Eine sittenlose Phantasie ohnegleichen und ein fanatischer Atheismus - das sind die beiden Grundpfeiler de Sade'schen Denkens.
Diese beiden Säulen stehen keineswegs unverbunden nebeneinander, sondern der Geist der Übertretung, aus dem sich die zügellose Phantasie speist, treibt mit erbarmungsloser Logik den Geist der Gewalt und Vernichtung aus sich hervor. De Sade malt - nach seinen eigenen Worten mit dem Pinsel der Natur - ein "naturgetreues" Bild einer vollkommen gottlosen Welt, mit einer Unerschrockenheit, die niemand sonst gewagt hat, und einer unerbittlichen Strenge, die keinerlei Ausflüchte erlaubt. Und jeder denkende Mensch, der Gott und die Religion rundheraus und rundherum ablehnt, muss darüber aufklären, ob er eine solche Welt will und, falls nein, erklären, wie ohne Religion eine Alternative gedacht werden sollte.
De Sade hat das in aller Klarheit gesehen und die Folgen bejaht, ohne sie zu beschönigen. Darin liegt unbestreitbar seine düstere Größe, die es zu erinnern gilt in einer Gesellschaft, die Tabubruch und Schamlosigkeit ungestraft zum Stilprinzip einer "Spaßkultur" erheben zu können glaubt, deren Opfer sie mit einer verlogenen Beredsamkeit verschweigt, im Vergleich zu der die libertine Stimme de Sades wie ein Aufschrei der Vernunft wirkt.
Kurztext:
Was bringt es, sich mit dem Marquis de Sade zu beschäftigen, nach dem der Sadismus benannt und dessen Werk als ekelerregend pornografisch verschrieen ist? H.-G. Stobbe klärt den Zusammenhang von moralischer Zügellosigkeit und Gewalt im Denken de Sades und zieht Verbindungslinien zur heutigen "Spaßkultur", die ihre Opfer bedenkenlos in Kauf nimmt für das Vergnügen, das sie im Überschreiten moralischer Grenzen, in Tabubruch und Schamlosigkeit sucht. Ein faszinierender, geistreicher und brillant geschriebener Essay.
Diese beiden Säulen stehen keineswegs unverbunden nebeneinander, sondern der Geist der Übertretung, aus dem sich die zügellose Phantasie speist, treibt mit erbarmungsloser Logik den Geist der Gewalt und Vernichtung aus sich hervor. De Sade malt - nach seinen eigenen Worten mit dem Pinsel der Natur - ein "naturgetreues" Bild einer vollkommen gottlosen Welt, mit einer Unerschrockenheit, die niemand sonst gewagt hat, und einer unerbittlichen Strenge, die keinerlei Ausflüchte erlaubt. Und jeder denkende Mensch, der Gott und die Religion rundheraus und rundherum ablehnt, muss darüber aufklären, ob er eine solche Welt will und, falls nein, erklären, wie ohne Religion eine Alternative gedacht werden sollte.
De Sade hat das in aller Klarheit gesehen und die Folgen bejaht, ohne sie zu beschönigen. Darin liegt unbestreitbar seine düstere Größe, die es zu erinnern gilt in einer Gesellschaft, die Tabubruch und Schamlosigkeit ungestraft zum Stilprinzip einer "Spaßkultur" erheben zu können glaubt, deren Opfer sie mit einer verlogenen Beredsamkeit verschweigt, im Vergleich zu der die libertine Stimme de Sades wie ein Aufschrei der Vernunft wirkt.
