Über die Macht der Bilder: Drei Daguerreotypien und ihre Wirkungsgeschichte.Das gesellschaftliche Leben bleibt Mitte des 19. Jahrhunderts von den wachsenden Möglichkeiten der Fotografie nicht unberührt. Die Formen des Gedenkens, des Erinnerns und des Erzählens erfahren einen radikalen Wandel. Fotografien bildeten die Welt nicht nur ab, sie verändertensie auch.Günter Karl Bose widmet sich in drei Essays jeweils einer Daguerreotypie, einer frühen Form der Fotografie, und begibt sich auf Spurensuche. Ihre Betrachtung öffnet ein Feld der Forschung, das bislang kaum Beachtung gefunden hat. Warum rufen Bettina von Arnims Kinder nach ihrem Tod einen Fotografen ins Haus, um ein letztes Bild von ihr aufnehmen zu lassen? Weshalb lässt Heinrich Tschech, bevor er auf den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. schießt, eine Daguerreotypie von sich machen? Welche Geschichte erzählt die zerkratzte Daguerreotypie eines österreichischen Offiziers, auf der nicht mehr als dessen Name verzeichnet ist? Was geschah mit diesen frühen Bildern, wozu wurden sie verwendet, was war ihre Wirkung?Diesen Fragen geht Günter Karl Bose in seinem anschaulich illustrierten Band nach und zeigt so auf, dass Bilder Geschichte nicht bloß abbilden, sondern selbst Geschichte schreiben. Die zahlreichen Abbildungen des Bandes werden nahezu alle erstmalig veröffentlicht.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Bernd Stiegler liest die drei Essays von Günter Karl Bose über berühmte Daguerrotypien mit Interesse. Wie das Aufkommen der Fotografie die Bildpolitik beeinflusste, stellt der Autor laut Stiegler anhand dreier Bild-Unikate (mit Heinrich Tschech, Friedrich Schima und Bettina von Arnim) eingehend dar. Die Geschichte des Konterfeis des Wilhelm IV.-Attentäters Tschech, der eigens eine Daguerreotypie anfertigen ließ, um berühmt zu werden, bevor sein Anschlag misslang, scheint Stiegler die spannendste im Band.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.09.2023Jedes Bild ein Unikat
Ein fotografisches Verfahren von hoher Intimität: Günter Karl Bose stellt drei Daguerreotypien vor und spürt ihren Geschichten nach.
Ritter! Bürger! Landleute!", rief der preußische König Friedrich Wilhelm IV. seinen Untertanen bei seinen Huldigungszeremonien zu, um das Band zwischen Herrscher und Volk zumindest rhetorisch zu bekräftigen. "Gott! Wahrheit! Recht!", rief Heinrich Tschech aus, bevor er am 26. Juli 1844 versuchte, den König zu erschießen. Es gelang nicht. Die Kugel streifte nur den Mantel der Königin, und der Attentäter wurde nach kurzem Prozess hingerichtet. Bevor Tschech zur Tat schritt, hatte er eines der Daguerreotypiestudios in Berlin besucht und ließ sich in der Erwartung porträtieren, dass sein Bild bald von ganz Europa gesehen werde. Auch seine autobiographischen Aufzeichnungen "Die wichtigsten elf Jahre meines Lebens" hatte er zusammen mit der Daguerreotypie erwartungsfroh an die Redaktion der "Illustrirten Zeitung" geschickt, die damals bereits mehr als zehntausend Leser pro Ausgabe zählte.
