In 25 Erzählungen - mal nachdenklich-tiefgründig, mal ironisch-nachsichtig - nimmt Gabriele Wohmann die "verschlungenen Beziehungsgeflechte" zwischen Männern und Frauen unter die Lupe. Es gelingt ihr dabei, die "verborgenen Mechanismen" unseres alltäglichen Zusammenlebens aufzudecken. Da ist zum Beispiel der verklemmte Vater, der sich in die verführerische Freundin seines mißratenen Sohnes verliebt. Oder die Studentin, die von der souveränen Ehefrau ihres geliebten Professors eiskalt abserviert wird. "Gabriele Wohmann fängt virtuos die alltägliche Selbstinszenierung der 'unglücklich glücklichen' Durchschnittsmenschen ein." (Mannheimer Morgen.)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.12.1997Geschnatter der lieben Familie
Selbsttätige Bosheit: Gabriele Wohmanns neue Erzählungen
Es ist bereits eine Weile her, daß die Erzählungen Gabriele Wohmanns das leidenschaftliche Für und Wider der Kritik herausforderten. Das handwerkliche Können der Geschichtenerzählerin wurde immer wieder bestätigt, nicht weniger allerdings auch der Verdacht der "beliebigen Machbarkeit" (Hans Mayer). Wer heute die Veröffentlichungen der Autorin zählen wollte, käme ohne Taschenrechner nicht mehr aus; es dürften mittlerweile weit über hundert Titel sein. Die unentwegte Produktion der "Graphomanin" (so ein Wort der Autorin) ist allerdings an eine Ökonomie der Beschränkung gebunden: Das Repertoire, die Motive und Figurenkonstellationen sind begrenzt, jedes weitere Stück erweist sich als fortgesetzte Improvisation mit vertrautem Material.
Auch wer den neuen Band mit fünfundzwanzig Erzählungen aufschlägt, befindet sich sogleich auf vertrautem Gelände: "Verschwitzt und zerzaust kehrte Timon zu den Frauen zurück. Verdächtig abrupt brachen sie ihr eifriges Geschnatter ab . . . Die drei unter der Markise . . . gehorchten ihren kreatürlichen weiblichen Mechanismen. Frauenart, typisch und insofern immer auch ein wenig verdächtig. Einerseits waren Frauen leicht zu durchschauen, andererseits kam man nie ganz hinter ihr Geheimnis."
So der Anfang der ersten Erzählung "Halterlose Strümpfe". Mit dem zweiten Satz schon rückt die Erzählstimme ein in die übliche Wohmannsche Figurenperspektive, geht dann über zur erlebten Rede, jener von der Autorin exzessiv genutzten Form, die Räsonnement und Ressentiment zugleich zum Ausdruck bringt. Und schon ist sie da, die Verspannung einer Ehe.
Timon ist ein älterer Anglistikprofessor; unter der Markise sitzt seine zweite Frau Herta mit zwei neuen Freundinnen. Der Ästhet Timon genießt die Anwesenheit der beiden attraktiven jungen Frauen, sie sind ihm ein vitalisierender "Augenschmaus". Herta dagegen fühlt sich gekränkt und sinnt auf eine kleine Rache. Sie kennt die Schwachstelle ihres Mannes, seine Tochter Lora aus erster Ehe, die alles Augenschmaushafte vermissen läßt: "Er sah sie in ihren schlabbrigen schiefhängenden Kleidern, unter denen sie vermutlich ebenfalls schlabbrig war, und hörte ihre unermüdliche laute Stimme aufgeregt mit den Kindern verhandeln." Erst recht diese Kinder, seine Enkelkinder, erscheinen ihm unzulänglich: zwei "mickrige Lebewesen" mit den "Gesichtern kleiner Affen". Die Tochter bewirtschaftet ein Ausflugslokal; dorthin fährt Herta mit Timon am nächsten Tag unter einem Vorwand. Ohne sein Wissen hat sie auch die beiden Schönen herbestellt, und der Ästhet muß sich vor ihnen unter Krämpfen der Peinlichkeit zu seinem unansehnlichen Nachwuchs bekennen.
