Hochrangige Zeitzeugen - unter ihnen die ehemaligen Verteidigungsminister Leber, Apel und Stoltenberg sowie die Generale Altenburg, Graf Kielmansegg, de Maizière, Naumann und Schmückle - berichten über die Schlüsselereignisse aus fünfzig Jahren deutscher Militärgeschichte nach 1945. Ausgewiesene Sachkenner - Wissenschaftler aus Universitäts- und Forschungsinstituten - analysieren sie unter Einbeziehung auch neuer sowjetischer Quellen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.04.1996Meister der Militärpolitik
Zur Geschichte der Bundeswehr gehören auch ihre Krisen
Vom Kalten Krieg zur deutschen Einheit. Analysen und Zeitzeugenberichte zur deutschen Militärgeschichte 1945 bis 1995. Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes herausgegeben von Bruno Thoß. R. Oldenbourg Verlag, München 1995. XVIII, 743 Seiten, 78,- Mark.
Das ist schon eine bewundernswerte Zielsetzung: die ersten vierzig Jahre der Bundeswehr zu analysieren und durch Berichte von Zeitzeugen zu beleben. In der Tat ist es gelungen, eine beachtliche Schar von kompetenten Fachleuten und Zeitzeugen für diese Aufgabe zu gewinnen. Doch nicht immer sind sie dem heutigen Leser bekannt. Die Herausgeber hätten sie gründlicher vorstellen sollen. Nur auf einige der hervorragenden Beiträge kann hier verwiesen werden: Eindrucksvoll berichtet Rolf Friedmann über "Adenauer und die Soldaten"; Georg Meyer wagt einen faszinierenden Vergleich zwischen Heusinger/Speidel auf der einen Seite und Vincenz Müller auf der anderen; gut sind die von Gerhard Wettig und Bruno Thoß verfaßten Beiträge zur Vorgeschichte der Wiederbewaffnung. Aus der Aufbauzeit der Bundeswehr wie aus der Übernahme der NVA erhält man bewegende Einblicke auch in menschliche Probleme, bis hin zu den komplexen Aufgaben der Militärseelsorge und der Verwaltung.
Wie kaum anders zu erwarten, findet man die bündnispolitische Problematik am besten dargestellt. Hochqualifizierte Autoren dazu sind in diesem Buch eher überrepräsentiert. Da spiegelt sich wohl auch das Bild vom heutigen deutschen General wider, der offensichtlich in erster Linie ein Meister der Militärpolitik zu sein hat. Man fragt sich: War denn gar kein General zu finden, der kompetent etwas zur Ausbildung in der Truppe gesagt hätte, zu den Problemen der Personalführung bis hin zum inneren Gefüge? Aber bitte nicht die bekannten Allgemeinplätze hoher Repräsentanten! Für solche Fragen schien der Herausgeber wenig Sinn zu haben. Wenigstens aus der Frühzeit der Bundeswehr erfahren wir von den Problemen der Ausbildung; und das von einem der Fliegerasse (Günter Rall).
Eine gewisse Distanz des Herausgebers zu den Problemen der Truppe zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Werk. So hat er das Kernproblem der Inneren Führung einem kaum bekannten Autor (über dessen Kompetenz für dieses Thema der Leser gern etwas mehr wüßte) zugeordnet. So wird man dann erst einmal mit einer längeren Vorgeschichte über die Wiederaufrüstung konfrontiert, über die schon Kompetentere in anderen Beiträgen berichtet haben. Aber man erfährt nichts über die Diskussion um den Begriff der Inneren Führung, nichts über das Ringen um die Grundpflicht des Soldaten, nichts über das Wofür! Auch ist die Geschichte der Inneren Führung nicht ohne die (umstrittene) Person Baudissins zu verstehen. Die damit verbundene Problematik hätte wohl eher eine eigene Abhandlung verdient. Vor allem fehlt ein Hinweis auf das Problem der Personalführung in diesem Zusammenhang. Den für all diese Fragen wirklich kompetenten General de Maizière dagegen läßt man in diesem Band lediglich mit seinen Erfahrungen als Schulkommandeur zu Wort kommen.
Ein erschreckender Mangel an Ausgewogenheit dieses Buches wird offenkundig, indem zwar die Amtszeit der drei SPD-Verteidigungsminister (deren Verdienste unbestritten sind) dargestellt wird, man aber von der schwierigen Aufgabe des ersten Ministers (Blank) nur indirekt erfährt. Wenig auch von den zahlreichen Krisen der Bundeswehr: Nur der Starfighterkrise ist ein eigener Beitrag gewidmet. Vom Iller-Unglück und dessen Folgen für die weitere Aufstellung der Bundeswehr, von der Krise um den Wehrbeauftragten, vom Schnez-Papier, der Generalskrise 1966, von den "Hauptleuten von Unna" und den "Leutnanten 70" erfährt der Leser allenfalls am Rande. Die heißumstrittene Bildungsreform wird einseitig gepriesen, der Haar-Erlaß von 1970, der das innere Gefüge der Truppe schwer belastet hat, wird von einem Autor spaßig abgetan. Weder der Anrede-Erlaß findet Erwähnung noch die Diskussion um die neue Laufbahn der "Fach-Offiziere".
