Die erste umfassende und hoch gelobte Analyse des Niedergangs der jahrhundertealten Herrschaftselite des deutschen Adels. Die Selbstzerstörung adliger Traditionen und Werte, die im Kaiserreich mit der Annäherung an rechtsradikale Bewegungen beginnt, kulminiert in der widersprüchlichen Mitwirkung in der NS-Bewegung.
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Noch nie ist das Scheitern des deutschen Konservativismus in Kaiserreich, Weimarer Republik und 'Drittem Reich' so scharfsinnig dargestellt worden wie hier. Die Zeit
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.12.2003Nehmen Sie doch Platz, Durchlaucht!
Das ambivalente Verhältnis von Nähe und Distanz zwischen deutschem Adel und Nationalsozialismus
Stephan Malinowski: Vom König zum Führer. Sozialer Niedergang und politische Radikalisierung im deutschen Adel zwischen Kaiserreich und NS-Staat. Akademie Verlag, Berlin 2003. 660 Seiten, 59,80 [Euro].
Mit Hinweis auf das Attentat vom 20. Juli 1944 und auf die so bewiesene Zugehörigkeit zum moralisch besseren "anderen Deutschland" konnten die Adligen in der Bundesrepublik dem Vorwurf begegnen, zu den Totengräbern der ersten deutschen Republik, ja zu den Steigbügelhaltern Hitlers gezählt zu haben. Im Laufe der Jahrzehnte verdunkelte sich dieses identitätsstiftende Selbstbildnis allmählich. Es ist jedoch noch nie in so schwarzen Farben gemalt worden wie in der quellengesättigten und brillanten Studie von Stephan Malinowski. Für ihn steht fest, daß "die große Mehrheit der adligen Verschwörer des 20. Juli 1944 zu den aktiven Gegnern der Republik und zu den Sympathisanten des Kompromisses vom 30. Januar 1933" gehörte. Zum anderen hebt er hervor, daß adlige Widerstandskämpfer nur "eine winzige Minderheit" darstellten, "die in ihrem professionellen Umfeld ebenso wie innerhalb des Adels gegen erdrückende Mehrheiten agierten, in denen die Arrangements mit dem NS-Staat unerschüttert blieben".
Im Mittelpunkt der Untersuchung steht der großenteils verarmte und sozial destabilisierte Kleinadel, der sich nach der "als Weltuntergang erlebten Revolution" von 1918 immer weiter von den bürgerlichen Eliten entfernte. Durch die Flucht des Kaisers ins Exil entstand ein Vakuum, das auch im Adel in kurzer Zeit mit diffusen Sehnsüchten nach einem "Diktator" oder "Führer" ausgefüllt worden sei: "Hitler, der tapfere Meldegänger, EK-I-Träger und Gasversehrte, hatte innerhalb einer Gesellschaft, für die der Krieg das bedeutendste, von allen geteilte Grundtrauma blieb, ebenjene Visitenkarte, die Wilhelm II. durch seinen Soldatentod dem deutschen Monarchismus als symbolisches Vermächtnis hinterlassen konnte, aber nicht hinterließ."
Den Graben zwischen tatsächlicher materieller Knappheit und angeblich angeborener oder anerzogener Führungsqualitäten wollte der Kleinadel durch spezifisch als blaublütig empfundene Eigenschaften wie Haltung, Härte und Charakter überbrücken und sich damit bewußt von bürgerlichen Leitideen wie Bildung und Reichtum abgrenzen. Malinowski diagnostiziert hier treffend eine "Kombination von mäßigen Mitteln und maßlosen Ansprüchen".
