Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, Flughäfen - immer mehr Institutionen richten Gebets- und Besinnungsräume für Menschen verschiedener Religionen ein. Damit kommen sie einem wachsenden Bedürfnis unserer weltanschaulich vielfältigen Gesellschaft nach. Wer selbst einen derartigen Raum gestalten will, muss einige Fragen klären: Wer ist für die Konzeption und spätere Betreuung verantwortlich? Soll ein einzelner Raum für viele geschaffen werden oder sollen mehrere konfessionell getrennte Bereiche in einem gemeinsamen aus entstehen? Wie wird der Ort symbolisch ausgestaltet? Wer darf den Raum zu welchem Zweck nutzen, und wie kann man sich auf gemeinsame Regeln einigen? Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes spiegeln unterschiedliche Perspektiven auf das Thema: Vertreter aus Soziologie, Religionswissenschaft und Christlicher Archäologie kommen hier ebenso zu Wort wie Architekten, Pfarrer und Träger bereits bestehender Institutionen. 'Viele Religionen - ein Raum?!' bietet einen umfassenden Blick: Das Buch vermittelt Wissen, hilft bei der Klärung der eigenen Intention, weist auf Konflikte hin und schließt mit Handlungsempfehlungen für diejenigen, die selbst einen solchen Raum gestalten wollen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.06.2015In einer Wohngemeinschaft mit Gott?
Zwischen Kirchenbaukunst und banalen Raumcontainern: Überkonfessionelle Andachtsräume liegen im Trend, aber nicht nur die Architekten tun sich schwer mit stimmigen Lösungen.
Das Forschen nach guten Formen, so formulierte es einmal Piet Mondrian, sei die Aufgabe der Vergangenheit gewesen, das Forschen nach guten Beziehungen ein schwacher Schimmer in der Gegenwart. Mehr als bloß ein kraftloser Widerschein ist heute freilich das Bedürfnis, über profane Alltäglichkeit hinauszugehen. Die Sehnsucht nach einer verlässlichen Religion scheint in dem Maß zu wachsen, wie materielle Sicherheiten schwinden, unbeherrschbare Bedrohungen zunehmen und die Heilsversprechen der totalen Ökonomisierung immer haltloser klingen. Angesichts des Verlusts sittlicher und moralischer Werte in der sinnentleerten Turbowelt kehrt das Interesse zurück an Transzendenz, an Glauben und Werten.
Doch solche Bedürfnisse brauchen geeignete Orte, um sich zu entfalten oder überhaupt erst artikuliert zu werden. Nun sind allerdings Kirche, Tempel, Synagoge und Moschee in ihrer jeweiligen Ausschließlichkeit längst nicht mehr die allein seligmachenden Angebote. Zunehmend werden Räume nachgefragt, die allen offenstehen, unabhängig von Konfession oder Weltanschauung. Konsequenterweise richten immer mehr Institutionen - Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, Flughäfen - Gebets- und Besinnungsräume für Menschen verschiedener Religionen ein. All den Fragen, die damit aufgeworfen sind, widmet sich nun ein instruktiver Sammelband.
Wer ist für die Konzeption und Betreuung solcher Räume verantwortlich? Soll ein einzelner Raum für viele geschaffen werden, oder sollen mehrere konfessionell getrennte Bereiche in einem gemeinsamen Haus entstehen? Wie wird der Ort symbolisch ausgestaltet? Wer darf den Raum zu welchem Zweck nutzen, und wie kann man sich auf gemeinsame Regeln einigen? Die Beiträge spiegeln unterschiedliche Perspektiven auf das Thema: Vertreter aus Soziologie und Religionswissenschaft kommen ebenso zu Wort wie Architekten oder Pfarrer.
