Profitcenter Deutschland - der neokapitalistische Machtrausch
Die Wirtschafts-Ideologen terrorisieren uns mit ihrem Gerede vom "Abstieg" Deutschlands. Hans-Peter Bartels, MdB, und einer der führenden Köpfe der neuen SPD, hält dagegen - mit einer überraschend modernen Kapitalismuskritik, argumentationsstark, zahlensicher und witzig. Wirtschaft scheint heute alles zu sein. Das marktradikale Denken durchdringt jeden Lebensbereich, vom "Humankapital" in den Familien bis zu den "Profitcentern" der Kirche. Die Verheißung der gepriesenen Diktatur des Kapitals lautet: Wohlstand am Standort Deutschland. Die Drohung an die Ungläubigen: Abstieg und Verelendung. Zwar spürt man überall Unbehagen an diesem "Victory-Kapitalismus". Doch wer kritisiert die Sieger-Pose der Wirtschafts-Dogmatiker? Die Politik muss endlich heraus aus der Defensive, sie darf nicht länger wie ein Kaninchen auf die großmäulige Schlange angeblicher ökonomischer Sachzwänge starren: Es ist eben nicht jede Steuer zu hoch, jeder Lohn zu teuer und jeder Beamte einer zu viel, wenn es um das gute Zusammenleben einer Gesellschaft geht. Hans-Peter Bartels entlarvt in seinem Buch die Mythen der ökonomistischen Leitideologie. Wie rational entscheiden eigentlich Manager, welche Opfer bringen sie für den Standort? Ist Deutschland, solange es nicht gesund geschrumpft, dereguliert und rundum privatisiert ist, im internationalen Vergleich wirklich das Letzte? Der geistige Führungsanspruch der ökonomischen Elite hält dieser Überprüfung nicht stand. Gleichwohl hat Deutschland Veränderungen zu bewältigen - Globalisierung, Demographie, Wertewandel -, die neue politische Ideen erfordern, aber eben nicht Rezepte aus dem Mülleimer der liberalen Wirtschaftstheorie.
Die Wirtschafts-Ideologen terrorisieren uns mit ihrem Gerede vom "Abstieg" Deutschlands. Hans-Peter Bartels, MdB, und einer der führenden Köpfe der neuen SPD, hält dagegen - mit einer überraschend modernen Kapitalismuskritik, argumentationsstark, zahlensicher und witzig. Wirtschaft scheint heute alles zu sein. Das marktradikale Denken durchdringt jeden Lebensbereich, vom "Humankapital" in den Familien bis zu den "Profitcentern" der Kirche. Die Verheißung der gepriesenen Diktatur des Kapitals lautet: Wohlstand am Standort Deutschland. Die Drohung an die Ungläubigen: Abstieg und Verelendung. Zwar spürt man überall Unbehagen an diesem "Victory-Kapitalismus". Doch wer kritisiert die Sieger-Pose der Wirtschafts-Dogmatiker? Die Politik muss endlich heraus aus der Defensive, sie darf nicht länger wie ein Kaninchen auf die großmäulige Schlange angeblicher ökonomischer Sachzwänge starren: Es ist eben nicht jede Steuer zu hoch, jeder Lohn zu teuer und jeder Beamte einer zu viel, wenn es um das gute Zusammenleben einer Gesellschaft geht. Hans-Peter Bartels entlarvt in seinem Buch die Mythen der ökonomistischen Leitideologie. Wie rational entscheiden eigentlich Manager, welche Opfer bringen sie für den Standort? Ist Deutschland, solange es nicht gesund geschrumpft, dereguliert und rundum privatisiert ist, im internationalen Vergleich wirklich das Letzte? Der geistige Führungsanspruch der ökonomischen Elite hält dieser Überprüfung nicht stand. Gleichwohl hat Deutschland Veränderungen zu bewältigen - Globalisierung, Demographie, Wertewandel -, die neue politische Ideen erfordern, aber eben nicht Rezepte aus dem Mülleimer der liberalen Wirtschaftstheorie.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.05.2005Wo sind die Radwege, Mr. President?
