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Ein scheinbar neutraler Herausgeber der allerdings immer wieder den Text kommentiert präsentiert die hinterlassenen Papiere seines Freundes Jake Sonarson. Dieser wiederum beschreibt ungeheuerliche Vorgänge: verwirrt durch die Fanfarenklänge der dänischen Nationalhymne, die er in der Silvesternacht laut im Radio hörte, seien auf Sonarsons Hof einige Gestalten aus ihren Gräbern wiederauferstanden, die die Nationalhymne mit den Posaunen zum letzten Gericht verwechselt hätten. Der moderne Eremit Sonarson muss nun mit diesen historischen Gestaltenleben unter ihnen eine handfeste Bäuerin, ein…mehr

Produktbeschreibung
Ein scheinbar neutraler Herausgeber der allerdings immer wieder den Text kommentiert präsentiert die hinterlassenen Papiere seines Freundes Jake Sonarson. Dieser wiederum beschreibt ungeheuerliche Vorgänge: verwirrt durch die Fanfarenklänge der dänischen Nationalhymne, die er in der Silvesternacht laut im Radio hörte, seien auf Sonarsons Hof einige Gestalten aus ihren Gräbern wiederauferstanden, die die Nationalhymne mit den Posaunen zum letzten Gericht verwechselt hätten. Der moderne Eremit Sonarson muss nun mit diesen historischen Gestaltenleben unter ihnen eine handfeste Bäuerin, ein unzüchtiger Pfarrer, ein trinkfester Sagendichter und ein Mann ohne Kopf.Die Gestalten wiederum halten ihn für den lieben Gott Mit dem 1932 erstmals erschienen Roman "Vikivaki" benanntnach einem legendären, von den isländischen Kirchenoberenverbotenen Tanz konzentriert Gunnar Gunnarsson die isländische Geschichte auf einem kleinen Anwesen. Und er überraschtseine Leserinnen und Leser dabei mit einer überaus komischen, zu keinem Zeitpunkt vorhersehbaren Geschichte.
Autorenporträt
Gunnar Gunnarsson wurde 1889 im isländischen Fljótsdalur geboren und wuchs in Armut auf. Im Jahr 1912 erschien der erste Teil seines Romans 'Die Leute auf Borg', der ihm bereits den literarischen Durchbruch verschaffte. Gunnarsson schrieb in dänischer Sprache und wurde ins Isländische übersetzt; später übersetzte er seine Werke selbst ins Isländische. Er war weltweit erfolgreich, vor allem aber in Deutschland. Daher ließ er sich zunächst von den Nationalsozialisten vereinnahmen, auch wenn er ihre Weltsicht nicht teilte. Ab 1940 allerdings verurteilte er das Naziregime scharf. Als sein Freund Haldór Laxness1955 den Literaturnobelpreis erhielt, überlegte die Jury lange, ob sie den Preis an Gunnarsson und Laxness gemeinsam verleihen sollte. 1939 kehrte Gunnarsson aus Dänemark, wo er seit 1907 gelebt hatte, nach Island zurück. Er starb 1975 in Reykjavík.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.04.2012

Verwirrt im Nordlicht

Unter Bohemiens und Bauern: Gunnar Gunnarssons Roman "Vikivaki", der im Original 1932 erschien, ist eine Künstlergeschichte mit Gruselpotential.

Politisch saß Gunnar Gunnarsson, der 1975 in Reykjavík starb, zwischen allen Stühlen: In Deutschland liebte man in den dreißiger Jahren seine nordischen Romane und Erzählungen, die von Schafhirten und Einödbauern erzählen und Islands rauhe Landschaft feiern. Aber nur wer eine ideologische Brille trug, konnte die bohrenden, ethischen Fragen überhören, die in diesen Schicksals- und Liebesgeschichten mitklingen. Doch der Autor ließ sich von den Nationalsozialisten umwerben - obwohl er in Dänemark, wo er damals lebte, der Kommunistischen Partei nahestand. So kam es, dass er 1936 als Deputierter des kommunistischen Antikriegskomitees am Friedenskongress in Amsterdam teilnahm und unmittelbar danach als "Ehrengast" am Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg. Als sein grüblerischer, auf einem wahren Mordfall beruhender Krimi "Schwarze Vögel" 2009 in neuer deutscher Übersetzung Erfolge feierte, erinnerte man zu Recht an sein naives Taktieren. Er hatte sogar geglaubt, mit einer Privataudienz bei Hitler den Angriff auf Dänemark 1940 abwenden zu können. Sofort danach brach er mit dem Naziregime.

