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Piet Escher, einst einer der erfolgreichsten Politiker der jüngeren Generation, hat seinem Leben ein Ende gesetzt - auf einem Flugzeugfriedhof in der Wüste von Arizona. Sein einziges Vermächtnis ist ein Videofilm von seinem Sterben, aber was zeigt dieses Video wirklich? Wer war dieser charismatische Piet Escher - ein geborener Politiker oder nur ein Showtalent und kalter Stratege? Ein Frauenheld, der die Macht der Eroberung genoss wie die Eroberung der Macht? Ein Sehnsüchtiger, der seine Träume an die Wirklichkeit verlor? Lukas Hammersteins Roman führt uns von einer Zeit des Aufbruchs in eine…mehr

Produktbeschreibung
Piet Escher, einst einer der erfolgreichsten Politiker der jüngeren Generation, hat seinem Leben ein Ende gesetzt - auf einem Flugzeugfriedhof in der Wüste von Arizona. Sein einziges Vermächtnis ist ein Videofilm von seinem Sterben, aber was zeigt dieses Video wirklich? Wer war dieser charismatische Piet Escher - ein geborener Politiker oder nur ein Showtalent und kalter Stratege? Ein Frauenheld, der die Macht der Eroberung genoss wie die Eroberung der Macht? Ein Sehnsüchtiger, der seine Träume an die Wirklichkeit verlor?
Lukas Hammersteins Roman führt uns von einer Zeit des Aufbruchs in eine der enttäuschten Hoffnungen: Von der Studentenszene im Freiburg der späten 70er Jahre und den Demonstrationen gegen NATO-Raketendepots Anfang der 80er bis zu den Wahlveranstaltungen im wiedervereinigten Deutschland, dem Regierungswechsel 1998 und einem Parteitag, der zum Endpunkt einer deutschen Karriere wird. Es sind die Scheidepunkte eines radikalen Lebens, die zugleich die Wendepunkte in der Biographie unseres Landes sind.

Replay, erinnere dich. 12.07.00, Berlin: In Piets altem Diplomat durch die Stadt. An was glauben wir eigentlich? 01.08.96, Weimar, Hotel Elephant. Tagsüber Parteiveranstaltung mit Piet, die Nacht mit Catherine. 13.09.01, München, Maximilianstraße: Ich arbeite jetzt als Angsttherapeut, aber ich nehme meinen Klienten nicht die Angst, ich gebe sie ihnen zurück, nur schöner. 11.04.79, Turm des Freiburger Münsters: Warum ist Monika damals gesprungen? 07.12.02, Hannover, Mehrzweckhalle, Parteitag: War das für Piet der Anfang vom Ende? 30.09.98, der Rhein bei Bonn. Katharina und ich heiraten, und in Berlin kommen die Sozis ran. 04.05.05, Tucson, Arizona: Ich soll Piet nicht beim Sterben helfen. Nur die Kamera einrichten und da sein.
Autorenporträt
Lukas Hammerstein, geboren 1958 in Freiburg, studierte Jura und Philosophie. Romanveröffentlichungen. Darüber hinaus zahlreiche Radiofeatures und Essays zu Ästhetik und Politik. Er ist Träger des "Staatlichen Förderungspreises für junge Schriftsteller, Bayern" und erhielt das Förderstipendium Baden-Württemberg.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Piet Escher ist durch Freitod aus der Welt gegangen, einer Welt, die er als Zeitgenosse durchaus mitgeprägt hat. Er war nämlich, in Lukas Hammersteins Roman, das "prominenteste Mitglied der Grünen", eine so charismatische wie symptomatische Figur, deren Karriere von der Revolte zur Regierungsbank führt - und mit einem Job als Flugplatzwärter in Arizona endet. Von letzterem Detail (vorerst) mal abgesehen, kann man sich, das sieht auch der Rezensent Christoph Schröder so, durchaus an die Biografie Joschka Fischers erinnert fühlen. Ein Schlüsselroman aber ist "Video" deshalb noch lange nicht. Vielmehr gehe es dem Autor um so etwas wie die "kollektive Biografie eines Landes und einer Epoche". Er setzt, literarisch ambitioniert, ein "Video"-Bild zusammen, und zwar unter Verzicht auf chronologische Ordnung, in Erzählfragmenten und "harten Schnitten". Der Roman hat, so der Rezensent, seine problematischen Züge - vor allem die Frauenfigur Maria, die Piet Escher ebenso wie der Ich-Erzähler begehren. Das aber werde leicht von viel Gelungenem aufgewogen, von hervorragenden Dialogen und der "atmosphärischen Sprache" vor allem. Insgesamt handelt es sich deshalb, lobt Schröder, um "einen intelligenten, spannenden und unterhaltsamen Gegenwartsroman".

