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»Mit einem Matchsack, einem Kompass ausgerüstet, geht Werner Herzog in Richtung Paris, es ist kalt, schmelzender Schnee und Eis, kein Handy auf dem Herzogsweg, kein Verlag, der Geld bei Fuß steht, kein Videoteam, das im Tagesetappenhotel wartet. Was heute eine Extremform des medialen Spaziergehens ist, umweht hier der Hauch der Lenzschen Verwirrung, ist manchmal der Selbststilisierung zum 'Schmerzensmann' nahe. Wo er später wie in Fitzcarraldo ein Schiff durch den Urwald ziehen lässt, nimmt er hier das körperliche Leid auf sich, Erschöpfung, entzündete Achillessehne, bewusstloses Weitergehen.…mehr

Produktbeschreibung
»Mit einem Matchsack, einem Kompass ausgerüstet, geht Werner Herzog in Richtung Paris, es ist kalt, schmelzender Schnee und Eis, kein Handy auf dem Herzogsweg, kein Verlag, der Geld bei Fuß steht, kein Videoteam, das im Tagesetappenhotel wartet. Was heute eine Extremform des medialen Spaziergehens ist, umweht hier der Hauch der Lenzschen Verwirrung, ist manchmal der Selbststilisierung zum 'Schmerzensmann' nahe. Wo er später wie in Fitzcarraldo ein Schiff durch den Urwald ziehen lässt, nimmt er hier das körperliche Leid auf sich, Erschöpfung, entzündete Achillessehne, bewusstloses Weitergehen. Es ist das Körperliche, das ihm zur Bedingung der Wahrheit wird, und das vermeintlich Chancenlose dieser Unternehmung, um sie gegen jede Logik durchzusetzen. 'Lieber die Sinnlosigkeit, wenn es eine ist, bis zur Neige gekostet', notiert er kurz vor Paris, als er nahe am Aufgeben ist.Der Anlass des Gehens, die Rettung der 'Eisnerin', wie Bertolt Brecht sie nannte, tritt in den Hintergrund ('ImNachhinein noch dieses': Sie wird gerettet, stirbt 1983). Das Gehen wird zum Mittelpunkt ('Das Wissen kommt von den Sohlen'), die Szenen der inneren Landschaft, des Schauens, das Fremd- und wieder Vertrautwerden des eigenen Landes.«Konrad Heidkamp, Die Zeit
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Autorenporträt
Werner Herzog wurde als Werner H. Stipetic am 05.09.1942 in München geboren, wuchs in einem abgelegenen Dorf in Bayern auf. Als Kind kannte er weder Film noch Fernsehen oder Telefon. Mit 14 begann er zu reisen, telefonierte zum ersten Mal mit 17. Während des Studiums arbeitete er als Schweißer, um seinen ersten Film zu produzieren, was ihm mit 19 gelang. Seitdem hat er mehr als 40 Filme gedreht, produziert oder in ihnen mitgespielt. Daneben inszenierte er Opern und veröffentlichte mehr als 12 Bücher.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.11.2012

Bücher Da geht jemand. In dem festen Glauben, dass, wenn er nur rechtzeitig ankommt, eine andere nicht stirbt. Geht von München nach Paris, im Winter, drei Wochen, durch Regen, Nebel, Kälte, Einsamkeit. Schläft in aufgebrochenen Häusern, isst Mandarinen und Schokolade, manchmal was Warmes in einer Fernfahrerraststätte. Beobachtet die Menschen, schreibt Sätze über das, was am Weg liegt, in ein Notizbuch, redet laut vor sich hin. Denkt erst ganz viel, dann immer weniger, manchmal ans Aufgeben, denn die Füße schmerzen. Ist nicht alles sinnlos? Dieser jemand ist Werner Herzog, der Filmemacher, und er geht, weil Lotte Eisner, die bewunderte, verehrte Filmhistorikerin, im Sterben liegt. Er kommt rechtzeitig an. Legt die wehen Beine hoch. Er sagt, "seit einigen Tagen kann ich fliegen". Die Eisnerin stirbt nicht. Herzogs Notizen kann man jetzt als kleines, biegsames Taschenbuch immer bei sich tragen: "Vom Gehen im Eis" (Hanser, 10 Euro).

