Produktdetails
- Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer- 2
- Verlag: Böhlau Wien
- Artikelnr. des Verlages: 660232
- 1995.
- Seitenzahl: 680
- Deutsch
- Abmessung: 245mm
- Gewicht: 1536g
- ISBN-13: 9783205984580
- ISBN-10: 3205984587
- Artikelnr.: 06707297
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.11.1996Österreich, Volk, Partei
Die ÖVP tut nur so / Ein Überblick nach fünfzig Jahren
Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger (Herausgeber): Volkspartei - Anspruch und Realität. Zur Geschichte der ÖVP seit 1945. Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Band 2. Böhlau Verlag, Wien, Köln und Weimar 1995. 780 Seiten, Abbildungen, 98,- Mark.
Im Frühjahr 1995 blickte die ÖVP auf ihre Gründung während der Wirren des Kriegsendes zurück. Der damalige Parteichef Erhard Busek sah dem Ende seiner Obmannschaft sowie seines Regierungsamtes als Vizekanzler entgegen. Da zitierte er Worte des ersten wirklichen Vorsitzenden und nachmaligen Bundeskanzlers Leopold Figl vor den Delegierten des 1. Parteitags: "Österreich zuerst - das ist der letzte und tiefste Sinn unseres Programms." Und Busek fügte dem hinzu: "Es gibt politische Organisationen, die in ihren Kurzbezeichnungen ohne den Buchstaben Ö auskommen oder ihn sogar bewußt weglassen. Es gibt welche, die den Buchstaben P wegstreichen oder bewußt vermeiden. Die Österreichische Volkspartei wird nie auf einen der Buchstaben Ö-V-P verzichten . . . Und sie wird auch die Reihenfolge dieser Buchstaben stets als den Ausdruck der Rangordnung ihrer Werthaltungen begreifen: Österreich, Volk, Partei."
Das vorliegende Buch versteht sich als offiziöse "Parteigeschichte". Es kam zum 50-Jahr-Jubiläum heraus, der alles andere als in Jubelstimmung begangen worden war, und es wird besonders seinem Titel gerecht: Anspruch und Realität der ÖVP - daran ist Busek ebenso wie manch einer seiner Vorgänger letztlich gescheitert. Was hat es mit den Befunden auf sich, die der Abschied nehmende Busek seiner Partei noch einmal ins Bewußtsein zu rufen müssen glaubte?
Österreich (zuerst): Auf gesamtstaatlicher Ebene ist die ÖVP ebenso ost- und "kopflastig" wie die 1945 wiederbegründete Republik; gegen Wien begehren regelmäßig die Länder des Westens und Südens auf. In der ÖVP tun es die jeweiligen Landesverbände gleich, deren Vorsitzende, die "Granden", zumeist auch das Amt des Landeshauptmanns innehaben. Wie sehr in der Gesamtpartei ÖVP von Anfang an Länderinteressen dominierten, denen allenfalls ein "Österreich(er)-Bewußtsein" übergestülpt wurde, das wird besonders in den Beiträgen der beiden Herausgeber deutlich. Kriechbaumer skizziert die eigentliche Parteigeschichte, (der gegenwärtige Salzburger Regierungs- und Parteichef) Schausberger setzt sich mit den "Eliten der ÖVP" auseinander. Parallel dazu finden sich bundeskontrastierende Elemente in den Einzeldarstellungen der Länder-Volksparteien zuhauf, wovon die des Innsbrucker Zeitgeschichtlers Michael Gehler als wohl treffendste herauszuheben ist.
