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Produktbeschreibung
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Autorenporträt
Jostein Gaarder
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.1997

Mein stolzer Bettpfosten
Si tacuisses: Jostein Gaarder mit weiblichen Bekenntnissen

Eine Frau hat Grund zur Klage: Zwölf Jahre lebte sie mit einem Mann zusammen, in gegenseitiger Treue und großer Intensität auf allen Ebenen; dann wird sie Knall auf Fall fortgeschickt. Es gibt zwar noch ein kurzes Wiedersehen, doch das endet nach sinnenfrohen Stunden darin, daß der Mann sie furchtbar verprügelt. Jahre später veröffentlicht der Mann ein Buch, in dem er unter anderem seine Sicht auf diese Liebesgeschichte darstellt, die aber nun gar nichts mit der Erfahrung der Frau gemein hat. Da setzt sie sich hin und schreibt ihm einen Brief. Jostein Gaarder hat ihm den Titel "Das Leben ist kurz" gegeben, denn den Satz hat der Mann manchmal geäußert. Der Mann heißt Aurelius Augustinus und gilt heute als Kirchenvater, die Frau heißt Floria Amalia, war seine Konkubine und steht jetzt auf eigenen Beinen: "Ich gelte nun als gelehrte Frau und gebe hier in Karthago Privatunterricht", gibt sie bekannt; obendrein verweist sie darauf, daß sie Philosophie studiert habe, und spickt ihren Brief reichlich mit einschlägigen Klassikerzitaten. Die dienen aber auch als Munition gegen Augustins neues Denken, wie es sich in seinem Buch "Confessiones" widerspiegelt: daß der Mann enthaltsam leben solle in jeder Hinsicht, wie dies Gottes Wille sei.

"An einen solchen Gott glaube ich nicht", schreibt sie ihrem "treulosen Tiger", weil der sich damit ja von großen Teilen seiner Schöpfung selbst distanzieren würde. Außerdem habe er doch durch seine Praxis eine durchaus weltliche Orientierung bewiesen: "Mein kleiner Hengst", "mein stolzer Bettpfosten" adressiert sie den Neu-Asketen und erinnert ihn daran, "wie du es genossen hast, mich zu pflücken, wie du meine Säfte genossen hast". Tempi passati, vergangene Zeiten, denn jetzt attestiert sie ihm: "Wahrlich, du bist zum Eunuchen geworden", dagegen "hatte unsere Beziehung von Anfang an auf einem starken sinnlichen Fundament geruht", sich darin aber nicht erschöpft, denn vor und nach dem Rückzug auf dieses Fundament sei auch immer philosophiert worden. Und daß da etwas gewesen sei, gebe Augustinus ja auch selbst zu, wenn er über den Trennungsschmerz lamentiere, und bei aller eigenen Verwundung bietet Floria ihm doch Heilung an: "Das einzige, was dich vielleicht befreien könnte, ist meine Umarmung." Dies sei nicht nur um seiner selbst willen geboten, drohten doch, wenn sein Denken geschichtsmächtig würde, durchaus großkalibrige Gefahren: "Ich fröstle, denn ich fürchte, es wird eine Zeit kommen, in der die Kirchenmänner Frauen wie mir das Leben nehmen werden."

Hier antizipiert Floria in einem großen Zeitsprung die Hexenverbrennung, aber das Zukunftsweisende scheint sie sowieso ausgezeichnet zu haben. So schrieb sie Augustinus: "Si tacuisses, philosophus manuisses", wenn du geschwiegen hättest, wärest du ein Philosoph geblieben. Damit verblüfft sie Jostein Gaarder ("In meinen Augen ist das Florias bemerkenswertester Ausspruch"), und dies nun nicht, weil sie statt des üblichen "mansisses" "manuisses" schreibt, sondern weil der elegante Zweizeiler bislang als Erfindung des Boethius hundert Jahre später gehandelt werde. Was nun wieder Indiz dafür sei, daß Boethius zumindest Teile von Florias Brief gekannt habe. (Wohl wirklich nur Teile, denn den Satz gibt es so bei Boethius nicht, aber das ist eine andere Geschichte.)