Der "Dritte Weg" des SPD-Vordenkers Hans-Peter Bartels: Toast, Eltern und erstklassige Haushaltsgeräte für alle
Hans-Peter Bartels, Herausgeber der Zeitschrift "Berliner Republik" und Kieler SPD-Bundestagsabgeordneter, gelingt mit seinem neuen Buch, "Der Victory-Kapitalismus", ein Kunststück: Er schafft es, daß man nach der Lektüre Sympathie empfindet für Josef Ackermann, der mit seiner selten blöden Victory-Pose das Cover ziert. Leicht ist das nicht, denn Ackermann rangiert derzeit in der nationalen Unholdskala gleich nach Attila, dem Hunnenkönig. Es gab in der Geschichte der SPD einmal eine Zeit, da schrieb Günter Grass Reden für Willy Brandt. Später schrieb Hans-Peter Bartels Reden für Björn "Ein Stück weit" Engholm. Man könnte schon an dieser Stelle trübsinnig werden, aber man muß es sich bis nach der Lektüre des neuen Buches aufsparen.
Zurück ins Jahr 1987: Bartels las damals ein Buch von Gorbatschow. Darin stand folgender Satz: "Viele sowjetische Haushaltsgeräte sind von armseliger Qualität." Bartels fand: "Das war stark! Endlich einmal dialektischer Materialismus, der die praktischen Dinge des täglichen Lebens nicht aus dem Blick verliert." Und es kam ihm dann, so schreibt er heute, folgender Gedanke: "Ein Staat, der seine Bürger knebelt und knechtet und dann nicht in der Lage ist, ordentliche Staubsauger, Waschmaschinen und Toaster herzustellen, so ein Staat macht es nicht mehr lange, dachte ich damals. Und so kam es dann ja auch." Es ist unfair, den Autor nun im Umkehrschluß zu fragen, ob denn das Knebeln und Knechten in Ordnung geht, wenn der Toast goldbraun, die Teppiche keimfrei und die Hemden der Polizisten schön sauber sind. Es ist unfair, weil das eine mit dem anderen nichts zu tun hat: Es gibt Unrechtsregime, in denen die Haushaltsgeräte tadellos funktionieren, wie in Saudi-Arabien, es gibt Länder, wie Indien, in denen kaum irgendwas funktioniert und dennoch nicht systematisch geknebelt und geknechtet wird. Der Zusammenhang ist absurd.
Jedenfalls: Die UdSSR ging unter, seitdem, sagt Bartels, fühlt sich der Kapitalismus als Sieger, daher der Titel. Bartels möchte - wie jeder CSU-Ortsverband - einer totalen Ökonomisierung vorbeugen und etwas anderes dagegensetzen, das er originellerweise den "Dritten Weg" nennt. Er charakterisiert ihn mit: "Links, aber nicht blöd." Klingt wie der Werbespruch für Schokolade aus einer alten F.-K.-Waechter-Karikatur: "Macht zwar dick, aber schmeckt nicht schlecht." Eine neue Idee, die auf diesem dritten Weg voranzuschreiten einladen würde, sucht man vergebens. Statt dessen gibt es in dem Buch viele Lesefrüchte des Verfassers und jede Menge Zeitkritik. Jammern soll man aber nicht mehr über Deutschland, fordert Bartels - darin würde ihm Hans-Olaf Henkel zustimmen. Woanders ist es nicht besser. In den Vereinigten Staaten schon gar nicht. Bartels war mal da. Das liest sich so:
"Was soll besser sein in den vorbildlichen USA? Zum Beispiel, wenn wir die schlecht gepflegten Straßen mit unseren vergleichen? Wo sind die Radwege? Wieso kann man nicht von jedem Telefon aus zu jeder Zeit überallhin, zum Beispiel ins Ausland, telefonieren? Und was für klobige Handys! Sind die Einfamilienhäuser wirklich solide gebaut? Und wieder keinen Adapter dabei für diese antiquierten, feuergefährlichen Steckdosen. Die Qualität amerikanischer Haushaltsgeräte ist, wenn auch besser als die ehemalige sowjetische Produktion, an der Gorbatschow verzweifelte, sagen wir: zweitklassig." Und er schließt: "Ich reise gern nach Amerika (. . .). Aber ich würde nicht lieber dort leben wollen als in Deutschland." Wut und Trauer bei den amerikanischen Einwanderungsbehörden!
