Wenn Sie schon immer den Verdacht hatten, dass sich in Ateliers, Galerien und Museen überdurchschnittlich viele seltsame Menschen versammeln, dann hat der Kunsthistoriker Wolfgang Kemp das richtige Buch für Sie geschrieben. Seine haarsträubenden Geschichten führen Sie in alle Geheimnisse dieser Welt ein.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.11.2002Weinkolleg mit ferngesteuerten Personauten
Freigang aus dem selbstgewählten Gefängnis: In seinen Erzählungen unternimmt Wolfgang Kemp Streifzüge durch den Kunstbetrieb
Mit kannibalischer Lust und angefeuert von unstillbarem Beutetrieb blickt Wolfgang Kemp, im gewöhnlichen Leben ordentlicher Professor für Kunstgeschichte an der Universität Hamburg und Autor zahlreicher ebenso ordentlich erhellender Bücher und Essays zu John Ruskin, zur christlichen Kunst, zur Theorie der Fotografie und zu den Räumen der Maler, in das große Terrarium des zeitgenössischen Kunstbetriebs. Es reizt ihn sichtlich, zu beobachten und zu erkunden, was dort so alles stolziert, sich spreizt und aufplustert, umherhuscht, kriecht und - stets wichtig, kreativ und genial - zappelt. Dabei betrachtet er das hyperrealistisch dargestellte, nur hier und da verführerisch glitzernde Terrain mit den Augen eines Riesen, der über jenen Niederungen wandelt, in deren sumpfig-schwülem Dunst auch er für gewöhnlich zu agieren gezwungen ist. Satiren sind häufig Lockerungsübungen Festgeketteter oder eine Art temporärer Freigang aus dem selbstgewählten Gefängnis. So auch hier.
Denn statt trockener Wissenschaft hat sich der eloquente Ordinarius, der schon seit Jahren hin und wieder gern die dokumentenechte Tinte der Wissenschaft gegen die ätzende Säure der Kritik eingetauscht hat, der heiteren Schreibkunst hingegeben, fuchst den kundigen Historiker die Dominanz der Jetztzeit doch so gewaltig, daß er deren selbstsüchtige Gestalten nun auf die feinen Nadeln satirischer Gegenwehr zu spießen versucht. Schließlich ist nichts so verkommen wie die eigene Gegenwart, nichts so verhaßt wie jener Bezirk des gesellschaftlichen Lebens, in dem man sich selbst allzugern tummelt.
Folgen wir dem hellsichtigen Autor und seinen Protagonisten auf ihren Streifzügen, so muß der Kunstbetrieb, läßt man seinen quirligen Zeitgeist flugs aus der Flasche, ein schnell und unkontrolliert aufschäumendes, mehr oder weniger klebriges Getränk sein: eine Substanz wie das legendäre Afri-Cola, in dem bekanntlich "alles" steckt. Personal und Kulissen der mal mehr, mal weniger erheiternden Geschichten sind denn auch danach. Sie handeln von begierigen Sammlern und halbgebildeten Groupies, von allerlei "postidentischen Existenzen", genialischen Impresarios, alten, mürrischen Meistern und jungen Kreativen, von einem willfährigen, eventhungrigen Museumsdirektor und einem routiniert kalauernden Vortragshecht, von den Assistentinnen und Assistenten der Berühmten, "lebenden Freisprechanlagen", die sich in "einer Erreichbarkeitslücke" so verloren fühlen wie "wir als Kinder, wenn uns die Eltern im Kaufhaus abhanden kamen".
Ob die karitativ aufgelegte Fabrikantengattin, die Witwe im Wartestand, der grausame Etatquetscher oder der Ostler mit der Geschäftsidee, einem Museum im dichten Gewebe politischen Filzes abhanden gekommene Leihgaben wiederzubeschaffen, ob die Feministin, die einen winzigen Laptop in einem bezaubernden italienischen Futteral mit sich herumträgt und an einem Buch über die Marginalisierung des weiblichen Hausfleißes arbeitet, oder der alte Malerfürst, der in seinem Atelier auf einer Ferieninsel Kaufhauskunst übermalt und dabei unversehens in Konflikt mit einem Konzeptkünstler gerät - hier bekommt jeder sein Fett weg. Grund zum Schmunzeln gibt es also genug.
Indes, oft tut Kemp des Guten zu viel. Er erzählt nicht einfach eine Geschichte und läßt diese für sich sprechen. Statt dessen deutet und ordnet er ein, noch bevor seine Erzählung richtig in Fahrt kommen kann. Je virtuoser Kemp aber kommentiert und ironisiert, abschweift und satirisiert, um so mehr wächst die Skepsis des Lesers: Vertraut der Autor wirklich auf die Kraft des Erzählens? Spult er den geschmeidigen Faden des Geschehens wirklich flüssig genug ab, um die Knoten und Knäuel zu vermeiden, die Wissen und Deuten verursachen? Der Autor, dem man, im Unterschied zu einer seiner Protagonistinnen, keine "extracurricularen Aktivitäten" vorwerfen kann, arbeitet zwar mit sichtlicher Lust am Fabulieren an seinem Talent als Erzähler, agiert dabei aber oft eine Spur zu selbstverliebt und trunken von der eigenen Gabe der treffenden Formulierung. Zu viel der Girlanden flicht der auch hier seine Kennerschaft Beweisende, bis dem Leser all die Sätze, die nach Szenenapplaus rufen, sauer aufzustoßen beginnen.
