"Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand", sagt ein Sprichwort, und doch will ein jeder seine Geschicke selbst lenken. Da ist ein ebenso eingebildeter wie brillanter Strafverteidiger, der sich von seinen Mandanten teuer bezahlen lässt, aber nicht alles erkennt, was ihm persönlich droht. Da ist eine Anwältin, seine Frau, der übel mitgespielt wird, die sich jedoch zu wehren weiß. Und da sind die: ein junger Aufsteiger, ein melancholischer Provinzpolitiker und ein Drehbuchautor mit Schreibhemmung, dessen Freundin ihm beibringen will, wie man Rückgrat zeigt. Sie alle und viele andere mehr führt ein kleiner Unfall vor die Schranken des Gerichts. Sie hauchen dem Geist der Gesetze Leben ein, und beinahe alles, was sie sagen oder tun, lässt sich gegen sie verwenden. Georg M. Oswalds neuer Roman - reich an Perspektiven und doch auf ein Zentrum hin gerichtet, anschaulich, lebendig, mit Sogkraft und feiner Ironie erzählt - handelt von Menschen, für die Gesetze gemacht sind, ob sie sich daran halten oder nicht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.11.2007Am Filz wird auch die schärfste Klinge stumpf
Hier bräuchte Justitia ein Hackebeilchen: Georg M. Oswald, im Zweitberuf Rechtsanwalt, kennt sich aus im Gerichtsmilieu. Sein neuer Gesellschaftsroman "Vom Geist der Gesetze" zeigt Juristen als verzweifelte Idealisten oder als willige Helfer der Korruption.
Von Wolfgang Schneider
Georg M. Oswald ist kein Autor, der sich mit niedrigem Personal begnügt. Vielmehr lädt er die Mächtigen vor - und solche, die es werden wollen. In seinem neuen Gesellschaftsroman "Vom Geist der Gesetze" ist das unter anderem der Generalsekretär einer konservativen Landespartei. Des weiteren gibt es - Oswald selbst ist im Zweitberuf Rechtsanwalt - zahlreiche Figuren aus dem Justizmilieu. Sebastian Spring ist ein junger Jurist aus kleinen Verhältnissen, der zum großen Karriere-Sprung ansetzt. Er verfügt über den gewissen Ein-Mann-will-nach-oben-Charme. Aber wenn er es schafft, dann weniger aufgrund der eigenen Leistungen, sondern weil Prominenten-Anwalt Dr. Ludwig Heckler (Stundensatz: tausend Euro) einem Onkel Sebastians noch einen Gefallen schuldig ist. So stellt er dessen Neffen in seiner Premium-Kanzlei ein.
Zwar schnappt der virile Alte dem jungen Mann sogleich die hübsche Freundin weg. Aber Spring darf sich im wechselseitigen Intrigenspiel bald über die entschlossene Zuneigung der Anwaltsgattin freuen, die nicht gewillt ist, diese Kränkung auf sich sitzen zu lassen. Philomena Heckler erleben wir als ausgekochte Karrieristin mit diabolischer Attraktivität und eiskalter strategischer Intelligenz - natürlich ist sie nur halb so alt wie ihr Mann.
Diesen Figuren stellt Oswald einige Kontrastgestalten gegenüber, die offensichtlich das Karriere-Gen nicht mitbekommen haben. Thomas Gärtner ist als Anwalt das Gegenteil von Spring. Viel lieber als über den Akten sitzt er in der Enoteca und verkostet mit Inhaber Amadeo frisch gelieferte Rotweine. Ladislav Richter schließlich ist ein Drehbuchautor, der sich mit knapp vierzig noch nicht etablieren konnte. Gerade geht ihm der letzte Vorschuss aus. Höchste Zeit für eine zündende Idee.
All diesen Figuren scheint man schon einmal begegnet zu sein. Liegt es daran, weil sie lebenswahr oder weil sie Klischees sind - oder vielleicht beides zugleich? Was sie von den Zwei-Komponenten-Charakteren einer Fernsehserie unterscheidet, sind die Anflüge von Innenleben, die ihnen dann und wann zuteil werden. Der Politiker Kurt Schellenbaum, der vor Fernsehkameras den inneren Phrasenproduzenten auf Autopilot stellen kann, erweist sich dabei als ungefestigte Persönlichkeit, von Demütigungen der Jugend nachhaltig geplagt, dazu im engsten Privatkreis gemobbt vom Schwiegervater, einem Großindustriellen und Duzfreund des Ministerpräsidenten.
