Genial genital - alles über den weiblichen Körper, Sex und Gesundheit
Es lebe die Vagina! Sie ist ein ebenso fabelhaftes wie sensibles Organ. Wie viel gibt es zu entdecken, zu staunen - und zu genießen! Denn wie wir uns selbst kennen und spüren, beeinflusst grundlegend unsere Gefühle, Stimmungen und unser generelles Wohlbefinden.
Kein Rumgerede über die »Muschi«, keine falsche Scham und auch kein medizinisches Kauderwelsch: Die jungen Ärztinnen Nina Brochmann und Ellen Støkken Dahl erklären in diesem Buch direkt, unverkrampft und mit dem nötigen Fachwissen alles über die entscheidenden Themen: die Klitoris - nur die Spitze des Eisbergs; PMS - das Potentielle Mordsyndrom oder mögliche Sorgen im Intimbereich. Aus ihrer Erfahrung als Sexualberaterinnen und aus ihrem Klinikalltag wurde ihnen eines klar: Höchste Zeit, uns besser mit der Vagina vertraut zu machen. Viva la Vagina!
Es lebe die Vagina! Sie ist ein ebenso fabelhaftes wie sensibles Organ. Wie viel gibt es zu entdecken, zu staunen - und zu genießen! Denn wie wir uns selbst kennen und spüren, beeinflusst grundlegend unsere Gefühle, Stimmungen und unser generelles Wohlbefinden.
Kein Rumgerede über die »Muschi«, keine falsche Scham und auch kein medizinisches Kauderwelsch: Die jungen Ärztinnen Nina Brochmann und Ellen Støkken Dahl erklären in diesem Buch direkt, unverkrampft und mit dem nötigen Fachwissen alles über die entscheidenden Themen: die Klitoris - nur die Spitze des Eisbergs; PMS - das Potentielle Mordsyndrom oder mögliche Sorgen im Intimbereich. Aus ihrer Erfahrung als Sexualberaterinnen und aus ihrem Klinikalltag wurde ihnen eines klar: Höchste Zeit, uns besser mit der Vagina vertraut zu machen. Viva la Vagina!
Nie war ein medizinisches Sachbuch über das weibliche Geschlecht näher dran an der Lebensrealität von heute. Chapeau! Tabea Grzeszyk Deutschlandfunk Kultur 20180313
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.02.2018Nun zur Sache, Schätzchen
Ob Ursprung der Welt, mütterlicher Schoß, Objekt der Begierde oder Venusfalle: Das weibliche Geschlechtsorgan muss für vieles herhalten. Man kann es aber auch mal medizinisch betrachten.
Von Sonja Kastilan
Schon die Frage, wie man einen Artikel zu diesem Thema bebildert, ist derzeit eine echte Herausforderung. Weder Anatomieatlas noch Marmor-Akt werden diesem gerecht. Ein Nacktfoto könnte falsche Gedanken wecken, die Nahaufnahme zu sehr ablenken. Oder irritieren. Also Objektkunst. Die Entwürfe der amerikanischen Künstlerin Suzanna Scott lassen sich auf verschiedene Weise interpretieren und sind in ihrer Gestaltung doch eindeutig zu verstehen: Das im Jahr 2015 gestartete Projekt "Coin Cunts" huldigt dem weiblichen Geschlecht in bunter Vielfalt. Mittlerweile sind Hunderte solcher Vaginabeutel aus Stoff entstanden, zu sehen ist auf dieser Seite nur eine Börse, stellvertretend für alle anderen. Schließlich soll es ganz allgemein um den Unterleib gehen - und um ein besonderes Buch, verfasst von den beiden Norwegerinnen Nina Dølvik Brochmann und Ellen Støkken Dahl.