In dieser Art schildern auch die anderen Erzählungen wieder die "gleichsam selbsttätige Bosheit" im Leben von Paaren und Familien. Man geht sich auf die Nerven, und man braucht sich doch. Zusammengehörigkeit zeigt sich noch darin, daß man einander mit routinierter Gehässigkeit beobachtet. Die dargestellte Erzählung wie auch das wohl beste Stück des Bandes, die Titelgeschichte "Vielleicht versteht er alles", zeichnen sich dadurch aus, daß sie die boshaft-amüsierte Perspektive auf die nächsten Angehörigen in den Rahmen einer überzeugenden story einbinden. Wo dies nicht gelingt, wo auch die Schlußpointe mißglückt, etwa in der Geschichte "Familienfrieden", stellt sich leicht ein etwas fader Geschmack von Klatsch ein, aus dem dann doch keine Kunst geworden ist.
Wie begrenzt das Feld ist, auf dem sich die Erzählkunst Gabriele Wohmanns entfalten kann, zeigt sich, wenn die Autorin einmal ohne die familiären Verstrickungen auszukommen versucht, auf die ihre psychologische Darstellungsweise angewiesen ist. In der längsten Erzählung, "Lichtenberg en famille", bereitet sich eine Schriftstellerin auf einen Lichtenberg-Vortrag vor; die Plaudereien über den berühmten Autor bewegen sich oft scharf am Rand der Trivialität: Lichtenberg habe "lange Briefe an Goethe geschrieben. Stell dir vor, Menschen wie diese zwei und nimm noch Kant und was weiß ich wen hinzu, die haben sich Briefe geschrieben. Wie gut, daß es damals noch kein Telefon gab." Diesem Werkstattbericht fehlt jeder Biß, er plänkelt dahin, das Beste sind die Lichtenberg-Zitate.
Mehr noch als bisher zeigt sich Gabriele Wohmann von der angelsächsischen Tradition der short story beeinflußt. Mit der Liebe zum Angelsächsischen kann es jedoch nicht entschuldigt werden, wenn ihre neue Prosa in nicht wenigen Passagen nach einer lieblosen Übersetzung klingt: "Täglich eskalierte dann im Juli die Hitze . . . das Au-pair-Mädchen eskalierte mit der Hitze zur Familienangehörigen." Der Satzbau ist gelegentlich eigenwillig: "Sie aßen ein Vanille-Dessert in den Sesseln, die kinomäßig zum Fernsehapparat standen, und während die Tagesschau lief." Diese zahlreichen Flüchtigkeiten und der Umstand, daß zu viele schwache Erzählungen in die Sammlung aufgenommen wurden, drücken die Qualität des Buches erheblich. Wieder ist das Talent der Geschichtenerzählerin erkennbar geworden, und wieder hat das "beliebige" Produzieren der Vielschreiberin enttäuscht. WOLFGANG SCHNEIDER
Gabriele Wohmann: "Vielleicht versteht er alles". Erzählungen. Piper Verlag, München 1997. 304 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Selbsttätige Bosheit: Gabriele Wohmanns neue Erzählungen
Es ist bereits eine Weile her, daß die Erzählungen Gabriele Wohmanns das leidenschaftliche Für und Wider der Kritik herausforderten. Das handwerkliche Können der Geschichtenerzählerin wurde immer wieder bestätigt, nicht weniger allerdings auch der Verdacht der "beliebigen Machbarkeit" (Hans Mayer). Wer heute die Veröffentlichungen der Autorin zählen wollte, käme ohne Taschenrechner nicht mehr aus; es dürften mittlerweile weit über hundert Titel sein. Die unentwegte Produktion der "Graphomanin" (so ein Wort der Autorin) ist allerdings an eine Ökonomie der Beschränkung gebunden: Das Repertoire, die Motive und Figurenkonstellationen sind begrenzt, jedes weitere Stück erweist sich als fortgesetzte Improvisation mit vertrautem Material.
Auch wer den neuen Band mit fünfundzwanzig Erzählungen aufschlägt, befindet sich sogleich auf vertrautem Gelände: "Verschwitzt und zerzaust kehrte Timon zu den Frauen zurück. Verdächtig abrupt brachen sie ihr eifriges Geschnatter ab . . . Die drei unter der Markise . . . gehorchten ihren kreatürlichen weiblichen Mechanismen. Frauenart, typisch und insofern immer auch ein wenig verdächtig. Einerseits waren Frauen leicht zu durchschauen, andererseits kam man nie ganz hinter ihr Geheimnis."
So der Anfang der ersten Erzählung "Halterlose Strümpfe". Mit dem zweiten Satz schon rückt die Erzählstimme ein in die übliche Wohmannsche Figurenperspektive, geht dann über zur erlebten Rede, jener von der Autorin exzessiv genutzten Form, die Räsonnement und Ressentiment zugleich zum Ausdruck bringt. Und schon ist sie da, die Verspannung einer Ehe.
