Inspiriert durch die knapp 150 Kassetten, die ihre blinde, 90-jährige Großmutter am Ende ihres Lebens über ihr gesamtes Leben besprochen hat, verfasste Alexa Hennig von Lange die drei Bände der Heimkehr-Trilogie.
Die Autorin berichtet in einem Interview, dass die Großmutter ihre Lebenserinnerungen
detailliert beschreibt, die Jahre ihrer Kindheit in der Kaiserzeit, die Weimarer Republik, die…mehrInspiriert durch die knapp 150 Kassetten, die ihre blinde, 90-jährige Großmutter am Ende ihres Lebens über ihr gesamtes Leben besprochen hat, verfasste Alexa Hennig von Lange die drei Bände der Heimkehr-Trilogie.
Die Autorin berichtet in einem Interview, dass die Großmutter ihre Lebenserinnerungen detailliert beschreibt, die Jahre ihrer Kindheit in der Kaiserzeit, die Weimarer Republik, die Weltwirtschaftskrise, den Beginn des zweiten Weltkriegs, den Krieg, die Nachkriegszeit, die Flucht in den Westen und den Aufbau ihres neuen Lebens in der Bundesrepublik. Was für ein Schatz, aus erster Hand Zugang zu diesem langen Leben voller Erfahrungen, Erinnerungen, Träumen und Wünschen zu bekommen und was für eine unglaubliche Möglichkeit als Enkelin und Autorin in dieses Leben einzutauchen und die Inhalte zu verwenden.
Sicherlich wäre die tatsächliche Veröffentlichung von Ausschnitten der Aufnahmen der Großmutter ein Geschenk und ein wichtiger Beitrag zum Verständnis der Zeit, O-Töne aus der Vergangenheit aus dem Blickwinkel einer klugen und reflektierenden Frau – was für eine grandiose Vorstellung!
Nichtsdestotrotz, aus diesen Audios jedenfalls verfasst Hennig von Lange die Heimkehr-Trilogie, einen Roman in drei Teilen, eine Fiktionalisierung der Lebensgeschichte einer Frau, Mutter, Geliebten, Heimleiterin, keine Biografie der Großmutter.
Im Zentrum steht Klara, eine junge Hauswirtschafterin, die in einem Kindererholungsheim kranke Mädchen aus schwierigen Verhältnissen betreut und ein jüdisches Waisenkind, Tolla, vorerst rettet und es als ihre eigene Tochter ausgibt. Die Zeit schreitet voran, von den späten 1920-ern des ersten Bandes befinden wir uns nun, im dritten Band „Vielleicht können wir glücklich sein“ in den 1940-ern des zweiten Weltkriegs.
Klara hat mittlerweile vier eigene Kinder, ihr Mann kämpft an der Front und sie tut alles, um für die Kinder da zu sein und ihr Leben den Umständen entsprechend glücklich zu gestalten. Aber Schuldgefühle bezüglich Tolla, die sie weggeben hat, verfolgen sie und sie muss mit ihrer persönlichen Geschichte, ihrer Schuld, ihren verlorenen Träumen und Hoffnungen leben.
Auf der zweiten Zeitebene erleben wir die Enkelin Isabell, mittlerweile selbst Mutter, die sich die Tonbandkassetten ihrer Großmutter anhört und mit ihnen auseinandersetzt, sich dabei der unbekannten und strengen Frau weiter annähert, sie zu verstehen sucht. Sie hinterfragt ihre eigene Abstammung, taucht in die Vergangenheit ein und verbindet sich mit ihrer Großmutter und deren Geschichte emotional.
Es geht in dieser Trilogie um eine Annäherung an die Zeit des Nationalsozialismus‘ und ihre Auswirkungen auf den Einzelnen, Folgen und unterschiedliche Reaktionen, das große Schweigen über die Schrecken des Krieges und die eigene Beteiligung oder sogar Schuld, das Unverständnis der Nachgeborenen. Die Generation der Enkelin nähert sich hierbei der Großmutter an und aus Distanz und Unverständnis erwächst langsam eine Nähe, ein Verständnis und eine Auseinandersetzung mit den Schrecken, die keiner wirklich nachvollziehen kann, der diese Zeit nicht selbst erlebt hat.
Verstrickungen mit dem politischen System werden deutlich und es geht immer wieder um den inneren Zwiespalt, wie sich ein Mensch in einer besonderen Situation entscheidet, verhält und wie er auch über sich selbst in Ausnahmesituationen hinauswachsen kann.
Eine Leseempfehlung besonders auch für junge Menschen, denen diese Zeiten noch ferner sind, denn durch die Augen der Enkelin, die in der Gegenwart verankert ist, dürfen wir zu Erkenntnis, Verständnis und emotionaler Öffnung gelangen.