Der Band, von Herbert Lepper eingeleitet und bearbeitet, erschließt eine parteigeschichtliche Überlieferung, die bisher nahezu unbekannt war, gleichwohl aber Beachtung verdient: Die Texte setzen in vieler Hinsicht eigene politische Akzente und spiegeln die Programmatik der Partei wider. Die Quellen bieten zugleich über Jahrzehnte einen instruktiven Einblick in die Zusammensetzung der mittleren und unteren Parteieliten in den beiden preußischen Westprovinzen Rheinland und Westfalen. Erstmalig werden darüber hinaus zahlreiche Satzungen und Statuten der Zentrumspartei, bis hin zur Kreis-, Stadt- und Ortsebene veröffentlicht. Die Einleitung skizziert den parteiorganisatorischen Rahmen, in den die historischen Texte einzuordnen sind. Das Werk, eine beeindruckende Forschungsleistung, will nicht zuletzt dazu anregen, Wahlaufrufe und Aufrufe der anderen Provinzialverbände der Zentrumspartei in Preußen sowie der Landesverbände der Partei im übrigen Deutschland der parteigeschichtlichen Forschung zugänglich zu machen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.07.1998". . . daß die Zentrumspartei unüberwindlich ist"
Eine umfangreiche Quellensammlung zur Geschichte des politischen Katholizismus zwischen 1870 und 1933
Volk, Kirche und Vaterland. Wahlaufrufe, Aufrufe, Satzungen und Statuten des Zentrums 1870-1933. Eine Quellensammlung zur Geschichte insbesondere der Rheinischen und Westfälischen Zentrumspartei. Bearbeitet von Herbert Lepper. Handbücher zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Band 9. Droste Verlag, Düsseldorf 1998. 780 Seiten, 198,- Mark.
Die Politik der Zentrumspartei in den Jahren zwischen der Reichsgründung 1870/71 und Hitlers Machtergreifung bietet immer wieder Anlaß zu stürmischen Kontroversen. Aufgeklärt-säkulare Schulmeinungen der Geschichtswissenschaft stehen den programmatischen Entwürfen einer anfänglich noch vormodernen katholisch geprägten Partei kritisch, bisweilen gar verständnislos gegenüber. Daher lohnt ein Blick in die Quellen, den der vorliegende, in drei Bereiche gegliederte Band ermöglicht. Einer ausführlichen organisationsgeschichtlichen Einleitung folgen zunächst die Wiedergabe der "Wahlaufrufe" und "Aufrufe" der Rheinischen und der Westfälischen Zentrumspartei, sodann der Abdruck von mehr als 50 Satzungen und Statuten des Zentrums und ihrer lokalen Unterorganisationen.
Die Quellen erschließen den verschlungenen Weg einer Partei, die sich ganz im Bann der Konfession bewegte. 1870 wurde sie als parteipolitischer Arm einer Kirche gegründet, die noch weitgehend im Gegensatz zur modernen Welt stand und eine "furchtsame Unkenntnis der eigenen Gegenwart" (Thomas Nipperdey) offenbarte. Die ersten Wahlaufrufe und Appelle vermitteln aber auch den Eindruck des Bedrohtseins: Weil das Zentrum nicht in die Weltanschauung der Liberalen paßte und Bismarck gegen die unbequeme Partei einen innenpolitischen Präventivkrieg führte, standen zunächst in erster Linie die Wahrung oder Wiederherstellung der bürgerlichen Freiheitsrechte im Mittelpunkt der Parteiprogrammatik, daneben freilich von Anfang an auch Föderalismus und Sozialpolitik. Nach dem Abbau des "Kulturkampfes" in den frühen achtziger Jahren wurden neben den Forderungen nach Erhalt des Rechtsstaats und der Warnung, das Ende des "Kulturkampfes" sei noch nicht erreicht, neue Töne vernehmbar, die eine allmähliche Versöhnung mit dem Staat erkennen ließen. Im Wahlaufruf der Zentrumsfraktion des Reichstags vom September 1884 war nicht nur von einer "gesunden Kolonialpolitik" die Rede; auch die "volle Wehrkraft" wurde gewünscht, wenn nur das Budgetrecht des Reichstags Beachtung fände. Neben den "falschen Liberalismus" trat wenig später bereits die Sozialdemokratie als politischer Gegner, der "in Verbindung mit den Umsturzparteien aller Länder" sein vermeintlich "unheilvolles Haupt" erhob. Ohne im Negativen zu verharren, gebot das Zentrum jedoch zugleich über eine aufstrebende Vereinskultur, die in den Christlichen Gewerkschaften die Konfessionsgrenzen überstieg und vom reformwilligen "Kulturkatholizismus" geprägt war.
