Ich höre weder Blues, noch spiele ich Gitarre. Auch für Musikgeschichte interessiere ich mich nicht sonderlich. Doch es gibt Bücher, die das Interesse für Themen wecken, die einen im Alltag nicht berühren. Bücher, die nicht nur das Interesse wecken, sondern eine wahre Leidenschaft während des Lesens
entfachen! Bisher ist mir das passiert bei „Die Spuren meiner Mutter“ von Jodi…mehrIch höre weder Blues, noch spiele ich Gitarre. Auch für Musikgeschichte interessiere ich mich nicht sonderlich. Doch es gibt Bücher, die das Interesse für Themen wecken, die einen im Alltag nicht berühren. Bücher, die nicht nur das Interesse wecken, sondern eine wahre Leidenschaft während des Lesens entfachen! Bisher ist mir das passiert bei „Die Spuren meiner Mutter“ von Jodi Picoult(Elefantenliebe), „Nordnordwest“ von Sylvain Coher (Segelleidenschaft und Meerliebe) und bei „Die Launenhaftigkeit der Liebe“ von Hannah Rothschild (Kunstleidenschaft). Alles großartige Bücher, die man gelesen haben sollte, finde ich. In diese Riege reiht sich nun „Vintage“ von Grégoire Hervier ein. Ein Roman, der mich die Liebe zum Blues lehrte und die Leidenschaft für Gitarren weckte.
Die Geschichte nimmt ihren Lauf mit Thomas, der im Auftrag eines reichen Lords eine Gitarre ausfindig machen soll, über deren Existenz keine Beweise existieren. Da ihm eine großzügige Belohnung winkt, stürzt er sich in Recherchen zu dieser legendären Gibson Moderne, die vielleicht gebaut wurde – vielleicht aber auch nicht. Er taucht tief in die Musikgeschichte ein und lässt den Leser daran teilhaben. Und das ist alles andere als trocken und langweilig! Das geballte Wissen ist faszinierend, der Blues facettenreich und nicht nur in musikalischer Hinsicht von Bedeutung. Die Musik ist ein Sinnbild für die damalige Zeit in den USA. Es geht um Sklaverei und Unterdrückung, Freiheit und den Ausdruck von Emotionen. Und mit allem steht die Gibson Moderne in Verbindung.
Thomas geht auf Reisen, immer auf den Spuren dieser Gitarre, begegnet Menschen, Sammlern, Musikern und Gleichgesinnten. „Vintage“ ist ein Roadtrip der Extraklasse. Dabei ist Hervier’s Werk vor allem im letzten Drittel etwas roher und brachialer als erwartet. Es ist tatsächlich in vielerlei Hinsicht ein musikalischer Krimi, in dem es durchaus blutig wird. Also nicht unbedingt etwas für zarte Gemüter.
Doch es steckt noch viel mehr darin. Humor, spannende Nebencharaktere und ein liebenswerter Protagonist, der sich in einer recht klassischen Phase der Selbstfindung befindet. Seine kurzfristigen Ziele, das Finden der Gitarre, formen sich nachvollziehbar zu langfristigen Zielen und Wünschen. Die Entwicklung von Thomas ist dabei sehr angenehm und plausibel in das Grundgerüst der Geschichte eingebunden.
Hinsichtlich der Story habe ich lediglich einen kleinen Kritikpunkt. Besonders ab der Hälfte häufen sich die Zufälle. Praktischerweise reist er zum Beispiel genau dorthin, wo sich die nächste Spur befindet. Oder er begegnet zufällig dem einen Menschen, der noch etwas zu der Gitarre sagen kann. Dies wurde mit der Zeit etwas überstrapaziert, so dass ich die Spurensuche nicht mehr zu hundert Prozent ernst nehmen konnte. Auf das große Ganzen wirkte sich das aber nicht allzu negativ aus.
Ich könnte noch auf so viele Aspekte des Romans eingehen, doch das würde den Rahmen dieser Rezension sprengen. Ich möchte aber noch erzählen, was das Buch mit mir gemacht hat. Nämlich das: Noch während des Lesens klebte ich Post-its auf jede Seite mit musikalischem Bezug. Und „Vintage“ ist vollgepackt damit! Lieder werden erwähnt, Musiker, die mit Gitarre A oder Gitarre B zur Legende wurden, Song A erinnert an Song B, die Produktion von Lied C war wegweisend für Bands X und Y – musikalische Referenzen ohne Ende. Nach Beenden des Buches wünschte ich mir nichts sehnlicher, als mich für Tage in ein Tonstudio zu verkrümeln und Musik zu hören. Eine Seite des Buches nach der anderen unter die Lupe nehmend.
Fazit
„Vintage“ von Grégoire Hervier ist so vielseitig, dass ich die Essenz nur schwer in Worte fassen kann. Dieser Roman hat mich begeistert für Musikgeschichte, den Blues, die USA in den 50er Jahren, Musiker dieser Generation, Musikproduktion, Gitarren und Gitarrenbau. „Vintage“ ist ein Roadtrip und ein Krimi in einem, noch dazu mit starken Charakteren, Spannung und Humor. Was will man mehr? Ich sage nur: Lesen!