Rudolf Seiters war engster Vertrauter von Helmut Kohl, ist bis heute mit Wolfgang Schäuble freundschaftlich verbunden - und steht mit fast achtzig nun als Präsident des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) im Zentrum der Flüchtlingskrise. Gestalten wollte er immer, Angst vor Macht hatte er nie, auch wenn er um seine Person kein großes Aufheben machte. Egal ob als Kanzleramtsminister, Innenminister, Vizepräsident des Bundestags oder heute als Chef des DRK: Die Stationen seines Lebensweges eröffnen ein Panorama der späten deutschen Nachkriegsgesellschaft voller unbekannter Hintergrundgeschichten, amüsanter Anekdoten und Einblicke in entscheidende Phasen deutscher Geschichte, etwa der Bekämpfung des RAF-Terrors oder der Wiedervereinigung.
Doch diese Autobiografie ist mehr als ein Blick zurück. Denn bis heute ist Seiters im Berliner Politikbetrieb bis hin zur Kanzlerin bestens vernetzt. Und wenn er Unternehmenschefs anruft, öffnen sich die Türen. An seiner Biografie wird deutlich: Die Werte und Haltungen, die Seiters seit jeher in das Zentrum seines Handelns stellt, sind für die Bewältigung der drängenden Fragen unserer Zeit von großer Bedeutung: Vertrauenswürdigkeit, Loyalität, Diskretion, Probleme nicht schönreden, sondern anpacken und lösen. Kaum einer verkörpert sie so wie Rudolf Seiters. Bis heute verlässlich und streitbar - Politiker wie ihn bräuchten wir mehr.
Doch diese Autobiografie ist mehr als ein Blick zurück. Denn bis heute ist Seiters im Berliner Politikbetrieb bis hin zur Kanzlerin bestens vernetzt. Und wenn er Unternehmenschefs anruft, öffnen sich die Türen. An seiner Biografie wird deutlich: Die Werte und Haltungen, die Seiters seit jeher in das Zentrum seines Handelns stellt, sind für die Bewältigung der drängenden Fragen unserer Zeit von großer Bedeutung: Vertrauenswürdigkeit, Loyalität, Diskretion, Probleme nicht schönreden, sondern anpacken und lösen. Kaum einer verkörpert sie so wie Rudolf Seiters. Bis heute verlässlich und streitbar - Politiker wie ihn bräuchten wir mehr.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.01.2017Der zufriedene Neunender
Rudolf Seiters' Memoiren
Ein äußerst bescheidener und sympathischer Mann ist Rudolf Seiters, aber kein begnadeter Schreiber: "Dass es mir gelungen ist, neun Mal - immer mit großem Vorsprung - das Vertrauen der Emsländer und Ostfriesen in meiner Heimat zu bekommen, werte ich in der Rückschau als schönste Bestätigung meiner Arbeit." Zum staubtrockenen Bulletin-Stil aus 33 Parlamentsjahren kommt ein Übermaß an Diskretion. Das ist löblich. Nur: Wer nichts aus dem Bonner Nähkästchen - Seiters war in der dramatischen Phase von 1989 bis 1991 Chef des Bundeskanzleramtes und dann bis 1993 Bundesinnenminister - erzählen möchte, der sollte auf Memoiren verzichten. Anlass für den Rückblick ist wohl, dass Seiters 2017 "nicht mehr zur Wiederwahl als DRK-Präsident" antreten und am 13. Oktober seinen 80. Geburtstag feiern wird.
Mit 32 Jahren kam der katholische Jurist aus dem CDU-Kreisverband Meppen 1969 in den Bundestag. In Konflikt mit Moralaposteln und Spießbürgern geriet er, als er 1974 die Sekretärin aus der CDU-Bezirksgeschäftsstelle in Osnabrück heiratete: eine geschiedene Frau mit zwei kleinen Mädchen - was seine Karriere vorübergehend gefährdete. So etwas prägt, ebenso wie die Reaktionen der Medien auf den Einsatz gegen RAF-Terroristen in Bad Kleinen Ende Juni 1993: "wilde Spekulationen, Vorwürfe an die Behörden, der Staat wolle die Vorgänge vertuschen. Eine Exekution durch staatliche Hand?" Seiters trat damals zurück, obwohl dies weder von der Opposition noch von der veröffentlichten Meinung gefordert worden war - und gegen den ausdrücklichen Willen von Bundeskanzler Kohl. Im März 1994 stellte der Abschlussbericht klar, dass sich der Terrorist Grams selbst getötet habe; in der Presse habe es "weder ein Wort des Bedauerns noch der Entschuldigung gegenüber den zu Unrecht belasteten GSG-9-Beamten gegeben".
