»Mit einem Matchsack, einem Kompass ausgerüstet, geht Werner Herzog in Richtung Paris, es ist kalt, schmelzender Schnee und Eis, kein Handy auf dem Herzogsweg, kein Verlag, der Geld bei Fuß steht, kein Videoteam, das im Tagesetappenhotel wartet. Was heute eine Extremform des medialen Spaziergehens ist, umweht hier der Hauch der Lenzschen Verwirrung, ist manchmal der Selbststilisierung zum 'Schmerzensmann' nahe. Wo er später wie in Fitzcarraldo ein Schiff durch den Urwald ziehen lässt, nimmt er hier das körperliche Leid auf sich, Erschöpfung, entzündete Achillessehne, bewusstloses Weitergehen. Es ist das Körperliche, das ihm zur Bedingung der Wahrheit wird, und das vermeintlich Chancenlose dieser Unternehmung, um sie gegen jede Logik durchzusetzen. 'Lieber die Sinnlosigkeit, wenn es eine ist, bis zur Neige gekostet', notiert er kurz vor Paris, als er nahe am Aufgeben ist.Der Anlass des Gehens, die Rettung der 'Eisnerin', wie Bertolt Brecht sie nannte, tritt in den Hintergrund ('ImNachhinein noch dieses': Sie wird gerettet, stirbt 1983). Das Gehen wird zum Mittelpunkt ('Das Wissen kommt von den Sohlen'), die Szenen der inneren Landschaft, des Schauens, das Fremd- und wieder Vertrautwerden des eigenen Landes.«Konrad Heidkamp, Die Zeit
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.11.2012Bücher Da geht jemand. In dem festen Glauben, dass, wenn er nur rechtzeitig ankommt, eine andere nicht stirbt. Geht von München nach Paris, im Winter, drei Wochen, durch Regen, Nebel, Kälte, Einsamkeit. Schläft in aufgebrochenen Häusern, isst Mandarinen und Schokolade, manchmal was Warmes in einer Fernfahrerraststätte. Beobachtet die Menschen, schreibt Sätze über das, was am Weg liegt, in ein Notizbuch, redet laut vor sich hin. Denkt erst ganz viel, dann immer weniger, manchmal ans Aufgeben, denn die Füße schmerzen. Ist nicht alles sinnlos? Dieser jemand ist Werner Herzog, der Filmemacher, und er geht, weil Lotte Eisner, die bewunderte, verehrte Filmhistorikerin, im Sterben liegt. Er kommt rechtzeitig an. Legt die wehen Beine hoch. Er sagt, "seit einigen Tagen kann ich fliegen". Die Eisnerin stirbt nicht. Herzogs Notizen kann man jetzt als kleines, biegsames Taschenbuch immer bei sich tragen: "Vom Gehen im Eis" (Hanser, 10 Euro).
beha
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"In diesen locker registrierenden Skizzen, die oft unvermittelt ins Traumhaft-Visionäre abdriften, finden sich immer wieder Momentaufnahmen von einer verblüffenden Anschaulichkeit, hellwache Selbstbeobachtungen und eindrucksvolle Ansätze zu epischen Ausflügen."
Gottfried Knapp, Süddeutsche Zeitung, 08.11.1978
Gottfried Knapp, Süddeutsche Zeitung, 08.11.1978
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Stefan Fischer empfiehlt die neu veröffentlichte Hörbuchfassung der Notizen von Werner Herzog, die zugleich als Buch neu aufgelegt wurden. Innerhalb von drei Wochen wanderte der Junge Werner Herzog vor fast fünfzig Jahren von München nach Paris mit der Überzeugung, die von ihm verehrte Mäzenin Lotte Eisner vor dem Tod durch eine schwere Krankheit zu bewahren. Seine Gedanken, Beobachtungen und Ideen hielt er in Notizen fest, die er später in Buchform veröffentlichte und auch selbst einlas, resümiert der Rezensent. Die zeitliche Distanz zum Geschehen hört Fischer dem Erzähler nicht an, er lässt sich weiter in jedem Moment mitreißen und lernt Herzog als "sehr genauen Beobachter" seiner Umgebung und Gedankenwelt kennen. Manchmal tritt die Sorge um die Freundin dabei sogar in den Hintergrund und weicht einem neuen "Werner-Herzog-Film", der im Kopf des Autors entsteht und sich auf den Rezensenten überträgt, lobt Fischer.
© Perlentaucher Medien GmbH
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