Nur selten findet die menschliche Schwäche auch nur ein wenig Gnade vor den Augen des gestrengen, zum Scherzen aufgelegten Kritikers. Was ihn allein interessiert, ist der Typus des neuen Kunst-Menschen, der, wie es einmal heißt, kein sprechendes Subjekt darstellt, sondern ein Mensch ist, der gesprochen wird: des "Personauten", der etwas "Ferngesteuertes" an sich hat. Zugegeben: Das Gestelzte und Hypokrite, das Eitle und Selbstverliebte des Kunstbetriebs, Kemp bläst es zur Übergröße auf, um es sogleich prunkvoll zum Platzen zu bringen. Statt aber wahrhaft satirisch das Florett zu schwingen, begnügt er sich damit, einige sprachliche Wunderkerzen inmitten eines terrain vague abzubrennen.
Wolfgang Kemp: "Vertraulicher Bericht über den Verkauf einer Kommode und andere Kunstgeschichten". Hanser Verlag, München 2002. 214 S., geb., 15,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Freigang aus dem selbstgewählten Gefängnis: In seinen Erzählungen unternimmt Wolfgang Kemp Streifzüge durch den Kunstbetrieb
Mit kannibalischer Lust und angefeuert von unstillbarem Beutetrieb blickt Wolfgang Kemp, im gewöhnlichen Leben ordentlicher Professor für Kunstgeschichte an der Universität Hamburg und Autor zahlreicher ebenso ordentlich erhellender Bücher und Essays zu John Ruskin, zur christlichen Kunst, zur Theorie der Fotografie und zu den Räumen der Maler, in das große Terrarium des zeitgenössischen Kunstbetriebs. Es reizt ihn sichtlich, zu beobachten und zu erkunden, was dort so alles stolziert, sich spreizt und aufplustert, umherhuscht, kriecht und - stets wichtig, kreativ und genial - zappelt. Dabei betrachtet er das hyperrealistisch dargestellte, nur hier und da verführerisch glitzernde Terrain mit den Augen eines Riesen, der über jenen Niederungen wandelt, in deren sumpfig-schwülem Dunst auch er für gewöhnlich zu agieren gezwungen ist. Satiren sind häufig Lockerungsübungen Festgeketteter oder eine Art temporärer Freigang aus dem selbstgewählten Gefängnis. So auch hier.
Denn statt trockener Wissenschaft hat sich der eloquente Ordinarius, der schon seit Jahren hin und wieder gern die dokumentenechte Tinte der Wissenschaft gegen die ätzende Säure der Kritik eingetauscht hat, der heiteren Schreibkunst hingegeben, fuchst den kundigen Historiker die Dominanz der Jetztzeit doch so gewaltig, daß er deren selbstsüchtige Gestalten nun auf die feinen Nadeln satirischer Gegenwehr zu spießen versucht. Schließlich ist nichts so verkommen wie die eigene Gegenwart, nichts so verhaßt wie jener Bezirk des gesellschaftlichen Lebens, in dem man sich selbst allzugern tummelt.
Folgen wir dem hellsichtigen Autor und seinen Protagonisten auf ihren Streifzügen, so muß der Kunstbetrieb, läßt man seinen quirligen Zeitgeist flugs aus der Flasche, ein schnell und unkontrolliert aufschäumendes, mehr oder weniger klebriges Getränk sein: eine Substanz wie das legendäre Afri-Cola, in dem bekanntlich "alles" steckt. Personal und Kulissen der mal mehr, mal weniger erheiternden Geschichten sind denn auch danach. Sie handeln von begierigen Sammlern und halbgebildeten Groupies, von allerlei "postidentischen Existenzen", genialischen Impresarios, alten, mürrischen Meistern und jungen Kreativen, von einem willfährigen, eventhungrigen Museumsdirektor und einem routiniert kalauernden Vortragshecht, von den Assistentinnen und Assistenten der Berühmten, "lebenden Freisprechanlagen", die sich in "einer Erreichbarkeitslücke" so verloren fühlen wie "wir als Kinder, wenn uns die Eltern im Kaufhaus abhanden kamen".
Ob die karitativ aufgelegte Fabrikantengattin, die Witwe im Wartestand, der grausame Etatquetscher oder der Ostler mit der Geschäftsidee, einem Museum im dichten Gewebe politischen Filzes abhanden gekommene Leihgaben wiederzubeschaffen, ob die Feministin, die einen winzigen Laptop in einem bezaubernden italienischen Futteral mit sich herumträgt und an einem Buch über die Marginalisierung des weiblichen Hausfleißes arbeitet, oder der alte Malerfürst, der in seinem Atelier auf einer Ferieninsel Kaufhauskunst übermalt und dabei unversehens in Konflikt mit einem Konzeptkünstler gerät - hier bekommt jeder sein Fett weg. Grund zum Schmunzeln gibt es also genug.