Neben der Antibürgerlichkeit bildete der Antisemitismus eine weitere Gemeinsamkeit mit dem Nationalsozialismus. Malinowski widmet sich ausführlich der Einführung von "Arierparagraphen" in diversen Adelsverbänden nach dem Ersten Weltkrieg sowie dem Projekt einer nach rassischen Kriterien geführten Adelsmatrikel. Die Deutsche Adelsgenossenschaft (DAG) als größter Adelsverband debattierte bereits am 22. Juni 1920 über eine von völkisch orientierten Mitgliedern beantragte Statutenänderung. Der DAG-Vorsitzende Friedrich von Berg nahm noch an, daß es lediglich um die zukünftige Vermeidung "jüdischer Heiraten" gehen könne, nicht jedoch darum, "völlig deutsch fühlende Standesgenossen, die jüdisches Blut in den Adern haben, zu kränken". Mit dieser moderaten Position konnte er sich nicht durchsetzen. Die angenommene Formulierung lautete: "Wer unter seinen Vorfahren im Mannesstamme einen nach dem Jahre 1800 geborenen Nichtarier hat oder zu mehr als einem Viertel anderer als arischer Rasse entstammt, oder mit jemand verheiratet ist, bei dem dies zutrifft, kann nicht Mitglied der DAG werden." Sechs Jahre später verkündete die DAG stolz, sie habe sich "die Pflege der Rassenfrage und die Verfolgung der Ergebnisse der Rassenforschung zur besonderen Aufgabe gemacht. Als erste von allen völkischen Organisationen knüpft sie an die Aufnahme den Nachweis gewisser Blutsreinheit und sucht durch Aufklärung und Belehrung ihrer Jugend den Blick für die Rassenreinheit zu schärfen."
Noch deutlicher als beim "Arierparagraphen" zeigte sich die völkische Umdeutung des Adelsbegriffs bei dem Versuch, eine den gesamten Adel erfassende Matrikel einzuführen. Sie sollte nicht zuletzt vor der Gründung "unechter Stämme" - also vor Scheinadel - schützen, der beispielsweise durch das beliebte Tauschgeschäft Adoption gegen Geld oder durch Namensschwindel drohte. Daraus entstand das "Eiserne Buch deutschen Adels deutscher Art" - kurz EDDA -, dessen erster Band 1925 erschien. Eine EDDA-Eintragung erforderte die "schriftliche Erklärung, daß der Bewerber . . . nach bestem Wissen und Gewissen unter seinen oder seines Ehegatten 32 Vorfahren von Vaters und Mutters Seite in der obersten Reihe keinen oder höchstens einen Semiten oder Farbigen hat". Beratungsstellen zur "Blutsentmischung" wurden eingerichtet, die entweder zu einer "Aufnordung" durch Gattenwahl oder im Extremfall zur Enthaltsamkeit rieten, um einen "verunreinigten Familienzweig" zum "Absterben" zu bringen. Bis 1931 hatten sich allerdings nur 508 Familien mit 3158 Eintragungen erfassen lassen, was weit hinter den Erwartungen der EDDA-Initiatoren zurückblieb. Die Gründe reichten laut Malinowski "von dezidierter Ablehnung über Desinteresse bis zu den zeit- und kostenintensiven genealogischen Nachforschungen, die mit einem Eintrag verbunden waren".
Der südwestdeutsche und der bayerische Adel standen dem völkischen Kampfkurs in den zwanziger Jahren ablehnend gegenüber. Auch nach 1933 pflegten die katholischen Familienverbände eine Distanz zum Nationalsozialismus, die beim deklassierten ostelbischen protestantischen Kleinadel, der auf einen Aufstieg im Dienst der "Bewegung" hoffte, nur äußerst selten zu finden war. Malinowski weist jedoch darauf hin, daß selbst eine so starke Barriere gegen den Nationalsozialismus wie die "Kombination von ungebrochenem Reich und Katholizismus" im Zuge der "Machtergreifung" hin und wieder nachgab. Als prominentes Beispiel unter den süddeutschen Fürsten führt er Max Egon zu Fürstenberg an, der bis 1933 durch Korrespondenzen und Besuche dem exilierten Kaiser in Doorn die Treue hielt, dann aber auf den "Führer" umschwenkte. Bei einem Empfang im November 1933 war er begeistert von dem "unbeschreiblich lieben, freundlichen, lächelnden Gesicht" des Diktators. Der siebzigjährige Fürst führte sich bei Hitler als SA-Mann ein: "Ich meldete mich mit erhobener Hand als: zur SA überführt und zum Stabe der Standarte 470 Freiburg kommandiert, was der dankend in wirklich bezaubernd netter Weise entgegennahm und mir gleich sagte, aber nehmen Sie doch Platz, Durchlaucht." Für Fürstenberg war es "herrlich, diesem einzig großen Mann gegenüberstehen zu dürfen".
