Ein Duell in Worten. Zwei der sichtbarsten literarischen Gestalten Frankreichs begegnen sich zum Schlagabtausch: Bernard-Henri Lévy und Michel Houellebecq. Der »Philosoph ohne Ideen, aber mit Beziehungen« trifft auf den »Nihilisten, Reaktionär, Zyniker, verschämten Frauenfeind« - wie Houellebecq das ungleiche Paar gleich zu Beginn gewohnt schonungslos charakterisiert. Lévy kontert: »Ich muss schon sagen, Sie gehen ganz schön ran, lieber Michel, mit ziemlich enormen, schön provozierenden Geständnissen.«Ihr furioser Briefwechsel betreibt gnadenlose Selbstanalyse. Zwei narzisstische Persönlichkeiten fragen sich, womit sie den Hass der Öffentlichkeit verdient haben, sie kommen auf ihre Väter zu sprechen, auf die verachteten Journalisten und Literaturkritiker und sezieren das eigene Image mit einer so klugen Koketterie, dass man nur bewundernd staunen kann.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.10.2009Bakterie und Beau
Der Briefwechsel von Michel Houellebecq und „BHL”
Dem Pariser Verlagshaus Flammarion gelang der literarische Überraschungscoup des vergangenen Jahres. Monatelang übte sich der Verlag in Geheimniskrämerei und Gemunkel. Man habe da einen Bestseller im Programm und drucke schon mal 150 000 Exemplare: Das Buch werde „verfasst von zwei hochbedeutenden Zeitgenossen”. Dann, im September die Auflösung: Michel Houellebecq und Bernard-Henri Lévy haben sich Briefe geschrieben, 28 Stück an der Zahl. Nun ist diese Korrespondenz unter dem Titel „Volksfeinde. Ein Schlagabtausch” auf Deutsch erschienen (Dumont Köln, 320 Seiten, 22,95 Euro).
Die Brieffreundschaft der beiden Kulturbetriebsnudeln, die unterschiedlicher nicht sein könnten, mutet kurios an – entsprechend groß war der Wirbel um das gemeinsame Buch. „Ausweitung des Egotrips” ätzte Le Monde nach Bekanntgabe der Verfasser in Anspielung auf den misanthropischen Roman „Ausweitung der Kampfzone”, der Michel Houellebecq in den neunziger Jahren berühmt gemacht hat. Seither gilt der 51-Jährige als Beziehungs- und Gesellschaftsapokalyptiker.
Sein Korrespondent hingegen, der Philosoph Bernard-Henri Lévy, tritt seit Jahren als Prototyp des „Germanopratin” auf, eines französischen Intellektuellen aus Saint-Germain-des-Prés. Allerdings stammt der Begriff noch aus der Zeit, als das Pariser Quartier um den Boulevard St. Germain kein Hort von Edelboutiquen war, sondern der Treffpunkt der Existentialisten. In seiner von Akronymen besessenen Heimat ist Lévy schlicht unter dem Kürzel BHL bekannt. Er hat in seinem Leben bereits mehr als zwei Dutzend Bücher veröffentlicht, in den berühmtesten hat er Marx noch einmal beerdigt und Sartre wiederauferstehen lassen. Lévy, 61, gilt als Begründer der „Neuen Philosophie”, er war Berater von Staatspräsident Mitterrand und Freund des ermordeten afghanischen Nordallianz-Führers Massoud. Er saß auch mal im Aufsichtsrat von Arte. In Paris heißt es, er sei von der Sorte Mensch, die morgens Ariel Sharon trifft und abends Sharon Stone. „Nur Frankreich kann ein Wesen wie BHL hervorbringen”, schrieb die amerikanische Zeitschrift Vanity Fair über ihn.
Ähnliches wurde auch schon über Michel Houellebecq gesagt. Trotzdem, selbst äußerlich könnten die beiden verschiedener nicht sein: der Dichter als Karikatur seiner selbst, leptosom und kettenrauchend, hohle Wangen unter schütterem Haar, gekleidet in speckige Parkas. Der Denker, ein flamboyanter Schöngeist mit graumelierter Tolle, sein Markenzeichen das bis unter die Brust aufgeknöpfte weiße Hemd.
