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Gerade dreißig Stunden ist es her, daß im Radio verkündet wurde, Deutschland denke nicht daran, die neutralen Länder Belgien und Holland anzugreifen, als die ersten Bomben auf Brüssel fallen. Sylvian Horn und seine Freundin Malvine van Gent befinden sich plötzlich auf der Flucht und teilen mit so vielen anderen ein Schicksal: von den Deutschen verfolgt zu werden und keine neue Heimat in Frankreich zu finden. Denn bald wird deutlich, daß die Wehrmacht nicht an der Grenze zu Frankreich haltmacht, und so bleibt nur der Ausweg, über Spanien nach Portugal zu kommen. Lissabon ist der letzte offene…mehr

Produktbeschreibung
Gerade dreißig Stunden ist es her, daß im Radio verkündet wurde, Deutschland denke nicht daran, die neutralen Länder Belgien und Holland anzugreifen, als die ersten Bomben auf Brüssel fallen. Sylvian Horn und seine Freundin Malvine van Gent befinden sich plötzlich auf der Flucht und teilen mit so vielen anderen ein Schicksal: von den Deutschen verfolgt zu werden und keine neue Heimat in Frankreich zu finden. Denn bald wird deutlich, daß die Wehrmacht nicht an der Grenze zu Frankreich haltmacht, und so bleibt nur der Ausweg, über Spanien nach Portugal zu kommen. Lissabon ist der letzte offene Hafen Europas, die letzte Hoffnung der Verfolgten. Mit schonungsloser Direktheit schildert Dembitzer die Geschichte einer Liebe unter den Bedingungen von Entbehrung, Furcht und Heimatlosigkeit. -----Als spannenden Tatsachenbericht kündigte das 'Israelitische Wochenblatt für die Schweiz' 1974 den Fortsetzungsroman an, der hier erstmals in der Originalsprache erschien. Geschrieben in New York, verarbeitete Dembitzer in dem Roman die Erlebnisse seiner Flucht von Belgien über Frankreich und Spanien nach Portugal. Unter dem Titel 'Visas for America. A Story of an Escape' erschien das Buch 1952 in Australien. ----Salamon Dembitzer (1888 in Krakau geboren, 1964 in Lugano gestorben) schrieb in den 20er Jahren für die 'Welt am Montag', den 'Vorwärts', das 'Berliner Tageblatt' und die 'Arbeiter-Zeitung', Wien. Im März 1933 emigrierte er nach Holland. Sieben Jahre später flüchtete er aus Belgien über Frankreich nach Lissabon, um von dort in die USA einzureisen. Er lebte bis 1947 in New York, dann übersiedelte er nach Sydney, wo er einige Bücher publizierte. Ab 1958 lebte er in der Schweiz, ohne noch etwas zu veröffentlichen. Im Weidle Verlag erschien zuletzt sein Roman 'Die Geistigen' in einer Neuauflage, herausgegeben und mit einem Nachwort von Uta Beiküfner. ----LESEPROBE: Malvines Gesicht erschien in der Ferne, es war blaß und traurig und schaute ihn vorwurfsvoll an: 'Wozu hast du mich eigentlich mitgenommen? Wozu? Ich bin ja eine echte Arierin, und mir wäre nichts geschehen.''Aber für mich wäre die Flucht schwer und das Leben leer, außerdem hätte ich gar keine Lust, mir noch weitere Mühe zu geben. Alles hätte dann gar keinen Sinn mehr.''Du hast ohnehin immer behauptet, alles wäre sinnlos, auch die Liebe, auch die Literatur. Und nun sollte etwas nicht ganz so sinnlos gewesen sein, wie soll ich das verstehen? Gibst du zu, daß du ein echter Egoist bist, der kein Recht hatte, einen Menschen einer eigenen Einsamkeit wegen zu entwurzeln? Zumal du auf dem Standpunkt stehst, daß die Liebe.''Ich stehe auf keinem Standpunkt, sondern sitze auf der Schwelle des Zollamtes und fühle mich sehr schlecht. Ich möchte Wasser haben. Die Brücke nach Spanien ist ganz betrunken, sie dreht sich vor meinen Augen, und die Flüchtlinge, die mit Gepäck und Geschrei vorbeiziehen, haben ein drolliges Gesicht, aber kein Herz. Was sollten sie damit auch unterwegs?'
Autorenporträt
Salamon Dembitzer (1888 in Krakau geboren, 1964 in Lugano gestorben) schrieb in den 20er Jahren für die "Welt am Montag", den "Vorwärts", das "Berliner Tageblatt" und die "Arbeiter-Zeitung", Wien. Im März 1933 emigrierte er nach Holland. Sieben Jahre später flüchtete er aus Belgien über Frankreich nach Lissabon, um von dort in die USA einzureisen. Er lebte bis 1947 in New York, dann übersiedelte er nach Sydney, wo er einige Bücher publizierte. Ab 1958 lebte er in der Schweiz, ohne noch etwas zu veröffentlichen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.12.2009

