Albrecht Schöne über Reuchlin, Goethe, Lichtenberg, Gottfried Benn, Walter Benjamin, Paul Celan, die Ideologiegeschichte der Redensart Auf Biegen und Brechen, die Physiognomik, die Lyrik der NS-Zeit, den Nibelungenfilm Fritz Langs und anderes mehr.
Albrecht Schöne hat als Inhaber des Göttinger Lehrstuhls für Neuere deutsche Literaturwissenschaft nicht bloß eine ganze Generation von Nachwuchswissenschaftlern und Deutschlehrern, Lektoren und Redakteuren, sondern als Redner und Essayist auch weit über die Universität hinaus das genaue, entdeckende Lesen literarischer Texte gelehrt. Seine Goethestudien, sein Faustkommentar, seine Arbeiten zum Barock, zu Georg Christoph Lichtenberg und zur sprachlichen Säkularisation sind mittlerweile Klassiker einer philologisch fundierten Interpretationskunst, die dem Leser die Augen für oft nie bemerkte Bedeutungszusammenhänge öffnet, ohne dabei den untersuchten Texten Gewalt anzutun. Indem er die Erkenntnisse anderer Disziplinen wie derPsychiatrie, Theologie, Kunstwissenschaft, Sozialgeschichte und der Naturwissenschaften zu Hilfe nahm, zeigte Albrecht Schöne seinem Fach und dessen Methoden ihre Grenzen, um diese zugleich zu überschreiten. Schönes Arbeiten beschränken sich freilich nicht auf die unbestreitbar ganz großen Kunstwerke, die Klassiker - und schon gar ist bloß anbetende Bewunderung nicht seine Sache. Vielmehr hat er sich auch immer >eingemischt< und Farbe bekannt. Zu seinem achtzigsten Geburtstag haben drei seiner Schüler aus seinem umfangreichen Werk einige zum Teil sehr abgelegen publizierte (sowie zwei bislang noch ungedruckte) und daher vielleicht weniger bekannte Arbeiten ausgewählt, die allesamt >politisch< sind, sei es, weil sie von politischen Kunstwerken handeln, in politische Situationen eingreifen oder bei ihrer Entstehung selber zu einem Politicum wurden.
Albrecht Schöne hat als Inhaber des Göttinger Lehrstuhls für Neuere deutsche Literaturwissenschaft nicht bloß eine ganze Generation von Nachwuchswissenschaftlern und Deutschlehrern, Lektoren und Redakteuren, sondern als Redner und Essayist auch weit über die Universität hinaus das genaue, entdeckende Lesen literarischer Texte gelehrt. Seine Goethestudien, sein Faustkommentar, seine Arbeiten zum Barock, zu Georg Christoph Lichtenberg und zur sprachlichen Säkularisation sind mittlerweile Klassiker einer philologisch fundierten Interpretationskunst, die dem Leser die Augen für oft nie bemerkte Bedeutungszusammenhänge öffnet, ohne dabei den untersuchten Texten Gewalt anzutun. Indem er die Erkenntnisse anderer Disziplinen wie derPsychiatrie, Theologie, Kunstwissenschaft, Sozialgeschichte und der Naturwissenschaften zu Hilfe nahm, zeigte Albrecht Schöne seinem Fach und dessen Methoden ihre Grenzen, um diese zugleich zu überschreiten. Schönes Arbeiten beschränken sich freilich nicht auf die unbestreitbar ganz großen Kunstwerke, die Klassiker - und schon gar ist bloß anbetende Bewunderung nicht seine Sache. Vielmehr hat er sich auch immer >eingemischt< und Farbe bekannt. Zu seinem achtzigsten Geburtstag haben drei seiner Schüler aus seinem umfangreichen Werk einige zum Teil sehr abgelegen publizierte (sowie zwei bislang noch ungedruckte) und daher vielleicht weniger bekannte Arbeiten ausgewählt, die allesamt >politisch< sind, sei es, weil sie von politischen Kunstwerken handeln, in politische Situationen eingreifen oder bei ihrer Entstehung selber zu einem Politicum wurden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.03.2006Unverdrossen aufklärend
Ein Klassiker: Albrecht Schönes Reden über Literatur
Karl-Heinz Bohrer hat der Literaturwissenschaft kürzlich eine schöne, traditionsbewußter Haushaltsführung abgeschaute Metapher ins Stammbuch geschrieben: Sie möge doch im Übereifer der Modernisierung nicht ihr bestes Porzellan zum Fenster hinauswerfen, nur weil weniger Menschen daraus trinken wollten. Die Schriften des Göttinger Germanisten Albrecht Schöne zum Barock, zu Goethe und zu Lichtenberg und zur "Säkularisation als sprachbildender Kraft" in den Dichtungen deutscher Pfarrerssöhne gehören zweifellos nach wie vor auf den Tisch des Hauses. Es sind vorbildliche Beispiele für die Handhabung der philologisch fundierten Deutungskunst, zugleich aber überschritten sie wie selbstverständlich die Grenzen des Fachs, ohne daß sie sich modische Etiketten hätten aufkleben müssen. Es sind Arbeiten eines durch und durch gewissenhaften Germanisten.
