Am 12. Januar 2004 jährt sich zum hundertsten Mal der Ausbruch des Krieges zwischen dem Deutschen Reich und den Herero und Nama im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika. Der Kolonialkrieg, einer der blutigsten seiner Zeit, veränderte die politischen und ökonomischen Machtverhältnisse in der Kolonie grundlegend: Die besiegten Afrikaner verloren nicht nur ihr Land und ihren Viehbesitz, sondern wurden fortan auch einem rigiden Kontrollsystem unterworfen, das sie zu einer Schicht willfähriger Arbeiter für die koloniale Wirtschaft machen sollte. Während auf deutscher Seite fast 1700 Menschen den Tod fanden, fielen dem Genozid auf afrikanischer Seite Zehntausende zum Opfer: In den landesweit eingerichteten Konzentrationslagern kam nahezu jeder zweite afrikanische Gefangene um. International renommierte Autorinnen und Autoren beleuchten in dem Sammelband Ursachen, Verlauf und Folgen dieses Kolonialkrieges. Dabei findet die historische Perspektive der Deutschen wie der Afrikaner gleichermaßen
Berücksichtigung. Der antikoloniale Widerstand sowie die Bemühungen der Herero und Nama, ihre Gesellschaft in der Nachkriegszeit wieder aufzubauen, werden eingehend dokumentiert. In einem eigenen Kapitel zur Erinnerungskultur geht es darum, wie der Kolonialkrieg in afrikanischen und deutschen Denkmälern und Gedenkritualen behandelt wird. Im kollektiven Bewußtsein der Deutschen ist dieser erste deutsche Völkermord weitgehend in Vergessenheit geraten, in Namibia dagegen stellt er bis heute ein nationales Trauma dar und wird seinen Niederschlag noch in internationalen Entschädigungsprozessen finden.
Berücksichtigung. Der antikoloniale Widerstand sowie die Bemühungen der Herero und Nama, ihre Gesellschaft in der Nachkriegszeit wieder aufzubauen, werden eingehend dokumentiert. In einem eigenen Kapitel zur Erinnerungskultur geht es darum, wie der Kolonialkrieg in afrikanischen und deutschen Denkmälern und Gedenkritualen behandelt wird. Im kollektiven Bewußtsein der Deutschen ist dieser erste deutsche Völkermord weitgehend in Vergessenheit geraten, in Namibia dagegen stellt er bis heute ein nationales Trauma dar und wird seinen Niederschlag noch in internationalen Entschädigungsprozessen finden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.12.2003Fehlendes Unrechtsbewußtsein
Der Kolonialkrieg in Deutsch-Südwestafrika 1904 bis 1908
Jürgen Zimmerer/Joachim Zeller (Herausgeber): Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Der Kolonialkrieg (1904-1908) in Namibia und seine Folgen. Ch. Links Verlag, Berlin 2003. 276 Seiten, 22,90 [Euro].
Mit großem Ernst und unverhüllter Sympathie für Namibia gehen die Autoren des Sammelbandes nicht allein dem mörderischen Krieg gegen die Herero und die Nama ("Hottentotten") nach, sondern betten dieses Ereignis strukturell in die Geschichte des afrikanischen Landes ein, ins Konstrukt von deren eigener Vergangenheit und Vergangenheitsbewältigung. Daß die Herero und Nama überhaupt noch eine Vergangenheit und eine Zukunft besitzen, relativiert die Behauptung vom vollkommenen Untergang dieser Völker, und ganz richtig sehen die Autoren in deren Kämpfern taktisch geschickte, unerschrockene und oft erfolgreiche Krieger, die es geistig und oft sogar professionell mit Leutweins und Trothas Schutztruppe aufnehmen konnten.
Heute erinnert sich Namibia stolz und schmerzlich zugleich seiner Helden und Opfer, und das historische Selbstverständnis des 1990 endlich unabhängig gewordenen Landes ist untrennbar mit den traumatischen Erfahrungen der deutschen Kolonialzeit verknüpft. Die Autoren bemühen sich, das Einst mit dem Heute unmittelbar zu konfrontieren, was am Ende zur Frage führt, wann die Bundesrepublik sich endlich für das entschuldigen wird, was das Kaiserreich diesen Völkern angetan hat; der Hinweis auf Willy Brandts Fußfall von Warschau fehlt nicht. Daß das mit Fragen von Wiedergutmachung und Entwicklungshilfe nicht unmittelbar zu tun hat, wird deutlich. Tatsächlich steht nicht die Ökonomie im Mittelpunkt des Diskurses, sondern die Moral, und dies ist ein zutiefst moralisches Buch; schonungslos in der Schilderung der Kriegsverbrechen, mitleidvoll in der Beschreibung der unmenschlichen Zustände in den deutschen Konzentrationslagern, vor allem auf der "Haifischinsel", wo mehr als 90 Prozent der Kriegsgefangenen Herero starben, penetrant aber in seiner Ineinssetzung von Holocaust und Genozid.