Malinowski weiß natürlich, daß es "den" deutschen Adel nicht gab. Daher unterscheidet er nicht nur zwischen den einzelnen Regionen, sondern auch zwischen Grandseigneurs, Kleinadel und Adelsproletariat. Ihm geht es vornehmlich darum, mit Hilfe von vielfältigen sprechenden Zitaten adlige Leitbilder und Wahrnehmungsmuster zu rekonstruieren. Zum ambivalenten Verhältnis von Nähe und Distanz zwischen Adel und Nationalsozialismus stellt er überzeugend fest: "Die Tatsache, daß Fürsten sich weiterhin als ,Durchlaucht' anreden ließen, Adlige den Hitlergruß verweigerten, an Festtafeln Toasts auf den Kaiser aufbrachten und auf den Dächern ihrer Schlösser und Gutshäuser die falschen Flaggen wehen ließen, verweist auf Residuen, in denen der Adelshabitus der Zerstörung durch die Werkzeuge des totalen Staates erfolgreich entzogen wurde. Erkennbar wird eine erhebliche Distanz in einzelnen sozio-kulturellen Bereichen, die man ernst nehmen, mit einem jedoch nicht verwechseln sollte: mit einer vermeintlichen Prädisposition des Adels zum Widerstand."
Der abschätzige Blick auf den "braunen Pöbel" zeuge allgemein von der Stabilität des Herrschaftshabitus, jedoch nur bei einer kleinen Minderheit von politisch relevanter "Resistenz". Weit treffender als mit dem einst von Martin Broszat in die Widerstandsforschung eingeführten Begriff "Resistenz" ließen sich solche standesgemäßen Handlungen mit dem Begriff "loyale Widerwilligkeit" umschreiben - noch besser sogar mit dem von Alf Lüdke vorgeschlagenen "Eigen-Sinn". Lüdkes Begriff lasse sich zweiseitig verwenden. Aus der "Vorderseite" des unübersehbaren Eigen-Sinns, der im adligen Habitus erhalten geblieben sei, ließe sich ein Teil der eindrucksvollen "Haltung" ableiten, die durch die "seltenen Widerstandsbiographien" bekannt sei. Wichtiger sei jedoch die "Rückseite" des Eigen-Sinns: Weil in adligen Lebenswelten Residuen erhalten blieben, die nicht "durchherrscht" waren, und in diesen Schutzräumen "die eigenen kulturellen Codes weitergelebt wurden", sei das Einverständnis groß genug gewesen, um sich der nationalsozialistischen Herrschaft nicht entgegenzustellen. In diesem Sinne habe der adlige Eigen-Sinn sogar zur Stabilisierung des Nationalsozialismus beigetragen.
Rechtzeitig vor dem sechzigsten Jahrestag des 20. Juli hat Stephan Malinowski mit seiner wichtigen Studie die Proportionen in der Geschichte des deutschen Widerstandes zurechtgerückt und die lange Zeit maßgebliche adlig-schöngefärbte Sicht von Marion Gräfin Dönhoff und anderen in Frage gestellt. Trotzdem strahlen entschlossene und mutige Ausnahmeerscheinungen wie Ulrich von Hassell, Helmuth James Graf von Moltke, Adam von Trott zu Solz, Henning von Tresckow und Claus Schenk Graf von Stauffenberg aus den finsteren Zeiten noch heller in die Gegenwart hinein.
