Video-, Netz- und Medienkünstler begleiten als kulturkritische Zeitzeugen das Weltgeschehen. Keine Kunstausstellung ohne Videokunst. Wie funktioniert sie? Und was will sie? Dieser informative Band gibt eine Einführung und einen ersten Überblick über die seit dreißig Jahren rasant wachsende, weltweit kommunizierende Video-Kunstszene. Ist die Videokunst der Blick eines technischen Auges, das eine Phantasiewelt sichtbar macht, oder ist sie der angemessene Ausdruck für das diffuse Lebensgefühl einer multimedialen Gesellschaft? Als elektronische Medien und die Popkultur am Ausgang der turbulenten 1960er Jahre eine fruchtbare Verbindung eingingen, setzte der weltweite Siegeszug der Videokunst ein. Seither strömen überall auf der Welt elektronisch bearbeitete oder digitale Bilderfluten in narrative Sequenzen ein, die sich unaufhörlich aus kommerziellen Video-Clips, aus Film, Fernsehen, Comics und Popmusik, aus naturwissenschaftlichen Demonstrationen und anderen technischen Bildquellen speisen. Noch hat diese junge Kunst keine verbindliche Ikonographie, doch schon besitzt sie ihre Ikonen: Altmeister wie Wolf Vostel und Nam June Paik, Bill Viola und Bruce Nauman oder Shooting stars wie Pippilotti Rist und Kiupi Kiupi. Dieses Buch nennt Verfahren und Techniken, Namen, Themen, beschreibt Erfahrungen, untersucht das irritierende Raum- und Zeitgefühl der Videokunst und eröffnet Perspektiven zum Verständnis einer weltweit - alle Kontinente und Länder überspannenden - Video-Kunstszene.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.02.2004Nie ohne meinen Clip
Weltbildnerei: Lydia Haustein feiert die Liturgie der Videokunst
Video ist das allgegenwärtige neue Medium der Kunst. Ob in den großen Überblicksausstellungen wie der documenta oder den Videofestspielen der Welt: Überall werden wir in dunkle Kammern gelockt, nicht wissend, welche Bilder uns erwarten, welche Geräusche die Bilderströme untermalen und ob uns das Wahrgenommene Lust oder Unbehagen bereiten wird. Man muß schon eine profunde Kennerin der Materie sein, um, wie Lydia Haustein, in einer kurzen Geschichte dieser seit gut dreißig Jahren betriebenen Kunst das verwirrend vielfältige Material zu ordnen und seine Themen kulturwissenschaftlich einzuordnen.
Die Autorin unternimmt diesen Versuch, indem sie clipartig die wichtigsten westlichen Künstler mit ihren bekannten Arbeiten sowie die internationale Videoszene mit dem Schwerpunkt auf den nichtwestlichen Kulturen vorstellt. Die jeweiligen Wissenschaftsdiskurse (überwiegend westlicher Provenienz) liefert Lydia Haustein gleich mit. Relativitätstheorie, Quantenphysik, Chaostheorie, die Entschlüsselung des menschlichen Genoms, die Erkenntnisse der Hirnforschung - die großen Themen der Life Sciences sind auch die Themen der Videokunst, die den Brückenschlag zwischen den beiden alten Wissenschaftskulturen vollziehen will, um auf dieser Basis eine eigene, mediale Kultur künstlich generierten Weltwissens zu etablieren.
Dieser neuen Kultur nähert sich die Autorin verehrend, wobei sie einerseits erklärt, wie tief der angestrebte Paradigmenwechsel ist, andererseits auch nicht verhehlt, wie sehr ihr in einem Aufwasch am Projekt eines neuen Weltbildes gelegen ist. In ihren Visionen geht es um nicht weniger als um die Erfindung "globaler Bildsprachen", um die "Dekonstruktion lokaler kultureller Bildmuster", um "ein völlig neues Verständnis von Imagination und Bewußtsein". Gekoppelt mit solchen Erwartungen ist die Prophetie, daß sich mit der Videokunst die Moderne letztmalig vollenden wird.
