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Ein Buch von der großen Verwunderung über eine Zeit, die von Krise zu Krise stolpert, ohne die tieferen Ursachen dieser modernen Erdbeben zu verstehen - oder: verstehen zu wollen? Botho Strauß, der große Einzelgänger der zeitgenössischen Literatur in Deutschland, hebt in diesen Erzählungen die Religion und die Mythen, die Gegenwart als Teil der Geschichte, das Verhältnis der Geschlechter, das Unzugängliche und das Unerklärliche, das Übersehene und das Unverbundene in unterschiedlicher Beleuchtung hervor. Dieser Prosaband vereint Träumerei und strenge Zeitdiagnose und ist ein eindrucksvolles Zeugnis des Nachdenkens über gegenwärtige und kommende Krisen.…mehr

Produktbeschreibung
Ein Buch von der großen Verwunderung über eine Zeit, die von Krise zu Krise stolpert, ohne die tieferen Ursachen dieser modernen Erdbeben zu verstehen - oder: verstehen zu wollen? Botho Strauß, der große Einzelgänger der zeitgenössischen Literatur in Deutschland, hebt in diesen Erzählungen die Religion und die Mythen, die Gegenwart als Teil der Geschichte, das Verhältnis der Geschlechter, das Unzugängliche und das Unerklärliche, das Übersehene und das Unverbundene in unterschiedlicher Beleuchtung hervor. Dieser Prosaband vereint Träumerei und strenge Zeitdiagnose und ist ein eindrucksvolles Zeugnis des Nachdenkens über gegenwärtige und kommende Krisen.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Botho Strauß, 1944 in Naumburg/Saale geboren, lebt in der Uckermark. Bei Hanser veröffentlichte er neben einer vierbändigen Werkausgabe seiner Stücke zuletzt die Prosabände "Mikado" (2006), "Die Unbeholfenen" (Bewußtseinsnovelle, 2007), "Vom Aufenthalt" (2009), "Sie/Er" (Erzählungen, 2012), "Der Aufstand gegen die sekundäre Welt" (Aufsätze, 2012), "Die Fabeln von der Begegnung" (2013), "Kongress" (Die Kette der Demütigungen, 2013), "Allein mit allen" (Gedankenbuch, 2014), "Herkunft" (2014), "Oniritti Höhlenbilder" (2016), "zu oft umsonst gelächelt" (2019) und "Nicht mehr. Mehr nicht" (Chiffren für sie, 2021).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2009

Rickeracke! Geht die Mühle mit Geknacke

Im Sternschnuppenfangkorb des Gehirns: Botho Strauß erweist sich in seinem neuen Buch als spätmoderner Krisensehnsüchtler.

Von Hubert Spiegel

Ein Mann, der aus der Fremde in die Heimat zurückkehren will, wird im Zug kurz vor dem Ziel von einem Putsch überrascht. Die Grenzen sind geschlossen, die Einreise ist unmöglich. So kommt es zum erzwungenen Aufenthalt in einer kleinen Grenzstadt: Der Reisende als verhinderter Heimkehrer, als Aufgehaltener, der zur Tatenlosigkeit verdammt erscheint. Aus dem Reisenden wird ein ortloser, aus der Zeit gefallener Beobachter.

Ein Roman könnte so beginnen. Dann käme sehr wahrscheinlich rasch heraus, dass die Kleinstadt ein dunkles Geheimnis hat, dem der Fremde zufällig auf die Spur kommt. Ein solcher Romananfang verhieße Spannung. Aber das Buch, das so beginnt, stammt von einem Autor, der keine Romane schreibt, der Handlungsbögen in Prosaskizzen und Kleinstdramen komprimiert und den hohen Ton des Epos in der Prosaminiatur einfängt. An das große Erzählwerk wird kaum ein Gedanke verschwendet, denn es ist für ihn die falsche Form: "Episch wäre ich ein Experimentierer gewesen. Anknüpfen aber war mein Handwerk."

