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Die öffentliche Verwaltung gehört zu den wichtigsten und zugleich am wenigsten verstandenen Institutionen der Gegenwart. Warum handelt Verwaltung einerseits pedantisch und übergenau, eben bürokratisch, andererseits aber auch bemerkenswert flexibel und pragmatisch? Warum arbeitet sie meistens reibungslos und effektiv, bringt jedoch mitunter auch dramatische Fehlleistungen hervor? Wolfgang Seibel führt in Verwaltung verstehen in grundlegende Probleme öffentlicher Verwaltung ein und zeigt, wie sie in Theorie und Praxis bearbeitet werden. Sein flüssig geschriebenes und informatives Buch richtet…mehr

Produktbeschreibung
Die öffentliche Verwaltung gehört zu den wichtigsten und zugleich am wenigsten verstandenen Institutionen der Gegenwart. Warum handelt Verwaltung einerseits pedantisch und übergenau, eben bürokratisch, andererseits aber auch bemerkenswert flexibel und pragmatisch? Warum arbeitet sie meistens reibungslos und effektiv, bringt jedoch mitunter auch dramatische Fehlleistungen hervor? Wolfgang Seibel führt in Verwaltung verstehen in grundlegende Probleme öffentlicher Verwaltung ein und zeigt, wie sie in Theorie und Praxis bearbeitet werden. Sein flüssig geschriebenes und informatives Buch richtet sich nicht nur an Fachwissenschaftler, sondern an alle, die sich für das "Innenleben" dieser so wichtigen Institution interessieren.
Autorenporträt
Wolfgang Seibel ist Professor für Politik und Verwaltungswissenschaft an der Universität Konstanz.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.01.2017

Unterschätzt die Bürokraten nicht

Was haben die EZB, das Innenministerium und die städtische Müllabfuhr gemeinsam? Sie sind Verwaltungen. Wie sie funktionieren, erklärt Wolfgang Seibel, der auch den deutschen Sonderweg kennt.

Warum darf ein neugewählter amerikanischer Präsident Tausende von Beamtenstellen neu besetzen, eine neugewählte deutsche Bundesregierung hingegen nur einen Bruchteil davon? Warum ist die Beschäftigung eines Mitarbeiters in der Pressestelle eines Konzerns ein berufliches Abstellgleis, die Versetzung eines Beamten in das Pressereferat des Ministeriums aber häufig ein Sprungbrett zu bemerkenswerten Karrieren? Warum ist der Verkehrsausschuss des Parlaments nicht geeignet, die Sparsamkeit von Verkehrsprojekten zu überwachen? Warum verliert eine Forstbehörde, deren Aufgabe eine nachhaltige Waldwirtschaft ist, ihre Leistungsfähigkeit, wenn sie aufgrund einer geänderten Politik plötzlich den Wald privatisieren und möglichst hohe Erlöse für den Staat erzielen soll?

Diese Fragen kreisen um ein Phänomen, das offenbar um so rätselhafter wird, je unentbehrlicher es für die Funktionsweise moderner Gesellschaften ist: die Verwaltung. Zu den vielen Paradoxien der Verwaltung gehört, dass sie das wohl komplexeste und subtilste institutionelle Gebilde überhaupt ist, während über ihr Wesen zumeist ziemlich primitive Vorstellungen herrschen. Wer die Verwaltung verstehen will, muss deshalb Aufklärung im eigentlichen Sinne betreiben: über die Gründe der Bürokratisierung der Lebenswelten, über die Leistungsfähigkeit und Leistungsgrenzen von Verwaltungsinstitutionen, über Koordinationsprobleme innerhalb und zwischen Organisationen oder auch über die Bedingungen erfolgreicher Verwaltungsreformen. Der Konstanzer Politikwissenschaftler Wolfgang Seibel, der seit Jahrzehnten die Veränderung von Verwaltung in westlichen Gesellschaften erforscht, hat sich dieser Aufgabe unterzogen und eine so luzide und verständliche Darstellung vorgelegt, wie sie nur durch große Vertrautheit mit einem Gegenstand gelingt.

Niemand kann so recht sagen, was Verwaltung eigentlich ist - damit beginnen die Schwierigkeiten. Nach einer oft zitierten Formulierung Ernst Forsthoffs liegt es in der Eigenart der Verwaltung begründet, dass sie sich zwar beschreiben, aber nicht definieren lässt. Und was haben die Europäische Zentralbank, das Bundesinnenministerium und die städtische Müllabfuhr auch schon gemeinsam? Bei näherer Betrachtung: eine ganze Menge. Anders als ein Unternehmen haben sie Aufgaben, die sie nur verschieden ausfüllen, aber nicht verändern können, arbeiten nach Regeln, haben fachlich geschultes Personal und sind weitgehend in formalen Hierarchien organisiert.