Elektronisch versandt steht es offenbar unter Spam-Verdacht. Firewalls wehren immer wieder Mails mitsamt den aktuellen Fahnen ab, lassen sich aber irgendwann austricksen. Auf den 400 Seiten ist allerdings nichts Anrüchiges zu lesen über das genitale Mysterium, das sich wahlweise mit großem V, oder B, D, L, M, P, R, S, Z und ebenso F schreiben ließe, je nachdem, welches Synonym die eigene Sprachbegabung, Phantasie und Prüderie für den lateinischen Begriff Vagina erlauben. Das Buch stößt weltweit auf Interesse. Obwohl es nicht das erste freimütige Werk dieser Art ist, wird es bald in über 33 Sprachen erhältlich sein. Sogar auf Arabisch und Chinesisch, was den Autorinnen viel bedeutet. In ihrem Heimatland ist es unter dem Titelreim "Gleden med Skjeden" ein Bestseller.
Das Wortspiel, übersetzt etwa "Freude mit der Scheide", kündigt keinen Erotikroman an, kein BDSM-Märchen à la "Fifty Shades of Grey", das jetzt im Kino mit Teil 3 endlich zum Höhepunkt kommt, sondern ein Sachbuch. Ungeniert nennen die Medizinerinnen Brochmann und Dahl darin die Dinge beim Namen. Am 22. Februar erscheint die deutsche Fassung. Während im Englischen bedeutsam "The wonder down under" gefeiert wird und Französinnen von "Les Joies d'en bas" in Rosarot samt Kätzchen lesen, lautet der Titel bei uns Deutschland dann "Viva la Vagina!". Auf dem Cover zeigen die Autorinnen selbstbewusst Gesicht, neben ihrem Foto prangt unverhüllt das weibliche Geschlecht, als medizinische Zeichnung von der Illustratorin Hanne Sigbjørnsen nüchtern skizziert. Aufklärung, ja bitte, vertrauenswürdig und mit Vergnügen, aber für falsche Scham ist kein Platz - das wird gleich von vornherein signalisiert.
Überhaupt sind die Autorinnen stets um Offenheit bemüht, im Gespräch niemals um eine Antwort verlegen. Und ein Wort würden sie wohl am liebsten aus der Übersetzung streichen, in der noch von inneren und äußeren Schamlippen die Rede ist. In Norwegen zogen sie gegen diese Scham an unerwünschter Stelle in den Kampf. "Wörter haben Bedeutung, in der Literatur wie in der Diplomatie und Wissenschaft", erklären Brochmann und Dahl, "vielleicht dienen sie der Präzision, vielleicht formen sie Meinungen. Auf jeden Fall bestimmen sie, wie wir die Welt sehen." Im Genitalbereich sei das nicht anders, wenn intimste Körperteile die Scham als Vorsilbe erhalten, präge das eben die Sicht auf uns selbst und unser Sexleben. Gerade Frauen habe man lange genug eingeredet, dass sie sich ihrer Lust und Sexualität schämen sollten. "Wie sollen wir das ändern, wenn wir selbst diese Begriffe weiterhin benutzen?" Schamlippe sei nicht einfach nur ein Wort. In Norwegen immerhin habe das Äquivalent "skamleppe" seit kurzem ausgedient. Niemand verwende es jetzt noch, abgesehen von alten, konservativen Männern.
Solche Bezeichnungen lassen sich also aus dem Sprachgebrauch verbannen, der Beweis ist erbracht, deshalb wünschen sich die jungen Medizinerinnen, dass man in Deutschland und anderen Ländern ebenfalls versucht, was in Norwegen schon gelang. Warum Frauen nicht längst differenzieren, verstehen sie nicht: "Unsere Genitalien sind wunderbar." Für die Frau von heute könnte das zum neuen Credo werden, im Sachbuch der Norwegerinnen findet sich jedenfalls eine kleine Orgasmusbibel.