Also knüpft Botho Strauß an: an frühere Themen, Gedanken und Bücher. Wie schon in "Die Fehler des Kopisten" von 1997 oder zuletzt in "Der Untenstehende auf Zehenspitzen" (2004) folgt er auch in "Vom Aufenthalt" der Form des Journals oder Notizbuchs, in dem festgehalten wird, was den Autor beschäftigt, was er festgehalten wissen will und was dennoch durch ihn hindurchgeht wie der Wind durchs Laub: "Was ist in diesem Buch gewesen? Ich habe nichts behalten von dem, was ich aufschrieb. Ein mikrobenhaftes Vielerlei hat mein Gedächtnis für diese Seiten zersetzt", heißt es zur Überraschung des Lesers kurz vor dem Ende der Aufzeichnungen. Mehr als zweihundert Seiten zuvor hatte ihr Verfasser sich die gekörnten, nach ihrem letzten Streich durch die Mühle gedrehten Max und Moritz als Wappenfiguren gewünscht: "Rickeracke! Rickeracke! / Geht die Mühle mit Geknacke." Was bleibt, sind Umrisse, mit "Gedankenmehl" auf den Boden gezeichnet, den nächsten Windstoß erwartend.

Nicht einmal als "Ich" will er an dieser Stelle mehr von sich reden: "Man ist ein Zerstreuter, den kein anderer überblicken oder gar aufsammeln könnte. Jemand, der mit Haut und Haar verschwand, in wen er sich einfühlte." Oder, wie es ein anderes Mal heißt: "All die Menschen, die ich halb sah, halb war." Kein Zweifel, auch das Handwerk des Anknüpfens hat seinen Preis. Aber was sind seine Früchte? Der Autor zählt sie selbst auf: "Spaziergänge, Halluzinationen, Einfälle, Abschnitte und Zufluchten eines Mannes, der nicht an Jahren alt ist (heutzutage!), aber an Gefühl."

Eine dieser Halluzinationen geht so: Ein Mann, der Erzähler, geht durch ein Kornfeld, da sieht er am Himmel das Bild eines Mannes, der vom Firmament herabgrinst wie von einem Urlaubsfoto. Sofort überfällt ihn der Gedanke, eine neue Technik könnte den Himmel als Projektionsfläche missbrauchen: "Dem Chaos des Beamens wäre keine Grenze gesetzt."

Aber es gibt auch ganz andere Projektionen. Bei einem seiner Spaziergänge wird der Erzähler zum Gegenstand einer Verwechslung: Ein Ehepaar hatte sich gestritten, und beide verließen im Zorn das Haus. Als die Frau auf dem einsamen Feldweg eine männliche Gestalt sieht, glaubt sie, es handle sich um ihren Mann und läuft zu ihm, um sich zu entschuldigen. Erst im letzten Moment erkennt sie ihren Irrtum und steht verstört vor dem Erzähler, der sie nun auffordert, ihm alles zu sagen, was ihr auf der Seele liegt. Die Frau tut, wie ihr geheißen, und auch der Erzähler entschuldigt sich für Streit und böse Worte. Man küsst sich und geht auseinander.

Derartige Einfälle erzählerisch auszuspinnen, hieße einem Handwerk folgen, dem Strauß nie viel abgewinnen konnte. Den dickleibigen Romanen "mit ihren schlechtgesehenen Menschen, schlechtgesehenen Ansichten" weitere Exemplare hinzufügen? Wozu? Wozu überhaupt schreiben, wenn einen Angstvisionen plagen wie jene, "die ganze geschriebene Welt" könne zwischen zwei Klammern, die wie Stahlwände zusammenrücken, zu einem einzigen Quader zusammengepresst werden, so dass "von allen Werken und Entwürfen, von allem Können und Entsprechen nur dies bittere Faktum einer formschlichten Traurigkeit übrigbleibt, ein stummer Quader Schrift".

Von solcher Art sind die Leiden des Dichters, der sich als möglichen Nachfahren des ausgestorbenen "Hofmannsthalopithecus" imaginiert, ein spätmoderner Krisensehnsüchtler, der seinen "Leopold-Andrian-Stimmungen" folgt, es aber auf Dauer auch nicht aushält in seiner feingemauerten "Festung der Feinheiten". Rickeracke! Die Mühle steckt fest. Was vom Reservoir des Idealen behauptet wird, erweist sich auch für das Reservoir des Gegenwartskritikers als zutreffend: es ist nicht beliebig erweiterbar.

Also sind es die alten Themen, die Botho Strauß aufs Neue zwischen die Mahlsteine seiner Reflexion schiebt. Er verhöhnt die "traurigen Ritter der Vorteilsbeschaffung", die Singles, diese "Sackgassenmenschen", und die "Genderoptimierten", er konstatiert die Ausbreitung des Stumpfsinns, der "durch die Kapillare geteilter Interessen, Verrichtungen und Plätze" jede Intelligenz durchzieht, und er beklagt den "Totalausfall an hetärischer Intelligenz" im Verhältnis der Geschlechter, die auf "gottverlassener Brandstätte" trostlos in der Asche früherer Leidenschaften scharren. Dabei geht es ihm um mehr als den Lustverlust, der aus der Angleichung der Geschlechterrollen folgt: "Sexus ohne Metaphysik ist abscheulichste aller säkularisierter Herrlichkeit." So spricht der Bußprediger wider die kalte Lust, die ohne göttlichen Funken lodern will.