Das Buch ist in einen kurzen Hauptteil gegliedert mit den systematischen Themen Kultur, Technik und Zeit sowie einem längeren Teil, der in schneller Schnittfolge die Videokunstgeschichte mit ihren wichtigsten Arbeiten kommentiert. Im Zeitalter der Medien, das wir mit Haustein betreten, bedeutet Kultur Dynamik und Geschwindigkeit im Austausch von Bildern, Ideen und Technologien, die unsere eingeübten Denkmuster, unsere stereotypen Blickweisen und unsere Vorurteile, vor allem auf die uns fremden Kulturen, in Frage stellen werden. Der Eintritt ins Medienzeitalter, so Haustein, wird zwingend die Verdrängung und Erschöpfung traditioneller Kulturmodelle bewirken.
Die Autorin setzt dabei voraus, daß wir alle nolens volens am Konsum der Bilder- und Informationsfluten teilhaben, ja daß wir sofort und unmittelbar verstehen, was uns die globalen Botschaften aus allen Ecken der Welt sagen wollen. Aber noch steht dahin, ob sich unsere kulturelle Identität zukünftig aus dem Arsenal digitaler Imaginationen schöpfen läßt, ob die flüchtigen Bilder aus dem Netz die statischen Bilder verdrängen werden, die sich durch Tradition tief in unser kollektives Gedächtnis eingeprägt haben. Es ist eher zu bezweifeln, daß der Verlust analoger Bildtechniken wie der Fotografie unseren Bildgebrauch nachhaltig verunsichert, wie Haustein meint. Ja es sieht ganz so aus, als ob die analogen Bildverfahren nur eine kurze Episode im Äon der globalen Bildgeschichte waren. In unseren Bildern haben wir uns immer neue Welten erschaffen.
Ob der Eintritt als Cybernaut in den Cyberspace - die zukünftige Form der Kunstrezeption - tatsächlich alle bisherigen Erfahrungen von Kunst übertrifft, werden wir beurteilen können, wenn es denn soweit ist. Es ist ebenso denkbar, daß wir enttäuscht von dem Realitätsgrad der simulierten Welt zurück in unsere innere unvollkommene und unvollständige Welt der Imagination gelangen wollen. Der Wunsch, eine Technik zu erfinden, die die Welt perfekt simuliert, ist nicht neu, sondern beherrscht uns seit Anbeginn unserer Kultur.
Überzeugender ist die Aussicht, im digitalen Medium die Synchronität von Raum und Zeit überprüfen zu können und die Subjektivität unserer Zeitvorstellung bewußter zu machen. Unendliche Möglichkeiten eröffnen sich der Medienkunst, um Zeiterfahrung als Verdichtung, Beschleunigung, Stillstand oder als Paradox des unendlichen Augenblicks zu repräsentieren. Unbestritten ist, daß die beschleunigte Bilderflut nicht nur unsere Zeitwahrnehmung kommentiert, sondern auch steuert. Die neue Medienkultur ist eine Kultur der Amnesie, welche die Gegenwart ständig neu erfindet, um Vergangenheit in einer Permanenz der Gegenwart auszulöschen.
Was an dem Diskurs der Medienutopisten, mit dem die Autorin ihre Argumentation auf weiten Strecken nährt, nicht satt macht, ist der selbstbewußte Ton einer Aufklärung. Dieser Ton suggeriert, daß wir mit unseren uralten Traditionen Gefangene einer beschränkten Weltsicht waren. Ist nicht auch die vorgeblich alles sprengende Videokultur aus dieser beschränkten Welt hervorgegangen?
Der Stil des Buches repräsentiert eine neue Form von Geisteswissenschaft: Von einer prometheischen Warte, die der globalen Perspektive entspricht, wird ein Second-hand-Weltwissen samt der dazugehörigen Erkenntnisse der Kulturwissenschaft (vornehmlich des zwanzigsten Jahrhunderts) zu glatten Sentenzen verdichtet, in schneller Folge clipartig montiert und mit einem doch etwas verstörendem Optimismus präsentiert. Nach diesem Schnellauf durch die neue Kultur der Oberfläche sehnt man sich zurück zum Relief einer Erkenntnis.