Zum achtzigsten Geburtstag Albrecht Schönes haben drei seiner angesehensten Schüler weniger bekannte Texte versammelt, die den Gelehrten als zugewandten Redner zeigen, der die Einmischung nicht scheut, der in unverdrossen aufklärerischem Duktus nicht nur zum Werk führen, sondern auch belehren und sogar ermahnen will. Die brillante Klarheit seiner Reden, die nicht nur in Göttingen legendär geworden sind, erschließt sich dem Leser auch in der Schriftform, es sind im Gegensatz zu einer schlechten Praxis keine verlesenen Aufsätze. Die vielen gelehrten Fußnoten im Band sprechen nicht dagegen; sie stammen nicht von Schöne, sondern sind ein freundlicher Dienst der Herausgeber für alle, die Schönes Anregungen in weitere Lektüre überführen wollen.
Der Zusammenhang von Lesen und Aufklärung wurde Schöne in der persönlichen Erfahrung des schrecklichen zwanzigsten Jahrhunderts schlagartig deutlich. Als neunzehnjähriger Fahnenjunker geriet er eher versehentlich an Konrad Heidens "Geschichte des Nationalsozialismus" und "begann, etwas von der ungeheuerlichen Wahrheit des Regimes zu ahnen, dem wir dienten". Zum passionierten Leser aber wurde er 1947 als Freiburger Student durch jenen "Faustschlag auf den Schädel", mit dem auch ihn die Lektüre von Kafkas Werken traf. Seitdem stand für Schöne fest, daß Lesen mit Widerständigkeit zu tun hat und folglich Literaturwissenschaft nicht nur im Seminarraum stattfinden sollte, sondern auch als Herstellung einer kritischen Öffentlichkeit, nicht zuletzt nach dem Vorbild des Göttinger Originals Georg Christoph Lichtenberg, bei dem wir alle Schöne zufolge längst noch nicht ausgelernt haben. Da wiederholt sich der Redner ausnahmsweise, damit die Zuhörer eine haltbare Sentenz des spätaufklärerischen Skeptikers nach Hause tragen können wie einen Göttinger Zwieback: "Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders wird; aber so viel kann ich sagen, es muß anders werden, wenn es gut werden soll." Dieser Maxime ist Schöne auch als Präsident der Internationalen Vereinigung der Germanisten gefolgt. Der von ihm 1985 veranstaltete Weltkongreß in Göttingen gilt nach wie vor als eine Art Schengen der "deutschen Wissenschaft". Das zeitigte entsprechend auch Folgen, die nicht Schönes Vorstellung der Grenzöffnung entsprachen.
Der Widerstand, den sieben Göttinger Professoren 1837 gegen obrigkeitsstaatliche Willkür leisteten und mit ihrer Entlassung aus dem Amt bezahlten, war für Schöne noch 1987 ein "Lehrstück". Zwar sei zum verbotswidrigen Betreten des Rasens nunmehr keine Zivilcourage mehr erforderlich, aber es sei ja nicht auszuschließen, daß ein Wort Dahlmanns dereinst "ungeahnte neue Geltung" gewinnen könne. "Wenn die Wissenschaft hier kein Gewissen mehr haben darf, so muß sie sich eine andere Heimat suchen." Es wird sich zeigen, ob dieses Wort auch für den gegenwärtigen Prozeß der Funktionalisierung und Ökonomisierung der Wissenschaft und der Bildung Geltung beanspruchen kann. Viele sind es nicht, die heute den Rasen betreten, um zu sagen, daß das Anderswerden der Universität im von oben verordneten Prozeß der Europäisierung keineswegs ein Besserwerden ist.
