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Die Moderne hat dem Glück ein Wechselbad bereitet. Einerseits gab es Großprojekte zur Schaffung des »Neuen Menschen«, die das Glück in Dauerstellung bringen sollte, aber meist in eine Katastrophe führten. Andererseits meinte man den Individuen einen Gefallen zu tun, indem man es ihnen überließ, ihr Glück zu machen und zu bestimmen - ein Unternehmen mit unerwarteten und teilweise unerfreulichen Nebenwirkungen. So spielt das Glück eine zentrale Rolle und doch seltsam ungreifbare Rolle. Es wird mit dem Fortschritt der Moderne insgesamt gekoppelt, zugleich aber individualisiert und privatisiert.…mehr

Produktbeschreibung
Die Moderne hat dem Glück ein Wechselbad bereitet. Einerseits gab es Großprojekte zur Schaffung des »Neuen Menschen«, die das Glück in Dauerstellung bringen sollte, aber meist in eine Katastrophe führten. Andererseits meinte man den Individuen einen Gefallen zu tun, indem man es ihnen überließ, ihr Glück zu machen und zu bestimmen - ein Unternehmen mit unerwarteten und teilweise unerfreulichen Nebenwirkungen. So spielt das Glück eine zentrale Rolle und doch seltsam ungreifbare Rolle. Es wird mit dem Fortschritt der Moderne insgesamt gekoppelt, zugleich aber individualisiert und privatisiert. In seinem neuen Buch wendet sich Dieter Thomä gegen Patentrezepte und Freibriefe gleichermaßen und setzt statt dessen auf die kritische Funktion des Glücks, das den Weg zu einer Revision des Verständnisses der Moderne und des Begriffs der Subjektivität weisen kann. Diese Funktion kommt dem Glück deshalb zu, weil es sich der Festlegung und dem selbstbestimmten Zugriff entzieht, auf die dieModerne erpicht ist. Die Spuren des Glücks in der Theorie der Moderne sind weit verzweigt, und so führen die Studien in diesem Band zum Utilitarismus, zur empirischen Glücksforschung und zur Biopolitik ebenso wie zu Friedrich Nietzsche, Max Weber, Ludwig Wittgenstein, Walter Benjamin, Theodor W. Adorno und Hans Blumenberg.

Dieter Thomä ist Professor für Philosophie an der Universität St. Gallen. Im Suhrkamp Verlag ist von ihm erschienen: Die Zeit des Selbst und die Zeit danach. Zur Kritik der Textgeschichte Martin Heideggers 1910-1976 (1990).
Autorenporträt
Dieter Thomä, geboren 1959, ist emeritierter Professor für Philosophie an der Universität St. Gallen.1996 erhielt er den Joseph-Roth-Preis für internationale Publizistik (Preis für Essayistik). Sein Buch Puer robustus stand 2017 auf der Shortlist des Tractatus-Preises.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.10.2003