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.04.2006

Angst vor großen Scheinen
Völlig losgelöst: Lukas Hammersteins popliterarische Oldie-Fete

Der letzte Rock 'n' Roller hat angeblich die Schnauze voll von der Politik. Während Joschka Fischer erst mal Bücher schreiben will, hat sein Double im Roman Radikaleres vor: Piet Escher war ein Vollblutpolitiker, der immer nur geliebt werden wollte und am Ende nicht einmal sich selbst liebte. Schon als Student Hedonist und Zyniker, reifte er im Treibhaus der Politik zum arroganten Kotzbrocken und Autisten. Jetzt aber will er sich neu erfinden, "weit weg von Sabine Christiansen", und zieht sich auf einen Flugzeug-Schrottplatz in Arizona zurück; das Flehen seiner Parteifreunde läßt ihn kalt: "Ihr könnt mich am Arsch lecken. Hier vergißt du alles. Deutschland, seine Frauen, seine Politik. Keine Sehnsucht mehr."

Auf dem Evergreen Air Center inszeniert er einen Showdown, der selbst die historische Götterdämmerung von Rotgrün tragisch-heroisch überbietet: Gehetzt von seinem Dämon und heulenden Kojoten, streunt der alte Leitwolf mit einer Pumpgun und einem Samurai-Handbuch durch die Wüste des Erzfeinds. Die alten Maßanzüge und das Pathos des menschenfreundlichen Reformers hat er abgestreift; verwahrlost und offenbar unter Drogen stehend, fällt er vom Fleisch und allen Überzeugungen ab, ehe er seinem Leben mit einem japanischen Messer ein Ende setzt. Sein Freund, der Erzähler, hat die traurige Pflicht, den unheimlich starken Abgang des letzten Samurai zu filmen, seiner Generation zur Mahnung und Warnung: nie wieder Krieg, nie wieder Schröderismus.

Lukas Hammerstein verliert kein Wort über den Inhalt des Harakiri-Videos, und auch die Hinterbliebenen sind unfähig zum Trauern. Die Teilnahmslosigkeit ist nicht nur ein deutsches Symptom, sie hat auch Methode. Wie Eschers letztes Band ist auch "Video" rein virtuell: ein verspäteter Berlin-Roman, dessen politische Substanz vor allem aus Leerstellen besteht. So, wie Escher Menschen und Ideen immer nur als Vehikel seiner Karriere benutzte, hat auch Hammerstein ein eher taktisches Verhältnis zu seiner Figur: Beide sind Jahrgang 1958, beide schweben völlig losgelöst im Raumschiff Berlin-Mitte.

