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Unbewältigte Vergangenheit Heute ist die Villa Kennedy ein Hotel der obersten Kategorie. Fünf-Sterne Superior, ein Rocco-Forte Hotel, mehr Exklusivität geht nicht. Auch im Frankfurter Hotel befindet sich ein historisches Gebäude. Es wurde 1901 gebaut und war das Wohnhaus einer vermögenden jüdischen Bankiersfamilie. Im Nationalsozialismus brachte die Stadt Frankfurt das Gebäude und das dazugehörige große Grundstück in ihren Besitz und bezahlte nur einen Bruchteil des Wertes dafür. Das Haus wurde Sitz des neugegründeten Kaiser-Wilhelm-Institutes für Biophysik. Wissenschaftler zogen in das Haus…mehr

Produktbeschreibung
Unbewältigte Vergangenheit
Heute ist die Villa Kennedy ein Hotel der obersten Kategorie. Fünf-Sterne Superior, ein Rocco-Forte Hotel, mehr Exklusivität geht nicht.
Auch im Frankfurter Hotel befindet sich ein historisches Gebäude. Es wurde 1901 gebaut und war das Wohnhaus einer vermögenden jüdischen Bankiersfamilie. Im Nationalsozialismus brachte die Stadt Frankfurt das Gebäude und das dazugehörige große Grundstück in ihren Besitz und bezahlte nur einen Bruchteil des Wertes dafür.
Das Haus wurde Sitz des neugegründeten Kaiser-Wilhelm-Institutes für Biophysik. Wissenschaftler zogen in das Haus ein, ein Strahlenbunker wurde im Garten gebaut und kriegswichtige Forschung mit radioaktiver Strahlung und Strahlenwaffen betrie-ben. Nach dem 2. Weltkrieg wurden die emigrierten Erben, die Anspruch auf Rückerstattung hätten stellen können, mit einer Ent-schädigung von 150.000 DM abgefunden. Unter dem neuen Namen Max-Planck-Institut für Biophysik gingen unter dem alten Direktor die Strahlenforschungen weiter. Eine kritische Reflexion der Kriegsforschungen und der Rolle des Direktors unterblieb.
Mit dem Umzug des Instituts 2003 an den Riedberg zu den natur-wissenschaftlichen Institutionen der Universität verkaufte die Stadt das nach wie vor ihr gehörende Gelände an einen privaten Investor, der dort ein Hotel baute. Der Verkaufspreis betrug 18 Millio-nen DM. Das Geld floss in den Etat der Stadt. Bisher sind diese Vorgänge - die Villa Speyer ist nur eines von circa 170 Immobilien und Grundstücken, die in den Besitz der Stadt kamen - nicht vollständig wissenschaftlich aufgearbeitet worden. Auch die Rolle einzelner Akteure der Stadtverwaltung nach 1945 ist in diesem Zusammenhang bisher nicht untersucht worden.
Im Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main befindet sich eine 14-seitige Aufstellung aller zwischen 1933 und 1945 in den Besitz der Stadt gelangten Grundstücke und Immobilien. Diese Liste die insgesamt 170 Objekte umfasst, ist hier erstmals publiziert worden.
Autorenporträt
Wesp, Dieter
Stadthistoriker und Stadtführer in Frankfurt am Main. Geboren 1953 in Erzhausen bei Darmstadt. Lehre als Chemielaborant bei den Farbwerken Hoechst, Zweiter Bildungsweg, Abitur auf dem Hessenkolleg Frankfurt am Main, Zivildienst, Studium der Erziehungswissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt, Abschluss Diplom. Berufliche Tätigkeiten an der Hessischen Erwachsenenbildungsstätte Falkenstein im Taunus, dem Weiterbildungszentrum der Gesellschaft für Gemein-nützige Datenverarbeitung in Frankfurt am Main. Von 1991 bis 2012 beim Vorstand der IG Metall in Frankfurt am Main. Leiter der Onlineredaktion.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.05.2017

Vom Wohnhaus zum Luxushotel

Dieter Wesp hat die wechselhafte Geschichte der Villa Kennedy aufgeschrieben. Sie ist auch ein Lehrstück über NS-Unrecht.

Von Konstanze Crüwell

Kaum bekannt war bisher die Vergangenheit des 2006 eröffneten Luxushotels Villa Kennedy in Sachsenhausen. Dort stand einst, von außen heute noch erkennbar, ein prachtvolles historistisches Wohnhaus, das Eduard Beit von Speyer 1901 gebaut hatte. Die Erben des jüdischen Bankiers emigrierten 1933 in die Schweiz. Infolge der nationalsozialistischen "Arisierung" mussten sie zwangsweise das 8600 Quadratmeter große Grundstück mit dem Wohnhaus bald darauf weit unter Wert an die Stadt verkaufen. 1949 wurden die Erben mit 150 000 Mark dafür entschädigt. Im Jahr 2000 verkaufte die Stadt für 18 Millionen Mark das Anwesen an einen Investor, worauf das Innere des Gebäudes zu einem Hotel der Gruppe Rocco Forte gestaltet und im alten Stil enorm erweitert wurde.