Es gibt am gegenwärtigen Zustand der Vereinigten Staaten wahrlich genug zu kritisieren, Autoren wie Mike Davis, George Lipsitz und Gore Vidal geben einem beinahe wöchentlich Hinweise - aber die Feuersicherheit der Steckdosen (wobei die allgegenwärtigen Rauchmelder an der Decke jedes noch so alten Hauses durchaus auch hierzulande nachahmenswert wären) ist noch das geringste Problem.
Aber eigentlich geht es in dem Buch um die Reichen, um die Kapitalisten, um deren Unverschämtheit. Wie ein Superreicher, ein Master of the Universe, so lebt, was er für Miete und Unterhalt und Autos ausgeben möchte, das weiß Bartels ganz genau. Er zitiert es aus Tom Wolfes Roman "Fegefeuer der Eitelkeiten", erschienen im Bartelsschen Lektüre-Schicksalsjahr 1987, denn da wird vorgerechnet, wofür Sherman McCoy so seine Millionen ausgibt. Dann bringt Bartels über drei Seiten die Liste der reichsten Deutschen 2004 aus dem "Manager Magazin". Aber daraus wird keinerlei politische Idee abgeleitet. Man könnte ja beispielsweise fordern, daß auch solche großen Einkommen und Vermögen stärker als bisher an der Finanzierung der staatlichen Aufgaben partizipieren. Das hat aber ein anderer formuliert, der "Spiegel"-Journalist Gabor Steingart. Dessen Bestseller "Deutschland: Absturz eines Superstars" wird von Bartels eine "fundamental-liberale Ideologie" attestiert, "nach der das Kapital nur gefüttert zu werden braucht". Das ist falsch. Steingart, der Schröder mehrfach lobt und dessen Buch von Franz Müntefering vorgestellt wurde, plädiert nicht nur für einen stärkeren, zentralisierten Staat, er formuliert auch, weswegen die Reichen mehr Steuern und Abgaben zahlen sollten als bisher. Und zwar in klaren, einfachen Sätzen: "Ein Staat, der das Soziale nicht suspendieren und zugleich die Arbeit nicht ausrotten will, hat keine andere Chance, als bei den hohen Einkommen, egal ob sie aus Unternehmergewinn, Spitzen-Lohnarbeit, Erbschaften oder Börsengeschäften stammen, stärker zuzugreifen. Nicht Ideologie leitet ihn, sondern ökonomische Vernunft." Klingt nicht nach FDP.
An einer anderen Stelle erzählt Bartels die interessante Geschichte, wie sich Renate Schmidt, die Familienministerin, mal über einen Zeitungsbericht geärgert hat. In dem Artikel waren die Nöte einer Mutter beschrieben, die mit 1700 Euro Sozialhilfe für sechs Kinder nicht auskommt. Daraufhin habe Frau Schmidt sich hingesetzt und in einem Brief angeboten, der Familie einen Plan zu erstellen, nach dem sie drei Mahlzeiten am Tag plus Eis für die Kinder und Bier für die Eltern für nur 900 Euro produzieren könnten. Gutes Beispiel - aber wofür? Bartels preist es als "Abkehr von der ökonomistischen Ideologie" à la McKinsey. Dabei ist es ein Beispiel für intelligente Ökonomie. Schmidt rechnet vor, wie das Geld besser eingesetzt werden kann, und macht deutlich, daß es den Armen im Lande eben oft auch an Bildung, an Kompetenz, an Durchsetzungsvermögen fehlt, ihre vorhandenen Güter optimal einzusetzen. Mehr Eigenverantwortung, bessere Ressourcennutzung - das ist aber leider das Wohlfahrtsprogramm aller konservativen Parteien weltweit. McKinsey - die Bartels die parasitären Dienstleister nennt - macht bei seinen Kunden nichts anderes.
