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Eliot Weinberger ist der Poet unter den Essayisten. Und er verblüfft uns immer wieder mit seinem schier grenzenlosen Wissen. Wer sonst wüsste Neues über Adam und Eva zu berichten? In dieser Fortsetzung seiner Sammlung "Das Wesentliche" erzählt Weinberger unter anderem von ausgestorbenen Vögeln Neuseelands, von Reisen auf den Flüssen der Welt, der Mythologie ganz gewöhnlicher Steine, von Träumen von Menschen namens Chang und , ja, von verheirateten Fröschen . wahre Geschichten, so fabelhaft sie auch scheinen. Die Welt wird größer, wenn man sie mit den Augen Eliot Weinbergers sieht, und schöner,…mehr

Produktbeschreibung
Eliot Weinberger ist der Poet unter den Essayisten. Und er verblüfft uns immer wieder mit seinem schier grenzenlosen Wissen. Wer sonst wüsste Neues über Adam und Eva zu berichten? In dieser Fortsetzung seiner Sammlung "Das Wesentliche" erzählt Weinberger unter anderem von ausgestorbenen Vögeln Neuseelands, von Reisen auf den Flüssen der Welt, der Mythologie ganz gewöhnlicher Steine, von Träumen von Menschen namens Chang und , ja, von verheirateten Fröschen . wahre Geschichten, so fabelhaft sie auch scheinen. Die Welt wird größer, wenn man sie mit den Augen Eliot Weinbergers sieht, und schöner, wenn man seine unvergleichlichen Texte liest."Der größte Essayist der Welt wahrscheinlich. Er sollten den Nobelpreis kriegen." Clemens Setz
Autorenporträt
Eliot Weinberger, geboren 1949 in New York, ist Essayist und Übersetzer der Werke von Octavio Paz, Vicente Huidobro, Bei Dao und anderen. 2000 verlieh ihm die mexikanische Regierung als erstem Nordamerikaner überhaupt den höchsten mexikanischen Staatspreis, den Azteken-Adler. Bei Berenberg erschienen die Essaysammlungen "Das Wesentliche" (2008) und "Orangen!Erdnüsse!" (2011).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2017

Goethe hätte diesen Mann geliebt

Eines aus Vielem: Eliot Weinbergers lyrisch-experimentelle Essayistik in seinem Band "Vogelgeister" ist Weltliteratur im besten amerikanischen Sinne.

Von Kai Sina

Zu den verblüffendsten Erzeugnissen des späten Goethe gehört seine Zeitschrift "Über Kunst und Altertum". In diesen Heften kompilierte, rezensierte, kommentierte Goethe all das, was sich ihm in irgendeiner Weise zur persönlichen "Aneignung" empfahl. Gerade die letzten, im Zeichen der "Weltliteratur" stehenden Ausgaben muten programmatisch heterogen an: Goethe bringt hier Unterschiedlichstes zusammen und miteinander ins Gespräch - Altes und Modernes, Bildkünstlerisches und Literarisches, Europäisches, Orientalisches und Asiatisches. Getragen ist dieser nach fast allen Seiten hin offene Ansatz von der Überzeugung, dass nur im Schwierigen, im Mannigfachen und Widersprüchlichen das Wahre und Allgemeinmenschliche zu finden sei. Die politische Restauration seiner Zeit, gegen die sich Goethe mit seinem Projekt ausdrücklich wendet, erweist sich dagegen als ein überaus schlichtes Phantasma.

Rechnet man von Goethes weltliterarischem Spätwerk hoch ins Jahr 2017, so landet man bei dem New Yorker Experimental-Essayisten Eliot Weinberger, dessen Band "Vogelgeister" ein weltliterarisches Kompendium par excellence darstellt. Ganz im Sinne der Hefte "Über Kunst und Altertum" präsentiert Weinberger eine konsequent polyphone Sammlung an knappen Berichten und Abhandlungen, Notizen, Übersetzungen und Nachdichtungen, die allesamt zurückführen in alte, zum Teil uralte Zeiten und dabei den kulturellen Horizont des Westens entschieden überschreiten.

