Schule und erste Liebe - Lesestoff für schulfreie Tage!
Der erste Schultag. Zwei Wochen vor den Sommerferien ist Beh krank geworden und konnte nicht mit den anderen in den Urlaub fahren. Als das neue Schuljahr anfängt, hat sie alle acht Wochen lang nicht gesehen. Viel ist passiert, ihre Freundinnen haben neue Leute kennengelernt und Geschichten zu erzählen. Beh dagegen war nur zu Hause. Aber eigentlich war da mehr, von dem ihre Freundinnen nichts wissen. Zu Hause liegt eine Postkarte für sie im Briefkasten, in der Stadt gibt es ein Zimmer mit blauen Wänden, da ist ein Hund, ein Mädchen mit Schwimmflügeln und lauter Orte, die Beh bis zum Abend noch fotografieren wird, weil ihnen etwas fehlt. Und als Beh am Ende des Tages ihre Zimmertür schließt, hat sie auch jemand bei ihrem vollen Namen genannt.
Meisterhaft erzählt - dicht und spannungsreich! Nominiert von der Jugendjury des Deutschen Jugendliteraturpreises!
Der erste Schultag. Zwei Wochen vor den Sommerferien ist Beh krank geworden und konnte nicht mit den anderen in den Urlaub fahren. Als das neue Schuljahr anfängt, hat sie alle acht Wochen lang nicht gesehen. Viel ist passiert, ihre Freundinnen haben neue Leute kennengelernt und Geschichten zu erzählen. Beh dagegen war nur zu Hause. Aber eigentlich war da mehr, von dem ihre Freundinnen nichts wissen. Zu Hause liegt eine Postkarte für sie im Briefkasten, in der Stadt gibt es ein Zimmer mit blauen Wänden, da ist ein Hund, ein Mädchen mit Schwimmflügeln und lauter Orte, die Beh bis zum Abend noch fotografieren wird, weil ihnen etwas fehlt. Und als Beh am Ende des Tages ihre Zimmertür schließt, hat sie auch jemand bei ihrem vollen Namen genannt.
Meisterhaft erzählt - dicht und spannungsreich! Nominiert von der Jugendjury des Deutschen Jugendliteraturpreises!
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Friedtjof Küchemann stößt auf einen Glücksfall mit Tamara Bachs Jugendbuch. Das auszudrücken, was schwer in Worte zu fassen ist, gelingt der Autorin hier laut Rezensent auf hundert Seiten immer wieder. Es geht um den ersten Schultag eines 14 Jahre alten Mädchens nach den großen Ferien und doch um viel mehr, meint Küchemann, der nur staunen kann, wie einfach und zugleich weitreichend diese Geschichte ist und wie die Autorin es versteht, Gefühle und Erwartungen beim Leser hervorzurufen, dass es fast eine Sehnsucht ist. Diese Erwartungen und Leerstellen, mit denen Bach arbeitet, scheinen ihm die Nöte der Pubertät gut abzubilden und was es heißt, wenn der Vater eine Neue hat oder einem jemand eine Postkarte schreibt, an die man sich im Schlaf schmiegt wie an einen Schatz.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2016Vorgestern bist du geküsst worden
Die Freundinnen, die Eltern: Tamara Bach schickt eine Vierzehnjährige durchs Dickicht der Erwartungen. Mit überraschender Eindringlichkeit.
Von Fridtjof Küchemann
Zum Glück muss man nicht gleich schweigen über das, wovon man nicht sprechen kann. Es gibt immer noch die Künste, Bilder, die Bühne, die Musik, wenn es schwer wird mit der Sprache. Zuweilen ist es auch ein Glücksfall, wenn Literatur sich dessen annimmt, was schwer in Worte zu fassen ist. Das Jugendbuch "Vierzehn" von Tamara Bach ist ein solches Glück. Die gerade einmal gut hundert Seiten der Geschichte umfassen einen einzigen Tag, und sie erfassen dabei doch so viel mehr, als an diesem ersten Schultag nach den Sommerferien im Leben des vierzehn Jahre alten Mädchens geschieht, das alle Beh nennen. Alle bis auf einen, und auf den kommt es an.