beha

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.03.2022

Der Kinogänger
Wie Werner Herzog pilgerte, um ein Leben zu retten
Das Brachiale spielt immer wieder eine Rolle in den Filmen des Regisseurs Werner Herzog. Besonders klar kommt das in „Aguirre, der Zorn Gottes“ zum Tragen. Herzog hat diesen Film als 30-Jähriger gedreht – bereits in jungen Jahren hatte er sich damit als eine wichtige Figur des deutschen Films positioniert. Um diesen deutschen Film, wie er und etliche andere aufstrebende Regisseure ihn auffassten, machte sich Herzog Anfang der Siebzigerjahre allerdings durchaus Sorgen. Für noch nicht etabliert genug erachtete er ihn, als dass er auf eigenen Beinen stehen könnte.
Der deutsche Film bedurfte der Protektion, und diese konnte in den Augen Herzogs nur eine Person leisten: die famose Lotte Eisner. Cineastin, Historikerin, Filmwissenschaftlerin und -liebhaberin, Bewahrerin von Filmen. Die Eisnerin, wie auch Herzog sie anerkennend nennt, ist im Herbst 1974 allerdings auf den Tod krank. „Die Eisnerin darf nicht sterben“, begehrt Herzog auf, „sie wird nicht sterben, ich erlaube das nicht.“ Denn der deutsche Film könne sie nicht entbehren. Als wichtigste Fürsprecherin und auch als die entscheidende Theoretikerin.
So macht er sich auf den Weg, zu Fuß von München, wo er lebt, nach Paris zu Lotte Eisner, sich selbst suggerierend: Wenn er nur ankomme, dann werde sie überleben. Tatsächlich ist Lotte Eisner wieder gesundet und hat danach noch beinahe zwanzig Jahre gelebt. Dies nicht wissen könnend, stapft Herzog durch Schnee und Regen, dauerdurchnässt, gen Westen. Eine brachiale Tour, eine Pilgerreise, wieder besseres Wissen gestartet. Als ob es Lotte Eisner etwas nützte, wenn ein junger Regisseur sich Hunderte Kilometer entfernt die Füße wund läuft in deutschen und französischen Wäldern.
Die Unternehmung ist wohl auch eine Art Selbstgeißelung. Daheim bleibt der kleine Sohn zurück. Die Gedanken an den Jungen schmerzen ihn, Herzog vermisst seinen Sohn während dieser drei Wochen. Aber er kann nicht anders, muss die Eisnerin retten, am Leben erhalten. Just indem er durch tote Landschaften, Städte und Dörfer wandert. So nimmt er die Gegenden jedenfalls wahr, durch die er zieht: das Unterallgäu, die Schwäbische Alb, den Schwarzwald, die Vogesen … „Das Land ist so leer.“ Und die Menschen darin kommen ihm auch so vor, stumpf, teilweise naiv, skeptisch bis feindselig. Nur in einem Ort, der just Bösingen heißt, erbarmen sich zwei Frauen seiner und bieten ihm Quartier. Die Vitamine der vielen Mandarinen, die er unentwegt isst, ersparen ihm womöglich eine schlimme Erkältung.
Werner Herzog hat Notizen gemacht auf dieser bemerkenswerten Reise, zunächst allein für sich. 1978 dann aber hat er sie ediert und im Carl-Hanser-Verlag veröffentlicht. Drei Jahrzehnte später hat Herzog selbst seinen Text eingelesen. Und nun, da das Buch neu erscheint, veröffentlicht Tacheles/Roof Music diese Aufnahme ebenfalls noch einmal.
Man hört ihr die Distanz der Jahrzehnte nicht an. Herzog berichtet, als er 2007 im Studio war, nicht aus einer retrospektiven Position, er ist in dem Moment unterwegs, indem wir ihn hören, mal banger, mal hoffnungsfroher Stimmung. Ein sehr genauer Beobachter sowohl seiner Umwelt als auch seiner eigenen Gedankenwelt ist er. Oft ist er so mit dem beschäftigt, was er sieht und hört, dass Lotte Eisner vom Horizont verschwindet und stattdessen ein neuer Werner-Herzog-Film entsteht im Kopf des Regisseurs sowie auch der Hörerinnen und Hörer, eine Erkundung in Sachen Einsamkeit und Verzweiflung.
Eine Geschichte aber auch über ein großes Glück und über das Urvertrauen in sich und andere. Verrückt und tröstlich, und auf eine ganz merkwürdige Art bodenständig.
STEFAN FISCHER
Die Vitamine vieler Mandarinen
ersparen Herzog womöglich
eine schlimme Erkältung
Werner Herzog:
Vom Gehen im Eis.
München – Paris 23.11. bis 14.12.1974.
Autorenlesung.
1 CD, 184 Minuten. Tacheles/Roof Music, Bochum 2022,
17,99 Euro.

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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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"In diesen locker registrierenden Skizzen, die oft unvermittelt ins Traumhaft-Visionäre abdriften, finden sich immer wieder Momentaufnahmen von einer verblüffenden Anschaulichkeit, hellwache Selbstbeobachtungen und eindrucksvolle Ansätze zu epischen Ausflügen."
Gottfried Knapp, Süddeutsche Zeitung, 08.11.1978

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Stefan Fischer empfiehlt die neu veröffentlichte Hörbuchfassung der Notizen von Werner Herzog, die zugleich als Buch neu aufgelegt wurden. Innerhalb von drei Wochen wanderte der Junge Werner Herzog vor fast fünfzig Jahren von München nach Paris mit der Überzeugung, die von ihm verehrte Mäzenin Lotte Eisner vor dem Tod durch eine schwere Krankheit zu bewahren. Seine Gedanken, Beobachtungen und Ideen hielt er in Notizen fest, die er später in Buchform veröffentlichte und auch selbst einlas, resümiert der Rezensent. Die zeitliche Distanz zum Geschehen hört Fischer dem Erzähler nicht an, er lässt sich weiter in jedem Moment mitreißen und lernt Herzog als "sehr genauen Beobachter" seiner Umgebung und Gedankenwelt kennen. Manchmal tritt die Sorge um die Freundin dabei sogar in den Hintergrund und weicht einem neuen "Werner-Herzog-Film", der im Kopf des Autors entsteht und sich auf den Rezensenten überträgt, lobt Fischer.

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