Ihren Aufklärungs-Blog "Underlivet" hatten Brochmann und Dahl im Jahr 2015 als Studentinnen gestartet, nachdem sie über Jahre hinweg Jugendliche, Sexarbeiter und Flüchtlinge auf diesem Gebiet unterrichtet hatten. Dass Bedarf an fundiertem Wissen besteht, ahnten sie, vom Erfolg sind sie trotzdem überrascht. Die Unterleibsthemen werden millionenfach geklickt, selbst auf banale Fragen schienen viele zuvor keine vernünftige Antwort zu kennen. Nicht nur Teenager suchen Rat auf dieser Website, für die inzwischen ein neues Team verantwortlich ist. "Wir haben die Blogarbeit gerade an frühere Kollegen von der Sexualaufklärungsstelle der Universität Oslo übergeben. Nun werden andere junge Medizinstudenten die Fackel tragen", sagt die 26-jährige Dahl, die selbst noch ein Semester absolvieren muss. Die 30-jährige Brochmann, Mutter eines Kleinkindes, hat mittlerweile ihr Examen in der Tasche. Sie arbeitet als Ärztin in der Notaufnahme.
Weibliche und männliche Leser sollen lernen, stolz auf ihre Körpern zu sein. So wünschen sich das die debütierenden Autorinnen, die auf finanzielle Unabhängigkeit bedacht sind und sich von Werbeaufträgen oder Sponsoren nicht bevormunden lassen wollen. Mit Blog und Buch wollen sie in erster Linie vertrauenswürdige Informationen vermitteln, die auf medizinischer Forschung und Wissenschaft basieren. Auf lustige, nicht verurteilende Weise und "ohne moralischen Fingerzeig die Kenntnisse über unsere unglaublichen Körper stärken". Auch wenn die "Me Too"-Debatte kein Kapitel in ihrem Buch einnimmt - danach gefragt, beziehen Brochmann und Dahl wie zu erwarten eine klare Position. Diese Diskussion sei wichtig, eine Art Augenöffner, denn die Bewegung zeige das wahre Ausmaß des Problems. Wer sich in seinem Körper wohl fühle, davon sind die Medizinerinnen überzeugt, könne leichter Grenzen setzen und bei einer Überschreitung direkter wagen, nein zu sagen.
Ob es nun juckt im Schritt, zu viele Haare stören oder die biologische Uhr tickt: Frauen sind nach der Lektüre tatsächlich up to date. Nina Dølvik Brochmann und Ellen Støkken Dahl legen alle Fakten verständlich dar und ihre Quellen offen. Ihr Buch, das sich vor allem an die 20- und 30-Jährigen richtet, aber auch 80-Jährige begeistert, widmen sie "allen Frauen, die sich fragen, ob sie richtig funktionieren, ob sie richtig aussehen, und ob sie richtig empfinden". Selbst in einem modernen, aufgeklärten Land wie Norwegen stehen insbesondere junge Frauen - noch oder wieder - unter Druck, wie sich schon im Blog zeigt; herauszufinden, was "normal" ist, treibt sie um. In der Intimsphäre herrscht Unsicherheit. Blowjobs, Multiorgasmen, anale Penetrationen und Dauererektionen gehören vermeintlich zum Pflichtprogramm, wenn doch eigentlich eine individuelle Kür gefragt ist.
Pornographie sei für Heranwachsende oft die erste Informationsquelle, wenn es um Intimität, Sex und Liebe geht. Kinder würden heute sehr jung mit dem Konsum von Pornofilmen beginnen, was Erwachsene gerne ignorieren. Da dürfe man sich nicht wundern, wenn diese Generation mit ziemlich schrägen Vorstellungen groß werde, meint Brochmann. Ohne Pornos grundsätzlich zu verteufeln, empfiehlt Dahl deshalb Eltern, durchaus früh mit ihren Sprösslingen unbefangen über Sex zu sprechen, denn aufgeklärte Kinder würden sich nicht nur eher mit Kondomen schützen, sondern zudem länger warten, bis es zum ersten Mal passiert. Mehr Kenntnisse wären Teenagern jedenfalls zu wünschen, denn aktuelle Studien an Schulen in Berlin und anderen europäischen Städten decken gefährliche Defizite auf. Jenseits von Aids und HIV wissen Jugendliche nur wenig über sexuell übertragbare Krankheiten, wenn überhaupt.
