Kaum eine unserer SchriftstellerInnen ist so berufen, das komplexe Verhältnis von Orient und Okzident, von Westen und Nahem Osten kompetent zu durchleuchten, wie Barbara Frischmuth - deren Initiation in die Welt der Bücher, wie sie sagt, durch die Märchen aus 1001 Nacht stattfand. Die Faszination durch die reichhaltige Kultur des Islams durchzieht seither ihr eigenes Werk auf vielfältige Weise.In den letzten Jahren sind der Orient, die Türkei und der Islam in unsrerer öffentlichen Wahrnehmung aber weniger kulturell, sondern politisch präsent, die Angst vor dem Fremden erlebt bis dahin unvorstellbare Ausformungen; Abgrenzungen und Identitätspolitiken (aber auch Ahnungslosigkeit und Ignoranz) bestimmen das politische Gespräch über Migration und Europäische Union.Dieser Band versammelt nun eine Auswahl der Aufsätze, Vorträge und Essays zu 'orientalischen Fragen'. Es geht darin um das Kopftuch, um das Europäische an Europa, um die EU und die Türkei, um islamische Frauen, aber vor allem geht es um den Reichtum an Kultur, der uns durch die Literatur des Orients zur Verfügung stünde (wüssten wir dieses Angebot nur zu schätzen!), um islamische und christliche Mystiker oder um geniale Übersetzer wie Friedrich Rückert. Ihre Aufsätze sind Musterbeispiele für die Fruchtbarkeit unabhängigen Denkens; mit Witz, Skepsis und Klugheit rücken sie die Vorurteile und verfestigten Ansichten der deutschen (oder österreichischen) Zeitgenossen zurecht, auch wenn die sich selbst für durchaus offen und vorurteilsfrei halten.
Samuel P. Huntingtons Wort vom Clash of civilizations konnte wohl nur deshalb solche Karriere machen, weil es auf die verbreitete Überzeugung von einem schier unüberwindbaren kulturellen Graben zwischen Orient und Okzident traf. Gegen dieses latente Misstrauen schreibt die österreichische Schriftstellerin und Übersetzerin Barbara Frischmuth in Essays, Reden und Aufsätzen an. Jetzt sind die in dem Band "Vom Fremdeln und vom Eigentümeln" versammelt. "Von wem aus soll das Eigene als das Eigene und das Fremde als das Fremde bestimmt werden?" Diese Frage, die ein an der Universität Graz gehaltener Vortrag aufwirft, beinhaltet schon Frischmuths Aufklärungsprogramm. Je mehr Vertrautes man im andern entdeckt, desto durchlässiger werden die Grenzen zwischen dem Eigenen und dem Fremden, desto schwieriger wird es, sich auf einer Seite des Grabens zu positionieren. Frischmuth ermuntert ihre Zuhörer und Leser zu unvoreingenommener Neugier, die das "Eindringen fremder Blickwinkel in die Intimität des eigenen Bewusstseins" erlaubt. Den höchsten Erkenntnisgewinn verspricht sie sich dabei von der Literatur, die uns das Unberechenbare, das Einzelne und Atypische nahebringt, mit einer "subversiven Invasion der Köpfe, in denen plötzlich andere Stimmen laut werden als die, die schon immer darin das Sagen hatten". Der Blickwinkelwechsel strukturiert auch ihre eigenen Texte, in denen sie - ohne ihren kritischen Anspruch aufzugeben - erklärt, wann das Kopftuch Ausdruck weiblichen Autonomiestrebens sein kann und worin das Moderne am neuen, radikalen Islam besteht. (Barbara Frischmuth: "Vom Fremdeln und vom Eigentümeln". Essays, Reden und Aufsätze über das Erscheinungsbild des Orients. Literaturverlag Droschl, Graz 2008. 152 S., geb., 15,- [Euro].) brey
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main