Daß seit dem 11. September 2001 nichts mehr so wäre wie zuvor, läßt sich mit Fug bezweifeln. Aber wir ahnen, daß die ersten Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts von der Antwort geprägt sein könnten, die wir auf die neue Dimension des Terrors finden. Das rechtsstaatlich kontrollierte Gewaltmonopol des Staates kann als unschätzbare zivilisatorische Errungenschaft gelten, die sich, etwa durch soziale Gerechtigkeit, stützen und ergänzen, aber durch nichts überbieten läßt. Genau dieses Gewaltmonopol wird inzwischen ausgehöhlt, in einigen Teilen der Erde auch beseitigt durch die Privatisierung der Gewalt. Die Gewalt verlagert sich vom Staat zum Warlord, dem Kriegsherrn, der Unternehmer, illegaler Händler, Kommandeur und Lokaldiktator in einem ist. Der Terrorist Osama Bin Laden ist nicht das apokalyptische Tier aus dem Abgrund, sondern einer dieser Kriegsherren, allerdings einer, der weltweit zuschlagen kann, der Chef eines multinationalen Gewaltunternehmens.
Was könnte es, so fragt dieses Buch, bedeuten, wenn wir, statt den »Krieg gegen den Terrorismus« zu proklamieren und dann Kriegsgegner auszusortieren, den Terror als die - für uns - gefährlichste Form privatisierter und kommerzialisierter Gewalt begreifen und bekämpfen?
Erhard Eppler, Dr. phil., geb. 1926. Einige Stationen seines Politikerlebens: Mitglied des Bundestages 1961-1976, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit 1968-1974.
Im Suhrkamp Verlag erschienen u.a. Kavalleriepferde beim Hornsignal. Die Krise der Politik im Spiegel der Sprache (es 1788), Privatisierung der politischen Moral? (es 2185), und im Insel Verlag erschien 1996 Komplettes Stückwerk. Erfahrungen aus fünfzig Jahren Politik.
Was könnte es, so fragt dieses Buch, bedeuten, wenn wir, statt den »Krieg gegen den Terrorismus« zu proklamieren und dann Kriegsgegner auszusortieren, den Terror als die - für uns - gefährlichste Form privatisierter und kommerzialisierter Gewalt begreifen und bekämpfen?
Erhard Eppler, Dr. phil., geb. 1926. Einige Stationen seines Politikerlebens: Mitglied des Bundestages 1961-1976, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit 1968-1974.
Im Suhrkamp Verlag erschienen u.a. Kavalleriepferde beim Hornsignal. Die Krise der Politik im Spiegel der Sprache (es 1788), Privatisierung der politischen Moral? (es 2185), und im Insel Verlag erschien 1996 Komplettes Stückwerk. Erfahrungen aus fünfzig Jahren Politik.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.08.2002"Weltsozialpolitik"
GEWALTMONOPOL. Man hat sich bereits daran gewöhnt, daß im Zeitalter der Globalisierung die Handlungs- und Steuerungsfähigkeit des Staates in Frage gestellt wird. Auch Epplers Buch suggeriert zunächst ebendies mit seiner eingangs formulierten Definition von privatisierter und kommerzialisierter Gewalt als "entstaatlichter Gewalt". Die Antwort des Verfassers auf die Ereignisse des 11. September aber weist dann in die entgegengesetzte Richtung: Der Staat muß die Herausforderung der "asymmetrischen" Bedrohung durch den Terrorismus annehmen und das scheinbar verlorengegangene Gewaltmonopol bei der inneren Sicherheit zurückerobern. Die von der Regierung Bush propagierte Ausrottung des Terrorismus ist nicht allein mit militärischen Mitteln zu erreichen; das wird auch von amerikanischer Seite nicht bestritten. Etwa 20 Prozent des Kampfes gegen den Terrorismus sind militärischer Natur. Der Rest hat mit Polizeiarbeit, Einwanderungsfragen, Auslieferungsverfahren und Maßnahmen zur Vernichtung der Finanzquellen von Terrororganisationen zu tun. Für Eppler steht daher fest: Der Kampf gegen den Terrorismus ist nur durch den konsequenten Einsatz für "Entwicklung" in den von Verfall betroffenen Staaten (failed states) zu gewinnen, da sie den Nährboden für den Terrorismus bilden. Eine solche "Entwicklung" ist auf Institutionen angewiesen, zivilgesellschaftliche und staatliche. Die neoliberale Politik der Vereinigten Staaten als Hauptadressaten des internationalen Terrorismus aber habe in den vergangenen zehn Jahren die Unterstützung für den Ausbau von Institutionen vernachlässigt. Das Pochen auf den ungezügelten Strom von Kapital, Gütern und Dienstleistungen habe zu immer größeren Verteilungskämpfen, Einkommensunterschieden und Ungleichgewichten in der Weltwirtschaft geführt und damit genau jenes Milieu geschaffen, in dem sich Kriminalität, Korruptionskartelle und Terrorbanden ausbreiten konnten. Dem könne nur durch "kosmopolitische Rechtsdurchsetzung" in Form einer internationalen Autorität beispielsweise bei den Vereinten Nationen, mehr Multilateralismus und eine konsequente "Weltsozialpolitik" ein Ende gesetzt werden. Amerikas strategischer Ansatz ist nach Meinung Epplers zu eng. Aber folgt Washington mit seinem Kurs nicht gerade der Empfehlung Epplers, den Rechtsstaat und damit das nationale Gewaltmonopol zu festigen? Das zentrale Problem aus europäischer Sicht im transatlantischen Verhältnis bleibt wohl eher Amerikas mangelnde Bereitschaft zu internationaler Einbindung. Diese aber wächst nur in dem Maße, wie das (Gegen-)Gewicht Europas als globaler Akteur zunimmt. (Erhard Eppler: Vom Gewaltmonopol zum Gewaltmarkt? Die Privatisierung und Kommerzialisierung der Gewalt. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 154 Seiten, 9,- Euro.)
