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Eine junge Frau bricht auf, aus der Provinz in die Stadt, die Hoffnung auf Veränderung ist groß. Aber schnell stellt sie fest, dass sie nicht frei ist: nicht frei vom Unglück ihrer Eltern, nicht frei von der Angst, die sie in Ketten legt, nicht einmal frei in der Liebe, die sich als Farce entpuppt. Wer nur die Geborgenheit eines Gefängnisses kennt, dem erscheint jede Bewegung als Gefahr. Antonia Baums Heldin gibt jener Generation eine Stimme, die in den unendlichen Möglichkeiten des Glücks und der Selbstverwirklichung verloren ist. Ein erstaunliches Debüt, eine tragikomische Suada und ein…mehr

Produktbeschreibung
Eine junge Frau bricht auf, aus der Provinz in die Stadt, die Hoffnung auf Veränderung ist groß. Aber schnell stellt sie fest, dass sie nicht frei ist: nicht frei vom Unglück ihrer Eltern, nicht frei von der Angst, die sie in Ketten legt, nicht einmal frei in der Liebe, die sich als Farce entpuppt. Wer nur die Geborgenheit eines Gefängnisses kennt, dem erscheint jede Bewegung als Gefahr. Antonia Baums Heldin gibt jener Generation eine Stimme, die in den unendlichen Möglichkeiten des Glücks und der Selbstverwirklichung verloren ist. Ein erstaunliches Debüt, eine tragikomische Suada und ein ebenso emotionaler wie kühl sezierender Blick auf eine kaputte Gesellschaft.
Autorenporträt
ANTONIA BAUM, geboren 1984, studierte Literaturwissenschaft, Geschichte und Kulturwissenschaft. Sie hat verschiedene Kurzgeschichten veröffentlicht und erhielt große Medienresonanz für ihre bei Hoffmann und Campe erschienenen Romane Vollkommen leblos, bestenfalls tot (2011) und Ich wuchs auf einem Schrottplatz auf, wo ich lernte, mich von Radkappen und Stoßstangen zu ernähren (2015). Seit Februar 2012 ist sie Redakteurin im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.10.2011

Banale Phase oder Die Dilettanten des Wunders

Ein Fanal: Antonia Baums vollkommen lebloses Debüt, in dem eine junge Frau in Berlin nach der Liebe sucht, wird als neue deutsche Literatur verkauft. Was für ein Irrtum!

Sapperlot! Welch eine Verzweiflung muss herrschen auf den deutschen Verlagsfluren, wo offenbar jedes noch so missglückte Debüt mit Handkuss angenommen wird. Sooft sich die Jury des Bachmann-Wettbewerbs schmähen lassen muss: Wenn alle sechs Jury-Mitglieder - mit Ausnahme des Vorschlagenden also - einen Text für grottenschlecht halten, sollte man im Lektorat doch zumindest ins Grübeln geraten, auch zum Schutz der Autorin, die freilich das vernichtende Urteil keineswegs demütig anzunehmen gewillt war, sondern in dieser Zeitung mit einem Lamento über den "schlimmen, menschenentfernten Literaturverwaltungszugang" zurückschlug. Der pure Trotz auch bei Hoffmann und Campe, wo man Antonia Baums pubertär überkandidelten Debütroman "Vollkommen leblos, bestenfalls tot" nun flugs herausbrachte als einen der Toptitel des Herbstes: schöner Einband, schön gedruckt, schönes Papier - welch eine Vergeudung!

Zunächst bekommt der Leser einen expressionistischen Happen hingeworfen, ein Vorsatzblatt, auf dem man - poesiealbumspoetisch entrückt - in den Bauch der Städte hinabsteigt, wo ein Schriftsteller, "der seinen ganzen Unterarm zwischen den Beinen einer Frau versenkte", das Ohr nimmt und "tropfend", als wären wir bei Carl Einstein, hineinsabbert: "Keine Geschichten, nichts Ganzes, nur Bedeutungsloses." Und tatsächlich, das ist eine treffende Vorhersage: Was uns erwartet, ist völlige Substanzlosigkeit, gepaart mit einer ganz erstaunlichen Stil-Unsicherheit, die überspielt wird mittels eines wüst-infantilen Mixes aus Impressionismus, Expressionismus und endlos viel Thomas-Bernhard-Würze (ohne Thomas-Bernhard-Esprit).

Eine wütende, verzweifelte Abrechnung will der Text sein, die Stimme der verlorenen Generation, wobei die Erzählerin ganz am Ende aber doch zu verstehen beginnt, wie die Eltern-Generation in die "Katastrophe", in das "Kopfgefängnis", hineingeraten konnte. Doch nicht ein Krümelchen echte Wut oder Verzweiflung ist in diesem Buch, nur Lieblichkeit und Prätention.