Nur: wie kommen wir über 1500 Jahre nach der Affäre Augustinus/Floria überhaupt zu ihren Aussprüchen, wo doch von ihrer Existenz, abgesehen von den Hinweisen in Augustinus' "Bekenntnissen", bislang nahezu nichts bekannt war? Eine entscheidende Rolle hat Gaarders Visa-Card gespielt. Die wurde gebraucht, um das Manuskript in einem Antiquariat in Buenos Aires für umgerechnet 25000 Kronen zu erstehen - und soviel Bargeld hat selbst ein Bestsellerautor nicht immer parat. Gaarder, vom Antiquar umgehend als Autor von "Sofies Welt" erkannt, hatte zwar anfangs Zweifel ob der Authentizität des Erworbenen, der ist aber nach seinen Angaben inzwischen der finsteren Gewißheit gewichen, einen Schatz gehoben zu haben. Mindestens noch der Papst von 1930, Pius XI., habe diese Augustinus-Kritik - insgeheim - gekannt; eine Leiche also in den Katakomben des Vatikans, und die um Prüfung gebetene Vatikanbibliothek habe den Fund obendrein einfach verschwinden lassen. Sein Hauptargument aber ist, daß "Satzbau und Wortwahl typisch sind für die Spätantike, und das gilt ebenfalls für Florias Mischung aus Sinnlichkeit und fast verzweifelter religiöser Reflexion". Das Argument trifft, jedenfalls wenn man davon ausgeht, daß spätantiker Briefverkehr gekennzeichnet ist durch eine Mischung aus Uta Ranke-Heinemann, Josefine Mutzenbacher und Jürgen Fliege.

Mit anderen Worten: Nichts ist dagegen zu sagen, der bislang namenlosen Konkubine eine literarische Existenz zu schaffen und sie mit gut abgehangenen Einwänden gegen Augustinus' neue Identität auszustatten, legitim ist auch die Verwendung des durchaus erprobten erzähltechnischen Vehikels eines Zufallsfundes. Was aber unangenehm aufstößt, ist der lächerliche Kontrast zwischen der penetrant vorgetragenen Echtheitsbehauptung und der inhaltlich wie sprachlich gepfuschten, weder intelligenten noch amüsanten Durchführung. Der angebliche Adressat Augustinus wird unaufhörlich mit Selbstverständlichkeiten aus seinem gemeinsamen Leben mit Floria gelangweilt wie auch mit beliebig im Text verstreuten und dort noch oft schlampig abgeschriebenen Lesefrüchten aus dem zu Florias Zeiten haushaltsüblichen Standardwerk von Büchmanns spätantikem Vorgänger "Verba pennata", "Geflügelte Worte", erschienen bei Reclam (oder Artemis?) in Rom um 380. Andererseits: daß Floria mit der ganzen Sache wenig bis nichts zu tun hat, signalisiert Gaarder schon dadurch, daß er Florias Brief unter seinem Namen in die Buchläden schickt.

Ein matter Studentenulk zur weiteren Verwirrung eh schon verwirrter Religions-und Philosophielehrer? "Interesse an der lateinischen Sprache und der klassischen Kultur überhaupt" möchte Gaarder damit laut Vorwort wecken. Den Wecker gibt's schon lange, Suetons "Caesarenleben", sex and crime für jung und alt. Der einzige Vorteil von Gaarders viertem Buch, dem Floria-Fake, ist, daß es in jeder Beziehung dünn geraten ist. Oder, wie es auf der antiken Eieruhr zu lesen ist, die kürzlich von einem nigerianischen Basketballspieler auf einem Flohmarkt in Oslo mit AfriCard erworben wurde: Vita brevis est, ars Gaarderis quoque. BURKHARD SCHERER

Jostein Gaarder: "Das Leben ist kurz. Vita brevis". Aus d. Norwegischen übers. von Gabriele Haefs. C. Hanser Verlag, München 1997. 130 S., 24,80 DM. Ab 13 J.

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