Produktdetails
- Edition Qwert Zui Opü
- Verlag: Galrev
- 1999.
- Seitenzahl: 164
- Deutsch
- Abmessung: 220mm
- Gewicht: 374g
- ISBN-13: 9783933149190
- ISBN-10: 3933149193
- Artikelnr.: 22909002
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2000Halbgefroren
Aus der Sprachmülltonne: Ulrich Ziegers "Vier Hefte"
Allerweltsweisheiten sind die Sperrmüllsammlungen, aus denen sich Sprachbastler bedienen. Das ganze Gerümpel aus billigen Sprüchen und ungefragt erteilten Ratschlägen steht ja nur so herum wie ausgemistetes Mobiliar. Natürlich wird dieses Strandgut des Alltags nicht dadurch schön, daß man es ausrangiert hat. Dem Passanten, der sein Herz an kleine Irritationen zu verlieren bereit ist, taugt es trotzdem. Mitnehmen, aufbewahren, mal sehen, was draus wird.
Die Kiste, in der Ulrich Zieger seine zusammengetragenen Sprachteile aufbewahrt, hat mit dem jetzt veröffentlichten schmalen Bändchen bestimmt nicht alle ihre Schätze preisgegeben. Die Texte folgen keinem Programm außer jenem, immer wieder deutlich zu machen, daß sie nicht Welt, sondern Sprache sind. Weder das Genre noch die Machart ist den Stücken gemeinsam. Ein Episoden-Dramolett mit dem schicken Titel "über die mandelbrotmenge", dessen Szenen gut die Hälfte des Buches füllen, wird umrahmt von einem Prosatext und zwei Gedichtreihen. Der Auftritt ist von kartonierter Sprödigkeit und verweist allein auf sich selbst. "Vier Hefte" sind vier Hefte. Mehr nicht. Keine Anspielung auf Valérys "Cahiers", auch kein wüstes graphomanes Gekritzel. Hauptsächlich zwei Rezepte kennt die gegenwärtige Poetik, wenn sie der Literatursprache neue Intensität geben will. Entweder setzt sie auf exquisite Beschreibungskunst. Oder sie peppt ihren Tonfall mit flapsigem Mainstream auf und gibt zu erkennen, daß ihr die magischen Kanäle der Medienwelt vertraute Gewässer sind. Nichts davon bei Ulrich Zieger, oder genauer: von beidem ein bißchen, aber nicht viel. Kein Kunst sprengendes Abfeiern der Konsumwelt, aber auch kein Abschildern dingnaher Konkretion. Bevor die Atmosphäre einer realen Situation entstehen könnte, funkt meist schon eine Redefloskel dazwischen. "der regen wollte ich vorgestern schreiben / hat wieder viel wasser geworfen / es rann von autodächern und an den vitrinen / in der innenstadt herab es zerrannen die bilder."
Seit Brecht dokumentieren die Städtebewohner in ihren Lesebüchern gerne, wie sie die Spuren verwischen. Im ersten Heft geht es um das Gespräch zweier über einen abwesenden Dritten, der, wie sich abzeichnet, nicht nur inkognito bleiben wird, sondern vielleicht gar nicht existiert. "Womöglich reden wir nicht einmal jetzt von derselben Person . . .". "Ich fragte Sie nach Wissowa." "Was soll mir dieser Name bedeuten, wo er sich mir gegenüber ganz anders genannt haben könnte. Er hat über längere Zeiträume einsilbige Namen, etwa Gmünd oder Kloß gebraucht, woran hätte ich ihn da erkennen sollen . . ."
Wer nicht als Don Quijote der kommunikativen Vernunft durch die Lande zieht, kann nicht umhin, die Phrasendreschflegel als das zu betrachten, was sie sind, eben als klappernde und Wind machende Gebilde. Wie sollte man da noch die sprühende Spreu vom Weizen der Weisheit trennen? Auch die große Verweigerung ist nicht mehr das, was sie einmal war. Welchen Schlag der negativen Dialektik etwa das schnurlose Telefon versetzt, zeigt sich im zwischenmenschlichen Bereich des Beziehungskrisengesprächs: "nein, ich lege nicht auf . . . bei einem solchen telefon kann man gar nicht auflegen. man sagt nur bitte leg nicht auf, weil ausschalten so hoffnungslos klingt. wir schalten nie aus . . ."