All diese Probleme sind aus der Geschichte der Bundeswehr nicht wegzudenken - so ungern mancher heute daran erinnert wird. Man hätte sie nicht ausblenden dürfen. Da hätte man sich eher einige Beiträge ersparen können, die mehr von der Selbstdarstellung der Autoren bestimmt erscheinen und mitunter dem Leser einiges zumuten - oder aber inhaltlich überflüssig sind. So der Aufbau einer technischen Unteroffiziersschule in Vietnam durch die NVA. Von den Unteroffiziersschulen der Bundeswehr ist nicht die Rede, schon gar nicht von den Problemen der Unterführerausbildung, mit denen wir bis heute nicht so richtig fertig geworden sind.
Von der Traditionsfrage ganz zu schweigen! Daß man auch Autoren aufgenommen hat, die aus der NVA stammen, verdient Zustimmung. Einige dieser Beiträge wirken bereichernd. Statt aber nun die Rolle der NVA in der Tschechen-Krise von 1968 zweimal zu bedenken, hätte man lieber etwas über das innere Gefüge der einstigen NVA erfahren.
Man mag darüber streiten, ob einem solchen Werk die Bebilderung bekommt. Hier hat es zumindest bei der Auswahl an der erforderlichen Sensibilität gefehlt. Einige Bilder wirken in der Tat bereichernd, so eine "Gesprächsrunde im Amt Blank" wie die "Ernennung der ersten Generale der Bundeswehr". Die meisten Bilder bringen wenig oder nichts, wie "der Campus der Bundeswehruniversität" und eine Außensicht der "Schule für Innere Führung", einige erregen gar den Verdacht der Selbstdarstellung der Autoren.
Einem historisch angelegten Werk hätte es besser angestanden, dem Leser die in den vierzig Jahren verantwortlichen Persönlichkeiten nahezubringen. Statt dessen findet man die aus dem täglichen Fernsehen zur Genüge bekannten derzeitigen Amtsträger gleich mehrmals abgelichtet. So etwas bringt das ganze Buch in den Geruch einer Werbeschrift. Und das hat es bei aller Kritik wirklich nicht verdient. Nein, es ist lesenswert! Allein schon wegen der ausgezeichneten Beiträge, die hier nicht alle genannt werden konnten. Bleibt nur zu bedauern, daß die Chance nicht genutzt wurde, mehr daraus zu machen. GÜNTER KIESSLING
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zur Geschichte der Bundeswehr gehören auch ihre Krisen
Vom Kalten Krieg zur deutschen Einheit. Analysen und Zeitzeugenberichte zur deutschen Militärgeschichte 1945 bis 1995. Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes herausgegeben von Bruno Thoß. R. Oldenbourg Verlag, München 1995. XVIII, 743 Seiten, 78,- Mark.
Das ist schon eine bewundernswerte Zielsetzung: die ersten vierzig Jahre der Bundeswehr zu analysieren und durch Berichte von Zeitzeugen zu beleben. In der Tat ist es gelungen, eine beachtliche Schar von kompetenten Fachleuten und Zeitzeugen für diese Aufgabe zu gewinnen. Doch nicht immer sind sie dem heutigen Leser bekannt. Die Herausgeber hätten sie gründlicher vorstellen sollen. Nur auf einige der hervorragenden Beiträge kann hier verwiesen werden: Eindrucksvoll berichtet Rolf Friedmann über "Adenauer und die Soldaten"; Georg Meyer wagt einen faszinierenden Vergleich zwischen Heusinger/Speidel auf der einen Seite und Vincenz Müller auf der anderen; gut sind die von Gerhard Wettig und Bruno Thoß verfaßten Beiträge zur Vorgeschichte der Wiederbewaffnung. Aus der Aufbauzeit der Bundeswehr wie aus der Übernahme der NVA erhält man bewegende Einblicke auch in menschliche Probleme, bis hin zu den komplexen Aufgaben der Militärseelsorge und der Verwaltung.
Wie kaum anders zu erwarten, findet man die bündnispolitische Problematik am besten dargestellt. Hochqualifizierte Autoren dazu sind in diesem Buch eher überrepräsentiert. Da spiegelt sich wohl auch das Bild vom heutigen deutschen General wider, der offensichtlich in erster Linie ein Meister der Militärpolitik zu sein hat. Man fragt sich: War denn gar kein General zu finden, der kompetent etwas zur Ausbildung in der Truppe gesagt hätte, zu den Problemen der Personalführung bis hin zum inneren Gefüge? Aber bitte nicht die bekannten Allgemeinplätze hoher Repräsentanten! Für solche Fragen schien der Herausgeber wenig Sinn zu haben. Wenigstens aus der Frühzeit der Bundeswehr erfahren wir von den Problemen der Ausbildung; und das von einem der Fliegerasse (Günter Rall).
