Euro-Krise, »Flüchtlingskrise«, »Brexit« - die EU befindet sich an einem historischen Scheideweg. Nachdem es jahrzehntelang den Anschein hatte, die »Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas« sei nur eine Frage der Zeit, stellen unvorhergesehene Ereignisse die Logik der Integration infrage. Nationale Interessen rücken in den Vordergrund, das Ringen um gemeinsame Lösungen wird immer verzweifelter.
Luuk van Middelaar, ein exzellenter Kenner der Brüsseler Praxis, verwandelt eine vermeintlich trockene Materie in den Stoff einer faszinierenden Erzählung. Beginnend mit dem 18. April 1951, als die Vertreter der sechs Gründerstaaten im französischen Außenministerium am Quai d'Orsay den Vertrag über die Errichtung der Montanunion unterzeichneten, schildert er die wichtigsten Etappen - und Krisen - auf dem Weg vom Kontinent zur Union. Er lässt die Atmosphäre dramatischer Gipfelnächte lebendig werden, zeigt, wie Politiker immer wieder versucht haben, die Öffentlichkeit von Europa zu überzeugen, und erinnert uns daran, welch einmaliges historisches Projekt aktuell auf dem Spiel steht.
Luuk van Middelaar, ein exzellenter Kenner der Brüsseler Praxis, verwandelt eine vermeintlich trockene Materie in den Stoff einer faszinierenden Erzählung. Beginnend mit dem 18. April 1951, als die Vertreter der sechs Gründerstaaten im französischen Außenministerium am Quai d'Orsay den Vertrag über die Errichtung der Montanunion unterzeichneten, schildert er die wichtigsten Etappen - und Krisen - auf dem Weg vom Kontinent zur Union. Er lässt die Atmosphäre dramatischer Gipfelnächte lebendig werden, zeigt, wie Politiker immer wieder versucht haben, die Öffentlichkeit von Europa zu überzeugen, und erinnert uns daran, welch einmaliges historisches Projekt aktuell auf dem Spiel steht.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.10.2016Das
große
Ganze
jenseits
von
Brüssel
Luuk van Middelaar
erzählt von einem
einzigartigen Klub
und der Essenz
des Europäischen
Wer oder was muss man sein, um ein gutes Buch über Europa schreiben zu können? Ein Politiker, der die taktischen Spiele in Brüsseler Verhandlungsnächten selbst erlebt und erlitten hat? Ein Journalist, der das Geschehen aus der Distanz beobachtet und verständlich macht? Ein Wissenschaftler, der Quellen erschließt und Modelle nutzt, um Ereignisse einordnen und vergleichen zu können?
Luuk van Middelaar vereint all dies in einer Person. Der in Brüssel lebende Niederländer ist Historiker, politischer Philosoph, war Berater des ehemaligen EU-Kommissars Frits Bolkestein, später Redenschreiber Herman Van Rompuys, des ersten Präsidenten des Europäischen Rats, dazu Kolumnist beim renommierten NRC Handelsblad, ein „public intellectual“, wie er sich nennt, der sich zwischen den Sphären bewegt. Und vor allem: einer, der formulieren kann. So ist ihm ein herausragendes Buch gelungen, an dem niemand vorbeikommt, der die Essenz des Europäischen verstehen will.
In den Niederlanden erschien „Vom Kontinent zur Union“ schon 2009, die französische Übersetzung erhielt 2012 den Europäischen Buchpreis. Dass es bis zur deutschen Version sieben Jahre gedauert hat, ist bezeichnend für die Selbstzufriedenheit, mit der hierzulande oft über Europa geredet wird. Die englische Ausgabe, die der Rezensent erwarb, hatte van Middelaar einem sehr hohen deutschen Beamten in Brüssel geschenkt, der sie offenbar ungelesen online verkaufte.
Der Titel des niederländischen Originals, „De passage naar Europa“, drückt aus, was van Middelaar bezweckt. Er erzählt die Geschichte einer Reise: wie aus einer Gruppe von sechs Staaten, die nach dem Desaster der Weltkriege zusammenfanden, ein einzigartiger Klub wurde, eine Gemeinschaft, auf Regeln gebaut, über die sie in den Stürmen der Zeit längst hinausgewachsen ist. Den Leser erwartet keine konventionelle, lineare Geschichte der europäischen Einigung. Der Autor pickt sich Schlüsselmomente dieser Geschichte heraus, Momente, die jene „Zwischensphäre“ entstehen ließen, die van Middelaar für den eigentlich wirkungsmächtigen Spielraum Europas hält.