RAINER BLASIUS
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das ambivalente Verhältnis von Nähe und Distanz zwischen deutschem Adel und Nationalsozialismus
Stephan Malinowski: Vom König zum Führer. Sozialer Niedergang und politische Radikalisierung im deutschen Adel zwischen Kaiserreich und NS-Staat. Akademie Verlag, Berlin 2003. 660 Seiten, 59,80 [Euro].
Mit Hinweis auf das Attentat vom 20. Juli 1944 und auf die so bewiesene Zugehörigkeit zum moralisch besseren "anderen Deutschland" konnten die Adligen in der Bundesrepublik dem Vorwurf begegnen, zu den Totengräbern der ersten deutschen Republik, ja zu den Steigbügelhaltern Hitlers gezählt zu haben. Im Laufe der Jahrzehnte verdunkelte sich dieses identitätsstiftende Selbstbildnis allmählich. Es ist jedoch noch nie in so schwarzen Farben gemalt worden wie in der quellengesättigten und brillanten Studie von Stephan Malinowski. Für ihn steht fest, daß "die große Mehrheit der adligen Verschwörer des 20. Juli 1944 zu den aktiven Gegnern der Republik und zu den Sympathisanten des Kompromisses vom 30. Januar 1933" gehörte. Zum anderen hebt er hervor, daß adlige Widerstandskämpfer nur "eine winzige Minderheit" darstellten, "die in ihrem professionellen Umfeld ebenso wie innerhalb des Adels gegen erdrückende Mehrheiten agierten, in denen die Arrangements mit dem NS-Staat unerschüttert blieben".
Im Mittelpunkt der Untersuchung steht der großenteils verarmte und sozial destabilisierte Kleinadel, der sich nach der "als Weltuntergang erlebten Revolution" von 1918 immer weiter von den bürgerlichen Eliten entfernte. Durch die Flucht des Kaisers ins Exil entstand ein Vakuum, das auch im Adel in kurzer Zeit mit diffusen Sehnsüchten nach einem "Diktator" oder "Führer" ausgefüllt worden sei: "Hitler, der tapfere Meldegänger, EK-I-Träger und Gasversehrte, hatte innerhalb einer Gesellschaft, für die der Krieg das bedeutendste, von allen geteilte Grundtrauma blieb, ebenjene Visitenkarte, die Wilhelm II. durch seinen Soldatentod dem deutschen Monarchismus als symbolisches Vermächtnis hinterlassen konnte, aber nicht hinterließ."
Den Graben zwischen tatsächlicher materieller Knappheit und angeblich angeborener oder anerzogener Führungsqualitäten wollte der Kleinadel durch spezifisch als blaublütig empfundene Eigenschaften wie Haltung, Härte und Charakter überbrücken und sich damit bewußt von bürgerlichen Leitideen wie Bildung und Reichtum abgrenzen. Malinowski diagnostiziert hier treffend eine "Kombination von mäßigen Mitteln und maßlosen Ansprüchen".