Zu einer staatstragenden Partei im vollen Sinne wurde man freilich nicht: Ein Wahlaufruf vom Dezember 1906 wandte sich ausdrücklich gegen "jene Hurra-Patrioten, denen alle und jede militärische Forderungen selbstverständliche Notwendigkeiten sind" und gegen die "Anhänger einer unbegrenzten Flottenvermehrung und uferlosen Weltpolitik, die vor keiner Belastung der Volksmassen zurückschrecken". Dies änderte nichts daran, daß sich auch die Katholiken bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs für die vermeintlich gerechte deutsche Sache begeisterten. Dies war auch ein Versuch, sich des Stigmas des national Unzuverlässigen, das im Kulturkampf geprägt worden war, zu entledigen. Freilich, als führendes Blatt des Zentrums ging die "Kölnische Volkszeitung" in ihren Expansionsplänen gar so weit, den Reichskanzler auf ein Maximalprogramm einzuschwören. Quellen für die Kriegsjahre von 1914 bis 1918 sind nicht abgedruckt worden; ein erhellender Hinweis auf diesen Kniefall vor der Macht des Nationalen hätte nicht geschadet.
Die Novemberrevolution brachte die verschlungene Wendung der Zentrumspartei zur Demokratie. Es gelte, so formulierte ein Aufruf im November 1918, eine "neue Zukunft zu erschließen. Das Alte liegt hinter uns. Wir wollen es nicht zurückrufen". Positiv wurde das am 21. November 1918 in den Leitsätzen des Zentrums formuliert, die Völkerbund und Abrüstung forderten und das Frauenwahlrecht verlangten. Das Bekenntnis zur Demokratie und zum "christlichen Volksstaat" prägte auch die Programme der folgenden Jahre. Im Zeichen der zunehmenden Staats- und Gesellschaftskrise wandte sich das Zentrum 1924 gegen die "sogenannte ,neugermanische' Geisteswelt, die unser Volk verwirrt".
Man wird der Partei, die in einer tragischen Verkennung der Notwendigkeiten politisch unflexibel blieb, nicht den einfachen Vorwurf machen können, auf dem rechten Auge blind gewesen zu sein. Der Wahlaufruf vom 24. April 1932 warnte: "Unter dem Einfluß des jetzigen Führers der deutschnationalen Partei hat man jene volksverderbende, revolutionäre Bewegung des Nationalsozialismus ermutigt und begünstigt: eine Bewegung, die bürgerliches Rechtsbewußtsein gemeinhin bedroht, jeglichen Besitz in Frage stellt, Blut- und Gewaltinstinkte züchtet, christliche Glaubensbegriffe verwirrt und unser Volk an den Rand des Bürgerkriegs getrieben hat."
Diese und ähnliche Stellungnahmen zum Nationalsozialismus belegen, in welchem Maß das Zentrum als tendenziell interkonfessionell angelegte Volkspartei in der Weimarer Republik eine Verfassungspartei geworden war und, allerdings recht positivistisch, als Barriere gegen das politische Abenteurertum diente: Die katholische Staatslehre gebot das Einstehen für eine bestehende Verfassung, solange die Rechtskontinuität der staatlichen Gesetze gewahrt blieb. Der tiefe Graben zur religionsfeindlichen Ideologie des NS-Staates wurde etwa im Aufruf der "Kölnischen Volkszeitung", des Zentralorgans des rheinischen Zentrums, zur Reichspräsidentenwahl im März 1932 sichtbar, in dem mit der Wahlempfehlung für Hindenburg zugleich vor "Theater", "Phrasen" und einem "Meer von Lächerlichkeit" gewarnt wurde: "Wer ist Hitler? Hitler ist der Mann des jammervoll zusammengebrochenen Münchener Putsches vom 9. November 1923. Hitler hat dank den Freiheiten der deutschen Republik den Rassenhaß organisiert und Proben rücksichtsloser Demagogie entfalten können."
