Berthold Seliger berichtet über die Neustrukturierung der Märkte in der Musikindustrie. Er nimmt die aktuellen Entwicklungen bei den Konzentrationsprozessen in der deutschen und internationalen Konzertbranche und die dubiosen Tricks im Ticketing zum Anlaß für konkrete Vorschläge, wie man mit konsequenter Gesetzgebung die Machenschaften der Konzerne eindämmen könnte, die die kulturelle Vielfalt gefährden. Seliger erklärt, wie unabhängige Musikclubs, soziokulturelle Zentren und künstlerorientierte Festivals Möglichkeitsräume werden, in denen eine Kultur jenseits der Konzerne stattfinden kann, und wie das Musikstreaming funktioniert. Er beschreibt die soziale Situation von Musikern und Kulturarbeitern und schlägt Lösungen wie Mindestgagen vor. Der Grundgedanke seiner Überlegungen sind immer die Interessen der Musiker und der Konzertbesucher. Nur wenn sich diese gegen die Imperiengeschäfte der Kulturindustrie wehren, wird die kulturelle Vielfalt in unserer Gesellschaft erhalten bleiben.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.11.2019Zurückschlagen gegen das Imperium
Stadionkonzerte und Ticketing sind gigantische Geldmaschinen. „Wie Großkonzerne die kulturelle
Vielfalt zerstören“ heißt ein Buch des Veranstalters Berthold Seliger, über das in München diskutiert wird
VON JÜRGEN MOISES
Es sind die kleinen Clubs und soziokulturellen Zentren, in denen die Kultur entsteht. Und nicht die großen Hallen und Stadien, in denen Künstler meist erst auftreten, wenn sie zu Stars geworden sind. Das ist, okay, eine Binsenweisheit. Aber eine, an die man ab und an erinnern muss, zum Beispiel dann, wenn man vom Imperiengeschäft erzählt. Wie Berthold Seliger, der am Mittwoch in einem solchen Club, dem Münchner Harry Klein mit einem zweistündigen Vortrag sein Buch „Vom Imperiengeschäft“ vorstellte. „Wie Großkonzerne die kulturelle Vielfalt zerstören“ heißt der Untertitel, und wie diese das anstellen, dafür gab es reichlich ernüchterndes Anschauungsmaterial.
Etwa 40 Zuhörer waren gekommen, darunter auch ein paar hiesige Veranstalter, um sich die Ausführungen des Publizisten, Konzertagenten und Tournee-Veranstalters anzuhören. Eingeladen hatte ihn dazu der Verband für Popkultur in Bayern e.V., als Teil einer Veranstaltungsreihe, zu der auch Vorträge in Würzburg, Nürnberg und Regensburg gehörten. Denn, das wurde schnell klar: Die Imperiengeschäfte gehen uns alle an, die sich für Musik, für Live-Konzerte interessieren. Und die sich immer mehr dazu genötigt sehen, viel Geld dafür zu zahlen. Das gilt jedenfalls für große Popkonzerte oder Festivals, hinter denen Großunternehmen stehen, welche die Preise nach oben treiben. Das machen sie, indem sie sich Musiker, Veranstalter und Agenturen, Clubs, Hallen und Festivals einverleiben, zu hohe Vorverkaufsgebühren verlangen, sich spezielle Werbe-Deals und Ticketing-Modelle ausdenken wie Platin- oder VIP-Tickets, ein „dynamisches“ Preissystem oder „Verified Fan“, wo man durch den Merchandise-Kauf Punkte sammeln kann. Mit der Folge, dass Karten für die Rolling Stones bis zu 1000 Euro kosten. Oder man kein Ticket für Taylor Swift bekommt, weil man nicht genügend Bonuspunkte hat.
Die Beteiligung am Ticket-Schwarzmarkt und an Big Data gehört ebenfalls zum Imperiengeschäft. Ein Begriff, den der in Fürstenfeldbruck aufgewachsene, in Berlin lebende Seliger sich aus der Serie „Breaking Bad“ geliehen hat. Damit gemeint ist, dass es den Konzernen rein um Profit und Wachstum gehe, und nicht um die Musik. Die sei eigentlich nur da, um als hippes Produkt Hedgefonds, Private-Equity- und Werbekunden anzulocken. Denn das Hauptgeschäft wird nicht mit Konzerten, sondern mit Advertising, Sponsoring und vor allem Ticketing gemacht. Ein reines Provisionsgeschäft, mit wenig Kosten, wenig Risiko und großen Gewinnmargen, wie Seliger mit Zahlen belegte.
Die Zahlen stammen von Live Nation und CTS Eventim, die mit der Anschutz Entertainment Group (AEG) zu den Big Playern im Konzertgeschäft gehören. Live Nation ist ein börsennotierter US-Medienkonzern, der 2018 etwa 40 000 Konzerte und 104 Festivals in 44 Ländern veranstaltet und über die Teilfirma Ticketmaster 480 Millionen Tickets verkauft hat. Außerdem gehören ihm mehr als 200 Veranstaltungsorte und die Managementfirmen von Madonna und U2. In München hat Live Nation seit 2018 eine Niederlassung, veranstaltet hier Konzerte und im Herbst 2020, so der Plan, das Festival „Superbloom“: ein Ableger des Lollapalooza-Festivals.