Tschech sah sich und seine Tat auf der Titelseite und hatte sich dafür in Pose gebracht, indem er, wie wir dank der Befragung des Fotografen als Zeuge im Strafprozess wissen, im Studio Schillers "Wallenstein" deklamierte: "Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht / Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden, / Wenn unerträglich wird die Last - greift er / Hinauf getrosten Mutes in den Himmel, / Und holt herunter seine ew'gen Rechte, / Die droben hangen unveräußerlich". Schillers "ästhetische Lösung" des Konflikts war Tschech allerdings nicht genug, auch wenn er die Pose einer Deklamation des Monologs wählte. Sie war das vorab inszenierte Bild zur späteren Tat, Tschechs theatralische Sendung. Er sah sich im Recht und das Unrecht, das ihm widerfahren war, als Anlass an, den eigentlich von ihm durchaus geschätzten Monarchen zu töten, um so seine Ehre wiederherzustellen. Sollte er auch Kleists durchaus wahlverwandten "Kohlhaas" gelesen haben, dürfte er sich daran erinnert haben, war doch dessen Namensvetter Ferdinand Adolf von Kleist als Gerichtspräsident später mit dem Fall betraut.
Tschech war nach eigener Beschreibung als Bürgermeister der Kleinstadt Storkow in Brandenburg bei seinem Versuch, mit dem Filz in der Verwaltung und bei den dort ansässigen Bürgern aufzuräumen, mit diesen in Konflikt geraten. Sein im Sinne der Regierung tugendhaftes Handeln wurde aber nicht belohnt, im Gegenteil: Der König selbst unterzeichnete das Dokument der Nichtwiedereinstellung. Nach seinem Rücktritt bekam Tschech so keine weiteren Posten im Staatsdienst, verarmte und schritt zur Tat. Sein publizistisches Öffentlichkeitswirksamkeitskalkül ging jedoch nicht auf: Nach dem Mordanschlag, der just seit dieser Tat die Bezeichnung Attentat tragen sollte, veröffentliche die Zeitung weder Bild noch Text; stattdessen schickte die Redaktion das Manuskript seiner Autobiographie und das Porträt an das Innenministerium, wo sie dann in den Prozessakten landeten. Erst als der Kampf seiner Tochter, die für sie bestimmte Daguerreotypie wiederzuerlangen, Erfolg hatte, wurde das Porträt publiziert.
Da Daguerreotypien Unikate sind, erschien es 1849 in Gestalt einer Lithographie als Frontispiz des von ihr im schweizerischen Exil veröffentlichten Buchs "Leben und Tod des Bürgermeisters Tschech, welcher am 26. Juli 1844 auf den König von Preußen schoß und den 14. Dezember 1844 in Spandau hingerichtet wurde". Dass es überhaupt publiziert wurde und heute als einziges Porträt Tschechs überdauert, ist keineswegs selbstverständlich, da die Obrigkeit befürchtete, dass Bilder von Attentätern und Aufständischen Resonanz in der Bevölkerung finden und populär werden könnten.
Man sieht: Mit dem Aufkommen der Fotografie nimmt Bildpolitik eine andere Gestalt an. Fotografien, die von den Fünfzigerjahren des neunzehnten Jahrhunderts an nicht länger als Unikate, sondern in reproduzierbaren Formen vertrieben werden, haben einen Einfluss auf die Öffentlichkeit, und das selbst dann, wenn es nur darum geht, mögliche Effekte publizierter Bilder zu imaginieren. Sie sind fortan Teil eines politischen Kalküls. Günter Karl Bose geht in seinen drei Essays, die jeweils einer Daguerreotypie gewidmet sind, unterschiedlichen Gebrauchsweisen der frühen Fotografie nach und erzählt höchst anregende, instruktive Bildergeschichten. Die Geschichte des fotografischen Porträts Tschechs, die noch einen weiteren Akt mit seiner Tochter hat, die im Exil Kontakt mit Dissidenten aufnimmt, dann nach Amerika auswandert und schließlich 1896 in einem Hinterhofzimmer in Williamstown stirbt, ist dabei die mit Abstand reichste. Der zweite Essay über das Porträt des Militärangehörigen Friedrich Schima, der in Udine stirbt, ist eher ein Zwischenspiel, bevor Bose dann die anrührende Geschichte der Post-mortem-Daguerreotypie Bettina von Arnims erzählt. Ihr hatte die Tochter Tschechs auch mehrfach geschrieben, die Briefe blieben aber unbeantwortet und landeten in der Autographensammlung Achim von Arnims.
