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Im vorliegenden Band werden erstmals aus interdisziplinärer Perspektive die Konzepte von Topoi und loci communes auf die Bildkünste und das bildhafte Denken in der italienischen Renaissance übertragen. Die entsprechende Frage nach einer Bestimmung und Spezifik visueller Topoi ist das Anliegen dieses Buches. Der Band vereint Beiträge in deutscher, italienischer und englischer Sprache.

Produktbeschreibung
Im vorliegenden Band werden erstmals aus interdisziplinärer Perspektive die Konzepte von Topoi und loci communes auf die Bildkünste und das bildhafte Denken in der italienischen Renaissance übertragen. Die entsprechende Frage nach einer Bestimmung und Spezifik visueller Topoi ist das Anliegen dieses Buches. Der Band vereint Beiträge in deutscher, italienischer und englischer Sprache.
Autorenporträt
Ulrich Pfisterer, geb. 1968, Studium der Kunstgeschichte, klassischen Archäologie und Philosophie in Freiburg, München und Göttingen; Promotion 1997; seit 1999 Assistent, seit 2002 Juniorprofessor am Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.07.2004

Wie man sich eine Venus zusammensetzt
Erfindung und Gemeinplatz: Ein Sammelband über visuelle Topoi in der italienischen Renaissance
Wenig scheint unserer Ära der Diskurse entfernter als barockes Universalgelehrtentum, das Wissenschaft als Anhäufung von Fakten und Daten betrieb, um diese enzyklopädisch verfügbar zu halten. Ein Tagungsband versucht nun, das rhetorische Denken in Gemeinplätzen und Findörtern für die Kunst der Renaissance wiederzugewinnen. Wollen wir diese auch nur ansatzweise in ihren geistigen, vor allem rhetorischen Bedingungen verstehen, so liefert die Topik einen entscheidenden Schlüssel. Um nichts weniger als um das Problem der „Erfindung” in den Bildkünsten geht es damit, das erst spät - im 18. Jahrhundert - allein mit der aus sich selbst schaffenden künstlerischen Phantasie verknüpft wurde. Mit Kants Genieästhetik ist die „Findung”, der Rückgriff auf die loci communes, endgültig in Misskredit geraten, doch war die Kunst der Renaissance und des Barock von der Nutzung der Topik geprägt.
Was ist ein Topos? fragt Wilhelm Schmidt-Biggemann in seiner philosophiegeschichtlichen Einführung. Ein Topos ist ein Element in einem rhetorischen Prozess. Topoi stammen aus dem Erfahrungswissen, sie sind historisches, erfahrenes, selbst erlebtes oder erlesenes Wissen und besitzen keine metaphysische Bedeutung. Cicero hat der Topik ausführliche Erläuterungen im Zusammenhang mit der inventio und dispositio der Rede gewidmet. In der antiken Rhetorik ist Erfindung immer Er-Findung und Auf-Findung. Erst der Rückgriff auf die Findörter (loci communes) erlaubt es dem Redner, den Stoff seiner Rede heranzuziehen, anzuordnen und durchzuspielen.
Die Frage, ob es diese Findörter auch in der bildenden Kunst gibt, ist bisher nicht systematisch gestellt worden. Griffen Künstler auf bestimmte Topoi, auf vorgefertigte Ausdrucksformulare zurück, um einen Gegenstand angemessen darzustellen? Ulrich Pfisterers Recherche führt zurück in die Wissenschaftsgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts. Am Anfang steht Aby Warburg. In Warburgs Begriff der „Pathosformel” ist am ehesten eine Analogie zum literarischen Topos zu erkennen. Die Pathosformel, jenes Bild gewordene psychische Engramm des Ausdrucks von Leidenschaften, das Warburg in der Kunst der italienischen Frührenaissance wirksam werden sah, berührt sich aber nur bedingt mit dem, was unter literarischer Topik zu verstehen ist. Dies verwundert umso mehr, als der Romanist Ernst Robert Curtius sich ausdrücklich auf Warburg berief, dessen berühmten Mnemosyne-Vortrag er im Winter 1929 an der Bibliotheca Hertziana in Rom hörte, und dem er sein Hauptwerk „Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter” widmete, das zum Gründungsdokument der literaturwissenschaftlichen Toposforschung wurde. Pfisterer macht plausibel, dass sich die Warburgsche Pathosformel in ihrer prinzipiellen Offenheit für neue Inhalte von der Topik im Sinne Curtius’ unterscheidet. Für Curtius war der jeweilige literarische Topos ein feststehender Gehalt, dessen nachantike Überlieferung er nachzeichnete. Warburgs Pathosformeln sind veränderlich, sie transportieren emotionale Zustände und können der Veranschaulichung von Ideen dienen, die ikonologisch interpretiert werden müssen.