CHRISTIANE KRUSE
Lydia Haustein: "Videokunst". C. H. Beck Verlag, München 2003. 204 S., 14 Farb-Abb., br., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Weltbildnerei: Lydia Haustein feiert die Liturgie der Videokunst
Video ist das allgegenwärtige neue Medium der Kunst. Ob in den großen Überblicksausstellungen wie der documenta oder den Videofestspielen der Welt: Überall werden wir in dunkle Kammern gelockt, nicht wissend, welche Bilder uns erwarten, welche Geräusche die Bilderströme untermalen und ob uns das Wahrgenommene Lust oder Unbehagen bereiten wird. Man muß schon eine profunde Kennerin der Materie sein, um, wie Lydia Haustein, in einer kurzen Geschichte dieser seit gut dreißig Jahren betriebenen Kunst das verwirrend vielfältige Material zu ordnen und seine Themen kulturwissenschaftlich einzuordnen.
Die Autorin unternimmt diesen Versuch, indem sie clipartig die wichtigsten westlichen Künstler mit ihren bekannten Arbeiten sowie die internationale Videoszene mit dem Schwerpunkt auf den nichtwestlichen Kulturen vorstellt. Die jeweiligen Wissenschaftsdiskurse (überwiegend westlicher Provenienz) liefert Lydia Haustein gleich mit. Relativitätstheorie, Quantenphysik, Chaostheorie, die Entschlüsselung des menschlichen Genoms, die Erkenntnisse der Hirnforschung - die großen Themen der Life Sciences sind auch die Themen der Videokunst, die den Brückenschlag zwischen den beiden alten Wissenschaftskulturen vollziehen will, um auf dieser Basis eine eigene, mediale Kultur künstlich generierten Weltwissens zu etablieren.
Dieser neuen Kultur nähert sich die Autorin verehrend, wobei sie einerseits erklärt, wie tief der angestrebte Paradigmenwechsel ist, andererseits auch nicht verhehlt, wie sehr ihr in einem Aufwasch am Projekt eines neuen Weltbildes gelegen ist. In ihren Visionen geht es um nicht weniger als um die Erfindung "globaler Bildsprachen", um die "Dekonstruktion lokaler kultureller Bildmuster", um "ein völlig neues Verständnis von Imagination und Bewußtsein". Gekoppelt mit solchen Erwartungen ist die Prophetie, daß sich mit der Videokunst die Moderne letztmalig vollenden wird.
Das Buch ist in einen kurzen Hauptteil gegliedert mit den systematischen Themen Kultur, Technik und Zeit sowie einem längeren Teil, der in schneller Schnittfolge die Videokunstgeschichte mit ihren wichtigsten Arbeiten kommentiert. Im Zeitalter der Medien, das wir mit Haustein betreten, bedeutet Kultur Dynamik und Geschwindigkeit im Austausch von Bildern, Ideen und Technologien, die unsere eingeübten Denkmuster, unsere stereotypen Blickweisen und unsere Vorurteile, vor allem auf die uns fremden Kulturen, in Frage stellen werden. Der Eintritt ins Medienzeitalter, so Haustein, wird zwingend die Verdrängung und Erschöpfung traditioneller Kulturmodelle bewirken.
Die Autorin setzt dabei voraus, daß wir alle nolens volens am Konsum der Bilder- und Informationsfluten teilhaben, ja daß wir sofort und unmittelbar verstehen, was uns die globalen Botschaften aus allen Ecken der Welt sagen wollen. Aber noch steht dahin, ob sich unsere kulturelle Identität zukünftig aus dem Arsenal digitaler Imaginationen schöpfen läßt, ob die flüchtigen Bilder aus dem Netz die statischen Bilder verdrängen werden, die sich durch Tradition tief in unser kollektives Gedächtnis eingeprägt haben. Es ist eher zu bezweifeln, daß der Verlust analoger Bildtechniken wie der Fotografie unseren Bildgebrauch nachhaltig verunsichert, wie Haustein meint. Ja es sieht ganz so aus, als ob die analogen Bildverfahren nur eine kurze Episode im Äon der globalen Bildgeschichte waren. In unseren Bildern haben wir uns immer neue Welten erschaffen.