Deutschland-Chef von Live Nation ist Marek Lieberberg, der jahrelang „Rock im Park“ in Nürnberg veranstaltet hat. Die Marek Lieberberg Konzertagentur gibt es immer noch, aber die gehört jetzt CTS Eventim. Das börsennotierte Unternehmen hat seinen Sitz in München und war in den vergangenen Monaten in den Medien, weil Andreas Scheuer es mit der Umsetzung der geplatzten Maut beauftragt hat. Ansonsten kennt wohl jeder Konzertgänger CTS Eventim, weil es in Deutschland eine Monopolstellung im Ticket-Verkauf hat. Weshalb auch Seliger oft deren Plattform nutzen muss, genauso wie hiesige Veranstalter. Michael Rapino, Präsident von Live Nation, verdient im Jahr mehr als 70 Millionen Dollar. CTS-Eventim-Gründer Klaus-Peter Schulenberg ist Milliardär, während ein freier Musiker hier im Durchschnitt 14 000 Euro im Jahr verdient. Zumindest, wenn er nicht wie etwa Ed Sheeran zu den Fünf Prozent der Musiker gehört, die 85 Prozent des Umsatzes ausmachen und Teil des Imperiengeschäftes sind. Sie hätten laut Seliger die größte Macht, diese Geschäfte einzudämmen, aber: „Musiker sind nicht immer unsere Freunde“.
Weitere Lösungsvorschläge von Seliger: nichtkommerzielle Ticketplattformen und ein Deckel für Vorverkaufsgebühren. Ein Engagement der Kommunen, die städtische Tickets selbst verkaufen könnten, anstatt Privatunternehmen zu engagieren. Die Zerschlagung von Firmen wie CTS Eventim durch härteres Kartellrecht. Ein Vorgehen, das laut Seliger kein Kommunismus ist, sondern in den USA häufig vorkommt, um den Wettbewerb zu schützen. Ein Fonds, der Verluste bei Clubkonzerten ausgleicht und sich aus Ticketing-Umsätzen speist. Oder ein Kulturraumschutz für Kinos, Buchläden und Clubs wie Harry Klein, dessen Gebäude von einem Investor gekauft wurde und dessen Zukunft unsicher ist. Wie auch die von Künstlern und kleinen Veranstaltern, wenn es mit dem Imperiengeschäft so weiter geht.
Zu seinen Lösungsvorschlägen
gehört ein Kulturraumschutz
für Clubs wie das Harry Klein
Open-Air-Karten für bis zu 1000 Euro? Der Konzertagent und Publizist Berthold Seliger spricht vom „Imperiengeschäft“, zu dem auch hohe Vorverkaufsgebühren, Werbe-Deals und spezielle Ticketing-Modelle gehören. Zu sehen ist das Olympiastadion beim Gastspiel der „Rolling Stones“ 2017.
Foto: anna schnauss/imago/Plusphoto
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Stadionkonzerte und Ticketing sind gigantische Geldmaschinen. „Wie Großkonzerne die kulturelle
Vielfalt zerstören“ heißt ein Buch des Veranstalters Berthold Seliger, über das in München diskutiert wird
VON JÜRGEN MOISES
Es sind die kleinen Clubs und soziokulturellen Zentren, in denen die Kultur entsteht. Und nicht die großen Hallen und Stadien, in denen Künstler meist erst auftreten, wenn sie zu Stars geworden sind. Das ist, okay, eine Binsenweisheit. Aber eine, an die man ab und an erinnern muss, zum Beispiel dann, wenn man vom Imperiengeschäft erzählt. Wie Berthold Seliger, der am Mittwoch in einem solchen Club, dem Münchner Harry Klein mit einem zweistündigen Vortrag sein Buch „Vom Imperiengeschäft“ vorstellte. „Wie Großkonzerne die kulturelle Vielfalt zerstören“ heißt der Untertitel, und wie diese das anstellen, dafür gab es reichlich ernüchterndes Anschauungsmaterial.
Etwa 40 Zuhörer waren gekommen, darunter auch ein paar hiesige Veranstalter, um sich die Ausführungen des Publizisten, Konzertagenten und Tournee-Veranstalters anzuhören. Eingeladen hatte ihn dazu der Verband für Popkultur in Bayern e.V., als Teil einer Veranstaltungsreihe, zu der auch Vorträge in Würzburg, Nürnberg und Regensburg gehörten. Denn, das wurde schnell klar: Die Imperiengeschäfte gehen uns alle an, die sich für Musik, für Live-Konzerte interessieren. Und die sich immer mehr dazu genötigt sehen, viel Geld dafür zu zahlen. Das gilt jedenfalls für große Popkonzerte oder Festivals, hinter denen Großunternehmen stehen, welche die Preise nach oben treiben. Das machen sie, indem sie sich Musiker, Veranstalter und Agenturen, Clubs, Hallen und Festivals einverleiben, zu hohe Vorverkaufsgebühren verlangen, sich spezielle Werbe-Deals und Ticketing-Modelle ausdenken wie Platin- oder VIP-Tickets, ein „dynamisches“ Preissystem oder „Verified Fan“, wo man durch den Merchandise-Kauf Punkte sammeln kann. Mit der Folge, dass Karten für die Rolling Stones bis zu 1000 Euro kosten. Oder man kein Ticket für Taylor Swift bekommt, weil man nicht genügend Bonuspunkte hat.