Es heißt das, was zwischen 1904 und 1908 geschah, nicht im mindesten zu beschönigen oder gar zu entschuldigen, wenn man darauf hinweist, daß die Gleichsetzungsthese nicht nur hinkt, sondern Gefahr läuft, Mißverständnisse jener Art heraufzubeschwören, wie sie aus dem unseligen "Historikerstreit" noch bekannt sind. Einigen der Autoren ist das offensichtlich selbst aufgefallen, wenn sie vom fehlenden Unrechtsbewußtsein der deutschen Zeitgenossen, auch von ihrem Mitleid, ihrer Barmherzigkeit und Spendenbereitschaft berichten - obwohl die breite Öffentlichkeit wußte, was nach der "Schlacht am Waterberg" geschehen war. Vielleicht ist es politisch nicht korrekt, dennoch historisch richtig, wenn man auch darauf verweist, daß der Krieg schließlich durch die Ermordung von 129 deutschen Siedlern ausgelöst (nicht verursacht) wurde. Was der "skrupellos-kriminelle" Throtha, die zweifellos finsterste Figur in dem Drama, anrichtete, war eben kein Geheimnis, darüber wurde in aller Öffentlichkeit diskutiert, das bestimmte auch den Ausgang der sogenannten "Hottentottenwahlen". Es wäre also Aufgabe einer sine ira et studio betriebenen Geschichtswissenschaft, den Gründen für solche Wahrnehmung und solches Verhalten nachzugehen - denn anzunehmen, "die Deutschen" hätten mehrheitlich den Völkermord an den Herero und Nama ebenso wie später den an den Juden angeblich gebilligt, wäre denn doch zu durchsichtig und platt.
Zwar läßt es sich rechtfertigen, das Augenmerk ausschließlich auf Deutsch-Südwest zu richten, aber nur ein erweiterter Blickwinkel durch Raum und Zeit des europäischen Kolonialismus hätte das Geschehen der Jahre 1904 bis 1908 in den allgemeinen Kontext der Kolonialgeschichte einordnen können. Nur dann ließe sich das Spezifische und vielleicht auch das spezifisch genozidale Verhalten der deutschen Kolonialherren historisch zutreffend bewerten - was übrigens auch für die kulturellen und soziologischen Dimensionen gilt, der eine ganze Reihe von kenntnisreichen Beiträgen in diesem Buch gewidmet sind. Natürlich spielte der Rasse- Diskurs dieses Zeitalters, der in Deutschland besonders vehement geführt wurde, eine große Rolle, aber wenn beispielsweise die weißen deutschen Männer sich während des Krieges vor den schwarzen Frauen ("kastrierenden Bestien") fürchteten und sie zugleich lüstern begehrten, dann war das alles andere als eine deutsche Besonderheit - man lese Joseph Conrads "Heart of Darkness", geschrieben 1899.
MICHAEL SALEWSKI
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Kolonialkrieg in Deutsch-Südwestafrika 1904 bis 1908
Jürgen Zimmerer/Joachim Zeller (Herausgeber): Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Der Kolonialkrieg (1904-1908) in Namibia und seine Folgen. Ch. Links Verlag, Berlin 2003. 276 Seiten, 22,90 [Euro].
Mit großem Ernst und unverhüllter Sympathie für Namibia gehen die Autoren des Sammelbandes nicht allein dem mörderischen Krieg gegen die Herero und die Nama ("Hottentotten") nach, sondern betten dieses Ereignis strukturell in die Geschichte des afrikanischen Landes ein, ins Konstrukt von deren eigener Vergangenheit und Vergangenheitsbewältigung. Daß die Herero und Nama überhaupt noch eine Vergangenheit und eine Zukunft besitzen, relativiert die Behauptung vom vollkommenen Untergang dieser Völker, und ganz richtig sehen die Autoren in deren Kämpfern taktisch geschickte, unerschrockene und oft erfolgreiche Krieger, die es geistig und oft sogar professionell mit Leutweins und Trothas Schutztruppe aufnehmen konnten.