Ob der Eintritt als Cybernaut in den Cyberspace - die zukünftige Form der Kunstrezeption - tatsächlich alle bisherigen Erfahrungen von Kunst übertrifft, werden wir beurteilen können, wenn es denn soweit ist. Es ist ebenso denkbar, daß wir enttäuscht von dem Realitätsgrad der simulierten Welt zurück in unsere innere unvollkommene und unvollständige Welt der Imagination gelangen wollen. Der Wunsch, eine Technik zu erfinden, die die Welt perfekt simuliert, ist nicht neu, sondern beherrscht uns seit Anbeginn unserer Kultur.
Überzeugender ist die Aussicht, im digitalen Medium die Synchronität von Raum und Zeit überprüfen zu können und die Subjektivität unserer Zeitvorstellung bewußter zu machen. Unendliche Möglichkeiten eröffnen sich der Medienkunst, um Zeiterfahrung als Verdichtung, Beschleunigung, Stillstand oder als Paradox des unendlichen Augenblicks zu repräsentieren. Unbestritten ist, daß die beschleunigte Bilderflut nicht nur unsere Zeitwahrnehmung kommentiert, sondern auch steuert. Die neue Medienkultur ist eine Kultur der Amnesie, welche die Gegenwart ständig neu erfindet, um Vergangenheit in einer Permanenz der Gegenwart auszulöschen.
Was an dem Diskurs der Medienutopisten, mit dem die Autorin ihre Argumentation auf weiten Strecken nährt, nicht satt macht, ist der selbstbewußte Ton einer Aufklärung. Dieser Ton suggeriert, daß wir mit unseren uralten Traditionen Gefangene einer beschränkten Weltsicht waren. Ist nicht auch die vorgeblich alles sprengende Videokultur aus dieser beschränkten Welt hervorgegangen?
Der Stil des Buches repräsentiert eine neue Form von Geisteswissenschaft: Von einer prometheischen Warte, die der globalen Perspektive entspricht, wird ein Second-hand-Weltwissen samt der dazugehörigen Erkenntnisse der Kulturwissenschaft (vornehmlich des zwanzigsten Jahrhunderts) zu glatten Sentenzen verdichtet, in schneller Folge clipartig montiert und mit einem doch etwas verstörendem Optimismus präsentiert. Nach diesem Schnellauf durch die neue Kultur der Oberfläche sehnt man sich zurück zum Relief einer Erkenntnis.
CHRISTIANE KRUSE
Lydia Haustein: "Videokunst". C. H. Beck Verlag, München 2003. 204 S., 14 Farb-Abb., br., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.08.2003Mal reinschauen
Eine Einführung in die Videokunst von Lydia Haustein
„Portapacks” hießen die ersten tragbaren Videokameras, die Sony 1965 in New York auf den Markt brachte. Nam June Paik hatte damals gerade ein Stipendium von der Rockefeller-Foundation bekommen und kaufte sich das Gerät. Noch auf dem Weg zurück ins Atelier soll er es eingeweiht haben, indem er aus dem Taxifenster filmte. Man schrieb den 4. Oktober 1965, Papst Paul VI. war an diesem Tag in der Stadt. Paik fuhr hin, filmte die Parade und noch am selben Abend zeigte er im Cafe „Au GoGo” in der Bleeker Street sein erstes Videoband.
Wie alle anderen Medien auch, wurde Video nicht für den künstlerischen Gebrauch erfunden. Paiks Aktion enthält viel von der ersten Faszination, die für die Künstler von Video ausging: Es war unkompliziert, schnell und bald auch billig. Jeder konnte nun elektronische Bilder in Eigenregie herstellen, Medienkritik praktizieren und das kommerziellen Fernsehen unterwandern.