Auch der Erzähler in "Vikivaki" (1932 im Original erschienen) grübelt, wie es ihm gelingen könnte, in seinem Leben so Widersprüchliches wie freie Liebe und Gottesfurcht, Boheme und Bauernleben zu vereinen. Eigentlich gibt es zwei Erzähler, die sich sehr nahe stehen: den Herausgeber, der die Papiere seines toten Freundes Jaki Sonarson liebevoll kommentiert, und Jakis Aufzeichnungen, die den Kern des Romans bilden. Ein gehetzter und verwirrter Erzähler spricht dort, der um sein Leben schreibt und mitten in einem bizarren Geschehen steckt. Aber die Wahrheit, so tröstet er sich, zeigt sich sowieso nur, wie sie will; rückt man ihr zu Leibe, ist sie im Augenblick verschwunden, versteckt sich unter der Lüge und dreht uns "in einem wirbelnden Vikivakitanz ... der in Tod und Grauen endet". Dabei ist Jaki Sonarsson ein vernünftiger Mann, der wusste, was er tat, als er sich, um schreiben zu können, in dieser "himmelsschreienden Berggegend" ein Luxusdomizil errichten ließ. Ein eigenes Wasserkraftwerk liefert Strom und heiße Quelladern speisen die hochmoderne Badelandschaft im Keller. Außerdem steht ein Wasserflugzeug bereit, mit dem er das nächste Postamt in einer Stunde erreichen kann. Nur als Schriftsteller ist Jaki erfolglos, und wir lernen ihn am Tiefpunkt seines Lebens kennen, als er in der Silvesternacht unter gleißendem Nordlicht beschließt, alle Manuskripte zu verbrennen. Fortan will er sich nur noch mit seinem Gewächshaus und der Schafzucht beschäftigen. Doch während er halb von Sinnen im Haus alle Lampen anzündet, das Radio auf höchste Lautstärke dreht und im Bademantel in das himmlische Funkeln hinaustaumelt, passiert es: Schweigende, altmodisch gekleidete Menschen nähern sich und fallen vor ihm auf die Knie.

Gunnarsson inszeniert hier ein raffiniertes, nicht nur historisches, sondern symbolisches Spiel, denn es sind nicht nur Wiedergänger aus verschiedenen Zeiten, die vor dem leuchtenden Haus das Jüngste Gericht erwarten, sondern auch ein Rumpf, der seinen Kopf, und ein Kopf, der seinen Körper sucht, ein unglückliches Liebespaar, ein Selbstmörder und ein wollüstiger Pfarrer. Der stampfende, von improvisierten Versen getragene und von der religiösen Obrigkeit wegen seiner Anzüglichkeit verbotene Vikivakitanz, in den die Schar ausbricht, nachdem der ratlose Jaki sie von allen Sünden losgesprochen hat, wird zu einem schillernden Bild für die Kräfte, die eine poetische in eine erotische Inszenierung verwandeln, aber auch für die Brutalität und Grausamkeit, die im kargen, ländlichen Leben steckt. Mit fester Hand steuert eine lebenskluge Bäuerin den wilden Haufen, die Urmutter von Jakis Hof, ein knurrendes, gurrendes "Meerross mit Salz auf den Stimmbändern". Genau wie Jaki liebt sie die zerzauste Landschaft und den Hof mit verzehrender Leidenschaft und bekennt, dass ihre einzigen Sünden Ungeduld und sexuelle Gier seien. Die stärkste Figur, der die Liebe des Erzählers gehört, ist jener Kopf mit wilden Locken und furchtlos-herausforderndem Blick - das Haupt Grettirs des Starken, von dessen Verbannung und Ermordung eine berühmte Saga erzählt. Natürlich ist er wie alle Isländer auch ein Dichter des Alltags, der in einem Augenblick ein Schaf in ein Gedicht verwandeln kann, mit Verszeilen, die sich ringeln wie Schafwolle.

Dass diese tragisch-komische Auferstehung in ein Hightechszenario eingebettet ist - nicht zufällig werden H. G. Wells und Aldous Huxley erwähnt -, gibt dem Roman einen eigenartig oszillierenden Glanz zwischen Melancholie und Slapstick. Mit ihrer kindlichen Hingabe fordern die unheimlichen Besucher den armen Jaki ständig zu Höchstleistungen heraus, wenn er sie zum Baden oder zum Gebrauch der Elektrizität bewegen oder sie von Besäufnissen abhalten will.

Eine lustvoll verfremdete Parabel auf das isländische Lebensgefühl, und wie in allen Romanen Gunnarssons, den die Isländer, neben Halldór Laxness, als Romancier verehren, geht es auch hier um die Frage, "wo im Leben das wahre Leben, das ungeteilte Gefühl, das unverfälschte Schicksal aufhört, wo jene Komödie anfängt, die sich mehr oder minder in alles Tun und Treiben, in Leben und Lob der Menschheit einflicht". Spöttisch, mit schwermütigem Unterton erzählt der Roman von einem Autor, der erst schreiben kann, als seine Figuren leibhaftig und frustriert vor der Tür stehen.

NICOLE HENNEBERG.

Gunnar Gunnarsson: "Vikivaki".

Aus dem Dänischen von Karl Wetzig. Verbrecher Verlag, Berlin 2011. 256 S., 14,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Peter Urban-Halle stellt Gunnar Gunnarssons Gruselroman-Parodie von 1933 vor, die jetzt in einer  überprüften Übersetzung vorliegt. Auf einem isländischen Hof, der unseliger Weise auf einem Friedhof erbaut wurde, erscheinen lebende Tote, um vor dem Hofbesitzer, den sie für Gott halten, zu beichten, erfahren wir. Die skurrilen Figuren und ihre Geschichten sollen vor allem "witzig" sein, meint der Rezensent, was in seinen Augen überwiegend gelingt. Die Beichten der Toten drehen sich dabei hauptsächlich um amouröse Verwicklungen, und hier sieht Urban-Halle einen Zusammenhang zu Gunnarssons eigenem Leben, den er uns auch nicht vorenthält. Ein Nachwort, das einige isländische Besonderheiten erklärt hätte, hat der Rezensent in dieser Ausgabe schmerzlich vermisst, wie er zugibt.

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