Das änderte nichts, wie Lepper zu Recht anmerkt, an der "politischen und moralischen Kapitulation" einer Partei, deren politische Überzeugungen schon eine Zeitlang erodiert waren. Die widersprüchliche Genese im Zeitalter Bismarcks, die in weitgehender Negation zum Staat verlaufen war, trug nun mit dazu bei, daß die Partei schließlich den Anfeindungen und Herausforderungen der Diktatur erlag. Denn unbeirrt folgte das Zentrum dem politisch gescheiterten Heinrich Brüning, der mit dem, wie Lepper es treffend nennt, "Pathos der Ohnmacht" Front nicht gegen den Nationalsozialismus, sondern fast ausschließlich gegen den Bolschewismus machte. Die Phase der Agonie folgte nach dem Sündenfall: Dieser offenbarte sich in der vom Zentrum dem neuen, offenbar rechtmäßigen Reichskanzler Adolf Hitler anfänglich verunsichert gewährten Loyalität, die wohl auch durch den Wunsch nach einem Arrangement bestimmt war. Daß freilich ein friedliches Auskommen mit Hitler eigentlich nicht möglich sein würde, der "Akkomodationsversuch" (Josef Becker) scheitern mußte, ergibt sich im Grunde schon aus der Lektüre der vorliegenden Quellentexte.
Freilich ist es für den rückschauenden Betrachter viel einfacher, zu dieser Einsicht zu gelangen als für die damals Handelnden. Festzuhalten bleibt, daß auch das Zentrum an dem Dissens, in welcher Form auf Hitler zu reagieren sei, schließlich scheiterte. Noch im Jahr vor dem Ende der Parteien hatte man die Zeiten des Kulturkampfes beschworen, um neuen Mut zu entfachen. In einem der Aufrufe des "Münsterischen Anzeigers" war im Juli 1932 prophezeit worden, daß man in der Politik um das Zentrum nicht herumkomme: Auch ein Hugenberg, ein Goebbels und ein Hitler würden "über kurz oder lang mit Bismarck anerkennen müssen: ,Ich sehe, daß die Zentrumspartei unüberwindlich ist.'"
Wenige Monate später, am 5. März 1933, umriß ein bezeichnender Aufruf das Dilemma der Partei, die seit ihrer Gründung mit einem Kainsmal hatte leben müssen. Der Wunsch, endlich doch noch aus dem "Turm" des religiösen Außenseiters zu entfliehen und der nationalen Gemeinschaft anzugehören, war nicht nur Ausdruck eines mächtigen Zuges der Zeit, sondern, wie Hans Maier einmal geurteilt hat, ein "spätes Postskriptum unter den Kulturkampf". Als das Kabinett Hitler gebildet wurde, so lautete nun die Argumentation, sei es an der Zeit gewesen, "die nationale Konzentration von der Mitte bis rechts zu verwirklichen". Daß dies mit dem abschließenden Appell zur Wahrung von "Wahrheit, Freiheit und Recht" kaum zu vereinbaren war, ging im Trubel der Machtergreifung unter. Die Geschichte Hitlers, so zeigt auch der Blick auf die Politik des Zentrums, war die Geschichte seiner Unterschätzung. Die katholische Partei teilte damit das Schicksal der anderen demokratischen Parteien in Deutschland, die der totalitären Herausforderung in einer Zeit, die aus den Fugen geraten war, nicht standhielten.