Die Angemessenheit und Sinnfälligkeit dieser "Räume der Stille" wird dabei nicht in Frage gestellt. Mit den Worten von Bernadette Schwarz-Boenneke: "Angesichts des zunehmenden Bewusstseins für die weltanschauliche und religiöse Vielfalt in Deutschland werden die Räume der Stille als Möglichkeit gesehen, dieser Vielfalt Platz zu geben, einen Begegnungsraum zu schaffen und - so in einigen Fällen die Intention - den Dialog zu fördern." Pointiert gesagt, lautet die dahinterstehende Idee: eine friedlich-freundliche Gottes-WG in einer säkularen Stadtgesellschaft, in der die Mitbewohner ihre Unterschiede weder verheimlichen noch verabsolutieren sollen.
Um diese Idee Architektur werden zu lassen, sind indes einige Punkte durchaus zu beachten. Klar sein dürfte, dass der Raum kein Neben- , sondern ein Miteinander der Religionen vorsehen sollte. Aber dann: Welche Art von Identität soll er stiften? Kann es ein Problem darstellen, dass darin den Gläubigen ein Platz geschaffen wird, um sie als Gläubige erkennund sichtbar zu machen, um sie also als Gruppe von der säkularen Gesellschaft abzusondern? Ein "Raum der Stille" ist ja mehr als ein überkonfessioneller Ort, er stellt der Gesellschaft die Gretchenfrage: Wie hältst du's mit der Religion? Lädt er also auch jene ein, die sich als Nichtgläubige beschreiben? Mit anderen Worten: Leistet die Architektur einen Beitrag zur Aufklärung, hilft sie, Religion zu (re)integrieren, ihre Versöhnbarkeit mit einer säkularen Gesellschaft herzustellen?
Glaube ist unter den Bedingungen der säkularen Welt zunehmend individuell, er verdichtet sich in religionsübergreifenden Milieus ebenso wie in traditionell geprägten Institutionen. Das Neben- und Miteinander individueller Religiosität, von Religionsgemeinschaften und Konfessionen drängt dabei zunehmend in gestaltete, auch in gemeinsam genutzte Räume. Die vorgestellten Fallbeispiele - das Haus der Religionen in Bern etwa, das Haus der Stille auf dem Westend-Campus der Frankfurter Universität oder The House of One in Berlin - sind zwar auf der Suche nach dem Gelingen eines multireligiösen Miteinanders durch formidable Architekturen. Aber sie setzen sich auch mit dem potentiellen Misslingen auseinander: etwa wenn Nutzungskonzepte unausgereift zwischen einem vermeintlich kleinsten gemeinsamen Nenner von "Spiritualität" und Option zur religionsspezifischen Liturgie changieren oder Konzepte zur wechselseitigen Nutzung fehlen. Beklagt wird, dass nicht nur Institutionen bei der Schaffung multireligiöser Räume häufig an Professionalität fehlen lassen, etwa wenn Abstellkammern oder ungenutzte periphere Räume mit wenig Liebe und gestalterischer Phantasie zum "Raum der Stille" deklariert werden. Auch die Wissenschaft biete bislang in dieser Thematik zu wenig Orientierung. Der Soziologe Markus Schroer weist auf die Ambivalenz hin, dass die klassischen Kirchen oft in säkulare Räume (aus)wandern, während die Künste verstärkt in religiöse Räume kommen. Damit spricht er implizit ein Paradox an: Vielfach wird erwartet, dass religiös genutzte Räume "unalltäglich" sind, die Menschen zu sich selbst, zu anderen und darin auch zu Gott finden lassen. Zugleich aber bedienen sich vor allem Museen in einer zunehmend profanierten Welt gerne einer als sakral empfundenen Architektursprache. Derart mit Zitaten aus der Kirchenbaukunst geschmückt, atmen sie als Kathedralen der Kunst längst überalltägliche Atmosphäre. Spricht also alles dafür, möglichst neutrale Raumcontainer zu kreieren?
Eine Antwort auf diese Frage gibt das Buch nicht. Will es auch nicht geben - zu Recht. Denn Widersprüche sind hier immanent. Multireligiöse Räume benötigen gewissermaßen einen hohen Abstraktionsgrad, weil sie unterschiedliche Bedeutungsebenen schichten, unseren Erfahrungshorizont brechen, weil sie historische Bezüge und Erinnerungen als Vergewisserung einer Glaubensgeschichte herstellen sollen. Zugleich möchten sie als Sonderheit wirken, durch Materialität, Lichtführung, Dimensionierung und Akustik jenes unerklärliche Erhabenheitsgefühl befördern, das ein transzendentes Übersteigen des eigenen Ich ermöglicht. Womöglich aber sollte man diese Räume nicht zu sehr mit Bedeutung aufladen.