Neben der Antibürgerlichkeit bildete der Antisemitismus eine weitere Gemeinsamkeit mit dem Nationalsozialismus. Malinowski widmet sich ausführlich der Einführung von "Arierparagraphen" in diversen Adelsverbänden nach dem Ersten Weltkrieg sowie dem Projekt einer nach rassischen Kriterien geführten Adelsmatrikel. Die Deutsche Adelsgenossenschaft (DAG) als größter Adelsverband debattierte bereits am 22. Juni 1920 über eine von völkisch orientierten Mitgliedern beantragte Statutenänderung. Der DAG-Vorsitzende Friedrich von Berg nahm noch an, daß es lediglich um die zukünftige Vermeidung "jüdischer Heiraten" gehen könne, nicht jedoch darum, "völlig deutsch fühlende Standesgenossen, die jüdisches Blut in den Adern haben, zu kränken". Mit dieser moderaten Position konnte er sich nicht durchsetzen. Die angenommene Formulierung lautete: "Wer unter seinen Vorfahren im Mannesstamme einen nach dem Jahre 1800 geborenen Nichtarier hat oder zu mehr als einem Viertel anderer als arischer Rasse entstammt, oder mit jemand verheiratet ist, bei dem dies zutrifft, kann nicht Mitglied der DAG werden." Sechs Jahre später verkündete die DAG stolz, sie habe sich "die Pflege der Rassenfrage und die Verfolgung der Ergebnisse der Rassenforschung zur besonderen Aufgabe gemacht. Als erste von allen völkischen Organisationen knüpft sie an die Aufnahme den Nachweis gewisser Blutsreinheit und sucht durch Aufklärung und Belehrung ihrer Jugend den Blick für die Rassenreinheit zu schärfen."
Noch deutlicher als beim "Arierparagraphen" zeigte sich die völkische Umdeutung des Adelsbegriffs bei dem Versuch, eine den gesamten Adel erfassende Matrikel einzuführen. Sie sollte nicht zuletzt vor der Gründung "unechter Stämme" - also vor Scheinadel - schützen, der beispielsweise durch das beliebte Tauschgeschäft Adoption gegen Geld oder durch Namensschwindel drohte. Daraus entstand das "Eiserne Buch deutschen Adels deutscher Art" - kurz EDDA -, dessen erster Band 1925 erschien. Eine EDDA-Eintragung erforderte die "schriftliche Erklärung, daß der Bewerber . . . nach bestem Wissen und Gewissen unter seinen oder seines Ehegatten 32 Vorfahren von Vaters und Mutters Seite in der obersten Reihe keinen oder höchstens einen Semiten oder Farbigen hat". Beratungsstellen zur "Blutsentmischung" wurden eingerichtet, die entweder zu einer "Aufnordung" durch Gattenwahl oder im Extremfall zur Enthaltsamkeit rieten, um einen "verunreinigten Familienzweig" zum "Absterben" zu bringen. Bis 1931 hatten sich allerdings nur 508 Familien mit 3158 Eintragungen erfassen lassen, was weit hinter den Erwartungen der EDDA-Initiatoren zurückblieb. Die Gründe reichten laut Malinowski "von dezidierter Ablehnung über Desinteresse bis zu den zeit- und kostenintensiven genealogischen Nachforschungen, die mit einem Eintrag verbunden waren".
Der südwestdeutsche und der bayerische Adel standen dem völkischen Kampfkurs in den zwanziger Jahren ablehnend gegenüber. Auch nach 1933 pflegten die katholischen Familienverbände eine Distanz zum Nationalsozialismus, die beim deklassierten ostelbischen protestantischen Kleinadel, der auf einen Aufstieg im Dienst der "Bewegung" hoffte, nur äußerst selten zu finden war. Malinowski weist jedoch darauf hin, daß selbst eine so starke Barriere gegen den Nationalsozialismus wie die "Kombination von ungebrochenem Reich und Katholizismus" im Zuge der "Machtergreifung" hin und wieder nachgab. Als prominentes Beispiel unter den süddeutschen Fürsten führt er Max Egon zu Fürstenberg an, der bis 1933 durch Korrespondenzen und Besuche dem exilierten Kaiser in Doorn die Treue hielt, dann aber auf den "Führer" umschwenkte. Bei einem Empfang im November 1933 war er begeistert von dem "unbeschreiblich lieben, freundlichen, lächelnden Gesicht" des Diktators. Der siebzigjährige Fürst führte sich bei Hitler als SA-Mann ein: "Ich meldete mich mit erhobener Hand als: zur SA überführt und zum Stabe der Standarte 470 Freiburg kommandiert, was der dankend in wirklich bezaubernd netter Weise entgegennahm und mir gleich sagte, aber nehmen Sie doch Platz, Durchlaucht." Für Fürstenberg war es "herrlich, diesem einzig großen Mann gegenüberstehen zu dürfen".