Anfangs verfolgt Oswald die gute, alte Technik der alternierenden Handlungsstränge. Kapitelweise wendet sich die Aufmerksamkeit den genannten Charakteren zu. Es kommt der Punkt, an dem die Fäden zusammenlaufen. Genauer gesagt: der leicht beduselte Drehbuchschreiber läuft direkt in den Dienstwagen Schellenbaums, der sich in einem Anfall von Euphorie nach einem geglückten Talkshow-Auftritt ausnahmsweise selbst ans Steuer gesetzt hat. Der Politiker versucht den Unfall mit einer einmaligen Geldzuwendung an den Verletzten aus der Welt zu schaffen, aber er hat nicht mit Richters gerechtigkeitsliebender Freundin gerechnet.
Die Sache (die nicht wenig an den Plot von Tom Wolfes "Fegefeuer der Eitelkeiten" erinnert) kommt ins Rollen, viele Interessen spielen hinein, und allmählich entwickelt sich der kleine Fall zu einem spektakulären. Der Drehbuchschreiber wird vom Schluffi-Anwalt aus der Enoteca vertreten, Schellenbaum genießt den Rechtsschutz der Premium-Kanzlei. Weitere Intrigen lagern sich an, und schließlich steht ein illegales Waffengeschäft, in das auch Rechtsanwalt Heckler verwickelt war, kurz vor der skandalträchtigen Aufdeckung.
Das Ergebnis ist indes absehbar. Weder Schellenbaum noch Heckler werden ernsthaft zur Rechenschaft gezogen. Wie ein Deus ex machina schaltet sich der Ministerpräsident ein. Der Filz von Macht und Reichtum ist ein Gestrüpp, durch das Justitia mit ihrem Schwert nicht hindurchkommt. Einer deckt den anderen; dem beflissenen Staatsanwalt Wolf werden beizeiten die Zähne gezogen. Er ist der typische überarbeitete Vertreter seines Standes, der einst mit bestem Examen und hehrem Glauben an das Recht seinen Dienst aufnahm, nun aber erleben muss, dass er nach jahrelangen Ermittlungen von einem brisanten Fall einfach hinwegbefördert wird oder dass laufende Verfahren überraschend eingestellt werden, weil Belastungsmaterial auf mysteriöse Weise verschwunden ist - immer dann nämlich, wenn die Verurteilung eines "kapitalen Fisches" droht.
"Literatur müsse von dem handeln, was im Fernsehen nicht zu sehen sei", hat Georg M. Oswald einmal gefordert. Wenn das Finale dieses Romans nun aus einer Primetime-Talkshow namens "Dämmrich" besteht, in welcher der Fall noch einmal mit allen Beteiligten durchgenommen wird, dann heißt das jedoch nicht, dass Oswald seinem TV-Verdikt untreu geworden ist. Gerade die allzu bemüht wirkende Talkshow-Satire will vor dem Hintergrund des Romangeschehens das Informationsvakuum mitten im Infotainment aufzeigen. Worauf es ankäme - gerade das kommt bei "Dämmrich" nämlich nicht vor. Stattdessen erhält die mediengewandte Prominenz noch einmal Gelegenheit, gute Figur zu machen, während ungewandte Menschen wie Richter oder Schellenbaums Fahrer Raab sich in aller Öffentlichkeit blamieren, was nun beinahe wie ein moralisches Defizit wirkt: kamerascheues Gesindel. Das Fernsehen, so die Lehre, zementiert die Klassengesellschaft.
"Fair is foul, and foul is fair", lautet ein berühmter, an einer Stelle zitierter Vers aus "Macbeth". Das ist eine ganze Weile her und war bereits zu Shakespeares Zeiten nicht neu. Von daher ist es kein triftiger Einwand gegen Oswalds gesellschaftskritischen Roman, er wisse uns nur längst Bekanntes zu sagen. Die Klage über die Korruptheit der Eliten wird die Menschheit auf ihrem Weg zur idealen Gesellschaft noch zuverlässig begleiten. Es kommt darauf an, ihr immer wieder Wucht und Dringlichkeit zu geben, als wäre das moralische Gefüge gerade eben erst aus dem Lot geraten. Michel Houellebecq und Bret Easton Ellis, zwei Autoren, mit denen Georg M. Oswald gelegentlich schon verglichen wurde, schaffen das mit kräftigen Prisen Zorn und Zynismus. Damit verglichen, strahlt dieser Roman eine gewisse allgemeinverträgliche Nettigkeit aus.