Weinberger versammelt in seinem Buch die Funde eines äußerst weitgreifenden Studiums der Kultur- und Menschheitsgeschichte. Vieles darin ist von faszinierender Archaik. Da finden sich die überlieferten Fragmente aus verlorenen Büchern des Zoroastrismus ("fünfzehn Schafe, ihre Hinterläufe") neben einem kleinen Essay über die unterschiedlichen kulturellen Bräuche, die Toten vom Wiedergehen abzuhalten ("Masken auf ihre Gesichter, die sie nicht abnehmen können"). Danach folgt ein kleiner Auszug aus dem "Kanun", dem kodifizierten Gewohnheitsrecht eines nordalbanischen Bergvolkes ("Einem hochrangigen Gast gibt man den Kopf des Schafes, den er mit der Faust zertrümmert"), an das sich eine kleine Anthologie überlieferter Träume aus dem alten China anschließt ("Chang T'ien-hsi habe geträumt, dass ein grüner Hund mit einem langen Leib von Süden her kam"). Von hier aus wiederum geht es weiter zu einer komparatistischen Abhandlung über Steinkulte, drei kurzen Artikeln über das Brauchtum indischer Landvölker - und so fort. Organisiert ist das versammelte Material durch Kontraste, Korrespondenzen und Leitmotive, die im Zusammenspiel ein locker strukturiertes Ensemble erzeugen.

Auch wenn der Ton fast durchgehend eher nüchtern bleibt, unterscheiden sich die Grade der Poetisierung von Text zu Text sehr stark. Auf der einen Seite des Spektrums stehen sachbezogene Abhandlungen wie etwa die zur Bedeutung der Farbe Blau in der Weltkultur, auf der anderen die aus vielerlei Quellen zusammenmontierten Rollen- und Geschichtsgedichte, in denen der Leser zu Flussfahrten auf dem Colorado, auf dem Jangtsekiang und auf dem Amazonas mitgenommen wird. Die Frage nach Authentizität und Fiktion des teils zitierten, teils referierten Materials stellt sich dabei nur bedingt: Kulturelle Überlieferung, so gibt dieser Band zu verstehen, geht unweigerlich mit Effekten der Variation, der Umdeutung und Neubewertung einher.

Einen Wink in diese Richtung formuliert Weinberger mit seiner quellenfundierten Untersuchung zur Geschichte von Adam und Eva: Hält man sich vor Augen, wie stark die griechischen, lateinischen, altslawischen und georgischen Fassungen der Genesis divergieren, die hier anreferiert werden - wer mag da noch von Wahrheit, ja fixierbarer Bedeutung überhaupt sprechen? Die Tradierung der alten Erzählungen, aus denen die Kulturen sind, kommt in der mehr oder weniger freien poetischen Bearbeitung erst zu sich selbst - das ist eine der Pointen dieses Buches.

Weinberger tritt hinter seinen Quellen also keineswegs zurück, sondern stellt sich vielmehr in die Reihe all jener zum Teil namenloser Nacherzähler, ohne die es sein Buch nicht geben könnte. Das macht ihn klein, nämlich in der völligen Abhängigkeit von der historischen Überlieferung, und groß zugleich: in seiner erstaunlichen Aufnahmefähigkeit und poetischen Anverwandlungskraft. Auch hier führt der Vergleich mit dem späten Goethe weiter, der sich kurz vor seinem Tod im Gespräch mit einem Bewunderer als ein "Kollektivwesen" bezeichnete: "Was habe ich denn gemacht? Ich sammelte und benutzte alles was mir vor Augen, vor Ohren, vor die Sinne kam. Zu meinen Werken haben Tausende von Einzelwesen das ihrige beigetragen . . . so erntete ich oft, was andere gesäet."