Eine gewisse Distanz des Herausgebers zu den Problemen der Truppe zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Werk. So hat er das Kernproblem der Inneren Führung einem kaum bekannten Autor (über dessen Kompetenz für dieses Thema der Leser gern etwas mehr wüßte) zugeordnet. So wird man dann erst einmal mit einer längeren Vorgeschichte über die Wiederaufrüstung konfrontiert, über die schon Kompetentere in anderen Beiträgen berichtet haben. Aber man erfährt nichts über die Diskussion um den Begriff der Inneren Führung, nichts über das Ringen um die Grundpflicht des Soldaten, nichts über das Wofür! Auch ist die Geschichte der Inneren Führung nicht ohne die (umstrittene) Person Baudissins zu verstehen. Die damit verbundene Problematik hätte wohl eher eine eigene Abhandlung verdient. Vor allem fehlt ein Hinweis auf das Problem der Personalführung in diesem Zusammenhang. Den für all diese Fragen wirklich kompetenten General de Maizière dagegen läßt man in diesem Band lediglich mit seinen Erfahrungen als Schulkommandeur zu Wort kommen.
Ein erschreckender Mangel an Ausgewogenheit dieses Buches wird offenkundig, indem zwar die Amtszeit der drei SPD-Verteidigungsminister (deren Verdienste unbestritten sind) dargestellt wird, man aber von der schwierigen Aufgabe des ersten Ministers (Blank) nur indirekt erfährt. Wenig auch von den zahlreichen Krisen der Bundeswehr: Nur der Starfighterkrise ist ein eigener Beitrag gewidmet. Vom Iller-Unglück und dessen Folgen für die weitere Aufstellung der Bundeswehr, von der Krise um den Wehrbeauftragten, vom Schnez-Papier, der Generalskrise 1966, von den "Hauptleuten von Unna" und den "Leutnanten 70" erfährt der Leser allenfalls am Rande. Die heißumstrittene Bildungsreform wird einseitig gepriesen, der Haar-Erlaß von 1970, der das innere Gefüge der Truppe schwer belastet hat, wird von einem Autor spaßig abgetan. Weder der Anrede-Erlaß findet Erwähnung noch die Diskussion um die neue Laufbahn der "Fach-Offiziere".
All diese Probleme sind aus der Geschichte der Bundeswehr nicht wegzudenken - so ungern mancher heute daran erinnert wird. Man hätte sie nicht ausblenden dürfen. Da hätte man sich eher einige Beiträge ersparen können, die mehr von der Selbstdarstellung der Autoren bestimmt erscheinen und mitunter dem Leser einiges zumuten - oder aber inhaltlich überflüssig sind. So der Aufbau einer technischen Unteroffiziersschule in Vietnam durch die NVA. Von den Unteroffiziersschulen der Bundeswehr ist nicht die Rede, schon gar nicht von den Problemen der Unterführerausbildung, mit denen wir bis heute nicht so richtig fertig geworden sind.
Von der Traditionsfrage ganz zu schweigen! Daß man auch Autoren aufgenommen hat, die aus der NVA stammen, verdient Zustimmung. Einige dieser Beiträge wirken bereichernd. Statt aber nun die Rolle der NVA in der Tschechen-Krise von 1968 zweimal zu bedenken, hätte man lieber etwas über das innere Gefüge der einstigen NVA erfahren.
Man mag darüber streiten, ob einem solchen Werk die Bebilderung bekommt. Hier hat es zumindest bei der Auswahl an der erforderlichen Sensibilität gefehlt. Einige Bilder wirken in der Tat bereichernd, so eine "Gesprächsrunde im Amt Blank" wie die "Ernennung der ersten Generale der Bundeswehr". Die meisten Bilder bringen wenig oder nichts, wie "der Campus der Bundeswehruniversität" und eine Außensicht der "Schule für Innere Führung", einige erregen gar den Verdacht der Selbstdarstellung der Autoren.
Einem historisch angelegten Werk hätte es besser angestanden, dem Leser die in den vierzig Jahren verantwortlichen Persönlichkeiten nahezubringen. Statt dessen findet man die aus dem täglichen Fernsehen zur Genüge bekannten derzeitigen Amtsträger gleich mehrmals abgelichtet. So etwas bringt das ganze Buch in den Geruch einer Werbeschrift. Und das hat es bei aller Kritik wirklich nicht verdient. Nein, es ist lesenswert! Allein schon wegen der ausgezeichneten Beiträge, die hier nicht alle genannt werden konnten. Bleibt nur zu bedauern, daß die Chance nicht genutzt wurde, mehr daraus zu machen. GÜNTER KIESSLING
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