Die Schlüsselfrage nach dem Wann und Wie beantworten die norwegischen Autorinnen natürlich nicht mit einer Vorgabe. Im Buch machen sie Mut, falls das Debüt enttäuschend ausfiel, und nennen ein Durchschnittsalter - keine Frist. Mit 15 Jahren wäre das in Deutschland der Fall, Mädchen starten durchschnittlich etwas jünger, Jungs liegen knapp darüber. Es gibt jedoch kein Muss zur Lust, nicht den perfekten Ort, und auch die Definition von "echtem Sex" bleiben Brochmann und Dahl aus gutem Grund schuldig: "Wir stecken selbst den Rahmen für unser Sexleben ab." Zu respektvollem Verhalten fordern sie allerdings auf, entlehnen ihre einfache Richtschnur einem norwegischen Kinderbuch: "Andere nicht ärgern, lieb und freundlich sein, ansonsten ist alles erlaubt."
Um das Verhältnis von Dichtung zu Wahrheit in Pornofilmen zu veranschaulichen, greifen die Medizinerinnen auch schon mal auf den "Hobbit" zurück. Pornodarsteller vergleichen sie mit Extremsportlern. Und welcher Anfänger im Schnee käme auf die Idee, eine Skipiste gleich wie ein Profi runterzubrettern? Bein oder Genick bricht man sich zwar selten im Bett. Dass hier trotzdem Gefahren lauern, aber auch, welche Übungen das Vergnügen steigern, erklären Brochmann und Dahl mit viel Liebe zum Detail. Nach dem Vorbild des Erfolgsbuches "Darm mit Charme" der deutschen Medizinstudentin Giulia Enders, die Gespräche über Kacke salonfähig machte, nehmen sie sich Tabuthemen der Medizin an. Auf ihrer Entdeckungstour durch die weiblichen Feuchtgebiete kennen die Norwegerinnen keine Scheu. Mit Wonne widersprechen sie Sigmund Freud oder beschreiben das olfaktorische Phänomen einer "Discomaus", warnen vor Chlamydien, raten zur Krebsvorsorge und machen weder vor Blasenschwäche noch Genitalverstümmelung halt. Brochmann und Dahl präsentieren erstaunlich harte Fakten im Plauderton. Einfach, locker, nie vulgär: Wissen mit Witz, unterhaltsam und wahrhaftig schamlos.
Illustrationen dienen dem Verständnis, aber es ist kein Bilderbuch. Ebenso wenig ein schlichter "User's guide", wie es der Untertitel einer englischen Version vermuten lässt. Trotz praktischer Tipps, Beispielen aus der Populärkultur und recht saloppen Formulierungen ist es ein überaus ernsthaftes Aufklärungsbuch. Eines, das unmissverständliche Lektionen in Statistik erteilt, wenn es etwa die Sicherheit von Verhütungsmethoden oder mögliche Nebenwirkungen der Pille behandelt. Eines, das neue Studien zitiert und die Eizelle munter zur Diva auf der Party erklärt. Die sei eigentlich der Chef und entscheide. Von weiblicher Passivität könne in Wahrheit keine Rede sein, vielmehr verhielten sich die männlichen Spermien wie Groupies.
Brochmann und Dahl bezeichnen sich selbst als Nerds. Nichts täten sie lieber, als tief in eine neue Materie einzutauchen, auf Recherche in der Bibliothek oder in der Diskussion mit Experten an der Universität. Für die verschiedenen Kapitel ihres Vagina-Buches lasen sie sich in die jeweilige Fachliteratur ein, das Hymen forderte sie allerdings besonders heraus. "Wir sprachen sogar mehrfach mit Forensikern, um der Sache auf den Grund zu gehen", sagt Dahl und räumt mit dem gefährlichen Mythos vom Jungfernhäutchen auf, das eher ein elastischer Ring aus Gewebe als ein Siegel sei. Fließt beim ersten Geschlechtsverkehr Blut, sei das wiederum kein Beweis der Unberührtheit und umgekehrt. "Jungfräulichkeit ist medizinisch nicht nachweisbar", stellen die beiden ein für allemal fest, in der Hoffnung, dass sich dieses traurige Kapitel der Diskriminierung bald schließen lasse; ihr aufklärender TED-Talk dazu ist zumindest ein Youtube-Hit.