Wir müssen uns Eliot Weinberger als ein ebensolches "être collectif" vorstellen, dessen Textensemble heute - vielleicht ungewollt, aber doch unweigerlich - ein politischer Zug eigen ist. Gegen die tumbe Gegenwartsfixierung und den allerorts aufkeimenden Nationalismus unserer Tage erscheint die Verskunst des Ou-yang Hsiu, die nun aus tiefer Vorgeschichte zu uns heraufklingt, als ein ebenso zurückhaltender wie anrührender Protest: "Wir sind weder aus Metall noch Stein, weshalb sollten wir davon träumen, Gras und Bäume zu überdauern? / Weshalb sollten wir den Klang des Herbstes hassen?"

Weinbergers Buch ist getragen von einem Pathos der kulturellen Vielstimmigkeit, und zwar in ethischer wie in literarischer Hinsicht. Zugleich artikuliert sich in ihm ein Grundwahres: dass nämlich der Mensch nur ist, was er ist, weil er sich Geschichten erzählt. Die Vielheit der Erzählungen und die Einheit der Menschen als erzählende Wesen treten so in ein Verhältnis, das sich am besten mit dem Wappenspruch im Großen Siegel der Vereinigten Staaten bezeichnen lässt: "E pluribus unum". Weinbergers durch und durch kosmopolitisches Buch ist also ein amerikanisches Buch im besten Sinne, das Goethe, der in der multikulturellen Stadt "Neu York" eine Art stadtgewordenes "Kollektivwesen" erkannte, mit Sicherheit gefallen hätte.

Eliot Weinberger: "Vogelgeister".

Aus dem Englischen von Beatrice Faßbender.

Berenberg Verlag, Berlin 2017. 144 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.01.2018

