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In Grünzweigs Gedichten durchdringen sich Sprachheimat und Wahlheimat bis tief in die mythologischen Urworte hinein.In ihrem zweiten Gedichtband nimmt Dorothea Grünzweig abermals das Thema des Hier- und doch nicht Hier-Seins auf. Es ist das Thema von Ferne und Heimat, von ferner Heimat. Keine der Floskeln und Sprachhülsen, die wir von Postkarten kennen, erweist sich als haltbar auf dieser Reiseroute. 'Nie werde ich Worte zu Nippes dressieren' heißt es da.

Produktbeschreibung
In Grünzweigs Gedichten durchdringen sich Sprachheimat und Wahlheimat bis tief in die mythologischen Urworte hinein.In ihrem zweiten Gedichtband nimmt Dorothea Grünzweig abermals das Thema des Hier- und doch nicht Hier-Seins auf. Es ist das Thema von Ferne und Heimat, von ferner Heimat. Keine der Floskeln und Sprachhülsen, die wir von Postkarten kennen, erweist sich als haltbar auf dieser Reiseroute. 'Nie werde ich Worte zu Nippes dressieren' heißt es da.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.08.2000

Von der Ausflugspflicht befreit
Kein Kaffeeklatsch: Dorothea Grünzweigs neuer Gedichtband

"Nie werd ich Worte zu Nippes dressieren", so der Schwur in einem Gedicht Dorothea Grünzweigs, "sie verzieren zu Kaffeeklatsch mit ihnen klimpern" und dabei "vergessen daß sie Messer sind / die Stricke zu zerschneiden die / sich um uns schlingen / die Kehle schnüren".

Von Sprache ist viel die Rede im zweiten Lyrikband von Grünzweig, in immer neuen Bildern und mit durchaus unterschiedlichem Gehalt. Wird sie in dem Gedicht "Reiseweise" noch gefeiert als einziges, das sicher bleibt, während "Lebensgesellen Mensch Tier und Ding" unweigerlich von dannen streben, heißt es in einem anderen Gedicht: "Mein Mund der zugenähte / ruht in sich / ein Raum der Stille / und alle Worte warm und / schlafbegierig kriechen / von Ausflugspflicht befreit / tiefer hinein in mich / lebe leisleise daß ich sie / bloß nicht wecke."

Grünzweigs erster Gedichtband "Mittsommerschnitt", der 1997 erschienen ist, beschreibt vorwiegend das Zusammentreffen der deutschen Autorin mit ihrer neuen Umgebung: Sie unterrichtet seit einiger Zeit an der deutschen Schule in Helsinki. Die Gedichte aus "Mittsommerschnitt" fühlen sich mit sprachlicher Originalität und verhaltener Schönheit in die finnische Natur im Wandel der Jahreszeiten ein, feiern den spät hereinbrechenden Sommer oder lassen die Einsamkeit derer deutlich werden, die sich von Westeuropa isoliert und vergessen fühlen. In diesem Jahr ist mit "Vom Eisgebreit" ein neuer, knapp einhundert Seiten schmaler Lyrikband Grünzweigs erschienen, der in acht Zyklen und ein längeres Gedicht gegliedert ist. Die Themen aus "Mittsommerschnitt" erscheinen hier zum großen Teil erneut. Aber die Wahrnehmung, die aus den Gedichten spricht, ist eine andere geworden: Das einstige Erstaunen der Fremden ist der Perspektive derer gewichen, die sich der einheimischen Natur gegenüber vertraut fühlt, die in den Mythen des Landes lebt und an den Realien Finnlands stärkeren Anteil hat. Wenn sie etwa in einem Gedicht den eigenen Körper in Bezug zur Winterlandschaft setzt, klingt das stolze Bekenntnis einer Wahlverwandtschaft an, in Abgrenzung sogar zu dem einheimischen Geliebten, der mit seiner "Grasnatur" so "verspielt versommert" ist, daß er der Winternatur seines Landes fast weniger zu entsprechen scheint. Über Finnland, ihr "Stiefland, wo ich / jetzt wohne und das / entfernt verwandt ist / mit mir", schreibt sie: "Es läßt mich in Ruh und / ich treib mich herum mit den / freien Schritten des Schlüsselkinds." Wenn sie dagegen über das gegenwärtige Deutschland und seine Vergangenheit nachdenkt, kommt sie zu dem zweideutigen Ergebnis: "ich hoffe / sein Wandel steht fest."

Diese veränderte Wahrnehmung hat eine Verschiebung der Themenschwerpunkte gegenüber dem Vorgängerband zur Folge: In "Vom Eisgebreit" fehlen die großartig sinnlichen Naturbilder, die jahreszeitlichen Stilleben aus "Mittsommerschnitt", an ihre Stelle tritt ein reflexives Element, mit dem ein großer Teil der Schilderungen verbunden ist. Dabei steht der Zyklus "Leibundlebensarten" nicht nur räumlich im Zentrum dieses Lyrikbandes. Die Gedichte sind geprägt von der spannungsvollen Dichotomie von Einsamkeit und Geselligkeit, von dem Wunsch nach Intimität und Kommunikation und gleichzeitig von dem Verlangen nach Isolation.