Timon ist ein älterer Anglistikprofessor; unter der Markise sitzt seine zweite Frau Herta mit zwei neuen Freundinnen. Der Ästhet Timon genießt die Anwesenheit der beiden attraktiven jungen Frauen, sie sind ihm ein vitalisierender "Augenschmaus". Herta dagegen fühlt sich gekränkt und sinnt auf eine kleine Rache. Sie kennt die Schwachstelle ihres Mannes, seine Tochter Lora aus erster Ehe, die alles Augenschmaushafte vermissen läßt: "Er sah sie in ihren schlabbrigen schiefhängenden Kleidern, unter denen sie vermutlich ebenfalls schlabbrig war, und hörte ihre unermüdliche laute Stimme aufgeregt mit den Kindern verhandeln." Erst recht diese Kinder, seine Enkelkinder, erscheinen ihm unzulänglich: zwei "mickrige Lebewesen" mit den "Gesichtern kleiner Affen". Die Tochter bewirtschaftet ein Ausflugslokal; dorthin fährt Herta mit Timon am nächsten Tag unter einem Vorwand. Ohne sein Wissen hat sie auch die beiden Schönen herbestellt, und der Ästhet muß sich vor ihnen unter Krämpfen der Peinlichkeit zu seinem unansehnlichen Nachwuchs bekennen.
In dieser Art schildern auch die anderen Erzählungen wieder die "gleichsam selbsttätige Bosheit" im Leben von Paaren und Familien. Man geht sich auf die Nerven, und man braucht sich doch. Zusammengehörigkeit zeigt sich noch darin, daß man einander mit routinierter Gehässigkeit beobachtet. Die dargestellte Erzählung wie auch das wohl beste Stück des Bandes, die Titelgeschichte "Vielleicht versteht er alles", zeichnen sich dadurch aus, daß sie die boshaft-amüsierte Perspektive auf die nächsten Angehörigen in den Rahmen einer überzeugenden story einbinden. Wo dies nicht gelingt, wo auch die Schlußpointe mißglückt, etwa in der Geschichte "Familienfrieden", stellt sich leicht ein etwas fader Geschmack von Klatsch ein, aus dem dann doch keine Kunst geworden ist.
Wie begrenzt das Feld ist, auf dem sich die Erzählkunst Gabriele Wohmanns entfalten kann, zeigt sich, wenn die Autorin einmal ohne die familiären Verstrickungen auszukommen versucht, auf die ihre psychologische Darstellungsweise angewiesen ist. In der längsten Erzählung, "Lichtenberg en famille", bereitet sich eine Schriftstellerin auf einen Lichtenberg-Vortrag vor; die Plaudereien über den berühmten Autor bewegen sich oft scharf am Rand der Trivialität: Lichtenberg habe "lange Briefe an Goethe geschrieben. Stell dir vor, Menschen wie diese zwei und nimm noch Kant und was weiß ich wen hinzu, die haben sich Briefe geschrieben. Wie gut, daß es damals noch kein Telefon gab." Diesem Werkstattbericht fehlt jeder Biß, er plänkelt dahin, das Beste sind die Lichtenberg-Zitate.
Mehr noch als bisher zeigt sich Gabriele Wohmann von der angelsächsischen Tradition der short story beeinflußt. Mit der Liebe zum Angelsächsischen kann es jedoch nicht entschuldigt werden, wenn ihre neue Prosa in nicht wenigen Passagen nach einer lieblosen Übersetzung klingt: "Täglich eskalierte dann im Juli die Hitze . . . das Au-pair-Mädchen eskalierte mit der Hitze zur Familienangehörigen." Der Satzbau ist gelegentlich eigenwillig: "Sie aßen ein Vanille-Dessert in den Sesseln, die kinomäßig zum Fernsehapparat standen, und während die Tagesschau lief." Diese zahlreichen Flüchtigkeiten und der Umstand, daß zu viele schwache Erzählungen in die Sammlung aufgenommen wurden, drücken die Qualität des Buches erheblich. Wieder ist das Talent der Geschichtenerzählerin erkennbar geworden, und wieder hat das "beliebige" Produzieren der Vielschreiberin enttäuscht. WOLFGANG SCHNEIDER
Gabriele Wohmann: "Vielleicht versteht er alles". Erzählungen. Piper Verlag, München 1997. 304 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main