Mit ihrem Erstling legen Nina Dølvik Brochmann und Ellen Støkken Dahl ein beachtliches Werk vor. Eine Herzensangelegenheit, für die sie bereit sind, einen Teil ihrer Privatsphäre aufzugeben und sich öffentlich für das "Wunder da unten" zu engagieren. Im Herbst dreht sich dann wieder alles um Familie und Beruf. Die eine geht mit Vollzeitstelle ins Krankenhaus, die andere zurück zum Studium. Aber ja, sie wollen mehr schreiben und irgendwann ein neues Thema in Angriff nehmen. Ein Buch über Brüste vielleicht? Nein, das wohl nicht. Die beiden lachen.
Nina Dølvik Brochman und Ellen Støkken Dahl.
Zwei junge norwegische Medizinerinnen erklären das weibliche Geschlecht - auf 400 Seiten, illustriert von Hanne Sigbjørnsen, in ihrem Buch: "Viva la Vagina!"
S.Fischer Verlag, Frankfurt 2018, 16,99 [Euro]
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ob Ursprung der Welt, mütterlicher Schoß, Objekt der Begierde oder Venusfalle: Das weibliche Geschlechtsorgan muss für vieles herhalten. Man kann es aber auch mal medizinisch betrachten.
Von Sonja Kastilan
Schon die Frage, wie man einen Artikel zu diesem Thema bebildert, ist derzeit eine echte Herausforderung. Weder Anatomieatlas noch Marmor-Akt werden diesem gerecht. Ein Nacktfoto könnte falsche Gedanken wecken, die Nahaufnahme zu sehr ablenken. Oder irritieren. Also Objektkunst. Die Entwürfe der amerikanischen Künstlerin Suzanna Scott lassen sich auf verschiedene Weise interpretieren und sind in ihrer Gestaltung doch eindeutig zu verstehen: Das im Jahr 2015 gestartete Projekt "Coin Cunts" huldigt dem weiblichen Geschlecht in bunter Vielfalt. Mittlerweile sind Hunderte solcher Vaginabeutel aus Stoff entstanden, zu sehen ist auf dieser Seite nur eine Börse, stellvertretend für alle anderen. Schließlich soll es ganz allgemein um den Unterleib gehen - und um ein besonderes Buch, verfasst von den beiden Norwegerinnen Nina Dølvik Brochmann und Ellen Støkken Dahl.
Elektronisch versandt steht es offenbar unter Spam-Verdacht. Firewalls wehren immer wieder Mails mitsamt den aktuellen Fahnen ab, lassen sich aber irgendwann austricksen. Auf den 400 Seiten ist allerdings nichts Anrüchiges zu lesen über das genitale Mysterium, das sich wahlweise mit großem V, oder B, D, L, M, P, R, S, Z und ebenso F schreiben ließe, je nachdem, welches Synonym die eigene Sprachbegabung, Phantasie und Prüderie für den lateinischen Begriff Vagina erlauben. Das Buch stößt weltweit auf Interesse. Obwohl es nicht das erste freimütige Werk dieser Art ist, wird es bald in über 33 Sprachen erhältlich sein. Sogar auf Arabisch und Chinesisch, was den Autorinnen viel bedeutet. In ihrem Heimatland ist es unter dem Titelreim "Gleden med Skjeden" ein Bestseller.
Das Wortspiel, übersetzt etwa "Freude mit der Scheide", kündigt keinen Erotikroman an, kein BDSM-Märchen à la "Fifty Shades of Grey", das jetzt im Kino mit Teil 3 endlich zum Höhepunkt kommt, sondern ein Sachbuch. Ungeniert nennen die Medizinerinnen Brochmann und Dahl darin die Dinge beim Namen. Am 22. Februar erscheint die deutsche Fassung. Während im Englischen bedeutsam "The wonder down under" gefeiert wird und Französinnen von "Les Joies d'en bas" in Rosarot samt Kätzchen lesen, lautet der Titel bei uns Deutschland dann "Viva la Vagina!". Auf dem Cover zeigen die Autorinnen selbstbewusst Gesicht, neben ihrem Foto prangt unverhüllt das weibliche Geschlecht, als medizinische Zeichnung von der Illustratorin Hanne Sigbjørnsen nüchtern skizziert. Aufklärung, ja bitte, vertrauenswürdig und mit Vergnügen, aber für falsche Scham ist kein Platz - das wird gleich von vornherein signalisiert.