Die Anekdote, wie Nam June Paik den Papst filmte ist deshalb notorisch. Wer drei Überblicksdarstellungen zum Thema Videokunst liest, wird ihr ungefähr fünfmal begegnen. Im Internet wohlgemerkt, oder in allgemeinen Darstellungen der Kunst des 20. Jahrhunderts, denn ein eigenes Buch zur Videokunst war auf dem deutschsprachigen Markt bis vor kurzem nicht zu finden. Deshalb ist es gut, dass es jetzt die lesenswerte Einführung von Lydia Haustein gibt. Die besagte Anekdote sucht man darin übrigens vergeblich. Das wäre an sich kein Mangel, ist am Ende aber doch bedauerlich, weil das Buch nämlich überhaupt keine Geschichten erzählt. Die kluge und meinungsstarke Autorin kennt sich sehr gut aus, doch sie verweigert sich anschaulichen Darstellungsmethoden.
Den „ersten Überblick über die alle Kontinente und Länder überspannende Video-Kunstszene”, den die Innenseite des Umschlags verspricht, muss der Leser sich deshalb erkämpfen. Der Aufbau folgt weder historischen noch systematischen, sondern eher intuitiven Kriterien. Außerdem werden die vielen Namen, die ein Einführungsband zwangsläufig versammelt, kaum jemals erläutert.
Wenn also der Hauptteil des Buchs mit dem folgenden Satz beginnt: „Wo Castoriadis vom Schöpferischen sprach, geht Emmanuel Levinas auf den Begriff der ‚Andersheit‘ und ‚Fremdheit‘ ein” – dann sollte der Leser immerhin das Vorwissen mitbringen, dass Castoriadis und Levinas nicht der Videokunst-Szene zuzurechnen sind.
Lydia Haustein beschreibt das Phänomen Medienkunst mit den Begriffen der Kulturwissenschaft, spricht also von Identität und dem Anderen, von Medien- und Repräsentationskritik, von Gender, Pop und Postkolonialismus. Das leuchtet einerseits sehr ein, denn Videokunst wirkt ja häufig ein bisschen wie die künstlerische Umsetzung eben dieser Diskurse und Theorien. Andererseits bleibt die Kritik bei solch enger Verschwisterung mit ihrem Gegenstand merkwürdig immanent.
Besonders lehrreich ist das Buch da, wo es nah am Gegenstand ist und die Arbeiten konkret beschreibt. Die Autorin hat sich die verdienstvolle Mühe gemacht, eine enorme Zahl an Videos einzeln und eindringlich zu erklären.
Für manche Bücher bräuchte man eigentlich einen Beziehungsratgeber – wer sich bei diesem an die Einzelbesprechungen hält, das Inhaltsverzeichnis erstmal links liegen lässt und sich im Verlauf seiner Lektüre vom Register inspirieren lässt, dessen Glück sollte nichts mehr im Wege stehen.
EVA MARZ
LYDIA HAUSTEIN: Videokunst. Mit 14 farbigen Abbildungen im Text. C.H. Beck Verlag, München 2003. 260 Seiten, 24,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Eine Einführung in die Videokunst von Lydia Haustein
„Portapacks” hießen die ersten tragbaren Videokameras, die Sony 1965 in New York auf den Markt brachte. Nam June Paik hatte damals gerade ein Stipendium von der Rockefeller-Foundation bekommen und kaufte sich das Gerät. Noch auf dem Weg zurück ins Atelier soll er es eingeweiht haben, indem er aus dem Taxifenster filmte. Man schrieb den 4. Oktober 1965, Papst Paul VI. war an diesem Tag in der Stadt. Paik fuhr hin, filmte die Parade und noch am selben Abend zeigte er im Cafe „Au GoGo” in der Bleeker Street sein erstes Videoband.
Wie alle anderen Medien auch, wurde Video nicht für den künstlerischen Gebrauch erfunden. Paiks Aktion enthält viel von der ersten Faszination, die für die Künstler von Video ausging: Es war unkompliziert, schnell und bald auch billig. Jeder konnte nun elektronische Bilder in Eigenregie herstellen, Medienkritik praktizieren und das kommerziellen Fernsehen unterwandern.