Aale
am Stock
Eliot Weinbergers meisterhafte
Essaysammlung „Vogelgeister“
Wenn Eliot Weinberger einen „Steinkalender“ zusammenstellt, reiht er nicht einfach Tage aneinander. Vielmehr erzählt er von Steinen, die Gold bringen können, und von Steinen, die das Gedächtnis stärken. Er zeigt uns Steine, die früher Menschen waren, und berichtet von Menschen, die heute Kieselsteine sind. Auch die Geschichte von Meister Sheng Kung können wir lesen, jenem buddhistischem Mönch, der einmal an einem Fluss am Fuße eines Berges predigte. Viele Menschen hatten sich um ihn versammelt. Doch weil sie alle durcheinandermurmelten, konnte keiner verstehen, was der Meister sagte. Die Steine im Fluss aber erhoben sich, verneigten sich vor ihm – und nickten zur Antwort.
Der Amerikaner Eliot Weinberger ist eine Art Zen-Meister der Essayistik. Wie jener buddhistische Mönch sieht er sich in der Weltgeschichte um, sucht noch in den entlegensten Archiven nach Texten und versammelt sie für seine Leser, mit dem kleinen Unterschied nur, dass er niemals predigt. Eher ist er ein Meister der Offen-heit, der allenfalls dadurch, wie er die gefundenen Texte komponiert, etwas Deutung zwischen die Zeilen streut.
„Vogelgeister“ hat er seinen jüngsten Essayband genannt. Doch „Essay“ ist eigentlich nicht die passende Bezeichnung für dieses Ensemble von Geschichten. „Eine Sammlung merkwürdiger Erzählungen“, wie es an einer Stelle heißt, trifft es schon besser. Denn merkwürdig sind die Texte allesamt, für sich besehen, erst recht aber in der Art, wie Weinberger sie auf die Seiten holt. Ein Schöpfungstext aus dem 2. vorchristlichen Jahrhundert steht hier neben einer irischen Meeresreise aus dem 8. Jahrhundert, gefolgt von einer langen Fahrt auf dem Colorado im Jahr 1869, an die sich zwei chinesische Miniaturen aus dem 11. und 12. Jahrhundert anschließen. Texte aus den unterschiedlichsten Zeiten und Kulturen hat Weinberger arrangiert, ohne Überleitung, ohne Kommentar, allein ein paar Motive und Wiederholungen führen den Leser durch das Buch.
Es ist ein bisschen so wie in der titelgebenden Geschichte von den Vogelgeistern. Keine menschliche Stimme ist hier zu hören, nur das Gezwitscher der Vögel. Doch diese Vögel können sprechen. „Tauben sind wie ein Haufen Aale am Stock“, sagt einer von ihnen. „Enten sind Vielfraße“, antwortet ein anderer. Ein Dritter meint: „Ein bärtiger Mann bringt einen Kormoran zum Brechen“. In dieser Art, ohne logische oder kausale Verbindungen, einzig zusammengehalten von ein paar Fädchen der Assoziation, ist das gesamte Buch angelegt.
Aber Vorsicht, man sollte immer im Hinterkopf haben, was ein vierter Vogel zwitschert: „,Hiwa! Kia hiwa!‘ ,Seid wachsam! Seid sehr wachsam!‘“. Was Weinberger mit seiner verschmitzten Ironie nämlich nur andeutet, ist in einem Text des Steinkalenders ausformuliert: Es könnte sich bei dem Verfasser um einen oder um mehrere Autoren handeln. Und das Spiel geht noch weiter: „Zweifel wurden laut, ob es diese Texte, die alle verloren sind, tatsächlich gegeben hat.“ Man darf sich also nie sicher sein beim Streunen durch dieses Buch. Weinberger mag die Texte in irgendwelchen entlegenen Quellen entdeckt haben. Genauso gut vorstellbar ist aber, dass er sich manche von ihnen einfach ausgedacht hat.
Dabei macht er spürbar, dass die Suche nach festen Benennungen hoffnungslos ist. Gleich im zweiten Text stellt er verschiedene Fassungen der Geschichte von Adam und Eva vor, darunter die georgische, die armenische, lateinische und arabische. Und deutet an, dass die vermeintlich „wahren“ Namen vielleicht längst verloren sind. „Vogelgeister“ ist ein schillerndes Buch über die Zufälligkeit aller Zeichen. Denjenigen, die verbissen nach Herleitungen oder gar nach Eindeutigkeit suchen, hält Eliot Weinberger die wunderbare Einsicht entgegen, dass die Dinge nicht selten auf sehr angenehme Art und Weise „sinnlos“ sind.
Und immer taucht die Frage nach dem Glück und danach auf, was nach dem Leben kommen könnte. Das Paradies ist dabei nicht nur der Traum von Adam und Eva. Auch die Mara im Nordosten Indiens glauben daran. Allerdings erreichen hier nur die größten Jäger das Paradies – und auch für sie liegt die Latte hoch: „Man muss einen Mann im Kampf getötet haben sowie einen Elefanten, einen Tiger, einen Bären, einen kleinen Baumbären, einen Serau, einen Gural, ein Mithun, ein Nashorn, ein Sambhur, ein Muntjak, ein Wildschwein, ein Krokodil, eine Hamadryade, einen Adler, je einen von jeder Nashornvogelart und eine Königskrähe.“ Das Problem sei nur, merkt Weinberger an, dass in Indien heutzutage Regierungstruppen für Frieden sorgen würden und es viele der Tiere nicht mehr gebe. Und so hält er es für unwahrscheinlich, „dass je wieder ein Mara das Paradies betreten wird“.
Die Übersetzerin Beatrice Faßbender hat Weinbergers bisweilen trockenen Humor schön ins Deutsche geholt, erst recht aber den Rhythmus seiner Sätze. Am Ende der Lektüre glaubt man selbst, Steine könnten nicht nur Gold, sondern auch Glück bringen. Und ertappt sich dabei, dass man sich zwar nicht verneigt, aber lange vor sich hin nickt.
NICO BLEUTGE
Eliot Weinberger: Vogelgeister. Aus dem Englischen von Beatrice Faßbender. Berenberg Verlag, Berlin 2017. 144 Seiten, 22 Euro.
Vielleicht hat Weinberger seine
Quellen entdeckt. Vielleicht hat er
sie sich aber auch ausgedacht
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