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Vier bis fünf Millionen Flüchtlinge, Vertriebene und Zwangsumgesiedelte, die ab 1945 in die sowjetische Besatzungszone Deutschlands bzw. die spätere DDR gelangten, stießen - ähnlich wie in Westdeutschland - auf eine fremdenfeindliche und um materielle Ressourcen wie Land oder Mobiliar konkurrierende Gesellschaft. Welche Möglichkeiten und Grenzen bot die "Umsiedlerpolitik" der Sowjets und der KDP/SED in einer weithin entsolidarisierten Nachkriegs-Gesellschaft? Inwiefern gestattete der vehemente Gruppenkonflikt zwischen Alteingesessenen und vertriebenen"Neubürgern" eine echte…mehr

Produktbeschreibung
Vier bis fünf Millionen Flüchtlinge, Vertriebene und Zwangsumgesiedelte, die ab 1945 in die sowjetische Besatzungszone Deutschlands bzw. die spätere DDR gelangten, stießen - ähnlich wie in Westdeutschland - auf eine fremdenfeindliche und um materielle Ressourcen wie Land oder Mobiliar konkurrierende Gesellschaft. Welche Möglichkeiten und Grenzen bot die "Umsiedlerpolitik" der Sowjets und der KDP/SED in einer weithin entsolidarisierten Nachkriegs-Gesellschaft? Inwiefern gestattete der vehemente Gruppenkonflikt zwischen Alteingesessenen und vertriebenen"Neubürgern" eine echte Vertriebenenförderung in der Agrarpolitik? Wie sicherten Sowjets und KPD/SED-Funktionäre ein frühes kommunistisches Machtmonopol in der Vertriebenen-Betreuung? Gelang es den Vertriebenen, die sie betreffende "Umsiedlerpolitik" der kommunistischen Machthaber mitzubestimmen, umzuformen oder abzublocken? Wo liegen Unterschiede zur westdeutschen Vertriebenenpolitik? All diese Fragen behandelt Michael Schwartz in seiner grundlegenden Untersuchung zur DDR-Gesellschaftsgeschichte zwischen 1945 und 1961.
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Autorenporträt
Michael Schwartz, geboren 1963, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin, Abteilung Berlin sowie Privatdozent für Neuere und Neueste Geschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.06.2005

Mythos der Integration?
Deutsch-deutsche Vertriebenenpolitik im Vergleich

Michael Schwartz: Vertriebene und "Umsiedlerpolitik". Integrationskonflikte in den deutschen Nachkriegs-Gesellschaften und die Assimilationsstrategien in der SBZ/DDR 1945 bis 1961. R. Oldenbourg Verlag, München 2004. 1247 Seiten, 128,- [Euro].

Die Charakterisierung eines wissenschaftlichen Kompendiums als "grundlegende Untersuchung" findet sich häufig auf Klappentexten. Im vorliegenden Fall ist sie berechtigt. Was der Historiker Michael Schwartz in seinem umfangreichen Werk zur Vertriebenenpolitik in der SBZ/ DDR, zur Eingliederung von Flüchtlingen, Heimatvertriebenen und Zwangsausgesiedelten in Staat und Gesellschaft analysiert und theoretisch durchdringt, setzt neue Maßstäbe in der Vertriebenenforschung - zumal er vergleichend auch die Vertriebenenpolitik in der alten Bundesrepublik einbezieht.

Sein hauptsächlicher Forschungsgegenstand ist die Vertriebenenpolitik unter dem Regime der SED. Immerhin verteilten sich von den Deutschen, die ab 1944/45 aus Ostpreußen, Schlesien oder dem Sudetenland flüchten mußten oder vertrieben wurden, fast viereinhalb Millionen auf die Länder östlich von Elbe und Werra gegenüber gut acht Millionen im Westen. Bezogen auf die jeweilige Bevölkerungsstärke, hatte die SBZ/DDR gegenüber dem westlichen Teil Deutschlands folglich einen weitaus höheren Vertriebenenanteil zu verkraften - 24,1 vom Hundert gegenüber 17,9 vom Hundert. Die demographische Schieflage verschob sich allerdings bis 1961 infolge des Massenexodus von 2,7 Millionen "Republikflüchtigen". Zu gut einem Drittel stammten sie ursprünglich aus den Vertreibungsgebieten.

In der SBZ/DDR waren also erhebliche Integrations- und Assimilationsprobleme zu bewältigen. Ein gesamtdeutscher Vergleich zeigt gleichwohl nicht nur Unterschiede, sondern auch Gleichartiges auf. Insbesondere waren die Flüchtlinge und Heimatvertriebenen - in kommunistischer Sprachregelung "Umsiedler" - bei den Einheimischen im Osten genausowenig willkommen wie im Westen. Von "nationaler Solidarität" der alteingesessenen Bevölkerung - die ihrerseits freilich vielfach unter den Folgen des Bombenkrieges litt - mit den Millionen, die ihre Heimat verloren hatten, war wenig zu spüren.

