Die Gerichtsreportagen, die Gabriele Tergit ab 1924 für den Berliner Börsen-Courier, ab 1925 für das Berliner Tageblatt und ab 1929 auch für die Weltbühne in der ihr eigenen literarischen Sprache schrieb, bilden das Herzstück ihrer journalistischen Arbeit. Tergit verstand den Gerichtssaal als Bühne, auf der sich bei jeder Verhandlung ein neues Stück abspielte. Dabei interessierte sie vorrangig der sonderbare Einzelfall, der interessante, merkwürdige, tragische Charakter des Tatbestands und der Angeklagten. Und doch beobachtete sie in jedem Fall, der bei Gericht verhandelt wurde, stets das Ringen der gesellschaftlichen Kräfte im Hintergrund, die soziale Misere, die die Menschen erst zu verbrecherischen Taten treibt. Kein historischer Bericht, keine Chronik zeigen die Weimarer Republik und die Zwischenkriegszeit klarer, hellsichtiger und vielschichtiger als Tergits journalistische Arbeiten, aus denen Nicole Henneberg - Herausgeberin der bisherigen Neuausgaben von Tergits Werk bei Schöffling & Co. - eine üppige Auswahl getroffen hat.
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Wem die Romane der kürzlich wieder entdeckten Autorin Gabriele Tergit gefallen haben, dem empfiehlt Rezensentin Katrin Bettina Müller auch Tergits gesammelte Gerichtsreportagen. Schon hier erweist sich die damals Mitte Dreißigjährige als genaue Beobachterin ihrer Zeit. Verzweifelte Kindsmörderinnen, Analphabeten und Heiratsschwindler bevölkern ihre Texte und werden dank Tergits treffender Beschreibungen und zitierter Dialoge lebendig. Doch Tergit beschreibt nicht nur einfach, so Müller, sie kommentiert auch, was sie durchschaut und das ist eine Menge: Wie gewöhnliche Kneipenschlägereien zu Konflikten zwischen Links und Rechts umgedeutet werden, wie sich 1930 ein zunehmend militärischer Duktus durchsetzt, wie die Machtverhältnisse sich verschieben, Rollenbilder bröckeln, die Gespanntheit und Unsicherheit steigt. All das ist äußerst aufschlussreich und spannend zu lesen, als sitze man direkt an der Quelle für historischen Krimistoff, erklärt Laszlo. Interessierten empfiehlt sie außerdem die Ausgabe 228 der Zeitschrift Text + Kritik. Hier nämlich wird Tergits Exilzeit thematisiert sowie ihr zwiespältiges Verhältnis zu Palästina.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Keine deutschsprachige Journalistin der 20er Jahre beobachtete genauer und formulierte treffender ... Ein weiblicher Alfred Polgar - nur leidenschaftlicher.«Michael Bauer, Focus»Reportagen, die immer noch fesseln können« Engelbrecht Böse, ekz»In all den kurzen Berichten beleuchtet Tergit vor allem das Milieu, aus dem die Angeklagten kamen. Und sie stellt stets auch die widrige Zeit in Rechnung« Bernd Noack, Neue Zürcher Zeitung»Genau zu beobachten und als bemerkenswert herauszuarbeiten, was andere offenbar für normal hielten und übergingen, das war ihre große Stärke.« Markus Hesselmann, Der Tagesspiegel