Auf Aktualisierung kritischen Bewußtseins jenseits des verbohrten Eiferns zielen jedenfalls die Reden Schönes. Die Deutungen der Texte verwandeln sich in zugewandter Weise zu Botschaften, die im Sinne von Walter Benjamins Briefbuch über deutsche Menschen "das Vergangene als gegenwärtig wirkende Gesinnung wieder hervorrufen wollen". Auch Albrecht Schöne zeigt sich in diesem Band als ein deutscher Mensch in diesem Sinne. Auch seine Reden wollen darüber belehren, "daß Toleranz etwas durchaus anderes ist als Indifferenz und in Wahrheit unverträglich mit bloßer Gleichgültigkeit in der Sache".
Diese Botschaften sind garantiert noch haltbarer als ein Göttinger Zwieback und überdies viel schöner verpackt. Die Anschaffung und Aufbewahrung kann Literaturwissenschaftlern, Lehrern und interessierten Lesern mit bestem Gewissen empfohlen werden.
Albrecht Schöne: "Vom Betreten des Rasens". Siebzehn Reden über Literatur. Herausgegeben von Ulrich Joost, Jürgen Stenzel, Ernst-Peter Wieckenberg. C.H. Beck Verlag, München 2005. 368 S., geb., 29,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Klassiker: Albrecht Schönes Reden über Literatur
Karl-Heinz Bohrer hat der Literaturwissenschaft kürzlich eine schöne, traditionsbewußter Haushaltsführung abgeschaute Metapher ins Stammbuch geschrieben: Sie möge doch im Übereifer der Modernisierung nicht ihr bestes Porzellan zum Fenster hinauswerfen, nur weil weniger Menschen daraus trinken wollten. Die Schriften des Göttinger Germanisten Albrecht Schöne zum Barock, zu Goethe und zu Lichtenberg und zur "Säkularisation als sprachbildender Kraft" in den Dichtungen deutscher Pfarrerssöhne gehören zweifellos nach wie vor auf den Tisch des Hauses. Es sind vorbildliche Beispiele für die Handhabung der philologisch fundierten Deutungskunst, zugleich aber überschritten sie wie selbstverständlich die Grenzen des Fachs, ohne daß sie sich modische Etiketten hätten aufkleben müssen. Es sind Arbeiten eines durch und durch gewissenhaften Germanisten.
Zum achtzigsten Geburtstag Albrecht Schönes haben drei seiner angesehensten Schüler weniger bekannte Texte versammelt, die den Gelehrten als zugewandten Redner zeigen, der die Einmischung nicht scheut, der in unverdrossen aufklärerischem Duktus nicht nur zum Werk führen, sondern auch belehren und sogar ermahnen will. Die brillante Klarheit seiner Reden, die nicht nur in Göttingen legendär geworden sind, erschließt sich dem Leser auch in der Schriftform, es sind im Gegensatz zu einer schlechten Praxis keine verlesenen Aufsätze. Die vielen gelehrten Fußnoten im Band sprechen nicht dagegen; sie stammen nicht von Schöne, sondern sind ein freundlicher Dienst der Herausgeber für alle, die Schönes Anregungen in weitere Lektüre überführen wollen.