Gemeinsam sei ihnen eigentlich nur eines, schreibt Houellebecq denn auch prompt in seinem ersten Brief: „Es handelt sich bei uns beiden um recht verachtenswerte Individuen.” Steilvorlage für die heimischen Rezensenten: Selbstdarsteller seien die beiden; Narzissten, Schaumschläger. Houellebecq selbst drückt es anders aus. Er nennt seinen Briefwechsel mit Lévy, bei dem es durchaus eitel zugeht, „ein Stück Bekenntnisliteratur, das nicht schaden kann”.
Und er hat recht: Der Vorwurf, das Ganze sei viel Lärm um nichts, greift zu kurz, die beiden haben einander viel zu sagen. Große Fragen werden auf diesen 313 Seiten Korrespondenz abgehandelt, Fragen des Lebens, der Philosophie und die eine ganz große, die insbesondere die beiden Brieffreunde umtreibt und ihrer Korrespondenz den Titel gibt. Lévy und Houellebecq sind in Frankreich eben nicht nur Starpublizisten, sondern auch zwei der bestgehassten Figuren des Kulturbetriebs. Und so ist der Briefwechsel immer auch ein wenig Wetteifern um Sympathie fürs eigene Dasein. Ansonsten geht es darum, wie die beiden wurden, was sie sind: um den Einfluss der Familie, der literarischen Leitbilder, um die kleinen oder größeren Katastrophen in ihren Biographien.
Houellebecq gewährt Einblick in sein Dasein. Erfand er in der „Ausweitung der Kampfzone” und in den „Elementarteilchen” Protagonisten, die ihm selbst zu gleichen schienen (Michel, die Hauptfigur in den „Elementarteilchen”, teilt sogar den Vornamen mit ihm), so spricht er hier selbst. Und zwar gewohnt nonchalant und frappierend ehrlich. Wie zu erwarten war, zeichnet er kein schönes Bild seines eigenen Lebens: „Sie müssen wissen, ich habe nicht eine einzige schöne Kindheitserinnerung.” Er greift aber auch Lévy scharf an, wenn er ihn einen „Philosophen ohne Gedanken, aber mit Beziehungen” nennt.
Auch die Wunden der Zivilisation vergisst Houellebecq nicht. Seine Methode, die Gräuel der menschlichen Existenz zu relativieren, ist simpel: Man solle, empfiehlt er, gelegentlich den Standpunkt einer Bakterie einnehmen. Und sich dann fragen, ob „die Menschheit eine Erfahrung ist, die fortgesetzt zu werden lohnt”. Überhaupt, der Mensch: nichts als ein „in die Leere geworfener Stein”, weder fähig dazu, „Wurzeln zu treiben, noch Früchte zu tragen”. Die Welt, ein unwirtliches Hotel – der Erdenbewohner lediglich ein Gast auf der Durchreise. Hotelzimmer müssen irgendwann geräumt werden, konstatiert Houellebecq traurig aber bestimmt.
Bernard-Henri Lévy, ganz französischer Philosoph in kartesischer Tradition, argumentiert menschenfreundlicher. Der Mensch sei die höchste aller Kreaturen, die Klimax der Schöpfung, schreibt er und verweist quellenreich auf die Problematik von Houellebecqs epikureischer Weltanschauung.
Das Spannende an diesem Briefwechsel liegt in der Gegensätzlichkeit der beiden Korrespondierenden – genau das wird der Verlag einkalkuliert haben. Lévy und Houellebecq verkörpern zwei unterschiedliche Konzepte französischer Existenz. Lévy, Spross eines reichen algerischen Industriellen, eines pied noir, wuchs im Pariser Nobelvorort Neuilly auf. Der Absolvent der École normale supérieure, einer der hehren Elitekaderschmieden, studierte bei Foucault und Althusser. Kein Brief von ihm, der nicht strotzt vor Reverenzen an diesen oder jenen Dichter oder Denker. Kein Satz von ihm, den Pascal, Spinoza, Goethe oder Voltaire nicht genau so (oder eben genau nicht so) auch schon formuliert hätten.