Es ist ein häufiges Stilmittel Grünzweigs, aus trivialen Formulierungen geglückte Umdeutungen erwachsen zu lassen. Daß Worte Messer sind und verletzen können, ist eine verbrauchte Metapher, daß sie aber dazu dienen, die Stricke um die Kehle zu zerschneiden und so Kommunikation überhaupt erst zu ermöglichen, ist eine Wendung, die darüber hinaus noch weiter weist: auf die Notwendigkeit, Worte im Gespräch behutsam einzusetzen, damit ihre Schärfe tatsächlich den Strick trifft und nicht doch die (eigene oder fremde) Kehle. Manchmal geht das daneben, wenn die Lust am Wortspiel oder (seltener) am Reimklang allzusehr die Bilderwelt des Textes stört oder wenn der individualistische finnische Elch herhalten muß, das Normierungsstreben der Europäischen Union zu geißeln.

Aber diese Untiefen sind selten. Meist erweist sich Grünzweig als eine sorgfältig wägende Lyrikerin, die ihrer Sprache gegenüber eine fast fürsorgliche Haltung  einnimmt: "Worte sind auf uns angewiesen / vergessene verschandelte verwaiste / mißhandelte Worte die nur noch / Lettern sind auch die schönen / leeren verwöhnten / sie umringen sie umbetteln uns." Bei Grünzweig stoßen sie nicht auf taube Ohren.

TILMAN SPRECKELSEN

Dorothea Grünzweig: "Vom Eisgebreit". Gedichte. Wallstein Verlag, Göttingen 2000. 104 S., br., 28,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Die Rezension von Rüdiger Wartusch zeigt wieder einmal, das Rezensenten, die es mit Gedichtbänden zu tun haben, bei der Arbeit oftmals selbst in recht poetische Stimmung geraten: "Dorothea Grünzweig hält am Subjekt fest und nimmt den Regenbogen mit seinem Trostcharakter in ihre erdimmanente Sicht hinein als Versprechen der Poesie". Da kommt der Leser doch ins Grübeln, aber an anderer Stelle hilft Wartusch weiter. Wir erfahren, dass "Sprache und Sprachlosigkeit" wichtige Themen für die Lyrikerin sind, ein anderes ist die klirrende Kälte und ein drittes sie selbst, die deutsche Dichterin in Finnland, die über ihren eigenen Dunstkreis hinaus blicken kann. Dabei weist Wartusch darauf hin, dass der Schwerpunkt von Grünzweigs Dichtung im Inhalt und den Worten liegt: "keine formalen Spielereien", betont er, und diagnostiziert einen Zusammenhang zwischen Grünzweigs Sprache und den "eiskristallklaren Bildern".

© Perlentaucher Medien GmbH
"Dorothea Grünzweig hat ein Ohr für Sprachrhythmus und Sinn für gewagte, aber in sich stimmige Bilder." (Rüdiger Görner, Die Presse)

"Es ist ein häufiges Stilmittel Grünzweigs, aus trivialen Formulierungen geglückte Umdeutungen erwachsen zu lassen. (...) Meist erweist sich Grünzweig als eine sorgfältig wägende Lyrikerin, die ihrer Sprache gegenüber eine fast fürsorgliche Haltung einnimmt: "Worte sind auf uns angewiesen / vergessene verschandelte verwaiste / mißhandelte Worte die nur noch / Lettern sind auch die schönen / leeren verwöhnten / sie umringen sie umbetteln uns." Bei Grünzweig stoßen sie nicht auf taube Ohren." (Tilman Spreckelsen, FAZ)

"Ihre Sprache ist erfrischend klar, fern von Geschwätzigkeit, in der Freude wie in der Klage. Selten weicht sie ins Sprachschöpferische aus." (Landeszeitung)

"Schwäbischer Pietismus, Hölderlins großer Ton sind aufgenommen und anverwandelt zu einem ganz Eigenen, dessen festliche Trauer man mit Freude liest, als sei nun endlich die angemesse ne Antwort auf die Verluste des 20. Jahrhunderts gefunden, die ja auch Verluste an Gemeinschaft waren." (Göttinger sieben Literaturtipps der TEXT+KRITIK-Redaktion)

"So sind Dorothea Grünzweigs Gedichte: nur Worte, nur Inhalt, keine formalen Spielereien. Die Sprache formt sich selbst und wird geformt von den eiskristallklaren Bildern, die das Auge anstürmen - aus der Welt, aus dem Gedächtnis, im Rhythmus eines Dia-Abends. Es sind Deja-vu-Erlebnisse voller Sehnsucht und Schwermut, denn das Schlechte und das Gute verblassen nicht. Die Jugend fungiert als Gegenbild, als Paradiesprojektion, und aus der Hoffnung erwächst Wärme. So wird Finnland, das taubstumme Land, zu Gehör gebracht." (Rüdiger Wartusch, TAZ)

"Ohne falsches Pathos, ruhig und klar, trägt sie ihre Texte vor. Man glaubt etwas ahnen zu können von der Wechselhaftigkeit des finnischen Winters, von dem Licht und der Kälte des metallischen Eises, die plötzlich in eine eigentümliche Behaglichkeit umzuschlagen scheint. Dor othea Grünzweig ist die Auslandstochter eines ihrer wunderbaren Gedichte, die auf die Gleichklänge der verschiedenen Sprachen lauscht und ihr Ausdruckmaterial verzerrt zu einer Spannung, die knistert wie das Eis ihres "Themas in Polar-Dur". (Oliver Jahn, Kieler Nachrichten)
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