Zu diesem Eindruck trägt der Stil bei. "Der Oktober brachte unvermutet noch einmal Sonnenschein, und trotz der herbstlichen Kühle der Luft sorgte er für eine letzte Erinnerung an den Sommer, der eigentlich schon seit einem Monat zu Ende war." Abgesehen davon, dass hier dreimal fast das Gleiche gesagt wird - so schreibt kein literarischer Kampfhund, der sich in den Zustand der Welt verbissen hat. Oswald scheut auch nicht zurück vor abgedroschenen Wendungen: "Die vergangenen Wochen waren kein Honiglecken gewesen, weder in der Politik noch in der Liebe." Oder gar: "Das sah ein Blinder mit dem Krückstock."
Trotzdem liest sich der Roman über weite Strecken unterhaltsam und spannend, gelegentlich sogar witzig. Wenn etwa zwei Liebesszenen mit fast denselben Worten geschildert werden, dann ist das ein schöner erzähltechnischer Kniff, weil schlagartig deutlich wird, dass es sich bei aller subjektiv empfundenen Herrlichkeit um schale Standardnummern handelt. Auch bei Gerichtsszenen arbeitet Oswald effektiv mit diesem Mittel - da vergehen angesichts der juristischen Wortlawinen diversen Beschuldigten auf ganz ähnliche Weise die Sinne. Überhaupt profitiert der Roman von Oswalds intimer Kenntnis der Justiz. Richter, Strafverteidiger und Staatsanwälte werden überzeugend profiliert; die beklemmende Atmosphäre im Gericht wird gut eingefangen.
Dass Ladislav Richter am Ende doch noch ein vielversprechendes Drehbuch vorlegt, bei dem es sich offenbar um genau die Geschichte handelt, die wir gerade gelesen haben - das ist allerdings eine reichlich abgenutzte Pointe, die nicht besser wird dadurch, dass der zuständige Filmproduzent sogleich mit dem für die Förderungsgelder verantwortlichen Mann einer Kulturstiftung telefoniert. Das ist niemand anderes als der zwischenzeitlich vom Ministerpräsidenten aus der politischen Schusslinie genommene Kurt Schellenbaum. Mit diesem drittklassigen Einfall schlägt der Roman einen Weg ein, der seit je die Gesellschaftskritik unglaubwürdig macht: den der Verschwörungstheorie.
- Georg M. Oswald: "Vom Geist der Gesetze". Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 2007. 348 S., geb., 19,90 [Euro].
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Hier bräuchte Justitia ein Hackebeilchen: Georg M. Oswald, im Zweitberuf Rechtsanwalt, kennt sich aus im Gerichtsmilieu. Sein neuer Gesellschaftsroman "Vom Geist der Gesetze" zeigt Juristen als verzweifelte Idealisten oder als willige Helfer der Korruption.
Von Wolfgang Schneider
Georg M. Oswald ist kein Autor, der sich mit niedrigem Personal begnügt. Vielmehr lädt er die Mächtigen vor - und solche, die es werden wollen. In seinem neuen Gesellschaftsroman "Vom Geist der Gesetze" ist das unter anderem der Generalsekretär einer konservativen Landespartei. Des weiteren gibt es - Oswald selbst ist im Zweitberuf Rechtsanwalt - zahlreiche Figuren aus dem Justizmilieu. Sebastian Spring ist ein junger Jurist aus kleinen Verhältnissen, der zum großen Karriere-Sprung ansetzt. Er verfügt über den gewissen Ein-Mann-will-nach-oben-Charme. Aber wenn er es schafft, dann weniger aufgrund der eigenen Leistungen, sondern weil Prominenten-Anwalt Dr. Ludwig Heckler (Stundensatz: tausend Euro) einem Onkel Sebastians noch einen Gefallen schuldig ist. So stellt er dessen Neffen in seiner Premium-Kanzlei ein.
Zwar schnappt der virile Alte dem jungen Mann sogleich die hübsche Freundin weg. Aber Spring darf sich im wechselseitigen Intrigenspiel bald über die entschlossene Zuneigung der Anwaltsgattin freuen, die nicht gewillt ist, diese Kränkung auf sich sitzen zu lassen. Philomena Heckler erleben wir als ausgekochte Karrieristin mit diabolischer Attraktivität und eiskalter strategischer Intelligenz - natürlich ist sie nur halb so alt wie ihr Mann.
Diesen Figuren stellt Oswald einige Kontrastgestalten gegenüber, die offensichtlich das Karriere-Gen nicht mitbekommen haben. Thomas Gärtner ist als Anwalt das Gegenteil von Spring. Viel lieber als über den Akten sitzt er in der Enoteca und verkostet mit Inhaber Amadeo frisch gelieferte Rotweine. Ladislav Richter schließlich ist ein Drehbuchautor, der sich mit knapp vierzig noch nicht etablieren konnte. Gerade geht ihm der letzte Vorschuss aus. Höchste Zeit für eine zündende Idee.