Überhaupt sind die Autorinnen stets um Offenheit bemüht, im Gespräch niemals um eine Antwort verlegen. Und ein Wort würden sie wohl am liebsten aus der Übersetzung streichen, in der noch von inneren und äußeren Schamlippen die Rede ist. In Norwegen zogen sie gegen diese Scham an unerwünschter Stelle in den Kampf. "Wörter haben Bedeutung, in der Literatur wie in der Diplomatie und Wissenschaft", erklären Brochmann und Dahl, "vielleicht dienen sie der Präzision, vielleicht formen sie Meinungen. Auf jeden Fall bestimmen sie, wie wir die Welt sehen." Im Genitalbereich sei das nicht anders, wenn intimste Körperteile die Scham als Vorsilbe erhalten, präge das eben die Sicht auf uns selbst und unser Sexleben. Gerade Frauen habe man lange genug eingeredet, dass sie sich ihrer Lust und Sexualität schämen sollten. "Wie sollen wir das ändern, wenn wir selbst diese Begriffe weiterhin benutzen?" Schamlippe sei nicht einfach nur ein Wort. In Norwegen immerhin habe das Äquivalent "skamleppe" seit kurzem ausgedient. Niemand verwende es jetzt noch, abgesehen von alten, konservativen Männern.
Solche Bezeichnungen lassen sich also aus dem Sprachgebrauch verbannen, der Beweis ist erbracht, deshalb wünschen sich die jungen Medizinerinnen, dass man in Deutschland und anderen Ländern ebenfalls versucht, was in Norwegen schon gelang. Warum Frauen nicht längst differenzieren, verstehen sie nicht: "Unsere Genitalien sind wunderbar." Für die Frau von heute könnte das zum neuen Credo werden, im Sachbuch der Norwegerinnen findet sich jedenfalls eine kleine Orgasmusbibel.
Ihren Aufklärungs-Blog "Underlivet" hatten Brochmann und Dahl im Jahr 2015 als Studentinnen gestartet, nachdem sie über Jahre hinweg Jugendliche, Sexarbeiter und Flüchtlinge auf diesem Gebiet unterrichtet hatten. Dass Bedarf an fundiertem Wissen besteht, ahnten sie, vom Erfolg sind sie trotzdem überrascht. Die Unterleibsthemen werden millionenfach geklickt, selbst auf banale Fragen schienen viele zuvor keine vernünftige Antwort zu kennen. Nicht nur Teenager suchen Rat auf dieser Website, für die inzwischen ein neues Team verantwortlich ist. "Wir haben die Blogarbeit gerade an frühere Kollegen von der Sexualaufklärungsstelle der Universität Oslo übergeben. Nun werden andere junge Medizinstudenten die Fackel tragen", sagt die 26-jährige Dahl, die selbst noch ein Semester absolvieren muss. Die 30-jährige Brochmann, Mutter eines Kleinkindes, hat mittlerweile ihr Examen in der Tasche. Sie arbeitet als Ärztin in der Notaufnahme.