Volk: Die ÖVP erhebt den Anspruch, "eine Partei des Volkes für das Volk" zu sein. Ihre Organisationsstruktur legt indes auch aus historischer Perspektive offen, daß sie in Wirklichkeit eine auf korporativen und regionalen Elementen ruhende, die Interessen der jeweiligen Klientel bündelnde Gesinnungsgemeinschaft ist. "Bündische Packelei" ist (durchaus in diesem vertikalen Sinne) noch jedem Obmannwechsel vorausgegangen; am Vorhaben, den Einfluß der Bünde zurückzustutzen, haben sich noch alle Generalsekretäre auf Bundes- und Länderebene die Hörner abgestoßen. Wiewohl der Anteil der mit der Landwirtschaft verbundenen Bevölkerungsschichten auch in Österreich stetig geringer wird, bleibt das Gewicht des Bauernbundes namentlich in der Volkspartei Tirols, Salzburgs, Ober-und Niederösterreichs, Kärntens, der Steiermark und des Burgenlandes stets gleich. Kandidaten für führende Parteifunktionen respektive Staatsämter haben nur dann Aussicht auf innerparteiliche Mehrheitsfähigkeit, wenn bündische Interessenkollisionen über das Zusammenwirken etwa von Bauernbund und Wirtschaftsbund vermieden werden. Beispielsweise in Tirol, wo Obmann und Landeshauptmann Wendelin Weingartner, dessen bäuerliche Herkunft bereits zwei Generationen zurückliegt, als Vertreter des Wirtschaftsbundes vom Bauernbund mit auf den Schild gehoben wurde; oder in Niederösterreich, wo Partei-und Regierungschef Erwin Pröll als Bauernbündler mit Hilfe des "Arbeiter- und Angestellten-Bundes" (ÖAAB) mehrheitsfähig wurde. In der Bundesparteiführung dominieren Wirtschaftsbund und ÖAAB ebenso wie im ÖVP-Teil der Bundesregierung. Daß vergleichsweise viele ÖVP-Frauen in führende Positionen gelangten, entspricht eher dem Zeitgeist, als daß "Quotendenken" oder gar ein Erstarken der ÖVP-Frauenorganisation ursächlich wäre. Sowohl Parteijugend-Verband ("Junge ÖVP") als auch Seniorenbund sehen sich eher in die Rolle des Feigenblatts gedrängt. Laufen überdies, wie in den vergangenen zehn Jahren vornehmlich im Bund, der ÖVP von Wahl zu Wahl die Wähler in Scharen davon, so gerät der im Parteinamen verankerte gesellschaftspolitische Anspruch ohnedies allmählich zur papierenen Statutenformel.
Partei: In den Landesverbänden Vorarlberg, Tirol, Salzburg und Oberösterreich waren und sind als Drohung gegen die Bundesparteiführung gebrauchte Gedankenspiele, sich in einer "Westschiene" zu verselbständigen und eine anders profilierte "neue ÖVP" zu begründen, am stärksten ausgeprägt. Gefällige Blicke ruhen dabei auf der eigentümlichen Eigenständigkeit der durchaus als Schwesterpartei betrachteten bayrischen CSU, mit der man regen und beständigen Austausch pflegt. Derlei in "stammesverwandtschaftlichen" und alpinen Gemeinsamkeiten wurzelnde "separatistische" Erscheinungen wachsen unter föderalistischen und zunehmend europapolitischen Gesichtspunkten eher, als daß sie verkümmern, und erhalten aus geschichtlich gewachsener Aversion gegen "die in Wien" immer wieder neue Nahrung. In Zeiten sich mehrender Selbstzweifel, so nach verlorenen Wahlen - wie sie symptomatisch kaum deutlicher hätten hervortreten können als im vergangenen Jahrzehnt - , entwickelten sich die krisenhaften Erscheinungen in der ÖVP, Naturgewalten gleich, zu selbstzerfleischenden Obmann-Debatten. Da zeigte sich ein ums andere Mal, daß "Wien" oder "der Osten" in die Zange genommen wurde - gemeinsam von der "Westschiene" und der "Südschiene", vornehmlich über die sich besonders eigenständig verstehende und als "Königsmacher" gebärdende steirische Volkspartei, der die ÖVP Kärntens gelegentlich assistierte. In diesen erbärmlichen Händeln kam stets auch jenes dritte Element zum Tragen, aus welchem sich neben bündischem und regionalem das "volksparteiliche" Dasein zumindest in der jüngsten (Bundes-)Parteigeschichte zur Gänze speist: die Rekrutierung des Personaltableaus in Führungsfunktionen aus den miteinander rivalisierenden gegensätzlichen Grundhaltungen "christlich-konservativ" und "liberal". Zwischen Exponenten des "Cartell-Verbandes" und Repräsentanten der achtundsechzigerbewegten reformerischen Katholischen Hochschuljugend liegen Welten. Sie zusammenzuführen ist Ziel des aus Anlaß des 50-Jahr-Jubiläums verabschiedeten "Wiener Programms", in welchem sich die ÖVP erstmals als "christlich-demokratische Partei mit starker liberaler Komponente" definiert. Wie lange es trägt und ob die beiden neuen "starken Männer" an der Spitze, der "liberale" Parteivorsitzende Wolfgang Schüssel (Wien) und der "konservative" Klubobmann (Fraktionschef) der Nationalratsriege, Andreas Khol (Tirol), in der Lage sein werden, die Führung zu straffen, die Partei nicht nur für das österreichbewußte (Wahl-)Volk wieder attraktiver erscheinen zu lassen und sie aus den Strudeln der jüngsten Vergangenheit zu führen, wird die Zukunft erweisen müssen. REINHARD OLT
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die ÖVP tut nur so / Ein Überblick nach fünfzig Jahren
Robert Kriechbaumer, Franz Schausberger (Herausgeber): Volkspartei - Anspruch und Realität. Zur Geschichte der ÖVP seit 1945. Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Band 2. Böhlau Verlag, Wien, Köln und Weimar 1995. 780 Seiten, Abbildungen, 98,- Mark.