Ihr Leben lang schon leidet die Erzählerin unter ihrem gleichwohl verehrten Vater Götz, einem wahren Götzen, der Frauen verschleißt und einzig aus Egozentrik besteht. Viel zu viele Seiten lang werden häusliche Ehekräche, Männer- und Frauenpsychen sowie Gedankenfluchten rekapituliert, immer schön ins lyrisch Litaneihafte aufgeblasen, aber alle fünf Sätze über eine Stilblüte stolpernd: ein "Raum, der aus allen Richtungen atmete"; "ich richte mich auf und halte einen fest, der weiterzuckt, die Haut wellt sich, wie graue Milch tropft sie ihm über den Kinderschädel". Wenn die gewellte Haut schon tropft, warum um Himmels Willen wie graue Milch? Milch mag ja allerhand sein, aber absolut niemals ist sie grau. Und so geht es hier Schlag auf Schlag. Derart verliebt scheint die Autorin in den Einfall, über den Hitler-Stalin-Pakt gebeugt zu sitzen, während unten im Haus die feindlichen Ehemächte einander bedrohen, dass sie ihn gleich dreimal bringt. Doch das ist erst der Beginn eines sich durch das ganze Buch ziehenden, sinnlosen Nazi-Fimmels, der vielleicht einfach nur blind aus Bernhard mitherauskopiert wurde: "diese nationalsozialistische Popkultur ist es, die dich in Wahrheit anatmet, weswegen diese scheußlichste aller Städte nunmehr als ein nationalsozialistisches Disney-Land zu bezeichnen ist."

Die Erzählerin lebt bald mit dem ihr hyperkreativ verhassten Patrick zusammen. "Patrick, der immerzu feist Aussichherauslächelnde, Patrick, der Nichtssagende", ist irgendwas in den Medien: Anlass genug für eine müde Satire über sensationsgeilen, zynischen Journalismus, die nach ewig langem Anlauf darin gipfelt, dass die Erzählerin eine "Analsex mit Kindern in SS-Uniform"-Bombe einschleust. Patrick gegenüber steht ein Sehnsuchtsmann, der aber so blass bleibt wie alle anderen Figuren: "Seit dem Tag, an dem du Johannes das erste Mal gesehen hast, bist du mit nichts anderem mehr beschäftigt, als ihn zu suchen, genau genommen bist du ja nur noch die Johannes-Suchende." Vielleicht ist dieser überhaupt nur eine Fiktion: "Jo gab es nicht mehr, hat es Jo denn überhaupt gegeben, fragte ich mich." Hinzu kommen noch eine "ekelhafte, ungebundene, unproblematische Schlampe" sowie eine Schwangerschaft, doch mehr als ausgedacht wirkende Befindlichkeitsprosa wird daraus nicht, banales, geschwätziges Phrasengedresche, eine verunglückte Schreibübung, viel Lärm um nichts. Vielleicht sollte man als Autor doch nicht gleich publizierend auf die Welt zustürzen, ohne zunächst etwas erlebt, etwas verloren, etwas verstanden zu haben? Vielleicht sollte ein Verlag einfach keine Romane von unter Vierzigjährigen annehmen?

OLIVER JUNGEN

Antonia Baum: "Vollkommen leblos, bestenfalls tot". Roman.

Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2011. 239 S., geb., 19,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.11.2011