Lévys Briefe sind stets einwandfrei gegliedert à la „primo, secundo, tertio”. Dass philosophische Essays in Frankreich strengen formalen Strukturen folgen müssen, ist nicht neu. Trotzdem bereitet es diebische Freude, diese déformation professionnelle schwarz auf weiß bestätigt zu sehen. Man sei ja versucht zu denken, schreibt Lévy, dass ein Philosoph zuerst eine Idee habe und diese dann in einem Traktat mühsam ausformulieren müsse. Dem sei aber „keineswegs” so; zumindest bei ihm setzten „die Wörter die Begriffe in Gang und nicht umgekehrt”. Seine Ideen entstünden erst beim Schreiben.
Derlei Manierismen sind Houellebecq fremd. Anders als der „liebe Bernard-Henri” sehe er sich nicht als Intellektueller, schreibt er. Schließlich habe er keine der entsprechenden Pariser Ausbildungsstätten besucht. Was klingt wie ein böser Scherz, ist in Frankreich, wo Intellekt qua Diplom zertifiziert wird und damit an bestimmte Institutionen wie die sogenannten Grandes Écoles gekoppelt ist, nicht unbedingt ironisch gemeint. Houellebecq, verstoßen von seiner hedonistischen Hippie-Mutter, wuchs bei seinen Großeltern auf. Er studierte Informatik, reiste als Programmierer durch die französische Peripherie und kam mit 38 Jahren „eher zufällig” zu seinem ersten Bestseller. Dass ihm das illustre Leben als „berühmtester zeitgenössischer Schriftsteller Frankreichs” mitunter kräftig auf die Nerven geht, teilt er in seinen Briefen mit: Fast sentimental beschreibt Houellebecq, wie er manchmal gerne wieder in einem Provinzkaff an einem Gedichtwettbewerb teilnehmen würde – gesponsert von der örtlichen Sparkasse. Fügt dann aber hinzu, dass das wohl auch bedeuten würde, wieder „ganz normal arbeiten” gehen zu müssen - und das wolle er denn doch nicht. Von morgens bis mittags zu schreiben und „sich den Rest des Tages zu besaufen”, sei schlicht lebenswerter.
Bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Biographien und ihrer Denkweise sind Lévy und Houellebecq bestechend aufrichtig miteinander. Ihm ginge es wie Schopenhauer, schreibt Houellebecq, er könne einfach schlecht lügen in Briefen. So erfährt man bei der Lektüre aus erster Hand, was man allenfalls vermutet hätte. Zum Beispiel, dass der große BHL noch immer mit Spannung seinen Namen googelt, „um den Feind zu orten”. Dass er, der ewige Vorreiter humanitären Engagements, stets zugegen an den Krisenherden dieser Welt, sich seiner Seite als „Katastrophentourist” nicht erwehren könne. Weil es seinem Ego schmeichle, dort zu sein, wo sich sonst niemand hintraue. Michel Houellebecq macht andere Eingeständnisse: Manchmal fühle er sich wie Kurt Cobain kurz vor seinem Kopfschuss, schreibt er – und dass er außerdem gern als Hermaphrodit geboren worden wäre.
Ob es in den Briefen nun um philosophische Leitbilder wie „Jerusalem gegen Athen” geht, um den Zustand der Demokratie in Russland, oder aber darum, ob es schöner ist, „in halbwachem Zustand in aller Herrgottsfrühe zu vögeln” (Houellebecq) oder „bei klarem Bewusstsein Liebe zu machen” (Lévy), das Nähkästchen der zwei „Volksfeinde” ist alles andere als öd. JULIA AMALIA HEYER
Houellebecq kommt aus zerrütteten Verhältnissen, Lévy ist Absolvent einer Pariser Eliteuniversität
Houellebecq fühlt sich wie Cobain vor dem Kopfschuss, Lévy steht zu seinem Katastrophentourismus
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Der Briefwechsel von Michel Houellebecq und „BHL”
Dem Pariser Verlagshaus Flammarion gelang der literarische Überraschungscoup des vergangenen Jahres. Monatelang übte sich der Verlag in Geheimniskrämerei und Gemunkel. Man habe da einen Bestseller im Programm und drucke schon mal 150 000 Exemplare: Das Buch werde „verfasst von zwei hochbedeutenden Zeitgenossen”. Dann, im September die Auflösung: Michel Houellebecq und Bernard-Henri Lévy haben sich Briefe geschrieben, 28 Stück an der Zahl. Nun ist diese Korrespondenz unter dem Titel „Volksfeinde. Ein Schlagabtausch” auf Deutsch erschienen (Dumont Köln, 320 Seiten, 22,95 Euro).