Im Frühjahr 1995 blickte die ÖVP auf ihre Gründung während der Wirren des Kriegsendes zurück. Der damalige Parteichef Erhard Busek sah dem Ende seiner Obmannschaft sowie seines Regierungsamtes als Vizekanzler entgegen. Da zitierte er Worte des ersten wirklichen Vorsitzenden und nachmaligen Bundeskanzlers Leopold Figl vor den Delegierten des 1. Parteitags: "Österreich zuerst - das ist der letzte und tiefste Sinn unseres Programms." Und Busek fügte dem hinzu: "Es gibt politische Organisationen, die in ihren Kurzbezeichnungen ohne den Buchstaben Ö auskommen oder ihn sogar bewußt weglassen. Es gibt welche, die den Buchstaben P wegstreichen oder bewußt vermeiden. Die Österreichische Volkspartei wird nie auf einen der Buchstaben Ö-V-P verzichten . . . Und sie wird auch die Reihenfolge dieser Buchstaben stets als den Ausdruck der Rangordnung ihrer Werthaltungen begreifen: Österreich, Volk, Partei."
Das vorliegende Buch versteht sich als offiziöse "Parteigeschichte". Es kam zum 50-Jahr-Jubiläum heraus, der alles andere als in Jubelstimmung begangen worden war, und es wird besonders seinem Titel gerecht: Anspruch und Realität der ÖVP - daran ist Busek ebenso wie manch einer seiner Vorgänger letztlich gescheitert. Was hat es mit den Befunden auf sich, die der Abschied nehmende Busek seiner Partei noch einmal ins Bewußtsein zu rufen müssen glaubte?
Österreich (zuerst): Auf gesamtstaatlicher Ebene ist die ÖVP ebenso ost- und "kopflastig" wie die 1945 wiederbegründete Republik; gegen Wien begehren regelmäßig die Länder des Westens und Südens auf. In der ÖVP tun es die jeweiligen Landesverbände gleich, deren Vorsitzende, die "Granden", zumeist auch das Amt des Landeshauptmanns innehaben. Wie sehr in der Gesamtpartei ÖVP von Anfang an Länderinteressen dominierten, denen allenfalls ein "Österreich(er)-Bewußtsein" übergestülpt wurde, das wird besonders in den Beiträgen der beiden Herausgeber deutlich. Kriechbaumer skizziert die eigentliche Parteigeschichte, (der gegenwärtige Salzburger Regierungs- und Parteichef) Schausberger setzt sich mit den "Eliten der ÖVP" auseinander. Parallel dazu finden sich bundeskontrastierende Elemente in den Einzeldarstellungen der Länder-Volksparteien zuhauf, wovon die des Innsbrucker Zeitgeschichtlers Michael Gehler als wohl treffendste herauszuheben ist.