Bartels hat einfach zu viel zu sagen, zum Beispiel zum Thema Ehe, die er gut findet. Da schreibt er: "Zwei Eltern, Verbindlichkeit, lebenslange gegenseitige Sorge - das wäre nicht wenig." Das wäre sogar viel, und weil man sich dann fragt, was das mit dem Thema des Buchs zu tun hat, nimmt Bartels folgende Kurve: Das sei eben "das Gegenmodell zum flexiblen Menschen aus dem modischen, kapitalismusverträglichen Ich-Universum". Die CDU kann es sich also abschminken, die Ehe in Deutschland unter Strafe stellen zu wollen.
Deutschland, Ehe und Familie, warme Socken und prima Haushaltsgeräte - Bartels ist dafür. Und Ackermann? Na, der hält bekanntlich die unübersichtliche Schar seiner außerehelichen Kinder in einem Keller angekettet vor Großbildfernsehern, und wenn die mal was essen wollen, dann dürfen sie ihn beim Goldbarrenheben nicht stören, sondern müssen sich irgendwelchen Fraß in minderwertigen Haushaltsgeräten warm machen bis sie mit klammen Fingerchen zu diesem Buch finden. Die werden dafür mal SPD wählen.
NILS MINKMAR
Hans-Peter Bartels: "Victory-Kapitalismus. Wie eine Ideologie uns entmündigt." Kiepenheuer & Witsch, 8,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der "Dritte Weg" des SPD-Vordenkers Hans-Peter Bartels: Toast, Eltern und erstklassige Haushaltsgeräte für alle
Hans-Peter Bartels, Herausgeber der Zeitschrift "Berliner Republik" und Kieler SPD-Bundestagsabgeordneter, gelingt mit seinem neuen Buch, "Der Victory-Kapitalismus", ein Kunststück: Er schafft es, daß man nach der Lektüre Sympathie empfindet für Josef Ackermann, der mit seiner selten blöden Victory-Pose das Cover ziert. Leicht ist das nicht, denn Ackermann rangiert derzeit in der nationalen Unholdskala gleich nach Attila, dem Hunnenkönig. Es gab in der Geschichte der SPD einmal eine Zeit, da schrieb Günter Grass Reden für Willy Brandt. Später schrieb Hans-Peter Bartels Reden für Björn "Ein Stück weit" Engholm. Man könnte schon an dieser Stelle trübsinnig werden, aber man muß es sich bis nach der Lektüre des neuen Buches aufsparen.
Zurück ins Jahr 1987: Bartels las damals ein Buch von Gorbatschow. Darin stand folgender Satz: "Viele sowjetische Haushaltsgeräte sind von armseliger Qualität." Bartels fand: "Das war stark! Endlich einmal dialektischer Materialismus, der die praktischen Dinge des täglichen Lebens nicht aus dem Blick verliert." Und es kam ihm dann, so schreibt er heute, folgender Gedanke: "Ein Staat, der seine Bürger knebelt und knechtet und dann nicht in der Lage ist, ordentliche Staubsauger, Waschmaschinen und Toaster herzustellen, so ein Staat macht es nicht mehr lange, dachte ich damals. Und so kam es dann ja auch." Es ist unfair, den Autor nun im Umkehrschluß zu fragen, ob denn das Knebeln und Knechten in Ordnung geht, wenn der Toast goldbraun, die Teppiche keimfrei und die Hemden der Polizisten schön sauber sind. Es ist unfair, weil das eine mit dem anderen nichts zu tun hat: Es gibt Unrechtsregime, in denen die Haushaltsgeräte tadellos funktionieren, wie in Saudi-Arabien, es gibt Länder, wie Indien, in denen kaum irgendwas funktioniert und dennoch nicht systematisch geknebelt und geknechtet wird. Der Zusammenhang ist absurd.