Die Nähe des Sentenziösen, gewollt Sinnhaften zum Geblödel beruht hier darauf, daß beide ihre Kreise nicht nur auf spiegelglatter, sondern überdies abschüssiger Eisfläche drehen: Denn schief sind alle Vergleiche. Eine im Dramolett schmucklos als "erster herr" titulierte Figur stellt ihre diesbezüglichen Kapazitäten durch folgenden "aphorismus" heraus: "nichts gefrorenes ist mir fremd. ich verabscheue persönlich nur das halbgefrorene und darunter an erster stelle fürst pückler." Zwei andere Figuren heißen "sand" und "frau sand", und natürlich zerrieselt ihnen das Leben nur so zwischen den Händen, wie Frau Sand beklagt. "sand, sand, mein lieber, dein ganzes geld ist alle, unsere ehe ist zerrüttet, ich kann dich länger zu nichts zwingen . . . mein leben zerrann." Darauf der Angesprochene: "das weiß ich doch selber." Ganz im Geiste barocker Weltentsagung ist hier festzustellen: Alles ist eitel.
Ziegers Wühlen im Sperrmüll der Sprache fördert etwas zutage, das sich gegenüber aller Kommunikation als resistent erweist; nennen wir es der Einfachheit halber Poesie, jenseits aller Gattungsfragen. Mancher Text in diesen vier Heften hat etwas von dem, was an Gedichten schön ist, gut tut und frei macht. Die weggelassene Plausibilität zum Beispiel. Sind Sätze Denk-Stücke, so wollen wir sie auch stückweise sehen. Ohne üble Vor- oder Nachrede. Eine Zeile in dem Gedicht "über den winter" lautet: "es geben jetzt viele auf." Das kann man wohl sagen, aber eben nur, wenn man es so sagt. "Was man so spricht, sind doch nur Worte", wußte schon Robert Musil. Zieger würde altklug hinzusetzen: "das ist wie mit den zähnen, wenn sie heraus sind, ist der mund leer."
ALEXANDER HONOLD
Ulrich Zieger: "Vier Hefte". Edition qwert zui opü. Druckhaus Galrev, Berlin 1999. 168 S., geb., 30,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Aus der Sprachmülltonne: Ulrich Ziegers "Vier Hefte"
Allerweltsweisheiten sind die Sperrmüllsammlungen, aus denen sich Sprachbastler bedienen. Das ganze Gerümpel aus billigen Sprüchen und ungefragt erteilten Ratschlägen steht ja nur so herum wie ausgemistetes Mobiliar. Natürlich wird dieses Strandgut des Alltags nicht dadurch schön, daß man es ausrangiert hat. Dem Passanten, der sein Herz an kleine Irritationen zu verlieren bereit ist, taugt es trotzdem. Mitnehmen, aufbewahren, mal sehen, was draus wird.
Die Kiste, in der Ulrich Zieger seine zusammengetragenen Sprachteile aufbewahrt, hat mit dem jetzt veröffentlichten schmalen Bändchen bestimmt nicht alle ihre Schätze preisgegeben. Die Texte folgen keinem Programm außer jenem, immer wieder deutlich zu machen, daß sie nicht Welt, sondern Sprache sind. Weder das Genre noch die Machart ist den Stücken gemeinsam. Ein Episoden-Dramolett mit dem schicken Titel "über die mandelbrotmenge", dessen Szenen gut die Hälfte des Buches füllen, wird umrahmt von einem Prosatext und zwei Gedichtreihen. Der Auftritt ist von kartonierter Sprödigkeit und verweist allein auf sich selbst. "Vier Hefte" sind vier Hefte. Mehr nicht. Keine Anspielung auf Valérys "Cahiers", auch kein wüstes graphomanes Gekritzel. Hauptsächlich zwei Rezepte kennt die gegenwärtige Poetik, wenn sie der Literatursprache neue Intensität geben will. Entweder setzt sie auf exquisite Beschreibungskunst. Oder sie peppt ihren Tonfall mit flapsigem Mainstream auf und gibt zu erkennen, daß ihr die magischen Kanäle der Medienwelt vertraute Gewässer sind. Nichts davon bei Ulrich Zieger, oder genauer: von beidem ein bißchen, aber nicht viel. Kein Kunst sprengendes Abfeiern der Konsumwelt, aber auch kein Abschildern dingnaher Konkretion. Bevor die Atmosphäre einer realen Situation entstehen könnte, funkt meist schon eine Redefloskel dazwischen. "der regen wollte ich vorgestern schreiben / hat wieder viel wasser geworfen / es rann von autodächern und an den vitrinen / in der innenstadt herab es zerrannen die bilder."