Wenn man das verdienstvolle Werk am Ende doch etwas ermüdet zur Seite legt, hat dies zwei Gründe: Die chronologische Anordnung bringt es mit sich, daß Wichtiges unvermittelt neben Marginalem steht. Zudem finden sich im Abschnitt über Statuten und Satzungen programmatische Erklärungen neben ellenlangen organisatorischen Erläuterungen, die vom eigentlich Politischen ablenken. Zweifellos ist es wichtig, die von Lepper in der Einleitung ebenso kenntnisreich wie akribisch recherchierte Organisationsgeschichte des Zentrums nachzuzeichnen, aber das braucht wohl nicht so weit zu gehen, daß zum Beispiel die recht belanglosen Geschäftsordnungsbestimmungen der Zentrumspartei des Wahlkreises Düsseldorf (Stadt und Land) oder seitenweise das wenig aufregende "Organisations-Statut der Zentrumspartei der Kreise Schleiden-Malmedy-Montjoie" aus dem Jahr 1908 abgedruckt werden.
Joachim Scholtyseck
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine umfangreiche Quellensammlung zur Geschichte des politischen Katholizismus zwischen 1870 und 1933
Volk, Kirche und Vaterland. Wahlaufrufe, Aufrufe, Satzungen und Statuten des Zentrums 1870-1933. Eine Quellensammlung zur Geschichte insbesondere der Rheinischen und Westfälischen Zentrumspartei. Bearbeitet von Herbert Lepper. Handbücher zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Band 9. Droste Verlag, Düsseldorf 1998. 780 Seiten, 198,- Mark.
Die Politik der Zentrumspartei in den Jahren zwischen der Reichsgründung 1870/71 und Hitlers Machtergreifung bietet immer wieder Anlaß zu stürmischen Kontroversen. Aufgeklärt-säkulare Schulmeinungen der Geschichtswissenschaft stehen den programmatischen Entwürfen einer anfänglich noch vormodernen katholisch geprägten Partei kritisch, bisweilen gar verständnislos gegenüber. Daher lohnt ein Blick in die Quellen, den der vorliegende, in drei Bereiche gegliederte Band ermöglicht. Einer ausführlichen organisationsgeschichtlichen Einleitung folgen zunächst die Wiedergabe der "Wahlaufrufe" und "Aufrufe" der Rheinischen und der Westfälischen Zentrumspartei, sodann der Abdruck von mehr als 50 Satzungen und Statuten des Zentrums und ihrer lokalen Unterorganisationen.
Die Quellen erschließen den verschlungenen Weg einer Partei, die sich ganz im Bann der Konfession bewegte. 1870 wurde sie als parteipolitischer Arm einer Kirche gegründet, die noch weitgehend im Gegensatz zur modernen Welt stand und eine "furchtsame Unkenntnis der eigenen Gegenwart" (Thomas Nipperdey) offenbarte. Die ersten Wahlaufrufe und Appelle vermitteln aber auch den Eindruck des Bedrohtseins: Weil das Zentrum nicht in die Weltanschauung der Liberalen paßte und Bismarck gegen die unbequeme Partei einen innenpolitischen Präventivkrieg führte, standen zunächst in erster Linie die Wahrung oder Wiederherstellung der bürgerlichen Freiheitsrechte im Mittelpunkt der Parteiprogrammatik, daneben freilich von Anfang an auch Föderalismus und Sozialpolitik. Nach dem Abbau des "Kulturkampfes" in den frühen achtziger Jahren wurden neben den Forderungen nach Erhalt des Rechtsstaats und der Warnung, das Ende des "Kulturkampfes" sei noch nicht erreicht, neue Töne vernehmbar, die eine allmähliche Versöhnung mit dem Staat erkennen ließen. Im Wahlaufruf der Zentrumsfraktion des Reichstags vom September 1884 war nicht nur von einer "gesunden Kolonialpolitik" die Rede; auch die "volle Wehrkraft" wurde gewünscht, wenn nur das Budgetrecht des Reichstags Beachtung fände. Neben den "falschen Liberalismus" trat wenig später bereits die Sozialdemokratie als politischer Gegner, der "in Verbindung mit den Umsturzparteien aller Länder" sein vermeintlich "unheilvolles Haupt" erhob. Ohne im Negativen zu verharren, gebot das Zentrum jedoch zugleich über eine aufstrebende Vereinskultur, die in den Christlichen Gewerkschaften die Konfessionsgrenzen überstieg und vom reformwilligen "Kulturkatholizismus" geprägt war.