Malinowski weiß natürlich, daß es "den" deutschen Adel nicht gab. Daher unterscheidet er nicht nur zwischen den einzelnen Regionen, sondern auch zwischen Grandseigneurs, Kleinadel und Adelsproletariat. Ihm geht es vornehmlich darum, mit Hilfe von vielfältigen sprechenden Zitaten adlige Leitbilder und Wahrnehmungsmuster zu rekonstruieren. Zum ambivalenten Verhältnis von Nähe und Distanz zwischen Adel und Nationalsozialismus stellt er überzeugend fest: "Die Tatsache, daß Fürsten sich weiterhin als ,Durchlaucht' anreden ließen, Adlige den Hitlergruß verweigerten, an Festtafeln Toasts auf den Kaiser aufbrachten und auf den Dächern ihrer Schlösser und Gutshäuser die falschen Flaggen wehen ließen, verweist auf Residuen, in denen der Adelshabitus der Zerstörung durch die Werkzeuge des totalen Staates erfolgreich entzogen wurde. Erkennbar wird eine erhebliche Distanz in einzelnen sozio-kulturellen Bereichen, die man ernst nehmen, mit einem jedoch nicht verwechseln sollte: mit einer vermeintlichen Prädisposition des Adels zum Widerstand."
Der abschätzige Blick auf den "braunen Pöbel" zeuge allgemein von der Stabilität des Herrschaftshabitus, jedoch nur bei einer kleinen Minderheit von politisch relevanter "Resistenz". Weit treffender als mit dem einst von Martin Broszat in die Widerstandsforschung eingeführten Begriff "Resistenz" ließen sich solche standesgemäßen Handlungen mit dem Begriff "loyale Widerwilligkeit" umschreiben - noch besser sogar mit dem von Alf Lüdke vorgeschlagenen "Eigen-Sinn". Lüdkes Begriff lasse sich zweiseitig verwenden. Aus der "Vorderseite" des unübersehbaren Eigen-Sinns, der im adligen Habitus erhalten geblieben sei, ließe sich ein Teil der eindrucksvollen "Haltung" ableiten, die durch die "seltenen Widerstandsbiographien" bekannt sei. Wichtiger sei jedoch die "Rückseite" des Eigen-Sinns: Weil in adligen Lebenswelten Residuen erhalten blieben, die nicht "durchherrscht" waren, und in diesen Schutzräumen "die eigenen kulturellen Codes weitergelebt wurden", sei das Einverständnis groß genug gewesen, um sich der nationalsozialistischen Herrschaft nicht entgegenzustellen. In diesem Sinne habe der adlige Eigen-Sinn sogar zur Stabilisierung des Nationalsozialismus beigetragen.
Rechtzeitig vor dem sechzigsten Jahrestag des 20. Juli hat Stephan Malinowski mit seiner wichtigen Studie die Proportionen in der Geschichte des deutschen Widerstandes zurechtgerückt und die lange Zeit maßgebliche adlig-schöngefärbte Sicht von Marion Gräfin Dönhoff und anderen in Frage gestellt. Trotzdem strahlen entschlossene und mutige Ausnahmeerscheinungen wie Ulrich von Hassell, Helmuth James Graf von Moltke, Adam von Trott zu Solz, Henning von Tresckow und Claus Schenk Graf von Stauffenberg aus den finsteren Zeiten noch heller in die Gegenwart hinein.
RAINER BLASIUS
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"[Eine] bereits zum Standardwerk avancierte Untersuchung" Björn Hofmeister in: Archiv für Sozialgeschichte, 50 (2010)