All diesen Figuren scheint man schon einmal begegnet zu sein. Liegt es daran, weil sie lebenswahr oder weil sie Klischees sind - oder vielleicht beides zugleich? Was sie von den Zwei-Komponenten-Charakteren einer Fernsehserie unterscheidet, sind die Anflüge von Innenleben, die ihnen dann und wann zuteil werden. Der Politiker Kurt Schellenbaum, der vor Fernsehkameras den inneren Phrasenproduzenten auf Autopilot stellen kann, erweist sich dabei als ungefestigte Persönlichkeit, von Demütigungen der Jugend nachhaltig geplagt, dazu im engsten Privatkreis gemobbt vom Schwiegervater, einem Großindustriellen und Duzfreund des Ministerpräsidenten.
Anfangs verfolgt Oswald die gute, alte Technik der alternierenden Handlungsstränge. Kapitelweise wendet sich die Aufmerksamkeit den genannten Charakteren zu. Es kommt der Punkt, an dem die Fäden zusammenlaufen. Genauer gesagt: der leicht beduselte Drehbuchschreiber läuft direkt in den Dienstwagen Schellenbaums, der sich in einem Anfall von Euphorie nach einem geglückten Talkshow-Auftritt ausnahmsweise selbst ans Steuer gesetzt hat. Der Politiker versucht den Unfall mit einer einmaligen Geldzuwendung an den Verletzten aus der Welt zu schaffen, aber er hat nicht mit Richters gerechtigkeitsliebender Freundin gerechnet.
Die Sache (die nicht wenig an den Plot von Tom Wolfes "Fegefeuer der Eitelkeiten" erinnert) kommt ins Rollen, viele Interessen spielen hinein, und allmählich entwickelt sich der kleine Fall zu einem spektakulären. Der Drehbuchschreiber wird vom Schluffi-Anwalt aus der Enoteca vertreten, Schellenbaum genießt den Rechtsschutz der Premium-Kanzlei. Weitere Intrigen lagern sich an, und schließlich steht ein illegales Waffengeschäft, in das auch Rechtsanwalt Heckler verwickelt war, kurz vor der skandalträchtigen Aufdeckung.
Das Ergebnis ist indes absehbar. Weder Schellenbaum noch Heckler werden ernsthaft zur Rechenschaft gezogen. Wie ein Deus ex machina schaltet sich der Ministerpräsident ein. Der Filz von Macht und Reichtum ist ein Gestrüpp, durch das Justitia mit ihrem Schwert nicht hindurchkommt. Einer deckt den anderen; dem beflissenen Staatsanwalt Wolf werden beizeiten die Zähne gezogen. Er ist der typische überarbeitete Vertreter seines Standes, der einst mit bestem Examen und hehrem Glauben an das Recht seinen Dienst aufnahm, nun aber erleben muss, dass er nach jahrelangen Ermittlungen von einem brisanten Fall einfach hinwegbefördert wird oder dass laufende Verfahren überraschend eingestellt werden, weil Belastungsmaterial auf mysteriöse Weise verschwunden ist - immer dann nämlich, wenn die Verurteilung eines "kapitalen Fisches" droht.
"Literatur müsse von dem handeln, was im Fernsehen nicht zu sehen sei", hat Georg M. Oswald einmal gefordert. Wenn das Finale dieses Romans nun aus einer Primetime-Talkshow namens "Dämmrich" besteht, in welcher der Fall noch einmal mit allen Beteiligten durchgenommen wird, dann heißt das jedoch nicht, dass Oswald seinem TV-Verdikt untreu geworden ist. Gerade die allzu bemüht wirkende Talkshow-Satire will vor dem Hintergrund des Romangeschehens das Informationsvakuum mitten im Infotainment aufzeigen. Worauf es ankäme - gerade das kommt bei "Dämmrich" nämlich nicht vor. Stattdessen erhält die mediengewandte Prominenz noch einmal Gelegenheit, gute Figur zu machen, während ungewandte Menschen wie Richter oder Schellenbaums Fahrer Raab sich in aller Öffentlichkeit blamieren, was nun beinahe wie ein moralisches Defizit wirkt: kamerascheues Gesindel. Das Fernsehen, so die Lehre, zementiert die Klassengesellschaft.