Der Weg nach Lissabon führt über lauter Steine

Der jüdische Schriftsteller und Journalist Salamon Dembitzer floh vor den Nazis über Frankreich und Portugal nach Amerika. Und schrieb darüber einen großen Roman, in dem er sein Schicksal zum Zeitpanorama weitet.

Als der Ansturm losbricht, sind alle überfordert: die paneuropäischen Migranten, die vor den anrückenden Deutschen fliehen, ebenso wie die für sie zuständigen Behörden im Transitland Frankreich, die mit ihren Stempeln und Papieren als Grenzwächter oder Toröffner fungieren. Und dann ist da dieser würdige ältere Herr in Bayonne, auch er ein Flüchtling vor den Nazis, der unter seinem Regenschirm heraus das Chaos vor den Konsulaten beobachtet, von seinem Geschäft in der Frankfurter Innenstadt spricht und seinen Leidensgenossen versichert: "Wissen Sie, bei uns in Deutschland hätte das nicht passieren können."

Wer aus seinem Leben gedrängt wird, wer sich in fortgeschrittenem Alter völlig neu orientieren muss, wer Flüchtling ist und sich noch einen Wimpernschlag zuvor fest im Bürgertum seiner Stadt verankert sah, der wird in seiner Verstörung ganz neue Strategien der Haltsuche entwickeln. Salamon Dembitzer, der 1888 als Enkel des jüdischen Historikers Chauim Nathan Dembitzer in Krakau geboren wurde, kannte dies nur zu genau: Der Schriftsteller und Journalist, der jahrelang in Berlin gelebt hatte und in "Die Geistigen", einer witzigen Satire auf den Literaturbetrieb der Weimarer Republik, unter anderen Döblin und Kerr aufs Korn genommen hatte, war vor den Faschisten erst nach Holland, 1935 dann nach Belgien geflohen. Im Mai 1940 aber, als deutsche Soldaten das Land besetzten, war Dembitzer auch hier nicht mehr sicher und musste weiter nach Frankreich fliehen, nach Spanien und Portugal, wo er schließlich 1941 ein Schiff nach Amerika besteigen konnte.

Ein Großteil seiner Manuskripte ging auf dieser Flucht verloren. Im Exil entstand ein neues, das zuerst auf Englisch in Australien erschien und erst nach dem Tod des Autors im deutschen Original als Fortsetzungsroman im "Israelischen Wochenblatt". Jetzt liegt es unter dem Titel "Visum nach Amerika" erstmals als äußerst schön gestaltetes Buch vor. Und zeigt einen Autor in Glanzform, der seinem ungeheuren Thema ersichtlich gewachsen ist: der literarischen Chronik der eigenen Flucht, die sich zu einem Panorama der Flüchtlinge an sich weitet und damit so zeitgebunden wie zeitlos ist.

Die Welt, in der sich Dembitzer und sein Alter Ego, der Schriftsteller Sylvian Horn, mit seiner jungen Freundin Malvine van Gent bewegt, trennt ein schmaler Grat von der Normalität der Friedenszeit. Denn Horn hat - anders als viele seiner Weggefährten - ein paar Goldstücke retten können, die, nach und nach umgetauscht, die Reise mit Zügen und Taxis ermöglichen, die Übernachtung in Hotels, Abendessen in Restaurants und dergleichen mehr.

Dass ihre Welt unübersehbar aus den Fugen geraten ist, teilt sich ihnen aber schon durch die pure Anzahl derer mit, die mit ihnen reisen, die sich mit ihnen vor den Konsulaten drängeln, ewig warten und niemals auch nur die Schwelle der Diensträume überschreiten, die einander argwöhnisch beäugen oder großherzig helfen, die Nachrichten und Gerüchte verbreiten und niemals wissen, was davon stimmt und was Wunschdenken ist.