Der Zusammenhang von Lesen und Aufklärung wurde Schöne in der persönlichen Erfahrung des schrecklichen zwanzigsten Jahrhunderts schlagartig deutlich. Als neunzehnjähriger Fahnenjunker geriet er eher versehentlich an Konrad Heidens "Geschichte des Nationalsozialismus" und "begann, etwas von der ungeheuerlichen Wahrheit des Regimes zu ahnen, dem wir dienten". Zum passionierten Leser aber wurde er 1947 als Freiburger Student durch jenen "Faustschlag auf den Schädel", mit dem auch ihn die Lektüre von Kafkas Werken traf. Seitdem stand für Schöne fest, daß Lesen mit Widerständigkeit zu tun hat und folglich Literaturwissenschaft nicht nur im Seminarraum stattfinden sollte, sondern auch als Herstellung einer kritischen Öffentlichkeit, nicht zuletzt nach dem Vorbild des Göttinger Originals Georg Christoph Lichtenberg, bei dem wir alle Schöne zufolge längst noch nicht ausgelernt haben. Da wiederholt sich der Redner ausnahmsweise, damit die Zuhörer eine haltbare Sentenz des spätaufklärerischen Skeptikers nach Hause tragen können wie einen Göttinger Zwieback: "Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders wird; aber so viel kann ich sagen, es muß anders werden, wenn es gut werden soll." Dieser Maxime ist Schöne auch als Präsident der Internationalen Vereinigung der Germanisten gefolgt. Der von ihm 1985 veranstaltete Weltkongreß in Göttingen gilt nach wie vor als eine Art Schengen der "deutschen Wissenschaft". Das zeitigte entsprechend auch Folgen, die nicht Schönes Vorstellung der Grenzöffnung entsprachen.
Der Widerstand, den sieben Göttinger Professoren 1837 gegen obrigkeitsstaatliche Willkür leisteten und mit ihrer Entlassung aus dem Amt bezahlten, war für Schöne noch 1987 ein "Lehrstück". Zwar sei zum verbotswidrigen Betreten des Rasens nunmehr keine Zivilcourage mehr erforderlich, aber es sei ja nicht auszuschließen, daß ein Wort Dahlmanns dereinst "ungeahnte neue Geltung" gewinnen könne. "Wenn die Wissenschaft hier kein Gewissen mehr haben darf, so muß sie sich eine andere Heimat suchen." Es wird sich zeigen, ob dieses Wort auch für den gegenwärtigen Prozeß der Funktionalisierung und Ökonomisierung der Wissenschaft und der Bildung Geltung beanspruchen kann. Viele sind es nicht, die heute den Rasen betreten, um zu sagen, daß das Anderswerden der Universität im von oben verordneten Prozeß der Europäisierung keineswegs ein Besserwerden ist.
Auf Aktualisierung kritischen Bewußtseins jenseits des verbohrten Eiferns zielen jedenfalls die Reden Schönes. Die Deutungen der Texte verwandeln sich in zugewandter Weise zu Botschaften, die im Sinne von Walter Benjamins Briefbuch über deutsche Menschen "das Vergangene als gegenwärtig wirkende Gesinnung wieder hervorrufen wollen". Auch Albrecht Schöne zeigt sich in diesem Band als ein deutscher Mensch in diesem Sinne. Auch seine Reden wollen darüber belehren, "daß Toleranz etwas durchaus anderes ist als Indifferenz und in Wahrheit unverträglich mit bloßer Gleichgültigkeit in der Sache".
Diese Botschaften sind garantiert noch haltbarer als ein Göttinger Zwieback und überdies viel schöner verpackt. Die Anschaffung und Aufbewahrung kann Literaturwissenschaftlern, Lehrern und interessierten Lesern mit bestem Gewissen empfohlen werden.
Albrecht Schöne: "Vom Betreten des Rasens". Siebzehn Reden über Literatur. Herausgegeben von Ulrich Joost, Jürgen Stenzel, Ernst-Peter Wieckenberg. C.H. Beck Verlag, München 2005. 368 S., geb., 29,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Allerwärmstens legt Rezensent Friedmar Apel diese Sammlung von Reden des Göttinger Germanisten Albrecht Schöne über Literatur allen Lesern und Lehrenden ans Herz. Für Apel sind die hier versammelten Beiträge über Goethe, Lichtenberg oder die "Säkularisierung als sprachbildende Kraft" wunderbare Beispiele einer "philologisch fundierten Deutungskunst". Dass Schöne an den Prinzipien der Germanistik festhielt, bewertet der Rezensent als Qualitätsmerkmal von Autor und Texten. Auch die Herausgeber werden gelobt, die die Texte mit Fußnoten versehen damit Schönes Anregungen zu fortführender Lektüre weitergegeben haben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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