Weibliche und männliche Leser sollen lernen, stolz auf ihre Körpern zu sein. So wünschen sich das die debütierenden Autorinnen, die auf finanzielle Unabhängigkeit bedacht sind und sich von Werbeaufträgen oder Sponsoren nicht bevormunden lassen wollen. Mit Blog und Buch wollen sie in erster Linie vertrauenswürdige Informationen vermitteln, die auf medizinischer Forschung und Wissenschaft basieren. Auf lustige, nicht verurteilende Weise und "ohne moralischen Fingerzeig die Kenntnisse über unsere unglaublichen Körper stärken". Auch wenn die "Me Too"-Debatte kein Kapitel in ihrem Buch einnimmt - danach gefragt, beziehen Brochmann und Dahl wie zu erwarten eine klare Position. Diese Diskussion sei wichtig, eine Art Augenöffner, denn die Bewegung zeige das wahre Ausmaß des Problems. Wer sich in seinem Körper wohl fühle, davon sind die Medizinerinnen überzeugt, könne leichter Grenzen setzen und bei einer Überschreitung direkter wagen, nein zu sagen.
Ob es nun juckt im Schritt, zu viele Haare stören oder die biologische Uhr tickt: Frauen sind nach der Lektüre tatsächlich up to date. Nina Dølvik Brochmann und Ellen Støkken Dahl legen alle Fakten verständlich dar und ihre Quellen offen. Ihr Buch, das sich vor allem an die 20- und 30-Jährigen richtet, aber auch 80-Jährige begeistert, widmen sie "allen Frauen, die sich fragen, ob sie richtig funktionieren, ob sie richtig aussehen, und ob sie richtig empfinden". Selbst in einem modernen, aufgeklärten Land wie Norwegen stehen insbesondere junge Frauen - noch oder wieder - unter Druck, wie sich schon im Blog zeigt; herauszufinden, was "normal" ist, treibt sie um. In der Intimsphäre herrscht Unsicherheit. Blowjobs, Multiorgasmen, anale Penetrationen und Dauererektionen gehören vermeintlich zum Pflichtprogramm, wenn doch eigentlich eine individuelle Kür gefragt ist.
Pornographie sei für Heranwachsende oft die erste Informationsquelle, wenn es um Intimität, Sex und Liebe geht. Kinder würden heute sehr jung mit dem Konsum von Pornofilmen beginnen, was Erwachsene gerne ignorieren. Da dürfe man sich nicht wundern, wenn diese Generation mit ziemlich schrägen Vorstellungen groß werde, meint Brochmann. Ohne Pornos grundsätzlich zu verteufeln, empfiehlt Dahl deshalb Eltern, durchaus früh mit ihren Sprösslingen unbefangen über Sex zu sprechen, denn aufgeklärte Kinder würden sich nicht nur eher mit Kondomen schützen, sondern zudem länger warten, bis es zum ersten Mal passiert. Mehr Kenntnisse wären Teenagern jedenfalls zu wünschen, denn aktuelle Studien an Schulen in Berlin und anderen europäischen Städten decken gefährliche Defizite auf. Jenseits von Aids und HIV wissen Jugendliche nur wenig über sexuell übertragbare Krankheiten, wenn überhaupt.
Die Schlüsselfrage nach dem Wann und Wie beantworten die norwegischen Autorinnen natürlich nicht mit einer Vorgabe. Im Buch machen sie Mut, falls das Debüt enttäuschend ausfiel, und nennen ein Durchschnittsalter - keine Frist. Mit 15 Jahren wäre das in Deutschland der Fall, Mädchen starten durchschnittlich etwas jünger, Jungs liegen knapp darüber. Es gibt jedoch kein Muss zur Lust, nicht den perfekten Ort, und auch die Definition von "echtem Sex" bleiben Brochmann und Dahl aus gutem Grund schuldig: "Wir stecken selbst den Rahmen für unser Sexleben ab." Zu respektvollem Verhalten fordern sie allerdings auf, entlehnen ihre einfache Richtschnur einem norwegischen Kinderbuch: "Andere nicht ärgern, lieb und freundlich sein, ansonsten ist alles erlaubt."