Anton heißt er, das immerhin erfahren die Leser zum Ende der Geschichte doch noch. Am Samstag hat er die in dieser simplen und zugleich seltsam weitreichenden Geschichte von der Autorin geduzte Hauptfigur geküsst - und ihr eine Karte geschrieben mit nur einem Satz darauf. Den aber erfahren wir Leser einfach nicht. So gerne wir auch wollten. Und das ist gut so. Genauer gesagt: Tamara Bach versteht es, ein Gefühl, eine Erwartung dieses Satzes hervorzurufen, statt seinen Wortlaut wiederzugeben, so dass der Leser regelrecht Sehnsucht nach ihm empfindet. Ein Gefühl, mit dem er der Hauptfigur letztlich so nahekommt, wie es selbst großer Literatur nur selten glückt.
Es geht um Leerstellen in "Vierzehn", und es geht um Erwartungen, dass etwas gesagt oder übergangen wird, beides Eindrücke, die in der Pubertät, wenn die sozialen Sicherheiten und Selbstverständlichkeiten der Kindheit in Frage stehen, eine nahezu schmerzliche Präsenz gewinnen können.
Die beiden letzten Schulwochen vor den Sommerferien war Beh krank. Aber dass niemand sie seitdem zu Gesicht bekommen hat, dass sie in den Sommerferien nicht verreist war, dass sie immer noch blass und schmal wirkt, hat andere Gründe. Und doch lässt sie ihre Freundinnen glauben, es habe mit ihrer Krankheit zu tun.
Überhaupt, die Freundinnen: Die eine täuscht Übelkeit vor, weil sie im Matheunterricht lieber im Krankenzimmer den neuesten Tratsch austauscht, und lässt Beh spüren, dass sie als Begleitung nur zweite Wahl gewesen ist und sich ihrer trotzdem würdig erweisen sollte. Die andere deutet immer wieder an, viel zu erzählen und noch mehr zu zeigen zu haben. Aber als sich Beh und Jeannette am Spätnachmittag im Schwimmbad treffen und die Freundin ihr den Rettungsschwimmer vorstellt, den sie neuerdings anhimmelt, nutzt der die erste Gelegenheit allein mit Beh, um sich auch an sie heranzumachen. Wovon Jeannette natürlich nichts hören will. Was Beh natürlich vorher wusste. Ohne der Freundin ersparen zu können, was sie erlebt hat, auch wenn sie weiß, dass die ihre Enttäuschung und Wut fürs Erste an ihr auslassen wird.
Manchmal muss eben etwas ausgesprochen werden, worüber es leichter wäre zu schweigen. Und manchmal ist einfach auch nichts mehr zu sagen. Selbst wenn der eigene Vater, als der erste Überraschungsbesuch in seiner neuen Wohnung eine unangenehme Wendung nimmt und Beh nur noch weg will, findet, man könne doch - ja, was eigentlich? Tamara Bach lässt diesen Satz so hilflos in der Luft hängen, wie er ist, als sich das Mädchen am Vater und seinem Abschiedsumarmungsversuch vorbei aus seiner neuen Wohnung drückt. Und wieder weiß der Leser alles, was er wissen muss. Und mehr, als er erfahren hätte, wenn die Autorin den Satz vollendet hätte.
Auch Beh weiß, was sie wissen muss. Sie hat mehr gesehen, als sie sehen wollte: nicht nur die erleichternd schmale provisorische Matratze in dem, was später einmal das Schlafzimmer sein wird. Sondern auch das blau gestrichene Zimmer mit der Borte aus kleinen Segelschiffen. Es ist für den kleinen Halbbruder, der im Januar auf die Welt kommen soll. Von dem Beh durch den zufälligen Blick in dieses Zimmer erst erfährt.