ROBERT KALTENBRUNNER.
Bärbel Beinhauer-Köhler, Mirko Roth und Bernadette Schwarz-Boenneke (Hrsg.): "Viele Religionen - ein Raum!?" Analysen, Diskussionen und Konzepte. Frank & Timme Verlag, Berlin 2015. 240 S., br., 24,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zwischen Kirchenbaukunst und banalen Raumcontainern: Überkonfessionelle Andachtsräume liegen im Trend, aber nicht nur die Architekten tun sich schwer mit stimmigen Lösungen.
Das Forschen nach guten Formen, so formulierte es einmal Piet Mondrian, sei die Aufgabe der Vergangenheit gewesen, das Forschen nach guten Beziehungen ein schwacher Schimmer in der Gegenwart. Mehr als bloß ein kraftloser Widerschein ist heute freilich das Bedürfnis, über profane Alltäglichkeit hinauszugehen. Die Sehnsucht nach einer verlässlichen Religion scheint in dem Maß zu wachsen, wie materielle Sicherheiten schwinden, unbeherrschbare Bedrohungen zunehmen und die Heilsversprechen der totalen Ökonomisierung immer haltloser klingen. Angesichts des Verlusts sittlicher und moralischer Werte in der sinnentleerten Turbowelt kehrt das Interesse zurück an Transzendenz, an Glauben und Werten.
Doch solche Bedürfnisse brauchen geeignete Orte, um sich zu entfalten oder überhaupt erst artikuliert zu werden. Nun sind allerdings Kirche, Tempel, Synagoge und Moschee in ihrer jeweiligen Ausschließlichkeit längst nicht mehr die allein seligmachenden Angebote. Zunehmend werden Räume nachgefragt, die allen offenstehen, unabhängig von Konfession oder Weltanschauung. Konsequenterweise richten immer mehr Institutionen - Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, Flughäfen - Gebets- und Besinnungsräume für Menschen verschiedener Religionen ein. All den Fragen, die damit aufgeworfen sind, widmet sich nun ein instruktiver Sammelband.
Wer ist für die Konzeption und Betreuung solcher Räume verantwortlich? Soll ein einzelner Raum für viele geschaffen werden, oder sollen mehrere konfessionell getrennte Bereiche in einem gemeinsamen Haus entstehen? Wie wird der Ort symbolisch ausgestaltet? Wer darf den Raum zu welchem Zweck nutzen, und wie kann man sich auf gemeinsame Regeln einigen? Die Beiträge spiegeln unterschiedliche Perspektiven auf das Thema: Vertreter aus Soziologie und Religionswissenschaft kommen ebenso zu Wort wie Architekten oder Pfarrer.
Die Angemessenheit und Sinnfälligkeit dieser "Räume der Stille" wird dabei nicht in Frage gestellt. Mit den Worten von Bernadette Schwarz-Boenneke: "Angesichts des zunehmenden Bewusstseins für die weltanschauliche und religiöse Vielfalt in Deutschland werden die Räume der Stille als Möglichkeit gesehen, dieser Vielfalt Platz zu geben, einen Begegnungsraum zu schaffen und - so in einigen Fällen die Intention - den Dialog zu fördern." Pointiert gesagt, lautet die dahinterstehende Idee: eine friedlich-freundliche Gottes-WG in einer säkularen Stadtgesellschaft, in der die Mitbewohner ihre Unterschiede weder verheimlichen noch verabsolutieren sollen.