Indes, oft tut Kemp des Guten zu viel. Er erzählt nicht einfach eine Geschichte und läßt diese für sich sprechen. Statt dessen deutet und ordnet er ein, noch bevor seine Erzählung richtig in Fahrt kommen kann. Je virtuoser Kemp aber kommentiert und ironisiert, abschweift und satirisiert, um so mehr wächst die Skepsis des Lesers: Vertraut der Autor wirklich auf die Kraft des Erzählens? Spult er den geschmeidigen Faden des Geschehens wirklich flüssig genug ab, um die Knoten und Knäuel zu vermeiden, die Wissen und Deuten verursachen? Der Autor, dem man, im Unterschied zu einer seiner Protagonistinnen, keine "extracurricularen Aktivitäten" vorwerfen kann, arbeitet zwar mit sichtlicher Lust am Fabulieren an seinem Talent als Erzähler, agiert dabei aber oft eine Spur zu selbstverliebt und trunken von der eigenen Gabe der treffenden Formulierung. Zu viel der Girlanden flicht der auch hier seine Kennerschaft Beweisende, bis dem Leser all die Sätze, die nach Szenenapplaus rufen, sauer aufzustoßen beginnen.
Nur selten findet die menschliche Schwäche auch nur ein wenig Gnade vor den Augen des gestrengen, zum Scherzen aufgelegten Kritikers. Was ihn allein interessiert, ist der Typus des neuen Kunst-Menschen, der, wie es einmal heißt, kein sprechendes Subjekt darstellt, sondern ein Mensch ist, der gesprochen wird: des "Personauten", der etwas "Ferngesteuertes" an sich hat. Zugegeben: Das Gestelzte und Hypokrite, das Eitle und Selbstverliebte des Kunstbetriebs, Kemp bläst es zur Übergröße auf, um es sogleich prunkvoll zum Platzen zu bringen. Statt aber wahrhaft satirisch das Florett zu schwingen, begnügt er sich damit, einige sprachliche Wunderkerzen inmitten eines terrain vague abzubrennen.
Wolfgang Kemp: "Vertraulicher Bericht über den Verkauf einer Kommode und andere Kunstgeschichten". Hanser Verlag, München 2002. 214 S., geb., 15,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
""Mit den Augen eines Riesen" blickt Wolfgang Kemp, im normalen Leben Professor für Kunstgeschichte, wie Rezensent Thomas Wagner uns wissen lässt, seiner Ansicht nach "in das große Terrarium des Kunstbetriebs". Es reize ihn sichtlich, "zu erkunden, was dort so alles stolziert, sich spreizt und aufplustert". Statt der trockenen Wissenschaft habe sich der Verfasser "ordentlich erhellender" Bücher über Kunst nun der heiteren Schreibkunst hingegeben und eine Weile ist der Rezensent dem "hellsichtigen Autor und seinen Protagonisten", sprich "begierigen Sammlern und halbgebildeten Groupies, genialischen Impresarios, alten, mürrischen Meistern und jungen Kreativen" inklusive eines "willfährigen, eventhungrigen" Museumsdirektors gern gefolgt. Jeder bekomme sein Fett weg, freut er sich und findet zunächst genügend Gründe zum Schmunzeln. Aber dann wird es den Rezensenten "des Guten zu viel". Je virtuoser der Autor kommentiere und ironisiere, abschweife und satirisiere, um so mehr wächst seine Skepsis. Agiert hier nicht ein Erzähler "zu selbstverliebt und trunken von der eigenen Gabe der treffenden Formulierungen"? Am Ende sah der Rezensent enttäuscht, dass sich der Erzähler meistens schon mit dem Zünden sprachlicher Wunderkerzen "inmitten eines terrain vague" begnüge.
© Perlentaucher Medien GmbH"
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"Wolfgang Kemp schreibt eine sehr komische Kritik des Kulturbetriebs... Wolfgang Kemp hat nicht bloß ein authentisches Buch über den Kunstbetrieb geschrieben, sondern auch eine sehr komische Kritik. Sein lakonischer Pessimismus amüsiert den Leser immer wieder. Der Autor legt aber auch eine Sammlung von außerordentlich hübschen Kurzgeschichten vor, mit gelungenen Beschreibungen von Interieurs, Landschaften und Wetterlagen. Er zeigt sich mit diesem Buch als Künstler des Wortes." Martin Z. Schröder, Literaturen, 11/02 "Und diese Sammlung von "Kunstgeschichten" ist das Heiterste, Unterhaltsamste, Intelligenteste, was man sich denken kann, erfahrungsgesättigt, detailfreudig und süffisant." Walter Klier, Wiener Zeitung, 6./7.09.02 "Der Kunsthistoriker Kemp erreicht mit seinem Buch, dass der eine oder andere nicht länger des Kaisers neue Kleider bewundert, sondern ausruft: 'Der Kaiser ist ja nackt!'" Sylvia M. Patsch, Die Furche, 08.05.03