Man könne doch, man sollte doch, manchmal muss man einfach: Tamara Bach hat ein feines Gespür für die Feinheit und Unerbittlichkeit von Erwartungen, und sie hat einen wunderbaren Weg gefunden, es nicht nur auf ihre Hauptfigur zu übertragen, sondern auch gleich auf ihre Leser. Am Abendbrottisch: "Du kaust und schaust deine Mutter an. Und siehst, dass sie was weiß. Und dass du ihr jetzt sagen sollst, was sie schon weiß." Beh hatte weinen müssen, auf der nächsten Bank, nach der Flucht aus der Wohnung ihres Vaters. Jetzt kommt sie in der Geschichte von der anderen Seite in Bedrängnis: "Sie fragt dich, ob er es dir endlich gesagt hat. Was, könntest du jetzt fragen. Das musst du gar nicht. Weil sie weiterfragt, ob er dir erzählt hat, dass er eine Neue hat, mit der er jetzt auch noch ein Kind kriegt. Und sagt dir, wie lange er das schon weiß. Und wie lange er schon vorhatte, euch zu verlassen. Und wie lange das mit der Neuen schon lief. Und wie feige dein Vater ist."
Schließlich lässt die Mutter Beh sitzen. Stellt sich mit Tränen in den Augen ans Fenster, geht auf den Balkon, telefoniert erst mit ihrer besten Freundin und dann mit dem feigen Vater ihrer Tochter. Die sich bei alledem so allein fühlt, wie man sich nur fühlen kann mit vierzehn. Und sich von Antons letztlich hilflosem Anruf trösten lassen kann, davon, dass sie ein bisschen still sind miteinander, zusammen. Bis es wieder geht.
Im Kunstunterricht hat ihnen die Lehrerin eine Fotoserie namens "Schöne Orte" gezeigt: Szenerien, die einmal von Menschen gestaltet, für Menschen gedacht waren und dann offenbar von ihnen aufgegeben wurden. Kurz vor dem Schlafengehen macht Beh selbst ein solches Bild vom ehemaligen Arbeitszimmer ihres Vaters. Dann legt sie sich ins Bett mit der Postkarte, die sie von Anton bekommen hat. Mit ihrem Namen drauf und diesem einen Satz. Den man sich als Leser immer noch denken muss. Und den man sich hoffentlich gar nicht schöner denken kann.
Tamara Bach: "Vierzehn".
Carlsen Verlag, Hamburg 2016. 122 S., geb., 13,99 [Euro]. Ab 14 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Freundinnen, die Eltern: Tamara Bach schickt eine Vierzehnjährige durchs Dickicht der Erwartungen. Mit überraschender Eindringlichkeit.
Von Fridtjof Küchemann
Zum Glück muss man nicht gleich schweigen über das, wovon man nicht sprechen kann. Es gibt immer noch die Künste, Bilder, die Bühne, die Musik, wenn es schwer wird mit der Sprache. Zuweilen ist es auch ein Glücksfall, wenn Literatur sich dessen annimmt, was schwer in Worte zu fassen ist. Das Jugendbuch "Vierzehn" von Tamara Bach ist ein solches Glück. Die gerade einmal gut hundert Seiten der Geschichte umfassen einen einzigen Tag, und sie erfassen dabei doch so viel mehr, als an diesem ersten Schultag nach den Sommerferien im Leben des vierzehn Jahre alten Mädchens geschieht, das alle Beh nennen. Alle bis auf einen, und auf den kommt es an.
Anton heißt er, das immerhin erfahren die Leser zum Ende der Geschichte doch noch. Am Samstag hat er die in dieser simplen und zugleich seltsam weitreichenden Geschichte von der Autorin geduzte Hauptfigur geküsst - und ihr eine Karte geschrieben mit nur einem Satz darauf. Den aber erfahren wir Leser einfach nicht. So gerne wir auch wollten. Und das ist gut so. Genauer gesagt: Tamara Bach versteht es, ein Gefühl, eine Erwartung dieses Satzes hervorzurufen, statt seinen Wortlaut wiederzugeben, so dass der Leser regelrecht Sehnsucht nach ihm empfindet. Ein Gefühl, mit dem er der Hauptfigur letztlich so nahekommt, wie es selbst großer Literatur nur selten glückt.
Es geht um Leerstellen in "Vierzehn", und es geht um Erwartungen, dass etwas gesagt oder übergangen wird, beides Eindrücke, die in der Pubertät, wenn die sozialen Sicherheiten und Selbstverständlichkeiten der Kindheit in Frage stehen, eine nahezu schmerzliche Präsenz gewinnen können.