Gemeint ist weder das Europa der Verträge und Brüsseler Institutionen noch die Gesamtheit der souveränen Staaten auf dem Kontinent, die in der Zusammenarbeit ihre je eigenen Interessen wahrnehmen. Vielmehr geht es um das Eigenleben des Klubs, das sich verselbständigt hat, jenseits der vertraglichen Grundlagen. Qua Mitgliedschaft verstehen sich die Staaten als Teile eines neuen Ganzen, mit einem alle einenden Interesse: dem Wunsch, diese Gemeinschaft funktionstüchtig zu halten. Was auch heißt: sie überhaupt zu erhalten. In dieser Zwischensphäre erkennt van Middelaar „die Quelle und Trägerin der europäischen Politik“ und vergleicht seine Erkenntnis gar mit der Geburt des Fegefeuers, jenes Raums zwischen Erde und Himmel, den Theologen im Mittelalter erfanden und ins christliche Weltbild einpassten.
Wichtige Wegmarken der Reise nach Europa finden sich in den frühen Sechzigerjahren: Zu Recht weist van Middelaar auf die epochale Bedeutung jener beiden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs hin, die die unmittelbare Geltung europäischen Rechts und dessen Vorrang gegenüber nationalen Regelungen festschrieben. Auf die Folgen dieser eigenmächtigen „Konstitutionalisierung der Verträge“ für die Akzeptanz der Demokratie weist Dieter Grimm seit Jahren hin.
Mit Hobbes, Locke und Rousseau erkennt van Middelaar sodann im Übergang von der Einstimmigkeit zum Mehrheitsprinzip das Element, welches das Entstehen eines eigenen politischen Körpers der Gemeinschaft erst ermöglicht hat. Am 1. Januar 1966 sollte es so weit sein, doch Frankreich stellte sich quer, ließ seinen Stuhl im Ratssaal sieben Monate lang leer. Im Luxemburger Kompromiss, mit dem De Gaulle zurück an den Tisch geholt wurde, sieht van Middelaar, anders als die meisten, weniger den Beginn einer Lähmung als eine europäische Variante der Bill of Rights: Wie diese die Amerikaner vor staatlicher Willkür bewahrte, schützten sich die einzelnen Staaten Europas nun gegen den Willen einer Staatenmehrheit. Fortan konnte zwar jeder mit dem Veto drohen, doch hatten sich die Sechs zusammengerauft und zu einem „vertiefenden Miteinander“ gefunden.
Den sich damit öffnenden Raum für europäische Politik wussten die Staats- und Regierungschefs 1974 mit der Gründung des Europäischen Rates geschickt zu besetzen. Weitere Stationen: die Einheitliche Europäische Akte, die erste Erneuerung der europäischen Ordnung; die Vertragsänderungen von Maastricht, Amsterdam, Nizza; schließlich der gescheiterte Verfassungsvertrag, mit dem die Union an Grenzen stieß. Der Versuch, den Staatenklub zum Staat zu machen, ist definitiv gescheitert. Jegliche Heilserwartung haben die Europäer über Bord geworfen. Kein Hafen in Sicht, sie werden wohl dauerhaft in der Vorhölle leben müssen.
Ist das ein Unglück? Nein, meint van Middelaar, solange es gelingt, „Ereignissen“, also Störungen der Ordnung, zu begegnen und den Bürgern Schutz zu bieten. Am Ende ist die Botschaft eine tröstliche: Diese Gemeinschaft ist Europa sehr viel wert. Sie werden (sich) daran festhalten. Auch ohne Briten.
THOMAS KIRCHNER
Luuk van Middelaar:
Vom Kontinent zur Union. Gegenwart und Geschichte des vereinten Europa.
Aus dem Niederländischen von Jacob Jansen.
Suhrkamp-Verlag,
Berlin 2016. 608 Seiten,
28 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
große
Ganze
jenseits
von
Brüssel
Luuk van Middelaar
erzählt von einem
einzigartigen Klub
und der Essenz
des Europäischen
Wer oder was muss man sein, um ein gutes Buch über Europa schreiben zu können? Ein Politiker, der die taktischen Spiele in Brüsseler Verhandlungsnächten selbst erlebt und erlitten hat? Ein Journalist, der das Geschehen aus der Distanz beobachtet und verständlich macht? Ein Wissenschaftler, der Quellen erschließt und Modelle nutzt, um Ereignisse einordnen und vergleichen zu können?
Luuk van Middelaar vereint all dies in einer Person. Der in Brüssel lebende Niederländer ist Historiker, politischer Philosoph, war Berater des ehemaligen EU-Kommissars Frits Bolkestein, später Redenschreiber Herman Van Rompuys, des ersten Präsidenten des Europäischen Rats, dazu Kolumnist beim renommierten NRC Handelsblad, ein „public intellectual“, wie er sich nennt, der sich zwischen den Sphären bewegt. Und vor allem: einer, der formulieren kann. So ist ihm ein herausragendes Buch gelungen, an dem niemand vorbeikommt, der die Essenz des Europäischen verstehen will.