Allzu nüchtern beschreibt Seiters Stationen seines Wirkens samt ehrenamtlicher Funktionen, wie seit 2003 für das Deutsche Rote Kreuz. Er war dabei, als Bundeskanzlerin Merkel am 26. August 2015 die Flüchtlingsunterkunft in Heidenau besuchte und "draußen" pöbelnden Demonstranten ausgesetzt war: "Man konnte sich nur schämen." Deutschland könne nicht alle Flüchtlinge aufnehmen, müsse aber helfen, und zwar im Verbund mit Europa, das sich "leider nicht als eine solidarische Wertegemeinschaft" darstelle und "zu oft" unter "nationalen Egoismen" leide. Überhaupt beruht das Leben allgemein und die Politik im Besonderen für Seiters auf Vertrauensverhältnissen. Schöne Welt von gestern!
RAINER BLASIUS
Rudolf Seiters: Vertrauensverhältnisse. Autobiografie. Unter Mitarbeit von Carsten Tergast. Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2016. 265 S., 24,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Rudolf Seiters' Memoiren
Ein äußerst bescheidener und sympathischer Mann ist Rudolf Seiters, aber kein begnadeter Schreiber: "Dass es mir gelungen ist, neun Mal - immer mit großem Vorsprung - das Vertrauen der Emsländer und Ostfriesen in meiner Heimat zu bekommen, werte ich in der Rückschau als schönste Bestätigung meiner Arbeit." Zum staubtrockenen Bulletin-Stil aus 33 Parlamentsjahren kommt ein Übermaß an Diskretion. Das ist löblich. Nur: Wer nichts aus dem Bonner Nähkästchen - Seiters war in der dramatischen Phase von 1989 bis 1991 Chef des Bundeskanzleramtes und dann bis 1993 Bundesinnenminister - erzählen möchte, der sollte auf Memoiren verzichten. Anlass für den Rückblick ist wohl, dass Seiters 2017 "nicht mehr zur Wiederwahl als DRK-Präsident" antreten und am 13. Oktober seinen 80. Geburtstag feiern wird.
Mit 32 Jahren kam der katholische Jurist aus dem CDU-Kreisverband Meppen 1969 in den Bundestag. In Konflikt mit Moralaposteln und Spießbürgern geriet er, als er 1974 die Sekretärin aus der CDU-Bezirksgeschäftsstelle in Osnabrück heiratete: eine geschiedene Frau mit zwei kleinen Mädchen - was seine Karriere vorübergehend gefährdete. So etwas prägt, ebenso wie die Reaktionen der Medien auf den Einsatz gegen RAF-Terroristen in Bad Kleinen Ende Juni 1993: "wilde Spekulationen, Vorwürfe an die Behörden, der Staat wolle die Vorgänge vertuschen. Eine Exekution durch staatliche Hand?" Seiters trat damals zurück, obwohl dies weder von der Opposition noch von der veröffentlichten Meinung gefordert worden war - und gegen den ausdrücklichen Willen von Bundeskanzler Kohl. Im März 1994 stellte der Abschlussbericht klar, dass sich der Terrorist Grams selbst getötet habe; in der Presse habe es "weder ein Wort des Bedauerns noch der Entschuldigung gegenüber den zu Unrecht belasteten GSG-9-Beamten gegeben".
Allzu nüchtern beschreibt Seiters Stationen seines Wirkens samt ehrenamtlicher Funktionen, wie seit 2003 für das Deutsche Rote Kreuz. Er war dabei, als Bundeskanzlerin Merkel am 26. August 2015 die Flüchtlingsunterkunft in Heidenau besuchte und "draußen" pöbelnden Demonstranten ausgesetzt war: "Man konnte sich nur schämen." Deutschland könne nicht alle Flüchtlinge aufnehmen, müsse aber helfen, und zwar im Verbund mit Europa, das sich "leider nicht als eine solidarische Wertegemeinschaft" darstelle und "zu oft" unter "nationalen Egoismen" leide. Überhaupt beruht das Leben allgemein und die Politik im Besonderen für Seiters auf Vertrauensverhältnissen. Schöne Welt von gestern!
RAINER BLASIUS
Rudolf Seiters: Vertrauensverhältnisse. Autobiografie. Unter Mitarbeit von Carsten Tergast. Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2016. 265 S., 24,99 [Euro].
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