Um diese Idee Architektur werden zu lassen, sind indes einige Punkte durchaus zu beachten. Klar sein dürfte, dass der Raum kein Neben- , sondern ein Miteinander der Religionen vorsehen sollte. Aber dann: Welche Art von Identität soll er stiften? Kann es ein Problem darstellen, dass darin den Gläubigen ein Platz geschaffen wird, um sie als Gläubige erkennund sichtbar zu machen, um sie also als Gruppe von der säkularen Gesellschaft abzusondern? Ein "Raum der Stille" ist ja mehr als ein überkonfessioneller Ort, er stellt der Gesellschaft die Gretchenfrage: Wie hältst du's mit der Religion? Lädt er also auch jene ein, die sich als Nichtgläubige beschreiben? Mit anderen Worten: Leistet die Architektur einen Beitrag zur Aufklärung, hilft sie, Religion zu (re)integrieren, ihre Versöhnbarkeit mit einer säkularen Gesellschaft herzustellen?
Glaube ist unter den Bedingungen der säkularen Welt zunehmend individuell, er verdichtet sich in religionsübergreifenden Milieus ebenso wie in traditionell geprägten Institutionen. Das Neben- und Miteinander individueller Religiosität, von Religionsgemeinschaften und Konfessionen drängt dabei zunehmend in gestaltete, auch in gemeinsam genutzte Räume. Die vorgestellten Fallbeispiele - das Haus der Religionen in Bern etwa, das Haus der Stille auf dem Westend-Campus der Frankfurter Universität oder The House of One in Berlin - sind zwar auf der Suche nach dem Gelingen eines multireligiösen Miteinanders durch formidable Architekturen. Aber sie setzen sich auch mit dem potentiellen Misslingen auseinander: etwa wenn Nutzungskonzepte unausgereift zwischen einem vermeintlich kleinsten gemeinsamen Nenner von "Spiritualität" und Option zur religionsspezifischen Liturgie changieren oder Konzepte zur wechselseitigen Nutzung fehlen. Beklagt wird, dass nicht nur Institutionen bei der Schaffung multireligiöser Räume häufig an Professionalität fehlen lassen, etwa wenn Abstellkammern oder ungenutzte periphere Räume mit wenig Liebe und gestalterischer Phantasie zum "Raum der Stille" deklariert werden. Auch die Wissenschaft biete bislang in dieser Thematik zu wenig Orientierung. Der Soziologe Markus Schroer weist auf die Ambivalenz hin, dass die klassischen Kirchen oft in säkulare Räume (aus)wandern, während die Künste verstärkt in religiöse Räume kommen. Damit spricht er implizit ein Paradox an: Vielfach wird erwartet, dass religiös genutzte Räume "unalltäglich" sind, die Menschen zu sich selbst, zu anderen und darin auch zu Gott finden lassen. Zugleich aber bedienen sich vor allem Museen in einer zunehmend profanierten Welt gerne einer als sakral empfundenen Architektursprache. Derart mit Zitaten aus der Kirchenbaukunst geschmückt, atmen sie als Kathedralen der Kunst längst überalltägliche Atmosphäre. Spricht also alles dafür, möglichst neutrale Raumcontainer zu kreieren?
Eine Antwort auf diese Frage gibt das Buch nicht. Will es auch nicht geben - zu Recht. Denn Widersprüche sind hier immanent. Multireligiöse Räume benötigen gewissermaßen einen hohen Abstraktionsgrad, weil sie unterschiedliche Bedeutungsebenen schichten, unseren Erfahrungshorizont brechen, weil sie historische Bezüge und Erinnerungen als Vergewisserung einer Glaubensgeschichte herstellen sollen. Zugleich möchten sie als Sonderheit wirken, durch Materialität, Lichtführung, Dimensionierung und Akustik jenes unerklärliche Erhabenheitsgefühl befördern, das ein transzendentes Übersteigen des eigenen Ich ermöglicht. Womöglich aber sollte man diese Räume nicht zu sehr mit Bedeutung aufladen.
ROBERT KALTENBRUNNER.
Bärbel Beinhauer-Köhler, Mirko Roth und Bernadette Schwarz-Boenneke (Hrsg.): "Viele Religionen - ein Raum!?" Analysen, Diskussionen und Konzepte. Frank & Timme Verlag, Berlin 2015. 240 S., br., 24,80 [Euro].
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