Erwartungsgemäß schlugen die sowjetische Besatzungsmacht und die von ihr eingesetzten deutschen Behörden in der SBZ/DDR eigene Wege ein. Schwartz unterscheidet zwei primär sozialpolitisch bestimmte Phasen in der östlichen Vertriebenenpolitik - die Jahre 1946 bis 1948 und 1950 bis 1953, unterbrochen von einer polizeistaatlich-repressiven Phase im Kontext zunehmender Stalinisierung. Der Autor thematisiert die Vertriebenenförderung bei der Wohnraum-, Hausrats- und Mobiliarzuteilung, er lotet die vertriebenenpolitische Relevanz der "demokratischen Bodenreform" aus, von der neben Einheimischen auch etliche hunderttausend Heimatvertriebene als "Neubauern" begünstigt wurden, bis sie gleichermaßen in die LPG genötigt wurden. Nach der 2. Parteikonferenz der SED 1952 und dem Juni-Aufstand 1953 gab die SED eine besondere soziale Priorität in der Vertriebenenpolitik auf. Als "gleichberechtigte Staatsbürger" erfuhren sie in der Arbeitsgesellschaft der DDR keine Förderung mehr.

Schwartz entwirft ein differenzierendes Bild der SED-"Umsiedlerpolitik", ohne Schwarzweißmalerei, ohne Verklärung. Der Umsiedlerabteilung bei der SMAD/SKK in Berlin-Karlshorst attestiert er durchaus Verständnis für die akuten Erfordernisse im Flüchtlings- oder Vertriebenenwesen. Ihre Administrativfunktion wich indes schrittweise frühzeitig einer Kontrollfunktion zugunsten (oder zu Lasten) der im September 1945 eingesetzten deutschen Zentralverwaltung für Umsiedler. Der Autor zeichnet die hier nur stichwortartig umrissene Entwicklung in akribischer Ausführlichkeit und detaillierter Recherche nach, er rekonstruiert die Institutionen und Organisationen der Vertriebenenpolitik, ihre gesellschaftlichen und personellen Netzwerke, Ansätze zur Selbstorganisation, das nicht immer konfliktfreie Zusammenwirken von Besatzungsbürokratie und SED-gesteuerter Verwaltung. Längst versunkene Namen aus der Nachkriegszeit tauchen wieder auf: Josef Schlaffer, Rudolf Engel, Arthur Vogt, Paul Merker, die als Kader der KPD/SED die östliche Vertriebenenpolitik der Nachkriegszeit wesentlich beeinflußt haben.

Die zweite Phase macht der Autor am DDR-Umsiedlergesetz vom 8. September 1950 fest - vor dem Hintergrund des Görlitzer Vertrages vom 6. Juli 1950 über die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch Ost-Berlin, der den "Umsiedlern" alle Illusionen über eine Rückkehr in ihre alte Heimat nahmen, und unmittelbar vor den ersten DDR-Einheitswahlen am 15. Oktober 1950: Die Vertriebenen sollten durch materielle Vergünstigungen politisch ruhiggestellt werden.

Das Standardwerk nicht nur zur Vertriebenenforschung, sondern zur Gesellschaftsgeschichte im Nachkriegsdeutschland überhaupt ist freilich nicht leicht zu lesen. Schwartz formuliert auf hoher Abstraktionsebene. Die Fülle des verarbeiteten Materials wirkt zuweilen erdrückend. Für problematisch hält der Rezensent die konfliktbetonte Sicht des Autors auf die bundesdeutsche Vertriebenenpolitik. Michael Schwartz will ihren "Mythos" zerstören, "das Tabu der nachkriegsgesellschaftlichen Integrationskonflikte" brechen. Seine Kritik an der Vertriebenenforschung scheint allzu harsch und überspitzt. Wer meint, daß auf die Katastrophenerfahrung von Flucht und Vertreibung für viele Vertriebene eine zweite schwere Katastrophenerfahrung gefolgt sei - die Katastrophe der Ankunft, die eine "totale Aufkündigung der nationalen Solidarität" erfahren ließ, riskiert mit dieser Gleichsetzung eine historische Verharmlosung der Vertreibung.

KARL WILHELM FRICKE

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ohne Umschweife deklariert der Rezensent Karl Wilhelm Fricke das 1300 Seiten starke Werk über die Vertriebenenpolitik in beiden deutschen Staaten zum "Standardwerk". Der Autor Michael Schwartz setze "neue Maßstäbe" in der Vertriebenenforschung. Seine Einschätzung begründet Fricke vor allem mit dem Teil des Buches, der die Vertriebenenpolitik in der SBZ/DDR in "akribischer Ausführlichkeit" nachzeichnet. Hier seien bis zum letzten SED-Verwaltungsbeamten alle Personen und Institutionen aufgeführt, die an der Umsetzung der verschiedenen Stadien der SED-"Umsiedlerpolitik" beteiligt waren. Zwar sei das materialreiche Buch schwer zu lesen, doch dem Autor gelänge eine Gesamtdarstellung "ohne Schwarzweißmalerei, ohne Verklärung". Eine solche Ausgewogenheit vermisst der Rezensent allerdings, sobald es um die bundesrepublikanische Seite geht. Wenn der Autor das Trauma der Vertreibung mit der Aufnahme gleichsetzt, dann sei dies so "überspitzt" wie andererseits "verharmlosend".

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