Das kleine Stück vom Schweineglück
Dieter Thomä wirft mit der philosophischen Speckseite nach der Wurst des Lebens
Fast auf den Tag genau lässt sich datieren, wann es mit dem Glück philosophisch zu Ende ging. Im April 1785 erschien Kants „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten”, in der mit einer spöttischen Bemerkung alle traditionsreichen Wege zum Glück verbaut worden sind. Zwar hatte Kant nichts dagegen, dass Menschen glücklich sein wollen. Aber zu bedenken sei doch, „dass es ein Unglück ist, daß der Begriff der Glückseligkeit ein so unbestimmter Begriff ist.”
Das traf vor allem die 'Deutsche Ethik' des populären Philosophen Christian Wolff, der 1720 ein letztes Mal versucht hatte, den Menschen zu sagen, was sie zu tun und zu lassen haben, um ihre Glückseligkeit zu befördern. Auch die Aufsatzsammlung des Philosophieprofessors Dieter Thomä, zusammengestellt unter dem Titel „Vom Glück in der Moderne”, beginnt mit Kants Einspruch gegen alle Formen einer Glückslehre, die seit der Antike bis zur Populäraufklärung des achtzehnten Jahrhunderts ein Zentrum der Philosophie bildete. Die „eudaimonia”, was einst so viel bedeutete wie „einen guten Dämon haben”, ist problematisch im strengen Sinn geworden: Hindernisse (problemata) stehen im Weg. An die Stelle begehbarer Wege, auf denen man einst philosophisch geleitet wurde, ist, mit Ludwig Wittgenstein gesagt, ein Labyrinth von Wegen getreten.
Man kommt von einer Seite und kennt sich aus; man kommt von einer anderen Seite zur selben Stelle und kennt sich nicht mehr aus. Da scheinen nur noch philosophische Aphorismen zu helfen, die aus der Vagheit und Vieldeutigkeit des Glücksbegriffs ihren Nutzen ziehen. Thomä hat Max Horkheimers Bemerkung „Wer glücklich ist, bedarf nicht der Bosheit” zum Motto seiner Textsammlung gewählt. Und besonders bedenkenswert ist auch der Hinweis von Hans Blumenberg: „Es ist unser Glück, daß wir nicht wissen, was Glück ist”, oder Theodor W. Adornos Warnung, man solle nicht sagen, man sei glücklich, sondern besser: „Ich war glücklich.” In der modernen Lebenswelt und Philosophie ist das Glück zu einem flüchtigen Phänomen geworden. Doch diese Diagnose des zeitgenössischen Glücks-Problems hinderte Thomä nicht, eine heilsame Lösung zu suchen.
Er folgte den Spuren, die Glücksvorstellungen bei Walter Benjamin und Wittgenstein, bei Adorno und Horkheimer hinterlassen haben. Er versuchte, gegen die gebildeten Verächter des Glücks eine Verteidigungslinie aufzubauen, und wies nach, welche Bilder des Glücks im Streit um den „Neuen Menschen” mitspielten. Vor allem überprüfte er die utilitaristischen Orientierungen, die auf menschliche Selbsterhaltung und Selbstbestimmung zielten, und ließ auch deren Widersacher Friedrich Nietzsche, Max Weber und Martin Heidegger zu Wort kommen.
Im Labyrinth der vielen Wege verfolgte Thomä dabei eine doppelte Strategie. Philosophisch wollte er für Klarheit sorgen und dabei zugleich die Komplexität des Problems wahren. Das ist ihm gut gelungen. Doch wohin hat ihn sein langer Marsch geführt, den er mit Kants Illusionierung der Glückseligkeit beginnen und bei Richard Sennetts erschütterter Persönlichkeit enden ließ? Thomä lieferte keine Beschreibungen eines glücklichen Lebens, auch keine begriffliche Analyse. Stattdessen versuchte er philosophisch zu zeigen, was nicht mehr gesagt werden kann. Das Glück ist nomadisierend geworden. Nur noch eigenwillig taucht es auf in der Immanenz des sich gerade vollziehenden Lebensprozesses, um wieder zu verschwinden, sobald man es zu fassen versucht. Es lässt sich nicht als Ziel anstreben, sondern kommt von selbst. Mit einer letzten paradoxen Wendung zog Thomä aus Kants Hinweis seine Konsequenz: Nur wenn man sich mit der „Unverfügbarkeit” des Glücks abfindet und sie zu genießen bereit ist, kann man glücklich sein. So taucht wenigstens am Ende des Labyrinths ein kleines Lichtlein auf, das zwar keinen verlässlichen Leitfaden liefert, uns aber auch nicht völlig orientierungslos in der Glücksfeindschaft und Freudlosigkeit der Moderne herumirren lässt.
MANFRED GEIER
DIETER THOMÄ: Vom Glück in der Moderne. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 326 Seiten, 12 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.10.2003