Die Anekdote, wie Nam June Paik den Papst filmte ist deshalb notorisch. Wer drei Überblicksdarstellungen zum Thema Videokunst liest, wird ihr ungefähr fünfmal begegnen. Im Internet wohlgemerkt, oder in allgemeinen Darstellungen der Kunst des 20. Jahrhunderts, denn ein eigenes Buch zur Videokunst war auf dem deutschsprachigen Markt bis vor kurzem nicht zu finden. Deshalb ist es gut, dass es jetzt die lesenswerte Einführung von Lydia Haustein gibt. Die besagte Anekdote sucht man darin übrigens vergeblich. Das wäre an sich kein Mangel, ist am Ende aber doch bedauerlich, weil das Buch nämlich überhaupt keine Geschichten erzählt. Die kluge und meinungsstarke Autorin kennt sich sehr gut aus, doch sie verweigert sich anschaulichen Darstellungsmethoden.
Den „ersten Überblick über die alle Kontinente und Länder überspannende Video-Kunstszene”, den die Innenseite des Umschlags verspricht, muss der Leser sich deshalb erkämpfen. Der Aufbau folgt weder historischen noch systematischen, sondern eher intuitiven Kriterien. Außerdem werden die vielen Namen, die ein Einführungsband zwangsläufig versammelt, kaum jemals erläutert.
Wenn also der Hauptteil des Buchs mit dem folgenden Satz beginnt: „Wo Castoriadis vom Schöpferischen sprach, geht Emmanuel Levinas auf den Begriff der ‚Andersheit‘ und ‚Fremdheit‘ ein” – dann sollte der Leser immerhin das Vorwissen mitbringen, dass Castoriadis und Levinas nicht der Videokunst-Szene zuzurechnen sind.
Lydia Haustein beschreibt das Phänomen Medienkunst mit den Begriffen der Kulturwissenschaft, spricht also von Identität und dem Anderen, von Medien- und Repräsentationskritik, von Gender, Pop und Postkolonialismus. Das leuchtet einerseits sehr ein, denn Videokunst wirkt ja häufig ein bisschen wie die künstlerische Umsetzung eben dieser Diskurse und Theorien. Andererseits bleibt die Kritik bei solch enger Verschwisterung mit ihrem Gegenstand merkwürdig immanent.
Besonders lehrreich ist das Buch da, wo es nah am Gegenstand ist und die Arbeiten konkret beschreibt. Die Autorin hat sich die verdienstvolle Mühe gemacht, eine enorme Zahl an Videos einzeln und eindringlich zu erklären.
Für manche Bücher bräuchte man eigentlich einen Beziehungsratgeber – wer sich bei diesem an die Einzelbesprechungen hält, das Inhaltsverzeichnis erstmal links liegen lässt und sich im Verlauf seiner Lektüre vom Register inspirieren lässt, dessen Glück sollte nichts mehr im Wege stehen.
EVA MARZ
LYDIA HAUSTEIN: Videokunst. Mit 14 farbigen Abbildungen im Text. C.H. Beck Verlag, München 2003. 260 Seiten, 24,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
"Für manche Bücher", schreibt Eva Marz, "bräuchte man eigentlich einen Beziehungsratgeber". Dann könnten nämlich der Leser und Hausteins Einführung in die Videokunst prima miteinander auskommen, und ersterer wüsste, was zu vermeiden ist. Zum Beispiel die chronologische Lektüre, beginnend auf Seite eins - da bleibe man womöglich, zumal ohne akademische Vorkenntnisse, recht schnell im kulturwissenschaftlichen Begriffsdschungel stecken. Lieber gleich zu den Einzelbeschreibungen von Videoarbeiten springen, denn da habe Haustein ihre Stärken. Überhaupt sei sie eine "kluge und meinungsstarke Autorin", findet Marz, nur leider wisse sie ihren Stoff nicht immer adäquat an den Leser zu bringen. Zum einen, erläutert Marz, gibt es keine vermittelnden Geschichten, sondern nur trockenen Stoff. Zum anderen folge die Gliederung "weder historischen noch systematischen, sondern eher intuitiven Kriterien". Dennoch, und nicht nur, weil es eine klaffende Lücke fülle: ein "lesenswertes" Buch.
© Perlentaucher Medien GmbH
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