STEFAN FRÖHLICH
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
GEWALTMONOPOL. Man hat sich bereits daran gewöhnt, daß im Zeitalter der Globalisierung die Handlungs- und Steuerungsfähigkeit des Staates in Frage gestellt wird. Auch Epplers Buch suggeriert zunächst ebendies mit seiner eingangs formulierten Definition von privatisierter und kommerzialisierter Gewalt als "entstaatlichter Gewalt". Die Antwort des Verfassers auf die Ereignisse des 11. September aber weist dann in die entgegengesetzte Richtung: Der Staat muß die Herausforderung der "asymmetrischen" Bedrohung durch den Terrorismus annehmen und das scheinbar verlorengegangene Gewaltmonopol bei der inneren Sicherheit zurückerobern. Die von der Regierung Bush propagierte Ausrottung des Terrorismus ist nicht allein mit militärischen Mitteln zu erreichen; das wird auch von amerikanischer Seite nicht bestritten. Etwa 20 Prozent des Kampfes gegen den Terrorismus sind militärischer Natur. Der Rest hat mit Polizeiarbeit, Einwanderungsfragen, Auslieferungsverfahren und Maßnahmen zur Vernichtung der Finanzquellen von Terrororganisationen zu tun. Für Eppler steht daher fest: Der Kampf gegen den Terrorismus ist nur durch den konsequenten Einsatz für "Entwicklung" in den von Verfall betroffenen Staaten (failed states) zu gewinnen, da sie den Nährboden für den Terrorismus bilden. Eine solche "Entwicklung" ist auf Institutionen angewiesen, zivilgesellschaftliche und staatliche. Die neoliberale Politik der Vereinigten Staaten als Hauptadressaten des internationalen Terrorismus aber habe in den vergangenen zehn Jahren die Unterstützung für den Ausbau von Institutionen vernachlässigt. Das Pochen auf den ungezügelten Strom von Kapital, Gütern und Dienstleistungen habe zu immer größeren Verteilungskämpfen, Einkommensunterschieden und Ungleichgewichten in der Weltwirtschaft geführt und damit genau jenes Milieu geschaffen, in dem sich Kriminalität, Korruptionskartelle und Terrorbanden ausbreiten konnten. Dem könne nur durch "kosmopolitische Rechtsdurchsetzung" in Form einer internationalen Autorität beispielsweise bei den Vereinten Nationen, mehr Multilateralismus und eine konsequente "Weltsozialpolitik" ein Ende gesetzt werden. Amerikas strategischer Ansatz ist nach Meinung Epplers zu eng. Aber folgt Washington mit seinem Kurs nicht gerade der Empfehlung Epplers, den Rechtsstaat und damit das nationale Gewaltmonopol zu festigen? Das zentrale Problem aus europäischer Sicht im transatlantischen Verhältnis bleibt wohl eher Amerikas mangelnde Bereitschaft zu internationaler Einbindung. Diese aber wächst nur in dem Maße, wie das (Gegen-)Gewicht Europas als globaler Akteur zunimmt. (Erhard Eppler: Vom Gewaltmonopol zum Gewaltmarkt? Die Privatisierung und Kommerzialisierung der Gewalt. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 154 Seiten, 9,- Euro.)
STEFAN FRÖHLICH
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Der 11. September, so Reinhard Blomert, hat gezeigt, dass der "privatisierte Terror" nunmehr auch "Nordamerika erreicht" hatte. Epplers Buch mahnt, dass diese Art Terror dort auftritt, "wo der Staat zu schwach ist". Problematisch ist es für Eppler deshalb, dass die USA nicht nur ständig den "Abbau des Staates" beschwört, sondern sich außerdem am Waffenhandel mit "Diktatoren, Paramilitärs und Terrororganisationen" beteiligt. Laut Reinhard Blomert verdächtigt Eppler die USA, sie sei in Wirklichkeit "nicht interessiert" an der "Weltzivilgesellschaft, von der Europa träumt". Ob und wie der Autor das begründet oder beweist, darüber erfahren wir in dieser Kurzbesprechung leider nichts.
© Perlentaucher Medien GmbH
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