Immer wieder taucht da - während man im französisch-spanischen Grenzland auf die Ausreise wartet - das Gerücht auf: "Russland hat Deutschland den Krieg erklärt!" Man jubelt, man rechnet sich aus, dass nun, im Sommer 1940, der Krieg höchstens noch zwei Wochen dauern kann, doch schon meldet sich ein neuer Informant bei Horn: "Ich habe Ihnen etwas Wichtiges mitzuteilen, die Deutschen sind kaum vierzig Kilometer von hier." Beides stellt sich als falsch heraus, aber natürlich hätte es auch richtig sein können, und Dembitzers Darstellung jener Grunderregung, jener nie nachlassenden Anspannung, die derlei in den Flüchtlingen notwendig hervorbringt, ist so meisterlich wie beklemmend. Denn wo es keine äußeren Anhaltspunkte darüber gibt, wie sich die militärische und politische Situation entwickelt, die über die Existenzen der hier Versammelten entscheidet, da kann man nur auf Gesten und Stimmen vertrauen, auf Menschen, die einem glaubwürdig erscheinen oder eben nicht.

"Heute ist Samstag. Am kommenden Mittwoch können die Deutschen hier sein", mutmaßt Horn einmal in Bayonne gegenüber einem Angestellten einer Schifffahrtsgesellschaft, der ihn um ein paar Tage vertröstet hatte: ",Was fällt Ihnen ein!' Der Mann nahm eine Landkarte und zeigte Horn, wo sich die Deutschen gegenwärtig befanden. ,Tausend Kilometer von Bayonne entfernt. Nicht vor zwei Monaten können sie diese Stadt erreichen. Außerdem sind die Franzosen noch da.' Horn drückte seine Hand und war einen Moment lang gerührt." Und ist Minuten später schon wieder voller Panik.

Und sollte er nicht? Denn natürlich ist auch auf das mutmaßlich solide Gefüge der staatlichen Verordnungen und Regeln im Umgang mit Migranten kein Verlass, gerade wenn sie im Brustton der Überzeugung verkündet werden. Dabei ist schon ihre Umsetzung schwierig genug. Haben etwa Horn und Malvine endlich mit viel Glück ein Visum für Portugal bekommen, fehlt immer noch das für Spanien. Und war es sonst immer der in Polen geborene Horn, der in den Ämtern deshalb zurückgewiesen wurde, erhält er nun ohne Probleme das begehrte Papier, nicht aber Malvine. Was tun? Schnell noch heiraten, per Schiff unter Umgehung Spaniens von Biarritz nach Lissabon reisen oder einfach heimlich über die Grenze? Und als dann endlich ihre Papiere vollständig sind, erfahren sie, dass die Grenzen ab sofort geschlossen sind - Visum hin oder her.

Über all das zerbröselt Horns anfangs noch eher gefasste Haltung. Er redet wirr, weint, küsst wildfremde Menschen, unterhält sich mit Sonne und Wind und schließlich sogar höchst kontrovers mit Gott. Er deutet Zeichen und glaubt etwa in Spanien, dass man ihn gerade in einen Wagen der SS geführt hätte, bis er erfährt, dass das Autokennzeichen für "San Sebastián" steht.

"Man müsste ein neues Wort für diese Flucht erfinden", sagt Horn einmal, "denn es ist ja keine gewöhnliche Flucht. Fliehen heißt irgendwohin laufen und dort bleiben. Hier handelt es sich ja um ein ewiges, ununterbrochenes Laufen ohne Ziel . . . und dabei überall Hindernisse, überall Steine, und was für Steine!" Der Tatsache, dass Dembitzer in all dem die Kraft fand, genau hinzuschauen, verdanken wir einen großen Roman.

TILMAN SPRECKELSEN

Salamon Dembitzer: "Visum nach Amerika". Roman. Weidle Verlag, Bonn 2009. 320 S., br., 21,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wie erstaunlich!, findet Tilman Spreckelsen. Dass Salamon Dembitzer seine eigenen schmerzhaften Erfahrungen der Flucht und des Exils in diesem Roman so glanzvoll verarbeiten konnte, hält er für eine große Leistung. Das Buch lässt Spreckelsen teilhaben an diesem "ungeheuren Thema". Überwältigend wird es für den Rezensenten erst durch die Erweiterung der eigenen Biografie zu einem zeitlosen Panorama der Flüchtlinge, in dem die ganze Anspannung zwischen Furcht und der Hoffnung auf Erlösung "meisterlich wie beklemmend" vermittelt wir.

© Perlentaucher Medien GmbH