Die Brieffreundschaft der beiden Kulturbetriebsnudeln, die unterschiedlicher nicht sein könnten, mutet kurios an – entsprechend groß war der Wirbel um das gemeinsame Buch. „Ausweitung des Egotrips” ätzte Le Monde nach Bekanntgabe der Verfasser in Anspielung auf den misanthropischen Roman „Ausweitung der Kampfzone”, der Michel Houellebecq in den neunziger Jahren berühmt gemacht hat. Seither gilt der 51-Jährige als Beziehungs- und Gesellschaftsapokalyptiker.
Sein Korrespondent hingegen, der Philosoph Bernard-Henri Lévy, tritt seit Jahren als Prototyp des „Germanopratin” auf, eines französischen Intellektuellen aus Saint-Germain-des-Prés. Allerdings stammt der Begriff noch aus der Zeit, als das Pariser Quartier um den Boulevard St. Germain kein Hort von Edelboutiquen war, sondern der Treffpunkt der Existentialisten. In seiner von Akronymen besessenen Heimat ist Lévy schlicht unter dem Kürzel BHL bekannt. Er hat in seinem Leben bereits mehr als zwei Dutzend Bücher veröffentlicht, in den berühmtesten hat er Marx noch einmal beerdigt und Sartre wiederauferstehen lassen. Lévy, 61, gilt als Begründer der „Neuen Philosophie”, er war Berater von Staatspräsident Mitterrand und Freund des ermordeten afghanischen Nordallianz-Führers Massoud. Er saß auch mal im Aufsichtsrat von Arte. In Paris heißt es, er sei von der Sorte Mensch, die morgens Ariel Sharon trifft und abends Sharon Stone. „Nur Frankreich kann ein Wesen wie BHL hervorbringen”, schrieb die amerikanische Zeitschrift Vanity Fair über ihn.
Ähnliches wurde auch schon über Michel Houellebecq gesagt. Trotzdem, selbst äußerlich könnten die beiden verschiedener nicht sein: der Dichter als Karikatur seiner selbst, leptosom und kettenrauchend, hohle Wangen unter schütterem Haar, gekleidet in speckige Parkas. Der Denker, ein flamboyanter Schöngeist mit graumelierter Tolle, sein Markenzeichen das bis unter die Brust aufgeknöpfte weiße Hemd.
Gemeinsam sei ihnen eigentlich nur eines, schreibt Houellebecq denn auch prompt in seinem ersten Brief: „Es handelt sich bei uns beiden um recht verachtenswerte Individuen.” Steilvorlage für die heimischen Rezensenten: Selbstdarsteller seien die beiden; Narzissten, Schaumschläger. Houellebecq selbst drückt es anders aus. Er nennt seinen Briefwechsel mit Lévy, bei dem es durchaus eitel zugeht, „ein Stück Bekenntnisliteratur, das nicht schaden kann”.
Und er hat recht: Der Vorwurf, das Ganze sei viel Lärm um nichts, greift zu kurz, die beiden haben einander viel zu sagen. Große Fragen werden auf diesen 313 Seiten Korrespondenz abgehandelt, Fragen des Lebens, der Philosophie und die eine ganz große, die insbesondere die beiden Brieffreunde umtreibt und ihrer Korrespondenz den Titel gibt. Lévy und Houellebecq sind in Frankreich eben nicht nur Starpublizisten, sondern auch zwei der bestgehassten Figuren des Kulturbetriebs. Und so ist der Briefwechsel immer auch ein wenig Wetteifern um Sympathie fürs eigene Dasein. Ansonsten geht es darum, wie die beiden wurden, was sie sind: um den Einfluss der Familie, der literarischen Leitbilder, um die kleinen oder größeren Katastrophen in ihren Biographien.