"Video" zeichnet Parallelbiographien und Beinahe-Zusammenstöße von Eschers Satelliten auf: Kommilitonen aus Freiburger Tagen, Weggefährten, Geliebte und Ehefrauen erinnern sich an Aufstieg und Fall des Genossen, der ihnen immer einen Schritt voraus war. Karriere haben alle gemacht: Der eine brachte es zum Staranwalt, der andere zum Staatssekretär; nur die hellsichtige Monika sprang schon 1979 vom Freiburger Münster. Der Erzähler studierte BWL und wollte trotzdem "unschuldig" bleiben; tatsächlich steigt der Unternehmensberater irgendwann aus, um als Angsttherapeut die Wracks spätkapitalistischer Überflieger wieder flottzumachen; zu Hammersteins Inventar bizarrer Wohlstandsphobien gehört auch die Angst vor Geld. Zwischen dem Angstberater und dem Machtmenschen stand von jeher Maria, die kapriziöse, rätselhafte Halbschwester des Erzählers, die weder in der inzestuösen Klaustrophobie noch an der Seite Eschers ihr Glück fand.

Die vierzehn Stationen dieser Dreierbeziehung zeichnen sich durch ausgesprochen hippe Locations, bedeutungsvolle Wende- und Warenmarken und milieutypische Berufsbilder aus. Wir treffen die Freunde bei einer nächtlichen Diskussionsrunde im Münster, bei der Havarie des Wahlpartyschiffs "Willy Brandt" im September 1998, gelangweilt auf Grünen-Parteitagen und müde bei den After-work-Partys der Berliner Republik. Mutlangen ist eine Truppenparade im "Friednik"-Retrolook, die Love Parade ein Gipfeltreffen von Techno-DJs, McKinsey-Jüngern, Eventmanagern und Globalisierungskritikern; den 11. September 2001 erleben wir in einer Bar, im Kreis von peniaphoben Kunsthändlern, Maserati-Fahrern und Koksern. Hammersteins Roman ist ein Katalog der wichtigsten Accessoires und Attitüden, Popsongs, Schlüsselwörter und Schlüsselphobien zwischen 1979 und 2005.

Es ist freilich gleichgültig, ob Künstler, Politiker oder Analysten von ihrer "Performance" faseln und Demonstranten "Alles für alle" oder "Nie wieder Faschismus" skandieren: Es bedeutet eh nichts. Alle reden aneinander vorbei, jeder Dialog geht in den Kakophonien des Lifestyles unter: Wahl- und Werbeslogans, Graffiti, New-Economy-Neusprech, Galeristen-Smalltalk. Niemand versteht den anderen, keiner hört zu. Am wenigsten der Erzähler: "Hört denn irgendwer irgendwem zu? frage ich, ohne Antwort zu erhalten. Ich habe auch keine erwartet. Ich habe plötzlich das Gefühl, daß mir alles egal ist."

So wird man Ohrenzeuge mißglückter Kommunikationsversuche in WG-Küchen, Lofts und den Hinterzimmern der Macht - der popliterarische Diskurs wummert noch einmal mit 150 Beats pro Minute. Hammerstein schreibt kalt, müde und unbeteiligt über Oberflächlichkeit, Kälte und Apathie, und so bleiben auch seine Figuren blaß und seine Neue Mitte leer. Schon in seinem letzten Roman "Die 120 Tage von Berlin" hatte er die Reste des rotgrünen Projekts aufgesammelt und mit de Sade und Pasolini recycelt. Die Party war vorbei; aber bevor Hacker und Slacker, "retrosubjektive Karrieristen" und "technoide Neohippies" abtraten, wollten sie es noch einmal so richtig anarchisch krachen lassen. Allerdings war die apokalyptische Sause nur ein Medien-Fake, eine Simulation von Subversion, mit einem Wort: ein dröhnendes Placebo.

Diesmal hat Hammerstein das Flackern und Rauschen merklich herabgedimmt, ruhiger und konzentrierter erzählt. Aber sein Versuch, die Sinnkrise seiner Generation und die Phraseologie der Berliner Republik authentisch abzubilden, kann nur scheitern. Ein Don DeLillo schlägt aus dem "Weißen Rauschen" von Politik und Medien Funken; "Video" rauscht nur vorbei.

MARTIN HALTER

Lukas Hammerstein: "Video". Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2006. 240 S., geb., 18,90 [Euro].

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