Wenn ökonomische Interessen und ominöse Märkte zur Desintegration der Gesellschaft führen, ist es höchste Zeit, das Primat der Politik zu stärken. Gegenüber der medialen Logik einer 'Darstellungspolitik', bei der es weniger um Inhalte als um Unterhaltung und Quoten geht, gilt es, die Logik der 'Entscheidungspolitik' zu stärken, der es um die Inhalte und Substanz von Politik geht.In den Beiträgen dieses Bandes wird das Spannungsverhältnis zwischen demokratischen Entscheidungsformen und der Praxis vor allem der Bundesregierung beleuchtet; anhand des Politikkonzepts von Hannah Arendt nach den Beziehungen zwischen Parlament und Regierung in unserem Regierungssystem gefragt; ferner werden die Mechanismen und Strukturen herausgearbeitet, mit denen die Realisierung des verfassungsmäßigen Grundsatzes der Geschlechtergleichheit oder auch die Umsetzung der Anti-Diskriminierungsrichtlinien der Europäischen Union in der Bundesrepublik Deutschland immer wieder umgangen werden.»Das Generalthema der 15. Hannah-Arendt-Tage legt den Schwerpunkt auf das Verhältnis von Exekutive und Legislative. Ich halte es nicht grundsätzlich für problematisch, dass ein Großteil der Gesetzesvorhaben in der Exekutive vorbereitet wird. Der deutsche Parlamentstypus ist eine Mischung aus Arbeits- und Redeparlament, die Regierung wird von der Mehrheit der Abgeordneten getragen. Auch die hiermit verbundene Praxis der Fraktionsdisziplin bei Abstimmungen halte ich für legitim. Man könnte sogar die These vertreten, dass diese Fraktionsdisziplin es Lobbyisten erschwert, einzelne Abgeordnete zu ihren Handlangern zu machen. Nicht verhindern kann sie allerdings skandalöse Fälle parlamentarischer Lobbyarbeit wie wir sie gerade am Beispiel des Meldegesetzes erlebt haben. Hier hatten offensichtlich die am Adressenhandel interessierten Kreise nach dem erfolglosen Einwirken auf die Ministerialbürokratie nicht aufgegeben und 'ihr Glück' nunmehr erfolgreich bei den 'zuständigen' Parlamentariern versucht.Was die oben dargestellte Gefährdung des Primats der Politik angeht, so gilt sie für Exekutive und Legislative gleichermaßen. Das Parlament wäre hier allerdings in besonderem Maße aufgerufen 'sinnstiftend' zu wirken und einer Politik der Verantwortungsverweigerung, die sich auf Sachzwänge beruft und 'Alternativlosigkeit' zu ihrem Markenzeichen gemacht hat, entgegenzutreten. Wenn man von einem Legitimitätsverlust des Parlaments spricht und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Integrität von Abgeordneten gefährdet ist, so hat dies andere Gründe.Die aktuelle Eurokrise sowie die mehr oder weniger hilflosen Versuche auch der deutschen Regierung, den Kollaps der Finanzmärkte und damit - wie man uns sagt - auch des gesamten Europäischen Integrationsprojekts - zu verhindern, hat die Ohnmacht des Deutschen Bundestages überdeutlich gemacht. Hieran ändern m. E. auch die Versuche des Bundesverfassungsgerichts nichts, die nur dazu führen, dass Parlamentarier Entscheidungen legitimieren sollen, deren Tragweite und Auswirkungen sie nicht überblicken können.Andere Beispiele sind inzwischen Geschichte. Ich rede von den 'Geheimverhandlungen' der Bundesregierung mit der Stromwirtschaft zur Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke sowie zuvor der ähnlich zustande gekommene Konsens der rot-grünen Bundesregierung mit dem gegenteiligen Inhalt. In beiden Fällen konnte der Bundestag die Vereinbarungen lediglich ratifizieren nicht aber inhaltlich verändern. Die Beispiele sind m. E. heute noch relevant, weil sie die zwangsläufige Konsequenz einer 'Verhandlungsdemokratie' sind, in der von der Exekutive Problemlösungen an 'Runden Tischen' gesucht werden im Kreise der maßgeblich betroffenen Interessenten, unter Ausschluss der Öffentlichkeit und einer politischen Opposition. Da solche Verhandlungen häufig in freiwilligen Vereinbarungen münden und damit den Verzicht auf die Einschaltung des Gesetzgebers zur Folge haben, wird der Souverän hier vollständig übergangen. Transparenz könnte der