Von Gott angeredet: Zeugnisse des lebendigen Christseins im Angesicht Gottes
Unter dem „inneren Wort“ ist jener mystische Vorgang im Menschen zu verstehen, der in einer Einsprache Gottes im Menschen geschieht. Der Dialog, den der lebendige Gott mit dem Menschen führt, gibt diesem die Würde,
gnadenhaft Anteil am Logos Gottes zu empfangen: jenem ewigen Wort, das in Jesus Christus von Nazareth…mehrVon Gott angeredet: Zeugnisse des lebendigen Christseins im Angesicht Gottes
Unter dem „inneren Wort“ ist jener mystische Vorgang im Menschen zu verstehen, der in einer Einsprache Gottes im Menschen geschieht. Der Dialog, den der lebendige Gott mit dem Menschen führt, gibt diesem die Würde, gnadenhaft Anteil am Logos Gottes zu empfangen: jenem ewigen Wort, das in Jesus Christus von Nazareth Mensch geworden ist. „Meine Schafe hören Meine Stimme, und Ich kenne sie und sie folgen Mir“ (Johannes 10,27). Oder an anderer Stelle: „Es steht geschrieben in den Propheten: Sie werden alle von Gott gelehrt sein“ (Johannes 6,45; vgl. auch Jesaja 54,13 und Jeremia 31,34). Der Mensch erfährt sich so als geliebtes Geschöpf Gottes, als beschenktes Gegenüber im „Du“ Gottes.
Von diesem personalen Anredeerlebnis zeugen nicht nur die alttestamentlichen Propheten oder die Schriften des Neuen Testaments, die eine Frucht sind des pfingstlichen Ereignisses der Ausgießung des Heiligen Geistes über die Jünger Jesu Christi, da sie anfingen, „in anderen Sprachen zu reden, wie ihnen der Geist eingab auszusprechen“ (Apostelgeschichte 2, Vers 4). Diese lebendige Erfahrung der unmittelbaren Gottesanrede ist vielmehr eine christliche Grunderfahrung aller großen Mystiker und der ungezählten Schar jener „Stillen im Lande“ (Psalm 35, Vers 20), deren Namen zwar in keinem irdischen Buch genannt werden, die am Thron Gottes aber wohlbekannt sind.
Johann Tennhardt (1661-1720) ist einer jener Mystiker, die dieses lebendige Wirken und Reden des Heiligen Geistes erfahren haben. Schon früh erkannte er den Wert des inneren Gebets, das er wie alle christlichen Mystiker als ein Reden des Herzens mit Gott empfand und das er gewissenhaft pflegte. Die geheimnisvolle Berührung, die im Gebet zwischen Gott und Mensch stattfindet, durfte er schließlich gnadenhaft an sich erfahren: Ab seinem 43. Lebensjahr sprach der Herr fast täglich durch die innere Stimme zu ihm. Aus dieser lebendigen Gotteserfahrung heraus schrieb Tennhardt seine „Kurze Unterweisung vom inneren Wort Gottes“. Er wählte dazu, wie dies früher öfter geschah, die lehrhafte Form des Gesprächs zwischen Jünger und Meister. Ein Beispiel: „Was ist denn eigentlich das innere Wort?“ „Es ist nichts anderes, als eine unmittelbare freundliche Rede Gottes in Jesus Christus durch den Heiligen Geist mit Seinen Kindern und allen wahrhaft Gläubigen im inwendigsten Grunde ihrer Seele, zu ihrer täglichen Unterweisung und zu ihrem ewigen Heil. Davon haben (Johannes) Tauler und viele andere sehr viel erfahren und geschrieben.“
Die anschließenden Auszüge aus dem Neuoffenbarungswerk von Jakob Lorber hingegen sprechen mich nicht an, weshalb ich sie in dieser Rezension übergehe. Im Abgleich mit der bibelgemäßen Gottesoffenbarung in der Heiligen Schrift ergeben sich für mich zu viele Abweichungen und Fragwürdigkeiten; außerdem fehlt mir die Einordnung, dass es in der Geisteswelt nicht nur die Stimme Gottes gibt, sondern auch irreführende, dämonische Stimmphänomene, und dass solche eingesprochenen Worte Gottes einem geistlichen Reifungsprozess unterliegen und sich am Gesamtmaßstab der Heiligen Schrift prüfen lassen müssen.
Wertvoll wiederum sind ab Seite 95 die zahlreichen Zeugnisse begnadeter Menschen über das innere Wort. Hier finden sich schöne Zitate von: Augustinus, Athanasius, Hieronymus, Bernhard von Clairvaux, Hildegard von Bingen, Mechthild von Magdeburg, Meister Eckehart, Jan van Ruysbroeck, Johannes Tauler, Thomas von Kempen, Martin Luther, Philipp Melanchthon, Dr. Smithens, Hans Denck, Sebastian Franck, Valentin Weigel, Johannes vom Kreuz, Theresia von Avila, Jakob Böhme, Johann Arndt, Johann Wilhelm Petersen, George Fox, Gottfried Arnold, Jeanne-Marie Guyon, Gerhard Tersteegen, Walt Whitman, Sadhu Sundar Singh, Sri Aurobindo, Georg Riehle und Otto Hillig. -- Insgesamt vergebe ich 4 Sterne, weil mir, wie gesagt, in diesem Werk wichtige geistliche Unterscheidungskriterien für das Hören der Stimme Gottes fehlen, die aufgrund der Thematik unverzichtbar sind.
Meine Favoriten bleiben jedoch die beiden Andachtsbücher „Gott spricht mit mir“, Band 1 und 2, herausgegeben von dem evangelischen Pfarrer Reiner-Friedemann Edel, außerdem die Schriften von Sadhu Sundar Singh, Paul Riedinger, Joseph Hahn, Johannes Gommel, Eduard Weitzel und Markus Hauser.