Der Kopf ist ein stickiges Frauenwohnzimmer
In den Fußstapfen der Wut-Literatur: Antonia Baums Romandebüt „vollkommen leblos, bestenfalls tot“
Unversöhnliche, ja chronische Wut trägt diesen Roman. Die Wut der jungen Protagonistin auf all diejenigen, die als Abziehbilder durch die Welt laufen. Und die Wut auf sich selbst, der es weder gelingt, sich mit dem Standardprogramm, das man Leben nennt, zu arrangieren, noch daraus auszubrechen. Antonia Baum legt ihrem ersten Roman „vollkommen leblos, bestenfalls tot“ einen zunächst nicht gerade ungewöhnlichen Plot zugrunde, die Geschichte vom Aufbruch in die große Stadt, von Sinnsuche, Aufbegehren und Scheitern. Doch die Stationen wie das von permanentem Streit vergiftete Elternhaus, das Nachtleben, das Vergessen verspricht, oder der selbstverliebte Medienbetrieb dienen ihr nur als Gerüst für die vernichtend hellsichtigen Analysen der Erzählerin.
Nichts und niemand bleibt verschont: Die Schule wird zur „Terror-Anstalt“, in der die Insassen jahrelang Angst vor der Zukunft eingetrichtert bekamen, die angetrunkene Politdiskussion wird zum „Themen-Missbrauch“ und die Protagonistin selbst zur „verbiesterten Vorwurfs-Maschine“. Diese Form der schonungslosen Abrechnung wird vermutlich mal wieder als pubertär abgetan werden. Dann wäre es jedoch angemessen, daran zu erinnern, dass die Pubertät nicht nur die Phase von Trotz und Pickeln ist, sondern vor allem eine Zeit, in der man die Gesellschaft, die einen umgibt, plötzlich mit sehr klarem, noch wenig verstellten Blick wahrnimmt. Danach erst beginnt das Sich-Arrangieren mit dem Unausweichlichen, das Ausblenden der Kaputtheit. Darauf hingewiesen zu werden, wie selbstverständlich einem dieses Gesellschaftsspiel geworden ist, ist zugegeben nicht gerade angenehm.
Antonia Baum arbeitet mit kleinen Verschiebungen in der Sprache, um an den selbstverständlichen Standardphrasen für Standardsituationen zu kratzen: Da steht zum Beispiel der Freund der Erzählerin auf einer Party herum und lächelt sie nicht an, sondern „auf sie drauf“. Schon ist klar, dass es hier allein um Repräsentation geht, um nicht mehr als den Anschein eines glücklichen Paares. Dann wieder verschwimmen Realität und Tag-Albtraum: Die Erzählerin – gerade im Praktikum bei der selbstgefälligen Redaktion eines Kulturmagazins – zeigt den Kollegen „die neu installierte Hauptplatine auf ihrem Hinterkopf“ oder entlädt ihren angestauten Hass in einer Splatter-Sequenz auf dem Klo, dass Blut und Eingeweide nur so spritzen.
Liest man die seitenlangen, teils ironischen, teils bitter ernsten inneren Tiraden über dysfunktionale Eltern, die sich gegenseitig das Leben verpfuscht haben, rührt sich der Verdacht, das Ganze könnte sich zur selbstgerechten Erfolgsstory einer Bessermacherin entwickeln. Doch Baum bleibt hart ihrer Figur gegenüber und diese hart gegen sich selbst. Immer wieder ertappt sie sich dabei, wie ihre Gedanken in früh eingeübten Bahnen verlaufen, wie sie naiver Romantik nachhängt oder an das selbstgeschmiedete Glück glaubt.
Einen eigenen Weg abseits der ausgetretenen Pfade zu finden, scheint unmöglich: Sie versucht, sich treiben zu lassen, und landet letztlich wieder in den Armen eines billigen Vaterersatzes. Doch auch mit dieser Selbsterkenntnis darf sie sich nicht zufriedengeben, sondern brandmarkt sie bereits im folgenden Satz als Küchenpsychologie. Die junge Frau löst sich aus einer Abhängigkeit, gerät in die nächste und stellt trocken fest, dass es mit der Emanzipation, der ihre Mutter zu Hause ein eigenes Bücherregal gewidmet hatte, nicht weit her sein kann: „Mein Kopf ist ein aus der Vergangenheit hierher getragener und auf meine zeitgenössischen Kleider draufgesetzter, denke ich, nichts weiter. Nichts hat sich in dem Kopf verändert, er ist ein stickiges Frauenwohnzimmer mit lauter gehäkelten Lügen darin.“
Dass es für die Protagonistin kein Entrinnen aus ihren Gedankenschleifen gibt, führt auf der sprachlichen Ebene zu manchmal unnötigen Wiederholungen, denn die Bilder, die die Autorin findet, wären schon bei einmaliger Lektüre einprägsam genug. Auch geraten ihr einige Metaphern zu grell oder können nicht recht wirken, weil sie so geballt auftreten. Das aber sind Übermütigkeiten der Sprache, die man getrost überlesen kann, denn bis zur nächsten treffenden Breitseite gegen eine verlogene Gesellschaft ist es gewiss nicht weit. Man muss die Autorin nicht gleich mit Thomas Bernhard vergleichen oder ihr, wie anlässlich der Lesung aus „vollkommen leblos, bestenfalls tot“ beim Ingeborg-Bachmann-Preis im Juli geschehen, vorwerfen, diesen parodieren zu wollen. Aber man könnte vorläufig festhalten, dass es eine Gemeinsamkeit gibt: die Fähigkeit, menschliches Verhalten in seine Einzelteile zu zerlegen und mit beängstigender Präzision die Mechanismen dahinter aufzuzeigen, die nur allzu oft beschämend banal sind.
CORNELIA FIEDLER
ANTONIA BAUM: vollkommen leblos, bestenfalls tot. Roman. Hoffmann und Campe, Hamburg 2011. 240 Seiten, 19,99 Euro.
Laufen denn alle nur als Abziehbilder durch die Welt, fragt sich die junge Hauptperson im Buch. Foto: look
Antonia Baum Foto: Jürgen Bauer
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Einen ordentlichen Wutanfall hätte Ijoma Mangold sich gern gefallen lassen (sagt er jedenfalls). Aber Antonia Baums Debüt will er nicht als solchen durchgehen lassen. Wenn die Autorin respektive ihre Erzählerin auf die ganze blasierte Kulturschickeria, auf Heuchelei und Hedonismus schimpft, ihre Eltern, ihren Freund und die ganze "Welt voll Scheiße", dann erscheint ihm ihr Furor höchstens kokett, als ein "Monument bürgerlichen Selbstmitleids", . Allerdings muss Mangold festhalten, dass Baum die Bernhard-Stillage beherrscht, sie kann also was. Gut gefallen hat ihm auch, wie sie vom Relaunch eines Lifestyle-Magazins als einem "Hochamt der Angeberei" erzählt.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Dieser Roman ist ein emotionaler Blick auf eine kaputte Gesellschaft.« 20 Minuten, 20.01.2012