Kurztext:
Was bringt es, sich mit dem Marquis de Sade zu beschäftigen, nach dem der Sadismus benannt und dessen Werk als ekelerregend pornografisch verschrieen ist? H.-G. Stobbe klärt den Zusammenhang von moralischer Zügellosigkeit und Gewalt im Denken de Sades und zieht Verbindungslinien zur heutigen "Spaßkultur", die ihre Opfer bedenkenlos in Kauf nimmt für das Vergnügen, das sie im Überschreiten moralischer Grenzen, in Tabubruch und Schamlosigkeit sucht. Ein faszinierender, geistreicher und brillant geschriebener Essay.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.07.2002Nun preiset alle St. Sade
Das ist ein Satz, den man sich auf der Zunge zergehen lassen kann: "Obgleich schon zu Lebzeiten als Monstrum verschrieen, kommt der Marquis de Sade am 2. Juni 1740 als ganz normales Baby zur Welt." Sicher ganz im Gegensatz zu Adolf Hitler, der doch geifernd geboren worden sein muß, oder Josef Stalin, dem man den Massenmörder gewiß direkt an der Nase hätte ansehen können. Und dann ist das auch noch der erste Satz eines Buches. Wie stellt sich ein protestantischer Theologieprofessor denn jene Kinder vor, aus denen die beklagenswerten Mitglieder der menschlichen Gemeinschaft werden? Oder sollte der Satz witzig gemeint sein? Dann hätte der Rest des Buches, immerhin noch 110 Seiten, ganz anders geschrieben sein müssen. Denn der Rest des Buches ist ernst. Wird sogar zum Ende hin immer ernster, wenn Sade auf seine Verzweiflung an der Welt hin gelesen wird. An einer Welt, die selbst im Moment des Triumphes jener vollständigen Gewissenlosigkeit, die Sade predigt, noch die unbewußte Bosheit besitzt, das perfekte Böse, das Menschen erreichen können, wieder in Frage zu stellen, weil nur dessen Negation wahrhaft böse wäre - und der Vollzug des wahrhaft Bösen ist die ultimative Forderung Sades. Da er das gewissenlose Gesetz der Natur zum Maßstab allen Handelns machen will, kann böse nicht mehr der handeln, der alle Menschlichkeit verrät, sondern nur noch der, der dem harten Naturgesetz widerstrebt. So kehrt das moralisch Gute, das Menschliche, wieder zurück in die Hölle auf Erden, die Sade entwirft, und es ist das Verdienst von Heinz-Günther Stobbe, dieses Dilemma der Sadeschen Argumentation klar herausgearbeitet zu haben. In seiner schmalen Sade-Studie ("Vom Geist der Übertretung und Vernichtung". Der Ursprung der Gewalt im Denken des Marquis de Sade. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2002. 118 S., br., 12,90 [Euro]) nimmt er den Marquis bitterernst, verzichtet auf billige Triumphe angesichts der Inkonsequenzen in dessen Darstellungen, ja, er ruft Sade am Ende gar als Meister theologischer Fragestellungen aus, weil niemand die Diagnose vom menschlichen Hang zum selbstbereiteten Unglück schärfer gestellt habe als er. Es gibt großartige Passagen in diesem Buch, auch wenn sich so manches davon anderen Autoren verdankt (vor allem Pierre Klossowski). Der Mut zum Lob Sades leidet indes unter einer unangenehmen Hysterie, die als Unterströmung Stobbes Buch durchzieht. Mehrfach klagt der Siegener Theologe die "Spaßkultur" an, sieht durch sie die Moderne vorwärtsmarschieren auf dem breiten Weg der Ideen des Marquis und räumt nur halbherzig ein, daß Auschwitz und GULag durch Welten von der "postmodernen Spaßgesellschaft" getrennt sind. Dennoch fragt er direkt nach diesem Zugeständnis, ob nicht Sades Traum von der Durchsetzung der Gesellschaft mit libertinen Kreisen nun erfüllt werde: "Ist es nicht das, was heute geschieht?" (und setzt diese Frage gar noch kursiv). Da entlarvt sich Stobbe selbst als Mann, dem im Sadeschen Sinne die Kategorien fehlen - nicht als Analytiker der Mängel unserer Zeit, sondern als Verzweifelter, der seine ganzen Ausführungen unter das Diktat einer Gewissenlosigkeit stellt, die natürlich nur als Modell existieren kann, weil im Kollektiv die Rationalität das Gefühl niemals ganz abtöten kann. Wenn Stobbe den schönen Aphorismus prägt, daß der Unterschied zwischen einem Faschisten und einem Libertin darin bestehe, daß bei letzterem keine Reue vorstellbar sei, dann fällt er auf den Popanz der Sadeschen Ungeheuer herein, deren mangelnde Konsequenz im Handeln er doch selbst dadurch bewiesen hat, daß sie vor der einzig wahrhaft bösen Tat, wider die Natur zu agieren, zurückschrecken. Stobbe nimmt Sade dann doch nur dort ernst, wo er ihn braucht. Oder mit seinen leicht variierten Worten: "Obgleich als Monstrum gedeutet, kommt der Marquis de Sade in meinem Buch als ganz normaler Denker daher." Genauso geschieht es: Mal ist er Unmensch, mal Gewährsmann. Aber überzeugender als der erste Satz des Buches wirkt dieser Ansatz leider nicht.