Houellebecq gewährt Einblick in sein Dasein. Erfand er in der „Ausweitung der Kampfzone” und in den „Elementarteilchen” Protagonisten, die ihm selbst zu gleichen schienen (Michel, die Hauptfigur in den „Elementarteilchen”, teilt sogar den Vornamen mit ihm), so spricht er hier selbst. Und zwar gewohnt nonchalant und frappierend ehrlich. Wie zu erwarten war, zeichnet er kein schönes Bild seines eigenen Lebens: „Sie müssen wissen, ich habe nicht eine einzige schöne Kindheitserinnerung.” Er greift aber auch Lévy scharf an, wenn er ihn einen „Philosophen ohne Gedanken, aber mit Beziehungen” nennt.
Auch die Wunden der Zivilisation vergisst Houellebecq nicht. Seine Methode, die Gräuel der menschlichen Existenz zu relativieren, ist simpel: Man solle, empfiehlt er, gelegentlich den Standpunkt einer Bakterie einnehmen. Und sich dann fragen, ob „die Menschheit eine Erfahrung ist, die fortgesetzt zu werden lohnt”. Überhaupt, der Mensch: nichts als ein „in die Leere geworfener Stein”, weder fähig dazu, „Wurzeln zu treiben, noch Früchte zu tragen”. Die Welt, ein unwirtliches Hotel – der Erdenbewohner lediglich ein Gast auf der Durchreise. Hotelzimmer müssen irgendwann geräumt werden, konstatiert Houellebecq traurig aber bestimmt.
Bernard-Henri Lévy, ganz französischer Philosoph in kartesischer Tradition, argumentiert menschenfreundlicher. Der Mensch sei die höchste aller Kreaturen, die Klimax der Schöpfung, schreibt er und verweist quellenreich auf die Problematik von Houellebecqs epikureischer Weltanschauung.
Das Spannende an diesem Briefwechsel liegt in der Gegensätzlichkeit der beiden Korrespondierenden – genau das wird der Verlag einkalkuliert haben. Lévy und Houellebecq verkörpern zwei unterschiedliche Konzepte französischer Existenz. Lévy, Spross eines reichen algerischen Industriellen, eines pied noir, wuchs im Pariser Nobelvorort Neuilly auf. Der Absolvent der École normale supérieure, einer der hehren Elitekaderschmieden, studierte bei Foucault und Althusser. Kein Brief von ihm, der nicht strotzt vor Reverenzen an diesen oder jenen Dichter oder Denker. Kein Satz von ihm, den Pascal, Spinoza, Goethe oder Voltaire nicht genau so (oder eben genau nicht so) auch schon formuliert hätten.
Lévys Briefe sind stets einwandfrei gegliedert à la „primo, secundo, tertio”. Dass philosophische Essays in Frankreich strengen formalen Strukturen folgen müssen, ist nicht neu. Trotzdem bereitet es diebische Freude, diese déformation professionnelle schwarz auf weiß bestätigt zu sehen. Man sei ja versucht zu denken, schreibt Lévy, dass ein Philosoph zuerst eine Idee habe und diese dann in einem Traktat mühsam ausformulieren müsse. Dem sei aber „keineswegs” so; zumindest bei ihm setzten „die Wörter die Begriffe in Gang und nicht umgekehrt”. Seine Ideen entstünden erst beim Schreiben.
Derlei Manierismen sind Houellebecq fremd. Anders als der „liebe Bernard-Henri” sehe er sich nicht als Intellektueller, schreibt er. Schließlich habe er keine der entsprechenden Pariser Ausbildungsstätten besucht. Was klingt wie ein böser Scherz, ist in Frankreich, wo Intellekt qua Diplom zertifiziert wird und damit an bestimmte Institutionen wie die sogenannten Grandes Écoles gekoppelt ist, nicht unbedingt ironisch gemeint. Houellebecq, verstoßen von seiner hedonistischen Hippie-Mutter, wuchs bei seinen Großeltern auf. Er studierte Informatik, reiste als Programmierer durch die französische Peripherie und kam mit 38 Jahren „eher zufällig” zu seinem ersten Bestseller. Dass ihm das illustre Leben als „berühmtester zeitgenössischer Schriftsteller Frankreichs” mitunter kräftig auf die Nerven geht, teilt er in seinen Briefen mit: Fast sentimental beschreibt Houellebecq, wie er manchmal gerne wieder in einem Provinzkaff an einem Gedichtwettbewerb teilnehmen würde – gesponsert von der örtlichen Sparkasse. Fügt dann aber hinzu, dass das wohl auch bedeuten würde, wieder „ganz normal arbeiten” gehen zu müssen - und das wolle er denn doch nicht. Von morgens bis mittags zu schreiben und „sich den Rest des Tages zu besaufen”, sei schlicht lebenswerter.
Bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Biographien und ihrer Denkweise sind Lévy und Houellebecq bestechend aufrichtig miteinander. Ihm ginge es wie Schopenhauer, schreibt Houellebecq, er könne einfach schlecht lügen in Briefen. So erfährt man bei der Lektüre aus erster Hand, was man allenfalls vermutet hätte. Zum Beispiel, dass der große BHL noch immer mit Spannung seinen Namen googelt, „um den Feind zu orten”. Dass er, der ewige Vorreiter humanitären Engagements, stets zugegen an den Krisenherden dieser Welt, sich seiner Seite als „Katastrophentourist” nicht erwehren könne. Weil es seinem Ego schmeichle, dort zu sein, wo sich sonst niemand hintraue. Michel Houellebecq macht andere Eingeständnisse: Manchmal fühle er sich wie Kurt Cobain kurz vor seinem Kopfschuss, schreibt er – und dass er außerdem gern als Hermaphrodit geboren worden wäre.
Ob es in den Briefen nun um philosophische Leitbilder wie „Jerusalem gegen Athen” geht, um den Zustand der Demokratie in Russland, oder aber darum, ob es schöner ist, „in halbwachem Zustand in aller Herrgottsfrühe zu vögeln” (Houellebecq) oder „bei klarem Bewusstsein Liebe zu machen” (Lévy), das Nähkästchen der zwei „Volksfeinde” ist alles andere als öd. JULIA AMALIA HEYER
Houellebecq kommt aus zerrütteten Verhältnissen, Lévy ist Absolvent einer Pariser Eliteuniversität
Houellebecq fühlt sich wie Cobain vor dem Kopfschuss, Lévy steht zu seinem Katastrophentourismus
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"Ein Debattenbuch, das nicht politischer und nicht persönlicher sein könnte (...) Mit ihrem klugen und bisweilen traurigen Briefwechsel haben die beiden bewiesen, dass man in tabuloser Offenheit und gleichzeitig respektvoll miteinander umgehen kann." SPIEGEL "Ein schöner Fall von Philotainment. Die französischen Stars Bernard-Henri Levy und Michel Houellbecq liefern sich ein unterhaltsames Brief-Match." DIE ZEIT "Richtig lesenswert (...) Ein Streit, wie er aktueller nicht sein könnte." DIE WELT "Aufregend und amüsant zugleich." RHEINLANDPFALZ "Erstklassige philosophische Auseinandersetzung" NEUE PRESSE
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Das sei "die Erfindung des Philotainments" schreibt Rezensentin Martina Meister über dieses Brief-Match zwischen den beiden französischen Starintellektuellen Bernard-Henri Levy und Michel Houellebecq - Meister zufolge eine Verbindung, die noch unverhoffter als die von Nicolas Sarzkozy und Carla Bruni und damit ein Mediencoup ist. Auch bescheinigt sie dem Buch mit 28 Briefen, in denen sie zwei "Überzeugungstäter" gegeneinander antreten sieht, einen hohen "intellektuellen Unterhaltungswert". Der Leser entdecke zwei "Hofnarren am Hofstaat namens Frankreich", die viel über sich selbst, ihre Diskurse und noch mehr über Frankreich sagen würden. Die Fronten verlaufen Meister zufolge zwischen Mut und Moral, Werten und Gefühlen, Engagement und Depressionismus, wobei es für sie höchst Lesegenuss steigernd ist, dass man sich geradezu gezwungen fühle, für einen der Kombattanten Partei zu ergreifen. Dennoch legt sie Wert auf die Feststellung, dass es sich bei dem Buch natürlich weder um einen "philosophischen Meilenstein" noch eine "literaturtheoretische Fundgrube" handelt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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