Um das Verhältnis von Dichtung zu Wahrheit in Pornofilmen zu veranschaulichen, greifen die Medizinerinnen auch schon mal auf den "Hobbit" zurück. Pornodarsteller vergleichen sie mit Extremsportlern. Und welcher Anfänger im Schnee käme auf die Idee, eine Skipiste gleich wie ein Profi runterzubrettern? Bein oder Genick bricht man sich zwar selten im Bett. Dass hier trotzdem Gefahren lauern, aber auch, welche Übungen das Vergnügen steigern, erklären Brochmann und Dahl mit viel Liebe zum Detail. Nach dem Vorbild des Erfolgsbuches "Darm mit Charme" der deutschen Medizinstudentin Giulia Enders, die Gespräche über Kacke salonfähig machte, nehmen sie sich Tabuthemen der Medizin an. Auf ihrer Entdeckungstour durch die weiblichen Feuchtgebiete kennen die Norwegerinnen keine Scheu. Mit Wonne widersprechen sie Sigmund Freud oder beschreiben das olfaktorische Phänomen einer "Discomaus", warnen vor Chlamydien, raten zur Krebsvorsorge und machen weder vor Blasenschwäche noch Genitalverstümmelung halt. Brochmann und Dahl präsentieren erstaunlich harte Fakten im Plauderton. Einfach, locker, nie vulgär: Wissen mit Witz, unterhaltsam und wahrhaftig schamlos.
Illustrationen dienen dem Verständnis, aber es ist kein Bilderbuch. Ebenso wenig ein schlichter "User's guide", wie es der Untertitel einer englischen Version vermuten lässt. Trotz praktischer Tipps, Beispielen aus der Populärkultur und recht saloppen Formulierungen ist es ein überaus ernsthaftes Aufklärungsbuch. Eines, das unmissverständliche Lektionen in Statistik erteilt, wenn es etwa die Sicherheit von Verhütungsmethoden oder mögliche Nebenwirkungen der Pille behandelt. Eines, das neue Studien zitiert und die Eizelle munter zur Diva auf der Party erklärt. Die sei eigentlich der Chef und entscheide. Von weiblicher Passivität könne in Wahrheit keine Rede sein, vielmehr verhielten sich die männlichen Spermien wie Groupies.
Brochmann und Dahl bezeichnen sich selbst als Nerds. Nichts täten sie lieber, als tief in eine neue Materie einzutauchen, auf Recherche in der Bibliothek oder in der Diskussion mit Experten an der Universität. Für die verschiedenen Kapitel ihres Vagina-Buches lasen sie sich in die jeweilige Fachliteratur ein, das Hymen forderte sie allerdings besonders heraus. "Wir sprachen sogar mehrfach mit Forensikern, um der Sache auf den Grund zu gehen", sagt Dahl und räumt mit dem gefährlichen Mythos vom Jungfernhäutchen auf, das eher ein elastischer Ring aus Gewebe als ein Siegel sei. Fließt beim ersten Geschlechtsverkehr Blut, sei das wiederum kein Beweis der Unberührtheit und umgekehrt. "Jungfräulichkeit ist medizinisch nicht nachweisbar", stellen die beiden ein für allemal fest, in der Hoffnung, dass sich dieses traurige Kapitel der Diskriminierung bald schließen lasse; ihr aufklärender TED-Talk dazu ist zumindest ein Youtube-Hit.
Mit ihrem Erstling legen Nina Dølvik Brochmann und Ellen Støkken Dahl ein beachtliches Werk vor. Eine Herzensangelegenheit, für die sie bereit sind, einen Teil ihrer Privatsphäre aufzugeben und sich öffentlich für das "Wunder da unten" zu engagieren. Im Herbst dreht sich dann wieder alles um Familie und Beruf. Die eine geht mit Vollzeitstelle ins Krankenhaus, die andere zurück zum Studium. Aber ja, sie wollen mehr schreiben und irgendwann ein neues Thema in Angriff nehmen. Ein Buch über Brüste vielleicht? Nein, das wohl nicht. Die beiden lachen.
Nina Dølvik Brochman und Ellen Støkken Dahl.
Zwei junge norwegische Medizinerinnen erklären das weibliche Geschlecht - auf 400 Seiten, illustriert von Hanne Sigbjørnsen, in ihrem Buch: "Viva la Vagina!"
S.Fischer Verlag, Frankfurt 2018, 16,99 [Euro]
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main