Die Frage nach visuellen Topoi muss sich als eine Rekonstruktion des bildlichen Allgemeinwissens verstehen, auf das ein Künstler der Renaissance zurückgreifen konnte. Für den Kunsthistoriker sind es vor allem zwei Praxisfelder der Topik, die es zu beachten gilt: Zum einen die immer wieder aufgegriffenen formalen oder ikonographischen Muster, die mitunter in Stichwerken verfügbar gehalten wurden; zum anderen die antiken Künstlerlegenden, die sowohl Bildgegenstände geworden sind als auch das Sprechen über Kunst geprägt haben.
So greift Valeska von Rosen einen schon auf Aristoteles zurückgehenden literarischen Topos von großer Wirkmacht auf: Die Kunst, die ihre Kunstfertigkeit verbirgt und so erscheint, als sei sie ohne Mühe erzeugt: „ars est celare artem”. Von Rosen zeigt in der Analyse von Tizians Portrait des Intellektuellen Pietro Aretino, wie die malerische Faktur des sichtbaren Pinselstrichs zu verstehen ist: Als eine ironische Strategie von Maler und Auftraggeber, der sich mit seinem Portrait am Hofe der Medici in Florenz empfehlen wollte. Gerade in der Mühelosigkeit und Nachlässigkeit des für den Zeitgenossen wie nicht vollendet erscheinenden Bildes lag Tizians Kunstfertigkeit, seine malerische sprezzatura.
Einem weiteren literarischen Topos geht Frank Fehrenbach mit der „Lebendigkeit” des Bildes nach, deren Erfolgsgeschichte bis in das 19. Jahrhundert reicht. Es sei ein Ruhm der Malerei, die Dinge darzustellen, als seien sie lebendig und präsent. In der Kunstliteratur der Renaissance, namentlich in den Viten des Vasari, wird dieser Topos geradezu inflationär angewendet. Fehrenbach zeigt, dass hinter dem Begriff der Lebendigkeit die Umrisse eines naturphilosophischen Konzepts in den Werkprozess und das Sprechen über Kunst in der Renaissance Einzug gehalten haben.
Dass Renaissancebilder mitunter Werke der Kombinatorik sind, erläutert der Romanist Bodo Guthmüller. Am Beispiel der Göttin Venus zeigt er, wie literarische Topoi in der mythographischen Überlieferung des Mittelalters tradiert wurden. Übersetzt ein Künstler der Renaissance die Attribute der Venus ins Bild, so fügt er dies aus der Summe beschriebener Einzelteile zusammen. Heraus kommt eine Venus, die in ihrer Erscheinung gänzlich unantik, ja vielmehr eine Übersetzung diskursiven Wissens ist. In Hinblick auf die Rekonstruktion antiker Bildthemen hat Guthmüller damit eine Grundfigur der Bildproduktion in der Frührenaissance benannt.
Man mag bemerken, dass manche Beiträge wie etwa Gosbert Schüßlers faszinierender Aufsatz über die „kluge Schlange Aspiks” in der Bildwelt der Florentiner Medici im strengen Sinne ikonographische Studien sind, die vor allem ein Bildmotiv in seinen intellektuellen und formalen Bedingtheiten nachzeichnen. Doch handelt es sich um Versuche, ein neues Forschungsfeld abzustecken. Auch ist eine Ausdehnung auf das 17. Jahrhundert wünschenswert. Die Beiträge des Sammelbandes liefern ein Koordinatensystem für weitere Arbeiten. Und sie zeigen das Fach Kunstgeschichte in einem selbstbewussten Auftritt als gelehrte Disziplin.
MICHAEL THIMANN
ULRICH PFISTERER, MAX SEIDEL Hg.): Visuelle Topoi. Erfindung und tradiertes Wissen in den Künsten der italienischen Renaissance. Deutscher Kunstverlag, München und Berlin 2003. 456 Seiten, 98 Euro.
Aus der Werkstatt von Sandro Botticelli: „Venus”, (um 1486/88).
Gemäldegalerie Berlin
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Selbstbewusst präsentiert sich nach Meinung des Rezensenten Michael Thimann die Kunstgeschichte als gelehrte Disziplin, die ein neues Forschungsfeld absteckt und hinzugewinnt. Das neue Forschungsfeld sind die visuellen Topoi, das heißt die rhetorischen und ikonografischen Muster, auf welche die Künstler der Renaissance zurückgriffen. Ein Topos, ein Begriff der antiken Rhetorik, stammt aus dem "Erfahrungswissen" einer Gesellschaft, erläutert Thimann und bezieht sich auf einen Aufsatz im vorliegenden Sammelband von Wilhelm Schmidt-Biggemann. Für die Renaissancezeit ganz wichtig seien die antiken Künstlerlegenden und jene literarischen Topoi, die dann in eine neue Bildsprache verwandelt wurden. Dass dabei ganz "unantike" Erscheinungsbilder zustande kamen, wie der Romanist Bodo Guthmüller in seinem Beitrag über die Figur der Venus ausführt, weil die einzelnen Attribute neu kombiniert wurden, berichtet Thimann mit Interesse. Der Band versammelt seines Erachtens hochkarätige Fachaufsätze und birgt einen Forschungsansatz, den er gerne auf das 17. Jahrhundert erweitert sähe.

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