Die beiden letzten Schulwochen vor den Sommerferien war Beh krank. Aber dass niemand sie seitdem zu Gesicht bekommen hat, dass sie in den Sommerferien nicht verreist war, dass sie immer noch blass und schmal wirkt, hat andere Gründe. Und doch lässt sie ihre Freundinnen glauben, es habe mit ihrer Krankheit zu tun.
Überhaupt, die Freundinnen: Die eine täuscht Übelkeit vor, weil sie im Matheunterricht lieber im Krankenzimmer den neuesten Tratsch austauscht, und lässt Beh spüren, dass sie als Begleitung nur zweite Wahl gewesen ist und sich ihrer trotzdem würdig erweisen sollte. Die andere deutet immer wieder an, viel zu erzählen und noch mehr zu zeigen zu haben. Aber als sich Beh und Jeannette am Spätnachmittag im Schwimmbad treffen und die Freundin ihr den Rettungsschwimmer vorstellt, den sie neuerdings anhimmelt, nutzt der die erste Gelegenheit allein mit Beh, um sich auch an sie heranzumachen. Wovon Jeannette natürlich nichts hören will. Was Beh natürlich vorher wusste. Ohne der Freundin ersparen zu können, was sie erlebt hat, auch wenn sie weiß, dass die ihre Enttäuschung und Wut fürs Erste an ihr auslassen wird.
Manchmal muss eben etwas ausgesprochen werden, worüber es leichter wäre zu schweigen. Und manchmal ist einfach auch nichts mehr zu sagen. Selbst wenn der eigene Vater, als der erste Überraschungsbesuch in seiner neuen Wohnung eine unangenehme Wendung nimmt und Beh nur noch weg will, findet, man könne doch - ja, was eigentlich? Tamara Bach lässt diesen Satz so hilflos in der Luft hängen, wie er ist, als sich das Mädchen am Vater und seinem Abschiedsumarmungsversuch vorbei aus seiner neuen Wohnung drückt. Und wieder weiß der Leser alles, was er wissen muss. Und mehr, als er erfahren hätte, wenn die Autorin den Satz vollendet hätte.
Auch Beh weiß, was sie wissen muss. Sie hat mehr gesehen, als sie sehen wollte: nicht nur die erleichternd schmale provisorische Matratze in dem, was später einmal das Schlafzimmer sein wird. Sondern auch das blau gestrichene Zimmer mit der Borte aus kleinen Segelschiffen. Es ist für den kleinen Halbbruder, der im Januar auf die Welt kommen soll. Von dem Beh durch den zufälligen Blick in dieses Zimmer erst erfährt.
Man könne doch, man sollte doch, manchmal muss man einfach: Tamara Bach hat ein feines Gespür für die Feinheit und Unerbittlichkeit von Erwartungen, und sie hat einen wunderbaren Weg gefunden, es nicht nur auf ihre Hauptfigur zu übertragen, sondern auch gleich auf ihre Leser. Am Abendbrottisch: "Du kaust und schaust deine Mutter an. Und siehst, dass sie was weiß. Und dass du ihr jetzt sagen sollst, was sie schon weiß." Beh hatte weinen müssen, auf der nächsten Bank, nach der Flucht aus der Wohnung ihres Vaters. Jetzt kommt sie in der Geschichte von der anderen Seite in Bedrängnis: "Sie fragt dich, ob er es dir endlich gesagt hat. Was, könntest du jetzt fragen. Das musst du gar nicht. Weil sie weiterfragt, ob er dir erzählt hat, dass er eine Neue hat, mit der er jetzt auch noch ein Kind kriegt. Und sagt dir, wie lange er das schon weiß. Und wie lange er schon vorhatte, euch zu verlassen. Und wie lange das mit der Neuen schon lief. Und wie feige dein Vater ist."
Schließlich lässt die Mutter Beh sitzen. Stellt sich mit Tränen in den Augen ans Fenster, geht auf den Balkon, telefoniert erst mit ihrer besten Freundin und dann mit dem feigen Vater ihrer Tochter. Die sich bei alledem so allein fühlt, wie man sich nur fühlen kann mit vierzehn. Und sich von Antons letztlich hilflosem Anruf trösten lassen kann, davon, dass sie ein bisschen still sind miteinander, zusammen. Bis es wieder geht.