Notiert wird all dies im "Immediatbüchlein. Dem Büchlein vom Unmittelbaren." Aber von Anfang an durchzieht noch ein anderer Ton diese Aufzeichnungen. Im "Sternschnuppenfangkorb" des Gehirns hat sich ein Satz eingenistet, der leitmotivisch wiederholt wird: "Old men ought to be explorers." Er stammt aus den "Vier Quartetten", T. S. Eliots 1943 erschienenem Gedichtzyklus über die Vergänglichkeit, die nun stärker als je zuvor im Werk von Botho Strauß Raum greift. Die Kundschafterrolle, die hier reklamiert wird, führt zurück in die eigene Kindheit und ins Jenseits: "Wenn wir von Aufenthalt sprechen, haben wir schon mit dem Gang hinunter begonnen."

Mag der Erzähler sich auch Mut zusprechen - "Die Abenteuer des Entdeckens - für mich beginnen sie gerade erst" -, an die Stelle kalter Wut über die Zeitläufte ist gefasste Resignation getreten, zuweilen auch Endzeitbehaglichkeit. Auf seinen Spaziergängen und Wanderungen in der Einsamkeit der Uckermark trauert der Erzähler um das Kind, das er verlor, als der Sohn erwachsen wurde, und im "Genist des Alltags", in den Utensilien seines Haushalts, spürt er schon das Verlangen der Dinge, als Überbleibsel ihren Rang zu erhöhen: Was Staub ansetzt, will Nachlass werden.

Da ist es an der Zeit, sich noch einmal zu verorten, die Mühle anzuwerfen, Rickeracke, und mit dem Gedankenmehl aufs Neue den "magischen Umriss" auf den Boden zu zeichnen. Einmal entsteht so auch das berührende Selbstporträt des Autors. Es zeigt weder Max noch Moritz, sondern einen einsamen Leser im imaginären Zwiegespräch verpasster Zeitgenossenschaft: "Ich fülle nur die kleinen Lücken, die meine Lieblingsautoren in ihren Büchern hinterließen. Was ich schreibe, hätten auch sie schreiben können. Dann und wann haben sie einen verspäteten, posthumen Einfall - dafür gibt es mich." Auch danach also hält der Kundschafter so angestrengt Ausschau: Er sucht den Spalt, durch den er hineinschlüpfen kann ins Schneckenhaus der Tradition.

Botho Strauß: "Vom Aufenthalt". Hanser Verlag, München 2009. 295 S., geb., 19,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Botho Strauß' Prosaband "Vom Aufenthalt" sucht unmittelbar den Zwischenraum der angehaltenen Zeit in Sprache zu fassen, und wenn "böse Zungen" ihm auch Langeweile vorwerfen könnten, scheint Roman Bucheli zumindest gefesselt. Allerdings betont der Rezensent, dass ihn das Buch immer dann besonders überzeugt hat, wenn Strauß die besondere Erfahrung der Zeitdehnung in Erzählminiaturen fließen lässt. So zum Beispiel wenn Strauß die Geschichte vom Jesus dreimal verleugnenden Petrus erzählt, denn dann will sie dem begeisterten Rezensenten so taufrisch und "schwerelos" erscheinen, dass er sich wie ein Kind "aus der Zeit herausfallen" sieht. Strauß' kulturpessimistischen Auslassungen kann Bucheli dagegen wenig abgewinnen und seinen aphoristischen Sentenzen kann man als Leser zwar mit Beifall oder Ablehnung begegnen, als Sprache gewordene Zeitdehnung aber überzeugen sie ihn nicht.

© Perlentaucher Medien GmbH
"'Vom Aufenthalt' ist ein Werk, das wie ein Wetterleuchten den Blick mal hierhin, mal dorthin zieht." Volker Hage, Der Spiegel, 19.10.09

"Es sei allen als Medizin gegen den Zeitgeist empfohlen." Tilman Krause, Die Welt, 21.11.09

"Poetisch, bissig und nachdenklich." Simone Dattenberger, Münchner Merkur, 09.01.09