Als Bettina 1859 starb, war die Daguerreotypie bereits eine überkommene und eigentlich aufgegebene fotografische Technik. Cartes de Visite und andere Papierbilder waren an ihre Stelle getreten. Aber keines von ihnen hatte jene Form von privater Intimität, die den frühen Lichtbildern zu eigen war. Daguerreotypien waren Silberspiegel, die immer auch das eigene Antlitz reflektierten und zu denen man bei der Betrachtung erst das rechte Verhältnis finden musste. Nun ist die hier zum ersten Mal publizierte Daguerreotypie, die heute im Freien Deutschen Hochstift aufbewahrt wird, ein öffentliches Bild geworden. BERND STIEGLER
Günter Karl Bose: "Vom Gedächtnis der Bilder". Über drei Daguerreotypien.
Wallstein Verlag, Göttingen 2023. 216 S., Abb., geb., 34,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein fotografisches Verfahren von hoher Intimität: Günter Karl Bose stellt drei Daguerreotypien vor und spürt ihren Geschichten nach.
Ritter! Bürger! Landleute!", rief der preußische König Friedrich Wilhelm IV. seinen Untertanen bei seinen Huldigungszeremonien zu, um das Band zwischen Herrscher und Volk zumindest rhetorisch zu bekräftigen. "Gott! Wahrheit! Recht!", rief Heinrich Tschech aus, bevor er am 26. Juli 1844 versuchte, den König zu erschießen. Es gelang nicht. Die Kugel streifte nur den Mantel der Königin, und der Attentäter wurde nach kurzem Prozess hingerichtet. Bevor Tschech zur Tat schritt, hatte er eines der Daguerreotypiestudios in Berlin besucht und ließ sich in der Erwartung porträtieren, dass sein Bild bald von ganz Europa gesehen werde. Auch seine autobiographischen Aufzeichnungen "Die wichtigsten elf Jahre meines Lebens" hatte er zusammen mit der Daguerreotypie erwartungsfroh an die Redaktion der "Illustrirten Zeitung" geschickt, die damals bereits mehr als zehntausend Leser pro Ausgabe zählte.
Tschech sah sich und seine Tat auf der Titelseite und hatte sich dafür in Pose gebracht, indem er, wie wir dank der Befragung des Fotografen als Zeuge im Strafprozess wissen, im Studio Schillers "Wallenstein" deklamierte: "Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht / Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden, / Wenn unerträglich wird die Last - greift er / Hinauf getrosten Mutes in den Himmel, / Und holt herunter seine ew'gen Rechte, / Die droben hangen unveräußerlich". Schillers "ästhetische Lösung" des Konflikts war Tschech allerdings nicht genug, auch wenn er die Pose einer Deklamation des Monologs wählte. Sie war das vorab inszenierte Bild zur späteren Tat, Tschechs theatralische Sendung. Er sah sich im Recht und das Unrecht, das ihm widerfahren war, als Anlass an, den eigentlich von ihm durchaus geschätzten Monarchen zu töten, um so seine Ehre wiederherzustellen. Sollte er auch Kleists durchaus wahlverwandten "Kohlhaas" gelesen haben, dürfte er sich daran erinnert haben, war doch dessen Namensvetter Ferdinand Adolf von Kleist als Gerichtspräsident später mit dem Fall betraut.
Tschech war nach eigener Beschreibung als Bürgermeister der Kleinstadt Storkow in Brandenburg bei seinem Versuch, mit dem Filz in der Verwaltung und bei den dort ansässigen Bürgern aufzuräumen, mit diesen in Konflikt geraten. Sein im Sinne der Regierung tugendhaftes Handeln wurde aber nicht belohnt, im Gegenteil: Der König selbst unterzeichnete das Dokument der Nichtwiedereinstellung. Nach seinem Rücktritt bekam Tschech so keine weiteren Posten im Staatsdienst, verarmte und schritt zur Tat. Sein publizistisches Öffentlichkeitswirksamkeitskalkül ging jedoch nicht auf: Nach dem Mordanschlag, der just seit dieser Tat die Bezeichnung Attentat tragen sollte, veröffentliche die Zeitung weder Bild noch Text; stattdessen schickte die Redaktion das Manuskript seiner Autobiographie und das Porträt an das Innenministerium, wo sie dann in den Prozessakten landeten. Erst als der Kampf seiner Tochter, die für sie bestimmte Daguerreotypie wiederzuerlangen, Erfolg hatte, wurde das Porträt publiziert.