Jedenfalls: Die UdSSR ging unter, seitdem, sagt Bartels, fühlt sich der Kapitalismus als Sieger, daher der Titel. Bartels möchte - wie jeder CSU-Ortsverband - einer totalen Ökonomisierung vorbeugen und etwas anderes dagegensetzen, das er originellerweise den "Dritten Weg" nennt. Er charakterisiert ihn mit: "Links, aber nicht blöd." Klingt wie der Werbespruch für Schokolade aus einer alten F.-K.-Waechter-Karikatur: "Macht zwar dick, aber schmeckt nicht schlecht." Eine neue Idee, die auf diesem dritten Weg voranzuschreiten einladen würde, sucht man vergebens. Statt dessen gibt es in dem Buch viele Lesefrüchte des Verfassers und jede Menge Zeitkritik. Jammern soll man aber nicht mehr über Deutschland, fordert Bartels - darin würde ihm Hans-Olaf Henkel zustimmen. Woanders ist es nicht besser. In den Vereinigten Staaten schon gar nicht. Bartels war mal da. Das liest sich so:
"Was soll besser sein in den vorbildlichen USA? Zum Beispiel, wenn wir die schlecht gepflegten Straßen mit unseren vergleichen? Wo sind die Radwege? Wieso kann man nicht von jedem Telefon aus zu jeder Zeit überallhin, zum Beispiel ins Ausland, telefonieren? Und was für klobige Handys! Sind die Einfamilienhäuser wirklich solide gebaut? Und wieder keinen Adapter dabei für diese antiquierten, feuergefährlichen Steckdosen. Die Qualität amerikanischer Haushaltsgeräte ist, wenn auch besser als die ehemalige sowjetische Produktion, an der Gorbatschow verzweifelte, sagen wir: zweitklassig." Und er schließt: "Ich reise gern nach Amerika (. . .). Aber ich würde nicht lieber dort leben wollen als in Deutschland." Wut und Trauer bei den amerikanischen Einwanderungsbehörden!
Es gibt am gegenwärtigen Zustand der Vereinigten Staaten wahrlich genug zu kritisieren, Autoren wie Mike Davis, George Lipsitz und Gore Vidal geben einem beinahe wöchentlich Hinweise - aber die Feuersicherheit der Steckdosen (wobei die allgegenwärtigen Rauchmelder an der Decke jedes noch so alten Hauses durchaus auch hierzulande nachahmenswert wären) ist noch das geringste Problem.
Aber eigentlich geht es in dem Buch um die Reichen, um die Kapitalisten, um deren Unverschämtheit. Wie ein Superreicher, ein Master of the Universe, so lebt, was er für Miete und Unterhalt und Autos ausgeben möchte, das weiß Bartels ganz genau. Er zitiert es aus Tom Wolfes Roman "Fegefeuer der Eitelkeiten", erschienen im Bartelsschen Lektüre-Schicksalsjahr 1987, denn da wird vorgerechnet, wofür Sherman McCoy so seine Millionen ausgibt. Dann bringt Bartels über drei Seiten die Liste der reichsten Deutschen 2004 aus dem "Manager Magazin". Aber daraus wird keinerlei politische Idee abgeleitet. Man könnte ja beispielsweise fordern, daß auch solche großen Einkommen und Vermögen stärker als bisher an der Finanzierung der staatlichen Aufgaben partizipieren. Das hat aber ein anderer formuliert, der "Spiegel"-Journalist Gabor Steingart. Dessen Bestseller "Deutschland: Absturz eines Superstars" wird von Bartels eine "fundamental-liberale Ideologie" attestiert, "nach der das Kapital nur gefüttert zu werden braucht". Das ist falsch. Steingart, der Schröder mehrfach lobt und dessen Buch von Franz Müntefering vorgestellt wurde, plädiert nicht nur für einen stärkeren, zentralisierten Staat, er formuliert auch, weswegen die Reichen mehr Steuern und Abgaben zahlen sollten als bisher. Und zwar in klaren, einfachen Sätzen: "Ein Staat, der das Soziale nicht suspendieren und zugleich die Arbeit nicht ausrotten will, hat keine andere Chance, als bei den hohen Einkommen, egal ob sie aus Unternehmergewinn, Spitzen-Lohnarbeit, Erbschaften oder Börsengeschäften stammen, stärker zuzugreifen. Nicht Ideologie leitet ihn, sondern ökonomische Vernunft." Klingt nicht nach FDP.