Die Beteiligung am Ticket-Schwarzmarkt und an Big Data gehört ebenfalls zum Imperiengeschäft. Ein Begriff, den der in Fürstenfeldbruck aufgewachsene, in Berlin lebende Seliger sich aus der Serie „Breaking Bad“ geliehen hat. Damit gemeint ist, dass es den Konzernen rein um Profit und Wachstum gehe, und nicht um die Musik. Die sei eigentlich nur da, um als hippes Produkt Hedgefonds, Private-Equity- und Werbekunden anzulocken. Denn das Hauptgeschäft wird nicht mit Konzerten, sondern mit Advertising, Sponsoring und vor allem Ticketing gemacht. Ein reines Provisionsgeschäft, mit wenig Kosten, wenig Risiko und großen Gewinnmargen, wie Seliger mit Zahlen belegte.
Die Zahlen stammen von Live Nation und CTS Eventim, die mit der Anschutz Entertainment Group (AEG) zu den Big Playern im Konzertgeschäft gehören. Live Nation ist ein börsennotierter US-Medienkonzern, der 2018 etwa 40 000 Konzerte und 104 Festivals in 44 Ländern veranstaltet und über die Teilfirma Ticketmaster 480 Millionen Tickets verkauft hat. Außerdem gehören ihm mehr als 200 Veranstaltungsorte und die Managementfirmen von Madonna und U2. In München hat Live Nation seit 2018 eine Niederlassung, veranstaltet hier Konzerte und im Herbst 2020, so der Plan, das Festival „Superbloom“: ein Ableger des Lollapalooza-Festivals.
Deutschland-Chef von Live Nation ist Marek Lieberberg, der jahrelang „Rock im Park“ in Nürnberg veranstaltet hat. Die Marek Lieberberg Konzertagentur gibt es immer noch, aber die gehört jetzt CTS Eventim. Das börsennotierte Unternehmen hat seinen Sitz in München und war in den vergangenen Monaten in den Medien, weil Andreas Scheuer es mit der Umsetzung der geplatzten Maut beauftragt hat. Ansonsten kennt wohl jeder Konzertgänger CTS Eventim, weil es in Deutschland eine Monopolstellung im Ticket-Verkauf hat. Weshalb auch Seliger oft deren Plattform nutzen muss, genauso wie hiesige Veranstalter. Michael Rapino, Präsident von Live Nation, verdient im Jahr mehr als 70 Millionen Dollar. CTS-Eventim-Gründer Klaus-Peter Schulenberg ist Milliardär, während ein freier Musiker hier im Durchschnitt 14 000 Euro im Jahr verdient. Zumindest, wenn er nicht wie etwa Ed Sheeran zu den Fünf Prozent der Musiker gehört, die 85 Prozent des Umsatzes ausmachen und Teil des Imperiengeschäftes sind. Sie hätten laut Seliger die größte Macht, diese Geschäfte einzudämmen, aber: „Musiker sind nicht immer unsere Freunde“.
Weitere Lösungsvorschläge von Seliger: nichtkommerzielle Ticketplattformen und ein Deckel für Vorverkaufsgebühren. Ein Engagement der Kommunen, die städtische Tickets selbst verkaufen könnten, anstatt Privatunternehmen zu engagieren. Die Zerschlagung von Firmen wie CTS Eventim durch härteres Kartellrecht. Ein Vorgehen, das laut Seliger kein Kommunismus ist, sondern in den USA häufig vorkommt, um den Wettbewerb zu schützen. Ein Fonds, der Verluste bei Clubkonzerten ausgleicht und sich aus Ticketing-Umsätzen speist. Oder ein Kulturraumschutz für Kinos, Buchläden und Clubs wie Harry Klein, dessen Gebäude von einem Investor gekauft wurde und dessen Zukunft unsicher ist. Wie auch die von Künstlern und kleinen Veranstaltern, wenn es mit dem Imperiengeschäft so weiter geht.
Zu seinen Lösungsvorschlägen
gehört ein Kulturraumschutz
für Clubs wie das Harry Klein
Open-Air-Karten für bis zu 1000 Euro? Der Konzertagent und Publizist Berthold Seliger spricht vom „Imperiengeschäft“, zu dem auch hohe Vorverkaufsgebühren, Werbe-Deals und spezielle Ticketing-Modelle gehören. Zu sehen ist das Olympiastadion beim Gastspiel der „Rolling Stones“ 2017.
Foto: anna schnauss/imago/Plusphoto
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