Heute erinnert sich Namibia stolz und schmerzlich zugleich seiner Helden und Opfer, und das historische Selbstverständnis des 1990 endlich unabhängig gewordenen Landes ist untrennbar mit den traumatischen Erfahrungen der deutschen Kolonialzeit verknüpft. Die Autoren bemühen sich, das Einst mit dem Heute unmittelbar zu konfrontieren, was am Ende zur Frage führt, wann die Bundesrepublik sich endlich für das entschuldigen wird, was das Kaiserreich diesen Völkern angetan hat; der Hinweis auf Willy Brandts Fußfall von Warschau fehlt nicht. Daß das mit Fragen von Wiedergutmachung und Entwicklungshilfe nicht unmittelbar zu tun hat, wird deutlich. Tatsächlich steht nicht die Ökonomie im Mittelpunkt des Diskurses, sondern die Moral, und dies ist ein zutiefst moralisches Buch; schonungslos in der Schilderung der Kriegsverbrechen, mitleidvoll in der Beschreibung der unmenschlichen Zustände in den deutschen Konzentrationslagern, vor allem auf der "Haifischinsel", wo mehr als 90 Prozent der Kriegsgefangenen Herero starben, penetrant aber in seiner Ineinssetzung von Holocaust und Genozid.
Es heißt das, was zwischen 1904 und 1908 geschah, nicht im mindesten zu beschönigen oder gar zu entschuldigen, wenn man darauf hinweist, daß die Gleichsetzungsthese nicht nur hinkt, sondern Gefahr läuft, Mißverständnisse jener Art heraufzubeschwören, wie sie aus dem unseligen "Historikerstreit" noch bekannt sind. Einigen der Autoren ist das offensichtlich selbst aufgefallen, wenn sie vom fehlenden Unrechtsbewußtsein der deutschen Zeitgenossen, auch von ihrem Mitleid, ihrer Barmherzigkeit und Spendenbereitschaft berichten - obwohl die breite Öffentlichkeit wußte, was nach der "Schlacht am Waterberg" geschehen war. Vielleicht ist es politisch nicht korrekt, dennoch historisch richtig, wenn man auch darauf verweist, daß der Krieg schließlich durch die Ermordung von 129 deutschen Siedlern ausgelöst (nicht verursacht) wurde. Was der "skrupellos-kriminelle" Throtha, die zweifellos finsterste Figur in dem Drama, anrichtete, war eben kein Geheimnis, darüber wurde in aller Öffentlichkeit diskutiert, das bestimmte auch den Ausgang der sogenannten "Hottentottenwahlen". Es wäre also Aufgabe einer sine ira et studio betriebenen Geschichtswissenschaft, den Gründen für solche Wahrnehmung und solches Verhalten nachzugehen - denn anzunehmen, "die Deutschen" hätten mehrheitlich den Völkermord an den Herero und Nama ebenso wie später den an den Juden angeblich gebilligt, wäre denn doch zu durchsichtig und platt.
Zwar läßt es sich rechtfertigen, das Augenmerk ausschließlich auf Deutsch-Südwest zu richten, aber nur ein erweiterter Blickwinkel durch Raum und Zeit des europäischen Kolonialismus hätte das Geschehen der Jahre 1904 bis 1908 in den allgemeinen Kontext der Kolonialgeschichte einordnen können. Nur dann ließe sich das Spezifische und vielleicht auch das spezifisch genozidale Verhalten der deutschen Kolonialherren historisch zutreffend bewerten - was übrigens auch für die kulturellen und soziologischen Dimensionen gilt, der eine ganze Reihe von kenntnisreichen Beiträgen in diesem Buch gewidmet sind. Natürlich spielte der Rasse- Diskurs dieses Zeitalters, der in Deutschland besonders vehement geführt wurde, eine große Rolle, aber wenn beispielsweise die weißen deutschen Männer sich während des Krieges vor den schwarzen Frauen ("kastrierenden Bestien") fürchteten und sie zugleich lüstern begehrten, dann war das alles andere als eine deutsche Besonderheit - man lese Joseph Conrads "Heart of Darkness", geschrieben 1899.
MICHAEL SALEWSKI
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Sehr empfehlenswert findet Rezensentin Ursula Trüper den von Jürgen Zimmerer und Joachim Zeller herausgegebenen Sammelband "Völkermord in Deutsch-Südwestafrika", den sie anlässlich des hundertsten Jahrestags des "Herero-Aufstands" gegen die deutsche Kolonialmacht im damaligen Deutsch-Südwestafrika bespricht. Wie sie berichtet, verloren in diesem Krieg und der darauf folgenden Gefangenschaft 80 Prozent der Herero und 50 Prozent der Nama ihr Leben. Der Band bietet "solides Basiswissen" auf dem neuesten Forschungsstand, lobt Trüper. Darüber hinaus befasse er sich mit den Kontinuitäten dieses Krieges im deutschen "Mutterland". Vieles, was die Nazis wenige Jahrzehnte später in Deutschland zur Perfektion brachten, sei erstmals in Deutsch-Südwestafrika erprobt worden - etwa der Gebrauch des auch damals schon so genannten "Konzentrationslagers".
© Perlentaucher Medien GmbH
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