Volk: Die ÖVP erhebt den Anspruch, "eine Partei des Volkes für das Volk" zu sein. Ihre Organisationsstruktur legt indes auch aus historischer Perspektive offen, daß sie in Wirklichkeit eine auf korporativen und regionalen Elementen ruhende, die Interessen der jeweiligen Klientel bündelnde Gesinnungsgemeinschaft ist. "Bündische Packelei" ist (durchaus in diesem vertikalen Sinne) noch jedem Obmannwechsel vorausgegangen; am Vorhaben, den Einfluß der Bünde zurückzustutzen, haben sich noch alle Generalsekretäre auf Bundes- und Länderebene die Hörner abgestoßen. Wiewohl der Anteil der mit der Landwirtschaft verbundenen Bevölkerungsschichten auch in Österreich stetig geringer wird, bleibt das Gewicht des Bauernbundes namentlich in der Volkspartei Tirols, Salzburgs, Ober-und Niederösterreichs, Kärntens, der Steiermark und des Burgenlandes stets gleich. Kandidaten für führende Parteifunktionen respektive Staatsämter haben nur dann Aussicht auf innerparteiliche Mehrheitsfähigkeit, wenn bündische Interessenkollisionen über das Zusammenwirken etwa von Bauernbund und Wirtschaftsbund vermieden werden. Beispielsweise in Tirol, wo Obmann und Landeshauptmann Wendelin Weingartner, dessen bäuerliche Herkunft bereits zwei Generationen zurückliegt, als Vertreter des Wirtschaftsbundes vom Bauernbund mit auf den Schild gehoben wurde; oder in Niederösterreich, wo Partei-und Regierungschef Erwin Pröll als Bauernbündler mit Hilfe des "Arbeiter- und Angestellten-Bundes" (ÖAAB) mehrheitsfähig wurde. In der Bundesparteiführung dominieren Wirtschaftsbund und ÖAAB ebenso wie im ÖVP-Teil der Bundesregierung. Daß vergleichsweise viele ÖVP-Frauen in führende Positionen gelangten, entspricht eher dem Zeitgeist, als daß "Quotendenken" oder gar ein Erstarken der ÖVP-Frauenorganisation ursächlich wäre. Sowohl Parteijugend-Verband ("Junge ÖVP") als auch Seniorenbund sehen sich eher in die Rolle des Feigenblatts gedrängt. Laufen überdies, wie in den vergangenen zehn Jahren vornehmlich im Bund, der ÖVP von Wahl zu Wahl die Wähler in Scharen davon, so gerät der im Parteinamen verankerte gesellschaftspolitische Anspruch ohnedies allmählich zur papierenen Statutenformel.
Partei: In den Landesverbänden Vorarlberg, Tirol, Salzburg und Oberösterreich waren und sind als Drohung gegen die Bundesparteiführung gebrauchte Gedankenspiele, sich in einer "Westschiene" zu verselbständigen und eine anders profilierte "neue ÖVP" zu begründen, am stärksten ausgeprägt. Gefällige Blicke ruhen dabei auf der eigentümlichen Eigenständigkeit der durchaus als Schwesterpartei betrachteten bayrischen CSU, mit der man regen und beständigen Austausch pflegt. Derlei in "stammesverwandtschaftlichen" und alpinen Gemeinsamkeiten wurzelnde "separatistische" Erscheinungen wachsen unter föderalistischen und zunehmend europapolitischen Gesichtspunkten eher, als daß sie verkümmern, und erhalten aus geschichtlich gewachsener Aversion gegen "die in Wien" immer wieder neue Nahrung. In Zeiten sich mehrender Selbstzweifel, so nach verlorenen Wahlen - wie sie symptomatisch kaum deutlicher hätten hervortreten können als im vergangenen Jahrzehnt - , entwickelten sich die krisenhaften Erscheinungen in der ÖVP, Naturgewalten gleich, zu selbstzerfleischenden Obmann-Debatten. Da zeigte sich ein ums andere Mal, daß "Wien" oder "der Osten" in die Zange genommen wurde - gemeinsam von der "Westschiene" und der "Südschiene", vornehmlich über die sich besonders eigenständig verstehende und als "Königsmacher" gebärdende steirische Volkspartei, der die ÖVP Kärntens gelegentlich assistierte. In diesen erbärmlichen Händeln kam stets auch jenes dritte Element zum Tragen, aus welchem sich neben bündischem und regionalem das "volksparteiliche" Dasein zumindest in der jüngsten (Bundes-)Parteigeschichte zur Gänze speist: die Rekrutierung des Personaltableaus in Führungsfunktionen aus den miteinander rivalisierenden gegensätzlichen Grundhaltungen "christlich-konservativ" und "liberal". Zwischen Exponenten des "Cartell-Verbandes" und Repräsentanten der achtundsechzigerbewegten reformerischen Katholischen Hochschuljugend liegen Welten. Sie zusammenzuführen ist Ziel des aus Anlaß des 50-Jahr-Jubiläums verabschiedeten "Wiener Programms", in welchem sich die ÖVP erstmals als "christlich-demokratische Partei mit starker liberaler Komponente" definiert. Wie lange es trägt und ob die beiden neuen "starken Männer" an der Spitze, der "liberale" Parteivorsitzende Wolfgang Schüssel (Wien) und der "konservative" Klubobmann (Fraktionschef) der Nationalratsriege, Andreas Khol (Tirol), in der Lage sein werden, die Führung zu straffen, die Partei nicht nur für das österreichbewußte (Wahl-)Volk wieder attraktiver erscheinen zu lassen und sie aus den Strudeln der jüngsten Vergangenheit zu führen, wird die Zukunft erweisen müssen. REINHARD OLT
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main