Seit Brecht dokumentieren die Städtebewohner in ihren Lesebüchern gerne, wie sie die Spuren verwischen. Im ersten Heft geht es um das Gespräch zweier über einen abwesenden Dritten, der, wie sich abzeichnet, nicht nur inkognito bleiben wird, sondern vielleicht gar nicht existiert. "Womöglich reden wir nicht einmal jetzt von derselben Person . . .". "Ich fragte Sie nach Wissowa." "Was soll mir dieser Name bedeuten, wo er sich mir gegenüber ganz anders genannt haben könnte. Er hat über längere Zeiträume einsilbige Namen, etwa Gmünd oder Kloß gebraucht, woran hätte ich ihn da erkennen sollen . . ."
Wer nicht als Don Quijote der kommunikativen Vernunft durch die Lande zieht, kann nicht umhin, die Phrasendreschflegel als das zu betrachten, was sie sind, eben als klappernde und Wind machende Gebilde. Wie sollte man da noch die sprühende Spreu vom Weizen der Weisheit trennen? Auch die große Verweigerung ist nicht mehr das, was sie einmal war. Welchen Schlag der negativen Dialektik etwa das schnurlose Telefon versetzt, zeigt sich im zwischenmenschlichen Bereich des Beziehungskrisengesprächs: "nein, ich lege nicht auf . . . bei einem solchen telefon kann man gar nicht auflegen. man sagt nur bitte leg nicht auf, weil ausschalten so hoffnungslos klingt. wir schalten nie aus . . ."
Die Nähe des Sentenziösen, gewollt Sinnhaften zum Geblödel beruht hier darauf, daß beide ihre Kreise nicht nur auf spiegelglatter, sondern überdies abschüssiger Eisfläche drehen: Denn schief sind alle Vergleiche. Eine im Dramolett schmucklos als "erster herr" titulierte Figur stellt ihre diesbezüglichen Kapazitäten durch folgenden "aphorismus" heraus: "nichts gefrorenes ist mir fremd. ich verabscheue persönlich nur das halbgefrorene und darunter an erster stelle fürst pückler." Zwei andere Figuren heißen "sand" und "frau sand", und natürlich zerrieselt ihnen das Leben nur so zwischen den Händen, wie Frau Sand beklagt. "sand, sand, mein lieber, dein ganzes geld ist alle, unsere ehe ist zerrüttet, ich kann dich länger zu nichts zwingen . . . mein leben zerrann." Darauf der Angesprochene: "das weiß ich doch selber." Ganz im Geiste barocker Weltentsagung ist hier festzustellen: Alles ist eitel.
Ziegers Wühlen im Sperrmüll der Sprache fördert etwas zutage, das sich gegenüber aller Kommunikation als resistent erweist; nennen wir es der Einfachheit halber Poesie, jenseits aller Gattungsfragen. Mancher Text in diesen vier Heften hat etwas von dem, was an Gedichten schön ist, gut tut und frei macht. Die weggelassene Plausibilität zum Beispiel. Sind Sätze Denk-Stücke, so wollen wir sie auch stückweise sehen. Ohne üble Vor- oder Nachrede. Eine Zeile in dem Gedicht "über den winter" lautet: "es geben jetzt viele auf." Das kann man wohl sagen, aber eben nur, wenn man es so sagt. "Was man so spricht, sind doch nur Worte", wußte schon Robert Musil. Zieger würde altklug hinzusetzen: "das ist wie mit den zähnen, wenn sie heraus sind, ist der mund leer."
ALEXANDER HONOLD
Ulrich Zieger: "Vier Hefte". Edition qwert zui opü. Druckhaus Galrev, Berlin 1999. 168 S., geb., 30,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Wortgebilde, Phrasen, Sprachmüll: mit solchen Begriffen etikettiert Alexander Honold die vier zu einem Band zusammengefassten Texte von Ulrich Zieger. Ein Episoden-Dramolett, ein Prosatext und zwei Gedichtreihen, da passt eigentlich nichts zusammen, meint Honold, dem das Plündern dieses Büchleins dennoch viel Spaß gemacht hat. Er stieß dabei auf eine gewisse Neigung des Autors zum Sentenziösen, zum Sprachulk, der sich vor allem einer Methode bedient: "schräg sind alle Vergleiche". Des weiteren förderte Honold zutage: echte Poesie und eine fehlende Verpflichtung zur Plausibilität, was dem Rezensenten im positiven Sinne zu denken gibt. Er vermeldet "kein Kunst sprengendes Abfeiern der Konsumwelt, aber auch kein Abschildern dingnaher Konkretion", da kann der Rezensent beruhigt aufatmen, obwohl der Autor zwischenzeitlich wieder einen seiner Pfeile mit tiefsinnigen Sentenzen auf ihn losgeschossen hat: "das ist wie mit den zähnen, wenn sie heraus sind, ist der mund leer".
© Perlentaucher Medien GmbH
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