Der Student Albert Mikuz ist von einer Brücke in den kaum mehr Wasser führenden Fluss gesprungen und liegt nun im Koma- so der Anfang von Georg Payrs Roman. Er schildert anhandeiniger charakteristischer Figuren das Leben im Provinznest Seitenstächen und die persönliche Geschichte von Albert Mikuz, der aus der Enge, in die er hineingeboren wurde, ausbricht, sich aber durch die Flucht in die größere Stadt nicht von dem befreien kann, was er in Seitenstächen geworden ist: ein durch gesellschaftliche und familiäre Zwänge verkrampfter und innerlich verkrüppelter Mensch.Payr arbeitet in seiner literarischen Analyse, die bei aller Tristesse der Situationen und der Charaktere nicht des Humors entbehrt, mit einer stark stilisierten Sprache, mit Reflexionen und rhetorischen Fragen. Vom Erzählduktus bis zu den einprägsamen Bildern und starken Formulierungen erinnert vieles an expressionistische Prosa, ohne daß der Autor die Großen dieses Stils zu kopieren versucht.Das Fatalistische, das Bedrückende der vorgestellten Lebensumstände, die wenig erfreuliche gesellschaftspolitische Schlussfolgerung, diedem Leser überlassen bleibt, werden gemildert durch Ironie und Sarkasmus und letzdich durch die Freude an einer erfindungsreicheneigenständigen Sprache, mit der Payr an die Intensität seiner ersten Erzählung An der Schwelle anschließt.Georg Payr, geb. 1956 in Innsbruck, schreibt Prosa und dramatische Texte. Seine bisherigen Bücher, zwei Erzählungen, sind ebenfalls im Haymon- Verlag erschienen: An der Schwelle (1991) und Die Entmachtung (1992).
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.11.1999Zahnlos zubeißen
Die giftigsten Attacken der antiidyllischen Provinzliteratur vergangener Jahrzehnte kamen aus Österreich. An ihnen gemessen ist der Roman des Innsbrucker Autors Georg Payr "Vom Drücken des Schuhs" wie der Biss einer zahnlosen Schlange. Und obwohl der Roman mit dem Sprung eines Studenten von der Brücke ins Rinnsal eines Flusses beginnt, kann uns der Roman nur wenig fesseln, zumal es an der hinreichenden Aufklärung über die Beweggründe des Sprungs fehlt. Seitenstächen ist der - sprechende - Name des Provinznests im Gebirgstal, in dem die Brücke steht, ein anderer Name für Abdera, Schilda oder Krähwinkel, das satirische Modell. Aber der Satiriker nimmt seinen Gegenstand ernst. Über Deppen im Wirtshaus oder in der Nase bohrende Lehrer lässt sich nur blödeln. Der ständige Ton einer mühsam ironischen Denunziation ermüdet.
Was Payr sprachlich leisten kann, zeigt die fulminante Beschreibung der Schalldruckwelle aus der Trillerpfeife des Turnlehrers. Von lapidarer Treffsicherheit ist die Charakterisierung der Mutter: Sie sitzt "angekettet an die Fernbedienung" des Fernsehgeräts. Aber daneben dann sich plusternde Sätze wie "Im Schulfasching wuchs das Tanzen an Albert, der ihm nicht entgegengewachsen war, heran". Mal kommt in der Sprache ein Pseudo-Expressionist, mal ein Pseudo-Valentin zum Vorschein. Veralbert fühlt sich der denkende Leser bei solchen Sätzen: "Weil vorhin Sonntag war, ist immer noch Sonntag" oder "Die nächste Gelegenheit war da, als sie wahrgenommen wurde". "Damit der Binsenweisheiten vorderhand genug", heißt es irgendwo. Payr hat zu viel versprochen. (Georg Payr: "Vom Drücken des Schuhs". Roman. Haymon-Verlag, Innsbruck 1999. 155 S., geb., 27,- DM.)
WALTER HINCK
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die giftigsten Attacken der antiidyllischen Provinzliteratur vergangener Jahrzehnte kamen aus Österreich. An ihnen gemessen ist der Roman des Innsbrucker Autors Georg Payr "Vom Drücken des Schuhs" wie der Biss einer zahnlosen Schlange. Und obwohl der Roman mit dem Sprung eines Studenten von der Brücke ins Rinnsal eines Flusses beginnt, kann uns der Roman nur wenig fesseln, zumal es an der hinreichenden Aufklärung über die Beweggründe des Sprungs fehlt. Seitenstächen ist der - sprechende - Name des Provinznests im Gebirgstal, in dem die Brücke steht, ein anderer Name für Abdera, Schilda oder Krähwinkel, das satirische Modell. Aber der Satiriker nimmt seinen Gegenstand ernst. Über Deppen im Wirtshaus oder in der Nase bohrende Lehrer lässt sich nur blödeln. Der ständige Ton einer mühsam ironischen Denunziation ermüdet.
Was Payr sprachlich leisten kann, zeigt die fulminante Beschreibung der Schalldruckwelle aus der Trillerpfeife des Turnlehrers. Von lapidarer Treffsicherheit ist die Charakterisierung der Mutter: Sie sitzt "angekettet an die Fernbedienung" des Fernsehgeräts. Aber daneben dann sich plusternde Sätze wie "Im Schulfasching wuchs das Tanzen an Albert, der ihm nicht entgegengewachsen war, heran". Mal kommt in der Sprache ein Pseudo-Expressionist, mal ein Pseudo-Valentin zum Vorschein. Veralbert fühlt sich der denkende Leser bei solchen Sätzen: "Weil vorhin Sonntag war, ist immer noch Sonntag" oder "Die nächste Gelegenheit war da, als sie wahrgenommen wurde". "Damit der Binsenweisheiten vorderhand genug", heißt es irgendwo. Payr hat zu viel versprochen. (Georg Payr: "Vom Drücken des Schuhs". Roman. Haymon-Verlag, Innsbruck 1999. 155 S., geb., 27,- DM.)
WALTER HINCK
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