An einer anderen Stelle erzählt Bartels die interessante Geschichte, wie sich Renate Schmidt, die Familienministerin, mal über einen Zeitungsbericht geärgert hat. In dem Artikel waren die Nöte einer Mutter beschrieben, die mit 1700 Euro Sozialhilfe für sechs Kinder nicht auskommt. Daraufhin habe Frau Schmidt sich hingesetzt und in einem Brief angeboten, der Familie einen Plan zu erstellen, nach dem sie drei Mahlzeiten am Tag plus Eis für die Kinder und Bier für die Eltern für nur 900 Euro produzieren könnten. Gutes Beispiel - aber wofür? Bartels preist es als "Abkehr von der ökonomistischen Ideologie" à la McKinsey. Dabei ist es ein Beispiel für intelligente Ökonomie. Schmidt rechnet vor, wie das Geld besser eingesetzt werden kann, und macht deutlich, daß es den Armen im Lande eben oft auch an Bildung, an Kompetenz, an Durchsetzungsvermögen fehlt, ihre vorhandenen Güter optimal einzusetzen. Mehr Eigenverantwortung, bessere Ressourcennutzung - das ist aber leider das Wohlfahrtsprogramm aller konservativen Parteien weltweit. McKinsey - die Bartels die parasitären Dienstleister nennt - macht bei seinen Kunden nichts anderes.
Bartels hat einfach zu viel zu sagen, zum Beispiel zum Thema Ehe, die er gut findet. Da schreibt er: "Zwei Eltern, Verbindlichkeit, lebenslange gegenseitige Sorge - das wäre nicht wenig." Das wäre sogar viel, und weil man sich dann fragt, was das mit dem Thema des Buchs zu tun hat, nimmt Bartels folgende Kurve: Das sei eben "das Gegenmodell zum flexiblen Menschen aus dem modischen, kapitalismusverträglichen Ich-Universum". Die CDU kann es sich also abschminken, die Ehe in Deutschland unter Strafe stellen zu wollen.
Deutschland, Ehe und Familie, warme Socken und prima Haushaltsgeräte - Bartels ist dafür. Und Ackermann? Na, der hält bekanntlich die unübersichtliche Schar seiner außerehelichen Kinder in einem Keller angekettet vor Großbildfernsehern, und wenn die mal was essen wollen, dann dürfen sie ihn beim Goldbarrenheben nicht stören, sondern müssen sich irgendwelchen Fraß in minderwertigen Haushaltsgeräten warm machen bis sie mit klammen Fingerchen zu diesem Buch finden. Die werden dafür mal SPD wählen.
NILS MINKMAR
Hans-Peter Bartels: "Victory-Kapitalismus. Wie eine Ideologie uns entmündigt." Kiepenheuer & Witsch, 8,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.05.2005Der entfesselte Markt
Ein Abgeordneter kritisiert den Shareholder-Kapitalismus
Auf dem Umschlag ein bekanntes Foto: Der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, die Hand zum Victory-Zeichen erhoben. Der Abgebildete wird das Buch vermutlich nicht lesen, aber wenn er es läse, könnte es ihn womöglich in seinem Glauben an den allein selig machenden Shareholder-Kapitalismus schwankend machen. Denn der Autor widerlegt Stück für Stück die Legenden, die die Propheten des Marktradikalismus seit Jahren bei uns verbreiten, sachlich, mit genauer Kenntnis der Zusammenhänge und mit überzeugendem Zahlenmaterial.
Es dürfte schwer fallen, diesen Autor in einer jener Schubladen unterzubringen, in die wir hierzulande Kritiker des Neoliberalismus so gern stecken. Er ist kein linker Traditionalist, schon lange kein gläubiger Marxist, auch kein Eiferer der Antiglobalisierungsbewegung, eher ein Vertreter der Schröder-SPD, pragmatisch und unideologisch. Aber er hat sich einen wachen Sinn für die komplexe Realität, auch für die Bedürfnisse und Hoffnungen der Menschen bewahrt. Dieser Realismus ist es, der ihn zum engagierten Kritiker des Shareholder-Kapitalismus macht.
