Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.04.2007Ötzi und Klebzettel
Wie das Jugendsachbuch „Die Gletschermumie” entstanden ist
So wie einst römische Heere das heutige Europa überzogen, so hat vor einigen Jahren der britische Verlag Dorling Kindersley die Sachbuchwelt kolonialisiert. Oder soll man sagen: reformiert? Das klingt zu positiv. Da frag ich lieber nach dem kleinen Dorf in Gallien. In der Welt der Jugendsachbücher sitzt es in Südtirol und heißt Folio Verlag.
Das kleine Unternehmen hat sich – regionalpatriotisch und marktschlau – dem Ötzi zugewandt und hat eine Glanzleistung vollbracht. Die Vorzüge der Dorling Kindersley Bildkonzepte wurden modifiziert übernommen, die Texte aber argumentativ besser und seitenübergreifend klüger gestaltet. Die Gletschermumie ist denn auch ein Musterbeispiel dafür, dass die Kunst guter Kinder- und Jugendsachbücher selten in flächendeckenden Reihen auftritt, sondern vorzugsweise in individuellen Einzelstücken.
Jetzt hat die Autorin Gudrun Sulzenbacher ein Buch zum Buch gemacht, das zwar vom Büchermachen berichtet, aber so, dass es ehrlicher wäre, der Band würde „Ich und Ötzi” heißen. Mit andern Worten: Wer Personality Shows und Home Stories nicht mag, der sei gewarnt: von der ersten bis zur letzten Seite schaut Frau S in die Kamera, sitzt sonnenbebrillt am Fundort und nimmt zum Schluss den „Österreichischen Kinder- und Jugendsachbuchpreis” entgegen. Wer indessen bedenkt, dass Kinder- und Jugendliteratur nicht nur Belletristik umfasst, sondern Sachbücher zu allen Themen und für alle Alter, der wird neben den Fotos mit Frau S Relevantes entdecken. Ein Jugendsachbuch über Jugendsachbücher ist ein sinnvolles Angebot, ist spezifische Medienkunde zu einem omnipräsenten Medium.
Die Konzentration auf ein Buch und seine Geschichte hat den Vorteil konkreter Kontinuität von den ersten Recherchen bis zur revidierten Nachauflage. Die Überarbeitung etwa wurde notwendig, weil die Gerichtsmediziner die Pfeilspitze in Ötzis Körper erst spät entdeckten.
Das Buch Die Gletschermumie eignet sich auch als Beispiel, weil darin Fotografie und Zeichnungen je ihre Funktion haben, weil Fotos von Rekonstruktionen und Resultaten der experimentellen Archäologie gezeigt werden; kurzum die Bildbeschaffung wird exemplarisch vorgeführt. Weiter wird das Schreiben effektiv an Texten erläutert, wird das konzeptionelle Denken beim Büchermachen fassbar. Fertig Showfrau, voll Fachfrau, die hier nicht nur das Zusammenspiel von Inhalt und Form erläutert, sondern immer wieder zeigt, wie entscheidend die Kommunikation zwischen Bild und Text, zwischen Autorin und Graphikerin ist. Gerade ein Sachbuch, das vereinfachen will, braucht – in allen Phasen der Entwicklung – das Wissen um die Komplexität des Themas und der Aufgabe. Dies leistet Gudrun Sulzenbacher auch hier, und sei es nur, dass sie die Grafikerin so gut instruierte, dass ihre didaktischen Ideen die passende Form fanden, etwa indem die unterschiedlichsten Aspekte der Buchgestaltung und Herstellung wirklich vor Ort, das heißt quer Buch, im Stil von Klebzetteln benannt und erläutert werden. Eine schöne Idee.
Wer lieber am Thema „Bilderbuch” den langen Weg von der Idee zum fertigen Exemplar mitverfolgen möchte, der sei darauf hingewiesen, dass die Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen eine CD und ein Lernposter anbietet; eine gute Basisinformation etwa für Grundschulklassen, während Sulzenbachers Bücherbuch doch Details und Aspekte erläutert, die erst dann spannend sind, wenn man selbst schon Jugendsachbücher kennt und nutzt. (ab 12 Jahre) HANS TEN DOORNKAAT
GUDRUN SULZENBACHER: Vom Büchermachen. Wie Ötzi ins Buch kam. Folio Verlag 2006. 64 Seiten, 15,80 Euro.