Zu einer staatstragenden Partei im vollen Sinne wurde man freilich nicht: Ein Wahlaufruf vom Dezember 1906 wandte sich ausdrücklich gegen "jene Hurra-Patrioten, denen alle und jede militärische Forderungen selbstverständliche Notwendigkeiten sind" und gegen die "Anhänger einer unbegrenzten Flottenvermehrung und uferlosen Weltpolitik, die vor keiner Belastung der Volksmassen zurückschrecken". Dies änderte nichts daran, daß sich auch die Katholiken bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs für die vermeintlich gerechte deutsche Sache begeisterten. Dies war auch ein Versuch, sich des Stigmas des national Unzuverlässigen, das im Kulturkampf geprägt worden war, zu entledigen. Freilich, als führendes Blatt des Zentrums ging die "Kölnische Volkszeitung" in ihren Expansionsplänen gar so weit, den Reichskanzler auf ein Maximalprogramm einzuschwören. Quellen für die Kriegsjahre von 1914 bis 1918 sind nicht abgedruckt worden; ein erhellender Hinweis auf diesen Kniefall vor der Macht des Nationalen hätte nicht geschadet.
Die Novemberrevolution brachte die verschlungene Wendung der Zentrumspartei zur Demokratie. Es gelte, so formulierte ein Aufruf im November 1918, eine "neue Zukunft zu erschließen. Das Alte liegt hinter uns. Wir wollen es nicht zurückrufen". Positiv wurde das am 21. November 1918 in den Leitsätzen des Zentrums formuliert, die Völkerbund und Abrüstung forderten und das Frauenwahlrecht verlangten. Das Bekenntnis zur Demokratie und zum "christlichen Volksstaat" prägte auch die Programme der folgenden Jahre. Im Zeichen der zunehmenden Staats- und Gesellschaftskrise wandte sich das Zentrum 1924 gegen die "sogenannte ,neugermanische' Geisteswelt, die unser Volk verwirrt".
Man wird der Partei, die in einer tragischen Verkennung der Notwendigkeiten politisch unflexibel blieb, nicht den einfachen Vorwurf machen können, auf dem rechten Auge blind gewesen zu sein. Der Wahlaufruf vom 24. April 1932 warnte: "Unter dem Einfluß des jetzigen Führers der deutschnationalen Partei hat man jene volksverderbende, revolutionäre Bewegung des Nationalsozialismus ermutigt und begünstigt: eine Bewegung, die bürgerliches Rechtsbewußtsein gemeinhin bedroht, jeglichen Besitz in Frage stellt, Blut- und Gewaltinstinkte züchtet, christliche Glaubensbegriffe verwirrt und unser Volk an den Rand des Bürgerkriegs getrieben hat."
Diese und ähnliche Stellungnahmen zum Nationalsozialismus belegen, in welchem Maß das Zentrum als tendenziell interkonfessionell angelegte Volkspartei in der Weimarer Republik eine Verfassungspartei geworden war und, allerdings recht positivistisch, als Barriere gegen das politische Abenteurertum diente: Die katholische Staatslehre gebot das Einstehen für eine bestehende Verfassung, solange die Rechtskontinuität der staatlichen Gesetze gewahrt blieb. Der tiefe Graben zur religionsfeindlichen Ideologie des NS-Staates wurde etwa im Aufruf der "Kölnischen Volkszeitung", des Zentralorgans des rheinischen Zentrums, zur Reichspräsidentenwahl im März 1932 sichtbar, in dem mit der Wahlempfehlung für Hindenburg zugleich vor "Theater", "Phrasen" und einem "Meer von Lächerlichkeit" gewarnt wurde: "Wer ist Hitler? Hitler ist der Mann des jammervoll zusammengebrochenen Münchener Putsches vom 9. November 1923. Hitler hat dank den Freiheiten der deutschen Republik den Rassenhaß organisiert und Proben rücksichtsloser Demagogie entfalten können."