Zugleich ist das Buch aber auch ein Stück Selbstkritik eines Politikers, der seit 1998 als Abgeordneter an der Gestaltung der Politik in Berlin beteiligt ist, der aus nächster Nähe erlebt hat, welche Fehler aus welchen Gründen gemacht wurden, und nun für sich und seine Partei versucht, daraus die richtigen Lehren zu ziehen. Nüchtern stellt der Autor fest: „Die Wirtschaft über die Verbesserung von Rahmenbedingungen für das Wirtschaften in Deutschland so zu steuern, dass politische Ziele wie Abbau der Arbeitslosigkeit, Humanisierung von Arbeitsbedingungen oder gerechtere Einkommens- und Vermögensverteilung erreicht werden, diese Wirtschaftspolitik hat nicht funktioniert.” Die rot-grüne Regierung, so Bartels Befund, hat sich durch die übersteigerten Erwartungen an den entfesselten Markt und die modische Staatsfeindschaft anstecken lassen und auf politische Eingriffe verzichtet, wo allein diese etwas vermocht hätten.
Sein Fazit lautet denn auch ganz unzeitgemäß: „Was hingegen funktionieren kann, ist das, was die freie Wirtschaft am meisten fürchtet und am aggressivsten bekämpft: der direkte Eingriff, die Staatsintervention.” Und damit der Staat wieder handlungsfähig wird, muss er auch darauf bestehen, dass in Deutschland wieder mehr Steuern bezahlt werden. Warum sollte bei uns die Erbschaftssteuer nicht so hoch sein dürfen wie in den USA? Warum nicht die Vermögenssteuer wieder einführen, wenn wir so dringend Mittel für Bildung brauchen? Warum nicht eine Luxussteuer als dritten, höheren Mehrwertsteuersatz? Wer wirklich etwas zur Senkung der Lohnnebenkosten tun wolle, so der Autor, komme um diese Fragen nicht herum. Denn die Lohnnebenkosten könnten nur sinken, wenn künftig Sozialversicherungsbeiträge mehr und mehr durch direkte Steuerfinanzierung ersetzt werden.
Hans-Peter Bartels, Jahrgang 1961, Journalist und SPD-Bundestagsabgeordneter aus Kiel, hat ein klug argumentierendes, immer anschauliches, mutiges und engagiertes, in Teilen erfrischend witziges Buch geschrieben, das den vorherrschenden neoliberalen Zeitgeist als lebensferne Ideologie entlarvt und ihm eine gut begründete pragmatische Sicht der Dinge entgegenstellt. Wenn die neue SPD auch noch nach diesem Wahlkampf so aussieht, dann ist von ihr doch noch etwas zu erwarten.
JOHANO STRASSER
HANS-PETER BARTELS: Victory-Kapitalismus. Wie eine Ideologie uns entmündigt. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005. 230 Seiten, 8,90 Euro.
Synonym für selbstgefälligen Neoliberalismus: Josef Ackermanns Victory-Zeichen.
Foto: dpa
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Ein Abgeordneter kritisiert den Shareholder-Kapitalismus
Auf dem Umschlag ein bekanntes Foto: Der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, die Hand zum Victory-Zeichen erhoben. Der Abgebildete wird das Buch vermutlich nicht lesen, aber wenn er es läse, könnte es ihn womöglich in seinem Glauben an den allein selig machenden Shareholder-Kapitalismus schwankend machen. Denn der Autor widerlegt Stück für Stück die Legenden, die die Propheten des Marktradikalismus seit Jahren bei uns verbreiten, sachlich, mit genauer Kenntnis der Zusammenhänge und mit überzeugendem Zahlenmaterial.
Es dürfte schwer fallen, diesen Autor in einer jener Schubladen unterzubringen, in die wir hierzulande Kritiker des Neoliberalismus so gern stecken. Er ist kein linker Traditionalist, schon lange kein gläubiger Marxist, auch kein Eiferer der Antiglobalisierungsbewegung, eher ein Vertreter der Schröder-SPD, pragmatisch und unideologisch. Aber er hat sich einen wachen Sinn für die komplexe Realität, auch für die Bedürfnisse und Hoffnungen der Menschen bewahrt. Dieser Realismus ist es, der ihn zum engagierten Kritiker des Shareholder-Kapitalismus macht.