Dieter Thomä will Spaß, mehr Spaß

Wir sagen "Ich habe Glück" oder "Ich bin glücklich". Das Glück ist dann der glückliche Zufall oder das Glücksgefühl. Wendungen wie "sein Glück machen" (im Beruf) oder "sein Glück finden" (in der Liebe) klingen schon etwas altertümlich. Von der Glückseligkeit gar, die einmal die christliche beatitudo und die antike eudaimonia übersetzte, spricht niemand mehr. Das ist insofern erstaunlich, als nach geschichtsphilosophischem Gemeinspruch erst in der Moderne der Mensch, von den Vorgaben der Tradition befreit, sein Leben selbst in die Hand nehmen kann und muß. Eben in dieser Moderne aber ist die Frage verblaßt, ob ein Leben als Ganzes geglückt ist, ob wir vor den Augen unseres Richters oder einfach eines unabhängigen Beobachters behaupten können, daß wir die uns zur Verfügung gestellte Lebenszeit gut verwendet haben. Von zwei Seiten hat es in den letzten Jahren Bemühungen um eine theoretische Wiederbelebung eines umfassenderen Glücksbegriffs gegeben. Zum einen hat die Philosophie mit der Wende von Kant zu Aristoteles fortschreitend das gute Leben an die Stelle des guten Willens gesetzt. Der gute Wille schien das menschliche Handeln allzusehr nach dem Vorbild der göttlichen creatio ex nihilo vorzustellen. Das gute Leben dagegen muß der Mensch in seiner Welt führen. Er muß seine Fähigkeiten entwickeln, um seine Gelegenheiten klug zu nutzen und Widerfahrnissen zu begegnen. Zum geglückten Leben gehört, daß wir Glück haben und daß wir es zu schmieden wissen. Zum anderen sind die Sozialwissenschaften wie die Sozial- und Entwicklungspolitik an Standards der Lebensqualität interessiert. Geld allein macht nicht glücklich, aber politische Systeme, die wissen, was Menschen glücklich macht, machen es noch weniger. Doch wenn es zentrale Aufgabe des Staates ist, das individuelle pursuit of happiness zu gewährleisten, ist auch zentrale Frage, welche Bedingungen dieses Glücksstreben behindern und welche es befördern. Dieter Thomäs neueste Sammlung von Gelegenheitsarbeiten steht zu solchen Überlegungen vollkommen quer ("Vom Glück in der Moderne". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 326 S., br., 12,- [Euro]). Das liberale Interesse an Selbsterhaltung wie das sozialkritische Interesse an Selbstbestimmung hätten zur gemeinsamen und falschen Voraussetzung die Vorstellung eines souverän über sich verfügenden und in seiner Verwirklichung sein Glück findenden Subjektes. Das Glück, das uns zufällt, und das Glücksgefühl, das uns überkommt, fräßen demgegenüber Löcher in den allzu geschlossenen Lebenszusammenhang. Deshalb möchte Thomä das "situative Glück" als Stachel gegen die Konzeption des Selbst wenden, auf die sich die Moderne stützt. Erst wenn der Mensch den Glückserfahrungen Raum in seinem Selbstverständnis gebe, werde er gewahr, wie wenig er über sich weiß und wie wenig er seines Lebens Herr ist. Daran ist nun manches seltsam. Erstens war philosophisch der Rückgriff auf die Antike und ihr Verständnis guten Lebens gerade von einer Kritik des verfügenden Subjektes angetrieben. Für Thomä dagegen fungiert Aristoteles mit seinem Begriff der eudaimonia absurderweise als Meisterdenker der Moderne. Zweitens interessiert die Sozialwissenschaft sich für Lebensqualität gerade, weil nicht mehr als ausgemacht gelten kann, was Menschen zu ihrem Glück benötigen, und die Politik fragt gerade nur danach, was die Chancen für das individuelle Glücksstreben verbessert. Thomä dagegen sieht hier überall Agenten moderner Selbstverkennung am Werk. Das Glück stelle sich erst ein, wenn es nicht geplant wird. Nur daß man dann nicht mehr sieht, was Thomä von der Idee trennt, die er am lautesten beschimpft - "die neoliberale Idee, jedem sein eigenes Glück zu überlassen, als handle es sich dabei um eine schmutzige Phantasie". Im übrigen stimmt es drittens einfach nicht, daß moderne Menschen ständig danach fragten, ob ihr Leben als ganzes geglückt ist. Sie suchen vielmehr nach Glücksgefühlen und hoffen auf glückliche Zufälle. Sie sind um eben das situative Glück bemüht, das Thomä als subversiv anpreist. Dabei könnte Thomä am situativen Glück durchaus Subversives aufzeigen, wenn er es denn analysierte. Prousts mémoire involontaire und Joyce' profane Epiphanien, auf die er sich beruft, sind Glücksmomente gerade, weil sie den inneren Zusammenhang des Lebens aufscheinen lassen. Und die beglückende Begegnung macht uns klar, daß wir unser Leben ändern müssen. Jedes situative Glück zielt auf die eudaimonia, auf das gelingende Leben. Indem Thomä diese Intention abschneidet, macht er es zum fun, zum Spaß.

GUSTAV FALKE

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

"Fast auf den Tag genau lässt sich datieren, wann es mit dem Glück philosophisch zu Ende ging." Und es ist Kant, der es auf dem Gewissen hat, meint erheitert der Rezensent Manfred Geier. In dieser Aufsatzsammlung, so Geier, möchte der Philosophieprofessor Dieter Thomä, allen Unglücksraben zum Trotz, besagtes Glück wiederauferstehen lassen, zumindest als ein der Philosophie würdiger Begriff. Zunächst widme sich Thomä den nur als Spuren vorhandenen "Glückvorstellungen" bei Benjamin, Wittgenstein, Adorno und Horkheimer (von dem auch das Motto der Textsammlung stammt: "Wer glücklich ist, bedarf nicht der Bosheit."). Daraufhin versuche er, "gegen die gebildeten Verächter des Glücks eine Verteidigungslinie aufzubauen", indem er erforsche, welche "Bilder des Glücks" in der Kontroverse um den "Neuen Menschen" durchschimmern. Dabei folge Thomä einer doppelten Zielsetzung: einerseits "philosophisch für Klarheit zu sorgen" und aber zugleich "die Komplexität des Problems zu wahren". Und nach Ansicht des Rezensenten ist ihm dies auch gelungen. Thomä liefere weder "Beschreibungen eines glücklichen Lebens" noch eine "begriffliche Analyse", sondern die Erkenntnis dessen, "was nicht mehr gesagt werden kann". Denn das Glück sei mit der Moderne "nomadisierend" geworden. Die paradoxe "Unverfügbarkeit" des Glücks, so Geier, bleibt auch bei Thomä bestehen. Wenn man sie jedoch annehme, könne man glücklich sein. Und somit bleibt wenigstens ein Funken Hoffnung, findet der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH
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