Diese Geschichte hat Dieter Wesp nach grundlegenden Forschungen in seinem Buch "Villa Kennedy: Wohnhaus. Forschungslabor. Luxushotel" beschrieben. Es ist eine anschauliche und lohnende Lektüre, die mit Rückblicken auf die seit 1644 in Frankfurt ansässige Bankiersfamilie Speyer und die 1907 gegründete, heute noch lobenswerte Georg-und-Franziska-Speyer-Stiftung beginnt. Die Nachfahrin der beiden Namensgeber, Lucie Speyer, heiratete 1892 Eduard Beit, Sohn einer Hamburger Unternehmerfamilie und ein Neffe des berühmten "Diamantenkönigs" Alfred Beit. Eduard Beit hatte mit James Speyer in Oxford studiert und dort dessen Schwester Hannah Louise, genannt Lucie, kennen- und offensichtlich auch lieben gelernt. Eduard Beit von Speyer, wie er später hieß, führte mit seinen Verwandten bis 1914 das Bankhaus Lazard Speyer Ellissen in Frankfurt, New York und London und beteiligte sich nach 1918 an der New Yorker Bank Speyer & Co.

Doch zurück zum Jahr 1901, als das Ehepaar Eduard und Lucie Beit von Speyer sein schönes, an der Forsthausstraße, der heutigen Kennedyallee, gelegene Haus bezog, das Alfred Günther, ein heute kaum noch bekannter Architekt, entworfen hatte. Ihre vier Kinder Erwin (der im Ersten Weltkrieg mit 21 Jahren fiel), Herbert, Hedwig und Ellin sind in Wesps Buch auf einem Foto abgebildet, das ein amerikanischer Gast 2016 dem Hotel Villa Kennedy überließ. Auch Aufnahmen der vollständig im Stil des Historismus eingerichteten repräsentativen Räume sind in dem Buch zu sehen.

Nach 1933 begann für die nun leerstehende Villa der Familie Beit von Speyer eine neue Zeit. Oberbürgermeister Friedrich Krebs, Mitglied der NSDAP, wollte in Frankfurt eine Dependance des Kaiser-Wilhelm-Instituts haben. So überließ die Stadt dem Institut die Villa und das Grundstück und trug die Kosten für den Umbau in ein Forschungslabor. Das Institut ernannte, vielleicht als Dank, das von Friedrich Dessauer gegründete Vorgängerinstitut für physikalische Grundlagen der Medizin nunmehr zum Kaiser-Wilhelm-Institut für Biophysik. Leiter wurde Boris Rajewsky, seit 1937 NSDAP-Mitglied, der 1942 unter anderem die Wirkung von Strahlung als Kampfmittel des Heeres untersuchte. Überhaupt bekamen die Forschungen an dem Institut, auch durch Rajewskys Besprechungen mit Rüstungsminister Albert Speer, eine zunehmende, ziemlich üble militärische Bedeutung. Nachdem er die für Mäuse tödliche Strahlendosis "geklärt" hatte, wie es hieß, würden nun "Versuche eingeleitet (in der Außenstelle Oberschlemma), um die gefundenen Reaktionen unmittelbar am Menschen zu überprüfen", wie Rajewsky schrieb.

Nach 1945 wurde er von den amerikanischen Militärbehörden acht Monate inhaftiert. Nach den Entnazifizierungsakten, die Wesp zitiert, wurde Rajewsky im ersten Verfahren der Spruchkammer zu den "Mitläufern" gerechnet, in der letzten Verhandlung von der Berufungskammer Darmstadt aber vollständig entlastet. Und so wurde er 1948 neuer Direktor der Forschungseinrichtung, die seit 1948 Max-Planck-Institut für Biophysik heißt, und setzte dort seine Karriere fort. 1951 erhielt er die Goethe-Plakette der Stadt und 1958 die gleichnamige Auszeichnung des Landes Hessen, 1963 auch das Bundesverdienstkreuz höchster Stufe.

Ein ähnlich erfolgreicher Opportunist schlimmer Sorte war Adolf Miersch, dessen wechselnde Rollen in Frankfurt der Autor ebenfalls recherchiert und in seinem Buch geschildert hat. Denn Miersch arbeitete in leitender Stellung in der Ära Ernst May, organisierte nach Darstellung des Autors dann im Nationalsozialismus mehrfach die Enteignungen jüdischer Eigentümer und war nach 1945 wieder im städtischen Bauamt tätig. Bis heute trägt eine Siedlung in Niederrad seinen Namen.

Eine weitere Erkenntnis, die ihm besonders wichtig ist, führt der Erziehungswissenschaftler Wesp, Teilnehmer des "Stadtteil-Historiker-Projekts" der Polytechnischen Gesellschaft, im Anhang seines Buches auf: Es handelt sich um die im Institut für Stadtgeschichte Frankfurt verwahrte Liste der 170 "arisierten" Grundstücke und Immobilien, die zwischen 1933 und 1945 in den Besitz der Stadt gelangten. Es ist unverständlich, warum in Frankfurt diese Liste eines vielfachen schändlichen Unrechts noch nie veröffentlicht wurde, im Gegensatz zu der Praxis in Berlin, München, Leipzig, Köln, Düsseldorf und vielen anderen Städten. In Frankfurt bestand also dringender Nachholbedarf.

"Villa Kennedy", Dieter Wesp, Epubli-Verlag, Berlin 2017. 239 Seiten, 24,80 Euro.

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