Das änderte nichts, wie Lepper zu Recht anmerkt, an der "politischen und moralischen Kapitulation" einer Partei, deren politische Überzeugungen schon eine Zeitlang erodiert waren. Die widersprüchliche Genese im Zeitalter Bismarcks, die in weitgehender Negation zum Staat verlaufen war, trug nun mit dazu bei, daß die Partei schließlich den Anfeindungen und Herausforderungen der Diktatur erlag. Denn unbeirrt folgte das Zentrum dem politisch gescheiterten Heinrich Brüning, der mit dem, wie Lepper es treffend nennt, "Pathos der Ohnmacht" Front nicht gegen den Nationalsozialismus, sondern fast ausschließlich gegen den Bolschewismus machte. Die Phase der Agonie folgte nach dem Sündenfall: Dieser offenbarte sich in der vom Zentrum dem neuen, offenbar rechtmäßigen Reichskanzler Adolf Hitler anfänglich verunsichert gewährten Loyalität, die wohl auch durch den Wunsch nach einem Arrangement bestimmt war. Daß freilich ein friedliches Auskommen mit Hitler eigentlich nicht möglich sein würde, der "Akkomodationsversuch" (Josef Becker) scheitern mußte, ergibt sich im Grunde schon aus der Lektüre der vorliegenden Quellentexte.
Freilich ist es für den rückschauenden Betrachter viel einfacher, zu dieser Einsicht zu gelangen als für die damals Handelnden. Festzuhalten bleibt, daß auch das Zentrum an dem Dissens, in welcher Form auf Hitler zu reagieren sei, schließlich scheiterte. Noch im Jahr vor dem Ende der Parteien hatte man die Zeiten des Kulturkampfes beschworen, um neuen Mut zu entfachen. In einem der Aufrufe des "Münsterischen Anzeigers" war im Juli 1932 prophezeit worden, daß man in der Politik um das Zentrum nicht herumkomme: Auch ein Hugenberg, ein Goebbels und ein Hitler würden "über kurz oder lang mit Bismarck anerkennen müssen: ,Ich sehe, daß die Zentrumspartei unüberwindlich ist.'"
Wenige Monate später, am 5. März 1933, umriß ein bezeichnender Aufruf das Dilemma der Partei, die seit ihrer Gründung mit einem Kainsmal hatte leben müssen. Der Wunsch, endlich doch noch aus dem "Turm" des religiösen Außenseiters zu entfliehen und der nationalen Gemeinschaft anzugehören, war nicht nur Ausdruck eines mächtigen Zuges der Zeit, sondern, wie Hans Maier einmal geurteilt hat, ein "spätes Postskriptum unter den Kulturkampf". Als das Kabinett Hitler gebildet wurde, so lautete nun die Argumentation, sei es an der Zeit gewesen, "die nationale Konzentration von der Mitte bis rechts zu verwirklichen". Daß dies mit dem abschließenden Appell zur Wahrung von "Wahrheit, Freiheit und Recht" kaum zu vereinbaren war, ging im Trubel der Machtergreifung unter. Die Geschichte Hitlers, so zeigt auch der Blick auf die Politik des Zentrums, war die Geschichte seiner Unterschätzung. Die katholische Partei teilte damit das Schicksal der anderen demokratischen Parteien in Deutschland, die der totalitären Herausforderung in einer Zeit, die aus den Fugen geraten war, nicht standhielten.
Wenn man das verdienstvolle Werk am Ende doch etwas ermüdet zur Seite legt, hat dies zwei Gründe: Die chronologische Anordnung bringt es mit sich, daß Wichtiges unvermittelt neben Marginalem steht. Zudem finden sich im Abschnitt über Statuten und Satzungen programmatische Erklärungen neben ellenlangen organisatorischen Erläuterungen, die vom eigentlich Politischen ablenken. Zweifellos ist es wichtig, die von Lepper in der Einleitung ebenso kenntnisreich wie akribisch recherchierte Organisationsgeschichte des Zentrums nachzuzeichnen, aber das braucht wohl nicht so weit zu gehen, daß zum Beispiel die recht belanglosen Geschäftsordnungsbestimmungen der Zentrumspartei des Wahlkreises Düsseldorf (Stadt und Land) oder seitenweise das wenig aufregende "Organisations-Statut der Zentrumspartei der Kreise Schleiden-Malmedy-Montjoie" aus dem Jahr 1908 abgedruckt werden.
Joachim Scholtyseck
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