In einer nicht allzu weit entfernten Zukunft kommt es zu einem Glaubenskrieg zwischen Abtreibungsgegnern und -befürwortern. Nach neun Jahren wird der blutige Konflikt mit einem Kompromiss beigelegt: der Charta des Lebens. Hinter diesem positiv klingenden Namen verbirgt sich eine Gesetzesänderung,
die alles Leben für unantastbar erklärt - jedenfalls bis zum 13. Lebensjahr. Abtreibungen sind ohne…mehrIn einer nicht allzu weit entfernten Zukunft kommt es zu einem Glaubenskrieg zwischen Abtreibungsgegnern und -befürwortern. Nach neun Jahren wird der blutige Konflikt mit einem Kompromiss beigelegt: der Charta des Lebens. Hinter diesem positiv klingenden Namen verbirgt sich eine Gesetzesänderung, die alles Leben für unantastbar erklärt - jedenfalls bis zum 13. Lebensjahr. Abtreibungen sind ohne Ausnahme illegal, aus welchen Gründen auch immer, dafür können Eltern unerwünschte oder problematische Kinder zwischen deren 13. und 18. Lebensjahr ohne Angabe von Gründen "umwandeln" lassen - sozusagen rückwirkend abtreiben, indem das Kind schmerzfrei getötet und zerlegt wird. Das wird offiziell nicht als Tod betrachtet, da durch modernste Transplantationstechnologien 99,44% des Körpers wiederverwendet werden können, und das laut Gesetz auch müssen.
Jeder Teil eines "Wandlers" lebt also weiter - aber heißt das wirklich, dass er als Mensch noch lebt?
Organspende, Abtreibung, Definition und Wert des Lebens - brisante Themen, die Neal Shusterman in seiner verstörenden Dystopie nicht nur hochspannend verarbeitet, sondern dabei auch zum Nachdenken anregt. Ich fand die Grundidee nicht nur unglaublich originell, sondern auch sehr gut umgesetzt.
Die Geschichte folgt drei Jugendlichen, die aus unterschiedlichen Gründen umgewandelt werden sollen. Connor, weil er sich zu oft prügelt, schlechte Noten schreibt und sich gegen seine Eltern auflehnt. Risa, weil sie in einem überfüllten Waisenhaus lebt und ein paar der über 13-Jährigen schlichtweg umgewandelt werden müssen, um Platz für jüngere Kinder zu schaffen. Lev, weil er das zehnte Kind einer religiösen Familie ist, für die es ganz normal ist, Gott von allem, was sie haben, den zehnten Teil zurückzugeben...
Gerade dadurch, dass sie völlig verschieden sind, macht der Autor überdeutlich: dieses System ist falsch und unmoralisch, aus welchem Grund auch immer. Nichts kann so etwas rechtfertigen. Alle drei treffen manchmal falsche Entscheidungen, haben ihre Fehler und Charakterschwächen... Dennoch habe ich immer mit ihnen mitgefiebert, mitgefühlt, mitgelitten, und es bestand für mich nie der geringste Zweifel, dass sie das Recht haben, zu leben. Ich fand sie sehr überzeugend und glaubhaft geschrieben.
Die Geschichte beginnt spannend, und die Spannung flaut kaum einmal ab - es geht hier immerhin nicht nur um drei Jugendliche, die gejagt werden, sondern um Hunderte von Jugendlichen, die in Ernte-Camps sitzen und auf den Tod warten, wenn sich nicht ändert. Besonders packend, verstörend und eindringlich waren für mich die Passagen, die dem Leser einen Einblick in ein Ernte-Camp gewähren und ihm zeigen, wie "Wandler" ihre letzten Tage verbringen. Obwohl die Kinder dort nicht hungern müssen oder misshandelt werden, baut der Autor ein paar Dinge ein, die deutlich an Konzentrationslager erinnern. (So wie zum Beispiel musikalisch begabte Juden sich durch Auftritte Lebenszeit erkaufen konnten, können hier auch musikalisch begabte Kinder ihren Tod hinauszögern.) Schließlich erlebt der Leser sogar eine "Wandlung" direkt mit, und danach musste ich das Buch erstmal zuklappen, durchatmen und ein bisschen Abstand gewinnen. Schlicht und einfach grauenhaft. Und das, obwohl in dieser Szene nie von Blut die Rede ist, sondern von lächelnden Augen und ruhigen Stimmen...
Die Geschichte wird in eher einfachen Worten in der Gegenwartsform erzählt, und damit musste ich mich erst anfreunden! Nach ein paar Kapiteln war ich dann aber "drin", und danach fand ich es auch passend, denn so ist der Leser immer nah dran am Geschehen.