Im Kunstunterricht hat ihnen die Lehrerin eine Fotoserie namens "Schöne Orte" gezeigt: Szenerien, die einmal von Menschen gestaltet, für Menschen gedacht waren und dann offenbar von ihnen aufgegeben wurden. Kurz vor dem Schlafengehen macht Beh selbst ein solches Bild vom ehemaligen Arbeitszimmer ihres Vaters. Dann legt sie sich ins Bett mit der Postkarte, die sie von Anton bekommen hat. Mit ihrem Namen drauf und diesem einen Satz. Den man sich als Leser immer noch denken muss. Und den man sich hoffentlich gar nicht schöner denken kann.
Tamara Bach: "Vierzehn".
Carlsen Verlag, Hamburg 2016. 122 S., geb., 13,99 [Euro]. Ab 14 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.11.2016Vielleicht geküsst
Der Tag einer Vierzehnjährigen
Erst überlagern sich die inneren Bilder und die äußeren Eindrücke und ringen um die Aufmerksamkeit von Beatrice, genannt Beh, dann treten die Muster ihres Alltags mit Mutter, Schule und Freundinnen deutlicher hervor, auch die Erinnerung an einen Kuss.
Es ist früh am Morgen, die Schule wartet. Geküsst sollte man immer aussehen, denkt Beh auch am Ende von Tamara Bachs Roman Vierzehn, doch ist es ein weiter Weg bis dahin, obwohl das Buch nur von einem einzigen Tag, vom Aufwachen bis zum Schlafengehen handelt: vom ersten Schultag nach den Sommerferien, von Mitschülerinnen, die nach einer Klassenfahrt, an der Beh nicht teilnehmen konnte, berichten wollen, was seither ihr halbwüchsiges Dasein mit Aufregungen und Hoffnungen versorgt. An Beh perlen diese erregten Botschaften jedoch an diesem Tag ab; sie muss unter anderem damit zurechtkommen, dass ihre Eltern sich getrennt haben, dass ihr Vater mit einer anderen Frau eine neue Familie gründen wird.
Tamara Bachs sechster Roman verdichtet das auf wenigen Seiten in kurzen, oft stark verkürzten Sätzen. Die Auslassungen verraten viel mehr als die expliziten Schilderungen. Vierzehn beschreibt Behs Erleben als Pendeln zwischen Erinnerungen und Stimmungen, die noch nicht in Worte zu fassen sind, zwischen Enttäuschungen, unklaren Hoffnungen und mancherlei Tristesse. Als einen Zustand, der nicht in Begriffe gefasst werden kann, ohne sofort an Reichtum einzubüßen; der eher wie eine an- und abklingende Musik aufgefasst und erzählerisch umgesetzt werden muss. Ganz nah an der Vierzehnjährigen, wenn Traumbilder und Radiowecker am frühen Morgen gegeneinander antreten, und Beh, ohne sich dessen bewusst zu sein, endlos lange aus dem Fenster auf die Straße starrt; ganz nah auch an den Lesern, denen die Erzählperspektive, ein personales vertrauliches „Du“, Anteilnahme und Identifikation anbietet. Gedankensplitter, Schlüsselszenen und die Suche nach Halt – manchmal auch nur nach Fassung – werden ineinander geschoben und verschachtelt, gut einhundert Seiten genügen, um alles auszuleuchten, was Beh die Luft zum Atmen nehmen könnte. Und dennoch – und das ist die literarische Kunst – lässt der Roman eine Tür offen für ein Lächeln, das per Smartphone verschickt wird und alle Bedrängnisse letztlich überstrahlt.