"Fair is foul, and foul is fair", lautet ein berühmter, an einer Stelle zitierter Vers aus "Macbeth". Das ist eine ganze Weile her und war bereits zu Shakespeares Zeiten nicht neu. Von daher ist es kein triftiger Einwand gegen Oswalds gesellschaftskritischen Roman, er wisse uns nur längst Bekanntes zu sagen. Die Klage über die Korruptheit der Eliten wird die Menschheit auf ihrem Weg zur idealen Gesellschaft noch zuverlässig begleiten. Es kommt darauf an, ihr immer wieder Wucht und Dringlichkeit zu geben, als wäre das moralische Gefüge gerade eben erst aus dem Lot geraten. Michel Houellebecq und Bret Easton Ellis, zwei Autoren, mit denen Georg M. Oswald gelegentlich schon verglichen wurde, schaffen das mit kräftigen Prisen Zorn und Zynismus. Damit verglichen, strahlt dieser Roman eine gewisse allgemeinverträgliche Nettigkeit aus.
Zu diesem Eindruck trägt der Stil bei. "Der Oktober brachte unvermutet noch einmal Sonnenschein, und trotz der herbstlichen Kühle der Luft sorgte er für eine letzte Erinnerung an den Sommer, der eigentlich schon seit einem Monat zu Ende war." Abgesehen davon, dass hier dreimal fast das Gleiche gesagt wird - so schreibt kein literarischer Kampfhund, der sich in den Zustand der Welt verbissen hat. Oswald scheut auch nicht zurück vor abgedroschenen Wendungen: "Die vergangenen Wochen waren kein Honiglecken gewesen, weder in der Politik noch in der Liebe." Oder gar: "Das sah ein Blinder mit dem Krückstock."
Trotzdem liest sich der Roman über weite Strecken unterhaltsam und spannend, gelegentlich sogar witzig. Wenn etwa zwei Liebesszenen mit fast denselben Worten geschildert werden, dann ist das ein schöner erzähltechnischer Kniff, weil schlagartig deutlich wird, dass es sich bei aller subjektiv empfundenen Herrlichkeit um schale Standardnummern handelt. Auch bei Gerichtsszenen arbeitet Oswald effektiv mit diesem Mittel - da vergehen angesichts der juristischen Wortlawinen diversen Beschuldigten auf ganz ähnliche Weise die Sinne. Überhaupt profitiert der Roman von Oswalds intimer Kenntnis der Justiz. Richter, Strafverteidiger und Staatsanwälte werden überzeugend profiliert; die beklemmende Atmosphäre im Gericht wird gut eingefangen.
Dass Ladislav Richter am Ende doch noch ein vielversprechendes Drehbuch vorlegt, bei dem es sich offenbar um genau die Geschichte handelt, die wir gerade gelesen haben - das ist allerdings eine reichlich abgenutzte Pointe, die nicht besser wird dadurch, dass der zuständige Filmproduzent sogleich mit dem für die Förderungsgelder verantwortlichen Mann einer Kulturstiftung telefoniert. Das ist niemand anderes als der zwischenzeitlich vom Ministerpräsidenten aus der politischen Schusslinie genommene Kurt Schellenbaum. Mit diesem drittklassigen Einfall schlägt der Roman einen Weg ein, der seit je die Gesellschaftskritik unglaubwürdig macht: den der Verschwörungstheorie.
- Georg M. Oswald: "Vom Geist der Gesetze". Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 2007. 348 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
"Unterhaltsam, aber harmlos" findet Rezensent Hubert Winkels den neuen Roman des schreibenden Münchner Rechtsanwalts. Denn der erzähle zwar gut, letztlich aber doch immer das Gleiche: "saubere Geschichten aus der schmutzigen Welt der Banker". Um den Rezensenten packen zu können, müsste da schon mal "der Schematismus in der Konstruktion einer unmoralischen Sphäre" durch individuelle Erfahrung durchbrochen oder wenigstens der Schematismus zum Spiel gemacht werden. Doch Georg M. Oswalds Romane funktionierten stets wie "gehobene Fernsehunterhaltung", wobei sie das Fernsehen dann auch noch als "gesellschaftlichen Seelenvergifter" geißelten. Auch im vorliegenden Fall schnurrt die Geschichte Winkels zufolge routiniert böse ab, entfalte "seine Freude an der zynischen Rationalität" der Protagonisten. Trotzdem lockt er den Rezensenten damit nicht hinterm Ofen hervor, der das Buch insgesamt nicht so richtig ernst nehmen kann.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Spannend, witzig und mit viel Gespür für die einzelnen Figuren ist die Geschichte amüsant und macht gleichzeitig nachdenklich.« belletristik-couch.de 20200401