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Wie das Jugendsachbuch „Die Gletschermumie” entstanden ist
So wie einst römische Heere das heutige Europa überzogen, so hat vor einigen Jahren der britische Verlag Dorling Kindersley die Sachbuchwelt kolonialisiert. Oder soll man sagen: reformiert? Das klingt zu positiv. Da frag ich lieber nach dem kleinen Dorf in Gallien. In der Welt der Jugendsachbücher sitzt es in Südtirol und heißt Folio Verlag.
Das kleine Unternehmen hat sich – regionalpatriotisch und marktschlau – dem Ötzi zugewandt und hat eine Glanzleistung vollbracht. Die Vorzüge der Dorling Kindersley Bildkonzepte wurden modifiziert übernommen, die Texte aber argumentativ besser und seitenübergreifend klüger gestaltet. Die Gletschermumie ist denn auch ein Musterbeispiel dafür, dass die Kunst guter Kinder- und Jugendsachbücher selten in flächendeckenden Reihen auftritt, sondern vorzugsweise in individuellen Einzelstücken.
Jetzt hat die Autorin Gudrun Sulzenbacher ein Buch zum Buch gemacht, das zwar vom Büchermachen berichtet, aber so, dass es ehrlicher wäre, der Band würde „Ich und Ötzi” heißen. Mit andern Worten: Wer Personality Shows und Home Stories nicht mag, der sei gewarnt: von der ersten bis zur letzten Seite schaut Frau S in die Kamera, sitzt sonnenbebrillt am Fundort und nimmt zum Schluss den „Österreichischen Kinder- und Jugendsachbuchpreis” entgegen. Wer indessen bedenkt, dass Kinder- und Jugendliteratur nicht nur Belletristik umfasst, sondern Sachbücher zu allen Themen und für alle Alter, der wird neben den Fotos mit Frau S Relevantes entdecken. Ein Jugendsachbuch über Jugendsachbücher ist ein sinnvolles Angebot, ist spezifische Medienkunde zu einem omnipräsenten Medium.
Die Konzentration auf ein Buch und seine Geschichte hat den Vorteil konkreter Kontinuität von den ersten Recherchen bis zur revidierten Nachauflage. Die Überarbeitung etwa wurde notwendig, weil die Gerichtsmediziner die Pfeilspitze in Ötzis Körper erst spät entdeckten.
Das Buch Die Gletschermumie eignet sich auch als Beispiel, weil darin Fotografie und Zeichnungen je ihre Funktion haben, weil Fotos von Rekonstruktionen und Resultaten der experimentellen Archäologie gezeigt werden; kurzum die Bildbeschaffung wird exemplarisch vorgeführt. Weiter wird das Schreiben effektiv an Texten erläutert, wird das konzeptionelle Denken beim Büchermachen fassbar. Fertig Showfrau, voll Fachfrau, die hier nicht nur das Zusammenspiel von Inhalt und Form erläutert, sondern immer wieder zeigt, wie entscheidend die Kommunikation zwischen Bild und Text, zwischen Autorin und Graphikerin ist. Gerade ein Sachbuch, das vereinfachen will, braucht – in allen Phasen der Entwicklung – das Wissen um die Komplexität des Themas und der Aufgabe. Dies leistet Gudrun Sulzenbacher auch hier, und sei es nur, dass sie die Grafikerin so gut instruierte, dass ihre didaktischen Ideen die passende Form fanden, etwa indem die unterschiedlichsten Aspekte der Buchgestaltung und Herstellung wirklich vor Ort, das heißt quer Buch, im Stil von Klebzetteln benannt und erläutert werden. Eine schöne Idee.
Wer lieber am Thema „Bilderbuch” den langen Weg von der Idee zum fertigen Exemplar mitverfolgen möchte, der sei darauf hingewiesen, dass die Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen eine CD und ein Lernposter anbietet; eine gute Basisinformation etwa für Grundschulklassen, während Sulzenbachers Bücherbuch doch Details und Aspekte erläutert, die erst dann spannend sind, wenn man selbst schon Jugendsachbücher kennt und nutzt. (ab 12 Jahre) HANS TEN DOORNKAAT
GUDRUN SULZENBACHER: Vom Büchermachen. Wie Ötzi ins Buch kam. Folio Verlag 2006. 64 Seiten, 15,80 Euro.
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