ANDREAS PLATTHAUS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das ist ein Satz, den man sich auf der Zunge zergehen lassen kann: "Obgleich schon zu Lebzeiten als Monstrum verschrieen, kommt der Marquis de Sade am 2. Juni 1740 als ganz normales Baby zur Welt." Sicher ganz im Gegensatz zu Adolf Hitler, der doch geifernd geboren worden sein muß, oder Josef Stalin, dem man den Massenmörder gewiß direkt an der Nase hätte ansehen können. Und dann ist das auch noch der erste Satz eines Buches. Wie stellt sich ein protestantischer Theologieprofessor denn jene Kinder vor, aus denen die beklagenswerten Mitglieder der menschlichen Gemeinschaft werden? Oder sollte der Satz witzig gemeint sein? Dann hätte der Rest des Buches, immerhin noch 110 Seiten, ganz anders geschrieben sein müssen. Denn der Rest des Buches ist ernst. Wird sogar zum Ende hin immer ernster, wenn Sade auf seine Verzweiflung an der Welt hin gelesen wird. An einer Welt, die selbst im Moment des Triumphes jener vollständigen Gewissenlosigkeit, die Sade predigt, noch die unbewußte Bosheit besitzt, das perfekte Böse, das Menschen erreichen können, wieder in Frage zu stellen, weil nur dessen Negation wahrhaft böse wäre - und der Vollzug des wahrhaft Bösen ist die ultimative Forderung Sades. Da er das gewissenlose Gesetz der Natur zum Maßstab allen Handelns machen will, kann böse nicht mehr der handeln, der alle Menschlichkeit verrät, sondern nur noch der, der dem harten Naturgesetz widerstrebt. So kehrt das moralisch Gute, das Menschliche, wieder zurück in die Hölle auf Erden, die Sade entwirft, und es ist das Verdienst von Heinz-Günther Stobbe, dieses Dilemma der Sadeschen Argumentation klar herausgearbeitet zu haben. In seiner schmalen Sade-Studie ("Vom Geist der Übertretung und Vernichtung". Der Ursprung der Gewalt im Denken des Marquis de Sade. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2002. 118 S., br., 12,90 [Euro]) nimmt er den Marquis bitterernst, verzichtet auf billige Triumphe angesichts der Inkonsequenzen in dessen Darstellungen, ja, er ruft Sade am Ende gar als Meister theologischer Fragestellungen aus, weil niemand die Diagnose vom menschlichen Hang zum selbstbereiteten Unglück schärfer gestellt habe als er. Es gibt großartige Passagen in diesem Buch, auch wenn sich so manches davon anderen Autoren verdankt (vor allem Pierre Klossowski). Der Mut zum Lob Sades leidet indes unter einer unangenehmen Hysterie, die als Unterströmung Stobbes Buch durchzieht. Mehrfach klagt der Siegener Theologe die "Spaßkultur" an, sieht durch sie die Moderne vorwärtsmarschieren auf dem breiten Weg der Ideen des Marquis und räumt nur halbherzig ein, daß Auschwitz und GULag durch Welten von der "postmodernen Spaßgesellschaft" getrennt sind. Dennoch fragt er direkt nach diesem Zugeständnis, ob nicht Sades Traum von der Durchsetzung der Gesellschaft mit libertinen Kreisen nun erfüllt werde: "Ist es nicht das, was heute geschieht?" (und setzt diese Frage gar noch kursiv). Da entlarvt sich Stobbe selbst als Mann, dem im Sadeschen Sinne die Kategorien fehlen - nicht als Analytiker der Mängel unserer Zeit, sondern als Verzweifelter, der seine ganzen Ausführungen unter das Diktat einer Gewissenlosigkeit stellt, die natürlich nur als Modell existieren kann, weil im Kollektiv die Rationalität das Gefühl niemals ganz abtöten kann. Wenn Stobbe den schönen Aphorismus prägt, daß der Unterschied zwischen einem Faschisten und einem Libertin darin bestehe, daß bei letzterem keine Reue vorstellbar sei, dann fällt er auf den Popanz der Sadeschen Ungeheuer herein, deren mangelnde Konsequenz im Handeln er doch selbst dadurch bewiesen hat, daß sie vor der einzig wahrhaft bösen Tat, wider die Natur zu agieren, zurückschrecken. Stobbe nimmt Sade dann doch nur dort ernst, wo er ihn braucht. Oder mit seinen leicht variierten Worten: "Obgleich als Monstrum gedeutet, kommt der Marquis de Sade in meinem Buch als ganz normaler Denker daher." Genauso geschieht es: Mal ist er Unmensch, mal Gewährsmann. Aber überzeugender als der erste Satz des Buches wirkt dieser Ansatz leider nicht.
ANDREAS PLATTHAUS
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Am Anfang seiner Rezension zitiert Andreas Platthaus den katastrophal daneben gegangenen ersten Satz dieser Sade-Studie. So schlimm bleibt es aber nicht, die Kritik ist entschieden das, was man zwiespältig nennt. Dass der Theologe Stobbe den Marquis de Sade nämlich Ernst zu nehmen gewillt ist, dass er das "Dilemma" des Bösen in dessen Werk genau herausarbeitet, das will der Rezensent dem Autor durchaus zugute halten, ja, er hat sogar "großartige Passagen" entdeckt. Gar nicht gut gefällt ihm dagegen der Kulturpessimismus, der den Text grundiert und dazu führt, dass Stobbe die "postmoderne Spaßgesellschaft" mit Auschwitz und Gulag über einen Kamm zu scheren beinahe bereit scheint. Die Haltung zu de Sade bleibt, so der Vorwurf des Rezensenten, inkonsequent: "Mal ist er Unmensch, mal Gewährsmann".
© Perlentaucher Medien GmbH
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