Da Daguerreotypien Unikate sind, erschien es 1849 in Gestalt einer Lithographie als Frontispiz des von ihr im schweizerischen Exil veröffentlichten Buchs "Leben und Tod des Bürgermeisters Tschech, welcher am 26. Juli 1844 auf den König von Preußen schoß und den 14. Dezember 1844 in Spandau hingerichtet wurde". Dass es überhaupt publiziert wurde und heute als einziges Porträt Tschechs überdauert, ist keineswegs selbstverständlich, da die Obrigkeit befürchtete, dass Bilder von Attentätern und Aufständischen Resonanz in der Bevölkerung finden und populär werden könnten.
Man sieht: Mit dem Aufkommen der Fotografie nimmt Bildpolitik eine andere Gestalt an. Fotografien, die von den Fünfzigerjahren des neunzehnten Jahrhunderts an nicht länger als Unikate, sondern in reproduzierbaren Formen vertrieben werden, haben einen Einfluss auf die Öffentlichkeit, und das selbst dann, wenn es nur darum geht, mögliche Effekte publizierter Bilder zu imaginieren. Sie sind fortan Teil eines politischen Kalküls. Günter Karl Bose geht in seinen drei Essays, die jeweils einer Daguerreotypie gewidmet sind, unterschiedlichen Gebrauchsweisen der frühen Fotografie nach und erzählt höchst anregende, instruktive Bildergeschichten. Die Geschichte des fotografischen Porträts Tschechs, die noch einen weiteren Akt mit seiner Tochter hat, die im Exil Kontakt mit Dissidenten aufnimmt, dann nach Amerika auswandert und schließlich 1896 in einem Hinterhofzimmer in Williamstown stirbt, ist dabei die mit Abstand reichste. Der zweite Essay über das Porträt des Militärangehörigen Friedrich Schima, der in Udine stirbt, ist eher ein Zwischenspiel, bevor Bose dann die anrührende Geschichte der Post-mortem-Daguerreotypie Bettina von Arnims erzählt. Ihr hatte die Tochter Tschechs auch mehrfach geschrieben, die Briefe blieben aber unbeantwortet und landeten in der Autographensammlung Achim von Arnims.
Als Bettina 1859 starb, war die Daguerreotypie bereits eine überkommene und eigentlich aufgegebene fotografische Technik. Cartes de Visite und andere Papierbilder waren an ihre Stelle getreten. Aber keines von ihnen hatte jene Form von privater Intimität, die den frühen Lichtbildern zu eigen war. Daguerreotypien waren Silberspiegel, die immer auch das eigene Antlitz reflektierten und zu denen man bei der Betrachtung erst das rechte Verhältnis finden musste. Nun ist die hier zum ersten Mal publizierte Daguerreotypie, die heute im Freien Deutschen Hochstift aufbewahrt wird, ein öffentliches Bild geworden. BERND STIEGLER
Günter Karl Bose: "Vom Gedächtnis der Bilder". Über drei Daguerreotypien.
Wallstein Verlag, Göttingen 2023. 216 S., Abb., geb., 34,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Günter Karl Bose (...) erzählt höchst anregende, instruktive Bildergeschichten.« (Bernd Stiegler, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.09.2023) »(eine) äußerst spannende Medienanalyse« (Barbara Hein, art. Das Kunstmagazin 11/2023) »(ein) hervorragend illustriert(er) und im Layout kunstvoll gestaltet(er) Band« (Brüder Grimm Journal, 14/2024)