürger. Sie ist nach Jahren zum ersten Mal aus New York zurückgekehrt, weil es Gerüchte gibt, ihr Bruder sei als radikalisierter Muslim in Syrien gestorben, bei einem Drohnenangriff. Andere behaupten: Fadi treibt sich in Bergort herum. Parallel dazu kommt Walldéen in London einem Komplott auf die Spur: Die Studie ist eine Auftragsarbeit. Eine mächtige Lobby schafft sich einen neuen Absatzmarkt, indem sie eine neue Wirklichkeit kreiert. Da darf der Geheimdienst nicht fehlen, der bei der Radikalisierung Fadis die Fäden zog. Ein westlicher Staat, der Bürger mit Migrationshintergrund opfert? Allah bewahre!
"Hinter geschlossenen Türen passieren so manche unschöne Dinge, von denen wir nie erfahren", spricht die Superanwältin Gabriella, die als rettender Engel auftritt. In diesem Stil operiert Zander sprachlich häufig im Trivialen, er liebt die Redundanz und das Pathos, aber das wird Liebhaber des Cinemascope nicht abschrecken.
HANNES HINTERMEIER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krimis in Kürze: Max Annas, Ahmed Mourad und Joakim Zander
Unser Mann in Südafrika heißt Max Annas, lebt in Berlin und hat es nach einem Achtungserfolg mit seinem Debüt "Die Farm" (F.A.Z. vom 15. Dezember 2014) mit seinem zweiten Roman "Die Mauer" (Rowohlt Taschenbuch, 223 S., 12,- [Euro]) nicht nur zu einem großen Verlag, sondern aus dem Stand auf den Spitzenplatz der KrimiZeit-Bestenliste gebracht. Der Mann kann also etwas, und er hat eine Lobby.
Annas zeigt sich auch in seinem zweiten Buch als Vertreter der hartkochenden, reduktionistischen Schule. Hundertfünfzehn Kapitel, ungefähr für jede Minute der erzählten Zeit eines, sorgen für mächtig Druck auf dem Kessel eines Plots, der eigentlich ganz harmlos beginnt. Nach einer Autopanne sucht der junge Schwarze Moses Hilfe ausgerechnet in einer Gated Community von Weißen, die um die Mittagszeit einigermaßen entvölkert in der Sonne grillt. Dort schnürt zur gleichen Zeit ein Einbrecherpärchen durch die leeren Häuser. Dummerweise stoßen Thembinkosi und Nozipho dabei auf eine noch nicht wirklich kalte Frauenleiche, die man in einer Kühltruhe deponiert hat. Kann ja keiner ahnen, dass die Täter an den Tatort zurückkehren werden, das Diebespaar sich im Schrank verstecken muss und dass der geplagte Moses von einem Schlamassel in den nächsten stolpert.
Auf der Flucht vor der Security hechtet er über Mauern und Hecken, rammt Bewohner und stört ein schwarz-weißes Paar beim Sex - und ruft endlich die Polizei auf den Plan. Am Ende liegen viele Tote auf dem Asphalt, und die Verfilmung wird "Moses rennt" heißen. Auch wenn der Dauersprint ermüdet, Annas' multiperspektivische Figurenregie führt von einem Alleingang zu einer vollen Bühne - und zu einem sehr spaßigen Abgang.
Noch ein zweites Buch: Anders, aber nicht wirklich besser, stehen die Dinge am Nordende des afrikanischen Kontinents. Aus der ägyptischen Hauptstadt Kairo schickt Ahmed Mourad nach "Diamantenstaub" (dt. 2014) einen im Original bereits 2007 erschienenen Thriller mit dem Titel "Vertigo" (Lenos Verlag, 398 S., geb., 22, - [Euro] ), eine Wortmeldung aus einem Land im Würgegriff der Korruption. Mit dem Autor hat es eine besondere Bewandtnis: Er war Hoffotograf des mittlerweile gestürzten Diktators Mubarak, sein Roman ist das Ergebnis einer Art Therapie, mit der Mourad schreibend bewältigen wollte, was er tagsüber ablichten musste und nicht ertragen konnte. Sein Protagonist Achmed ist ebenfalls Fotograf, allerdings spezialisiert auf Society. In der Bar Vertigo wird er Zeuge eines Attentats auf zwei mächtige Wirtschaftsbosse, das er mit seiner Kamera festhält, und daraufhin selbst zum Gejagten.
Mourad gilt in Ägypten als wichtige Stimme, der Roman wurde verfilmt, auch weil er - wie die Titelverbeugung vor Hitchcock andeutet - voller Filmzitate ist, die sich dem im ägyptischen Filmschaffen unkundigen deutschen Leser nicht alle erschließen. Das Buch verbindet die arabische Erzähltradition mit dem westlichen Politthriller und ist dabei näher an einem Gesellschaftsroman als an einem konfektionierten Pageturner aus einer amerikanischen Schreibfabrik. Man erfährt darin viel über die Machtmechanismen eines Landes, das sich bis heute nicht aus den Fängen des Klientilismus befreien konnte.
Und noch ein zweites Buch: Der Schwede Joakim Zander debütierte vor zwei Jahren mit "Der Schwimmer". Auch in seinem neuen Buch "Der Bruder" (Rowohlt Polaris, 459 S., br., 14,99 [Euro]) spielt die Figur Klara Walldéen eine Rolle. Die Schwedin arbeitet an einem Londoner Institut an einer Studie, die bei einer EU-Konferenz von ihrer Vorgesetzten Charlotte präsentiert wird und beweisen soll, dass nationale Polizeiapparate mit den Folgen der Masseneinwanderung überfordert sind und Unterstützung durch private Sicherheitsfirmen brauchen.
Wie praktisch, dass kurz vor der Konferenz im Stockholmer Problemviertel Bergort Unruhen ausgebrochen sind. Mitten in diesen steckt das Geschwisterpaar Yasemine und Fadi, Abkömmlinge von Zuwanderern und schwedische Staatsbürger. Sie ist nach Jahren zum ersten Mal aus New York zurückgekehrt, weil es Gerüchte gibt, ihr Bruder sei als radikalisierter Muslim in Syrien gestorben, bei einem Drohnenangriff. Andere behaupten: Fadi treibt sich in Bergort herum. Parallel dazu kommt Walldéen in London einem Komplott auf die Spur: Die Studie ist eine Auftragsarbeit. Eine mächtige Lobby schafft sich einen neuen Absatzmarkt, indem sie eine neue Wirklichkeit kreiert. Da darf der Geheimdienst nicht fehlen, der bei der Radikalisierung Fadis die Fäden zog. Ein westlicher Staat, der Bürger mit Migrationshintergrund opfert? Allah bewahre!
"Hinter geschlossenen Türen passieren so manche unschöne Dinge, von denen wir nie erfahren", spricht die Superanwältin Gabriella, die als rettender Engel auftritt. In diesem Stil operiert Zander sprachlich häufig im Trivialen, er liebt die Redundanz und das Pathos, aber das wird Liebhaber des Cinemascope nicht abschrecken.
HANNES HINTERMEIER
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"Ein rasanter, blutiger Thriller, der die gierigen, schäbigen und korrupten Geschäftsleute und Politiker entlarvt, die ihren Reichtum mit der Ausbeutung der Armen machen. Die Story traf einen Nerv in Ägypten, und das Buch wurde zum Bestseller. ... 'Vertigo' ist bewusst ein an Hitchcock gemahnender Titel, das Buch ist gespickt mit Anspielungen auf Hollywood." (The Guardian)