Wer schreibt, „versucht sich in Trance zu schreiben“, hat Tamara Bach einmal erklärt, in der Literatur fließe dann Musik, vielleicht gelange auch ein Bruchstück aus einem Song ganz direkt hinein, so wie in Vierzehn eine Ode der Hippie-Ära, Joni Mitchells Paradise, ein Lied, das vom Verfließen der Zeit handelt, von dem was bleibt und was stets weniger ist als das, was einem versprochen wurde. So fängt Tamara Bach die Erschütterungen ein, die sie ihrer Heldin zumutet; so mildert sie den Schmerz. Und lässt den Leser das alles intensiv spüren, durch die bei aller Nähe dennoch intensive wie diskrete Art des Schreibens, ungewöhnlich für ein Jugendbuch (ab 14 Jahre)
MICHAEL SCHMITT
Tamara Bach: Vierzehn. Carlsen Verlag, Hamburg 2016. 112 Seiten, 13,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Der Tag einer Vierzehnjährigen
Erst überlagern sich die inneren Bilder und die äußeren Eindrücke und ringen um die Aufmerksamkeit von Beatrice, genannt Beh, dann treten die Muster ihres Alltags mit Mutter, Schule und Freundinnen deutlicher hervor, auch die Erinnerung an einen Kuss.
Es ist früh am Morgen, die Schule wartet. Geküsst sollte man immer aussehen, denkt Beh auch am Ende von Tamara Bachs Roman Vierzehn, doch ist es ein weiter Weg bis dahin, obwohl das Buch nur von einem einzigen Tag, vom Aufwachen bis zum Schlafengehen handelt: vom ersten Schultag nach den Sommerferien, von Mitschülerinnen, die nach einer Klassenfahrt, an der Beh nicht teilnehmen konnte, berichten wollen, was seither ihr halbwüchsiges Dasein mit Aufregungen und Hoffnungen versorgt. An Beh perlen diese erregten Botschaften jedoch an diesem Tag ab; sie muss unter anderem damit zurechtkommen, dass ihre Eltern sich getrennt haben, dass ihr Vater mit einer anderen Frau eine neue Familie gründen wird.
Tamara Bachs sechster Roman verdichtet das auf wenigen Seiten in kurzen, oft stark verkürzten Sätzen. Die Auslassungen verraten viel mehr als die expliziten Schilderungen. Vierzehn beschreibt Behs Erleben als Pendeln zwischen Erinnerungen und Stimmungen, die noch nicht in Worte zu fassen sind, zwischen Enttäuschungen, unklaren Hoffnungen und mancherlei Tristesse. Als einen Zustand, der nicht in Begriffe gefasst werden kann, ohne sofort an Reichtum einzubüßen; der eher wie eine an- und abklingende Musik aufgefasst und erzählerisch umgesetzt werden muss. Ganz nah an der Vierzehnjährigen, wenn Traumbilder und Radiowecker am frühen Morgen gegeneinander antreten, und Beh, ohne sich dessen bewusst zu sein, endlos lange aus dem Fenster auf die Straße starrt; ganz nah auch an den Lesern, denen die Erzählperspektive, ein personales vertrauliches „Du“, Anteilnahme und Identifikation anbietet. Gedankensplitter, Schlüsselszenen und die Suche nach Halt – manchmal auch nur nach Fassung – werden ineinander geschoben und verschachtelt, gut einhundert Seiten genügen, um alles auszuleuchten, was Beh die Luft zum Atmen nehmen könnte. Und dennoch – und das ist die literarische Kunst – lässt der Roman eine Tür offen für ein Lächeln, das per Smartphone verschickt wird und alle Bedrängnisse letztlich überstrahlt.
Wer schreibt, „versucht sich in Trance zu schreiben“, hat Tamara Bach einmal erklärt, in der Literatur fließe dann Musik, vielleicht gelange auch ein Bruchstück aus einem Song ganz direkt hinein, so wie in Vierzehn eine Ode der Hippie-Ära, Joni Mitchells Paradise, ein Lied, das vom Verfließen der Zeit handelt, von dem was bleibt und was stets weniger ist als das, was einem versprochen wurde. So fängt Tamara Bach die Erschütterungen ein, die sie ihrer Heldin zumutet; so mildert sie den Schmerz. Und lässt den Leser das alles intensiv spüren, durch die bei aller Nähe dennoch intensive wie diskrete Art des Schreibens, ungewöhnlich für ein Jugendbuch (ab 14 Jahre)
MICHAEL SCHMITT
Tamara Bach: Vierzehn. Carlsen Verlag, Hamburg 2016. 112 Seiten, 13,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
"Kaum eine andere deutsche Autorin ist mit ihren Romanen so an den Gefühlen junger Menschen" Kirche + Leben 20171022