Zugleich ist das Buch aber auch ein Stück Selbstkritik eines Politikers, der seit 1998 als Abgeordneter an der Gestaltung der Politik in Berlin beteiligt ist, der aus nächster Nähe erlebt hat, welche Fehler aus welchen Gründen gemacht wurden, und nun für sich und seine Partei versucht, daraus die richtigen Lehren zu ziehen. Nüchtern stellt der Autor fest: „Die Wirtschaft über die Verbesserung von Rahmenbedingungen für das Wirtschaften in Deutschland so zu steuern, dass politische Ziele wie Abbau der Arbeitslosigkeit, Humanisierung von Arbeitsbedingungen oder gerechtere Einkommens- und Vermögensverteilung erreicht werden, diese Wirtschaftspolitik hat nicht funktioniert.” Die rot-grüne Regierung, so Bartels Befund, hat sich durch die übersteigerten Erwartungen an den entfesselten Markt und die modische Staatsfeindschaft anstecken lassen und auf politische Eingriffe verzichtet, wo allein diese etwas vermocht hätten.
Sein Fazit lautet denn auch ganz unzeitgemäß: „Was hingegen funktionieren kann, ist das, was die freie Wirtschaft am meisten fürchtet und am aggressivsten bekämpft: der direkte Eingriff, die Staatsintervention.” Und damit der Staat wieder handlungsfähig wird, muss er auch darauf bestehen, dass in Deutschland wieder mehr Steuern bezahlt werden. Warum sollte bei uns die Erbschaftssteuer nicht so hoch sein dürfen wie in den USA? Warum nicht die Vermögenssteuer wieder einführen, wenn wir so dringend Mittel für Bildung brauchen? Warum nicht eine Luxussteuer als dritten, höheren Mehrwertsteuersatz? Wer wirklich etwas zur Senkung der Lohnnebenkosten tun wolle, so der Autor, komme um diese Fragen nicht herum. Denn die Lohnnebenkosten könnten nur sinken, wenn künftig Sozialversicherungsbeiträge mehr und mehr durch direkte Steuerfinanzierung ersetzt werden.
Hans-Peter Bartels, Jahrgang 1961, Journalist und SPD-Bundestagsabgeordneter aus Kiel, hat ein klug argumentierendes, immer anschauliches, mutiges und engagiertes, in Teilen erfrischend witziges Buch geschrieben, das den vorherrschenden neoliberalen Zeitgeist als lebensferne Ideologie entlarvt und ihm eine gut begründete pragmatische Sicht der Dinge entgegenstellt. Wenn die neue SPD auch noch nach diesem Wahlkampf so aussieht, dann ist von ihr doch noch etwas zu erwarten.
JOHANO STRASSER
HANS-PETER BARTELS: Victory-Kapitalismus. Wie eine Ideologie uns entmündigt. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005. 230 Seiten, 8,90 Euro.
Synonym für selbstgefälligen Neoliberalismus: Josef Ackermanns Victory-Zeichen.
Foto: dpa
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Hans-Peter Bartels Buch "Victory-Kapitalismus", in dem er den unbedingten "Glauben" an den "Shareholder-Kapitalismus" zu erschüttern sucht, wird von Rezensent Johano Strasser mit Lob überschüttet. Legende um Legende über den angeblich unvermeidbaren "Marktradikalismus" wird vom Autor - Journalist und Kieler Bundestagsabgeordneter der SPD - mit Sachkenntnis und "überzeugendem Zahlenmaterial" widerlegt, preist der Rezensent. Dabei sei Bartels in "keine Schublade zu stecken" und auch der eigenen Parteiarbeit gegenüber nicht unkritisch, freut sich Strasser, der positiv hervorhebt, dass der Autor auch eigene Fehler in seiner Arbeit als Bundestagsabgeordneter selbstkritisch einräumt. Laut Bartels dürfe eine vernünftige Wirtschaftspolitik weder vor einer höheren Erbschafts- noch vor einer Mehrwertsteuer zurückscheuen, referiert Strasser offenbar mit Zustimmung und er attestiert dem Autor, ein "klug argumentierendes, immer anschauliches und engagiertes" Buch geschrieben zu haben. Das dieses dann streckenweise sogar "erfrischend witzig" ist, freut den ohnehin eingenommenen Rezensenten umso mehr.
© Perlentaucher Medien GmbH
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