Vor allem erfüllen Verwaltungen noch andere Bedürfnisse als jene, zu denen sie geschaffen wurden: Eine Steigerung des Etats einer Behörde kommt nicht nur ihrer jeweiligen fachlichen Aufgabe zugute, sondern erhöht zugleich das politische Prestige der Chefin. Für die Mitarbeiter dagegen ist die Verwaltung ihr Lebensumfeld, in dem sie nicht nur Weisungen ausführen müssen, sondern auch ihr Bedürfnis nach Anerkennung und Geselligkeit befriedigen wollen. Die Umweltbehörde schützt nicht nur die Umwelt, sondern entlastet auch das Gewissen umweltschädlicher Produzenten. Und die Müllabfuhr vollzieht nicht nur das geltende Abfallrecht, sondern befriedigt auch ein Hintergrundbedürfnis urbaner Bevölkerungen nach regelmäßigen Abläufen in ihrer Lebensumwelt.

Ernsthaftes Nachdenken über die Verwaltung beginnt also, wie Seibel zeigt, mit der Einsicht, dass Verwaltungen keine rein zweckrationalen Organisationen sind, sondern Institutionen, die ihre unvergleichliche Stabilität und sprichwörtliche Veränderungsresistenz ihrer Multifunktionalität verdanken.

Deswegen gibt es auch heute nicht die eine Theorie der Verwaltung, sondern eine Fülle sehr unterschiedlicher theoretischer Ansätze, die Seibel anschaulich, aber nie verkürzend in ihren Stärken und Schwächen erläutert. Die Theoriegeschichte der Bürokratie ist dabei bemerkenswert kurz und beginnt eigentlich erst in der Krisenzeit der Hochindustrialisierung Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Seibel zeigt, wie die nationalen Denktraditionen maßgeblich dadurch geformt wurden, auf welche politische Lage jene erste Krise der Bürokratie traf. Denn die Bürokratisierung moderner Gesellschaften ist zwar alternativlos, doch gibt es alternative Alternativlosigkeiten. Woodrow Wilson etwa, der Begründer der amerikanischen Verwaltungswissenschaft, schrieb gegen die damalige Rückständigkeit des Verwaltungssystems auf Bundesebene an, während es in Deutschland für Max Weber gerade die Rückständigkeit des politischen Systems war, deren Gründe er in der Struktur der deutschen Verwaltung suchte und fand.

Das Kontrafaktische seines Modells bewirkt aber bis heute eine merkwürdige Unschärfe der Wahrnehmung: Man ist es gewohnt, Bürokratie in den Weberianischen Kategorien als rationale, zentralistische und politisch einheitlich gelenkte Maschine zu sehen. Das trifft in Deutschland zwar für die organisatorische Bauform der einzelnen Verwaltungsbehörden überwiegend zu, nicht dagegen für den gesamtstaatlichen Verwaltungsaufbau, der im internationalen Vergleich sogar besonders plural und heterogen ist: Die örtliche Verwaltung ist in Deutschland nach wie vor in größtem Umfang kommunale Selbstverwaltung, und die Gesetze werden meist dezentral, nämlich von den Ländern in eigener Verantwortung, ausgeführt, von den vielen Sonderformen der Verwaltung durch Körperschaften, Stiftungen und Anstalten ganz zu schweigen.

Überhaupt ist die deutsche Verwaltung, wie Seibel in seinem Schlusskapitel schreibt, in vieler Hinsicht eher eine Ausnahme. Denn aus historischen Gründen und aufgrund ihrer uneinheitlichen Struktur ist sie in ganz besonderem Maße auf die Steuerungsfunktion des Rechts, nämlich des Verwaltungsrechts angewiesen. Und so müssten gerade die in der deutschen Verwaltung immer noch tonangebenden Juristen, gegen die Seibel ein paar freundlich-ironische Spitzen abfeuert, dieses Buch lesen. Ein besseres theoretisches Kompendium zur Funktion von Bürokratien in modernen Gesellschaften gibt es nicht.

FLORIAN MEINEL

Wolfgang Seibel: "Verwaltung verstehen". Eine theoriegeschichtliche Einführung".

Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 213 S., br., 15,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Seibel kann darüber so anschaulich und sachgerecht referieren, dass man seinen Einführungstext nur jedem empfehlen kann, der sich für das Thema interessiert.« André Kieserling Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 20170115