In den Niederlanden erschien „Vom Kontinent zur Union“ schon 2009, die französische Übersetzung erhielt 2012 den Europäischen Buchpreis. Dass es bis zur deutschen Version sieben Jahre gedauert hat, ist bezeichnend für die Selbstzufriedenheit, mit der hierzulande oft über Europa geredet wird. Die englische Ausgabe, die der Rezensent erwarb, hatte van Middelaar einem sehr hohen deutschen Beamten in Brüssel geschenkt, der sie offenbar ungelesen online verkaufte.
Der Titel des niederländischen Originals, „De passage naar Europa“, drückt aus, was van Middelaar bezweckt. Er erzählt die Geschichte einer Reise: wie aus einer Gruppe von sechs Staaten, die nach dem Desaster der Weltkriege zusammenfanden, ein einzigartiger Klub wurde, eine Gemeinschaft, auf Regeln gebaut, über die sie in den Stürmen der Zeit längst hinausgewachsen ist. Den Leser erwartet keine konventionelle, lineare Geschichte der europäischen Einigung. Der Autor pickt sich Schlüsselmomente dieser Geschichte heraus, Momente, die jene „Zwischensphäre“ entstehen ließen, die van Middelaar für den eigentlich wirkungsmächtigen Spielraum Europas hält.
Gemeint ist weder das Europa der Verträge und Brüsseler Institutionen noch die Gesamtheit der souveränen Staaten auf dem Kontinent, die in der Zusammenarbeit ihre je eigenen Interessen wahrnehmen. Vielmehr geht es um das Eigenleben des Klubs, das sich verselbständigt hat, jenseits der vertraglichen Grundlagen. Qua Mitgliedschaft verstehen sich die Staaten als Teile eines neuen Ganzen, mit einem alle einenden Interesse: dem Wunsch, diese Gemeinschaft funktionstüchtig zu halten. Was auch heißt: sie überhaupt zu erhalten. In dieser Zwischensphäre erkennt van Middelaar „die Quelle und Trägerin der europäischen Politik“ und vergleicht seine Erkenntnis gar mit der Geburt des Fegefeuers, jenes Raums zwischen Erde und Himmel, den Theologen im Mittelalter erfanden und ins christliche Weltbild einpassten.
Wichtige Wegmarken der Reise nach Europa finden sich in den frühen Sechzigerjahren: Zu Recht weist van Middelaar auf die epochale Bedeutung jener beiden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs hin, die die unmittelbare Geltung europäischen Rechts und dessen Vorrang gegenüber nationalen Regelungen festschrieben. Auf die Folgen dieser eigenmächtigen „Konstitutionalisierung der Verträge“ für die Akzeptanz der Demokratie weist Dieter Grimm seit Jahren hin.
Mit Hobbes, Locke und Rousseau erkennt van Middelaar sodann im Übergang von der Einstimmigkeit zum Mehrheitsprinzip das Element, welches das Entstehen eines eigenen politischen Körpers der Gemeinschaft erst ermöglicht hat. Am 1. Januar 1966 sollte es so weit sein, doch Frankreich stellte sich quer, ließ seinen Stuhl im Ratssaal sieben Monate lang leer. Im Luxemburger Kompromiss, mit dem De Gaulle zurück an den Tisch geholt wurde, sieht van Middelaar, anders als die meisten, weniger den Beginn einer Lähmung als eine europäische Variante der Bill of Rights: Wie diese die Amerikaner vor staatlicher Willkür bewahrte, schützten sich die einzelnen Staaten Europas nun gegen den Willen einer Staatenmehrheit. Fortan konnte zwar jeder mit dem Veto drohen, doch hatten sich die Sechs zusammengerauft und zu einem „vertiefenden Miteinander“ gefunden.
Den sich damit öffnenden Raum für europäische Politik wussten die Staats- und Regierungschefs 1974 mit der Gründung des Europäischen Rates geschickt zu besetzen. Weitere Stationen: die Einheitliche Europäische Akte, die erste Erneuerung der europäischen Ordnung; die Vertragsänderungen von Maastricht, Amsterdam, Nizza; schließlich der gescheiterte Verfassungsvertrag, mit dem die Union an Grenzen stieß. Der Versuch, den Staatenklub zum Staat zu machen, ist definitiv gescheitert. Jegliche Heilserwartung haben die Europäer über Bord geworfen. Kein Hafen in Sicht, sie werden wohl dauerhaft in der Vorhölle leben müssen.
Ist das ein Unglück? Nein, meint van Middelaar, solange es gelingt, „Ereignissen“, also Störungen der Ordnung, zu begegnen und den Bürgern Schutz zu bieten. Am Ende ist die Botschaft eine tröstliche: Diese Gemeinschaft ist Europa sehr viel wert. Sie werden (sich) daran festhalten. Auch ohne Briten.
THOMAS KIRCHNER
Luuk van Middelaar:
Vom Kontinent zur Union. Gegenwart und Geschichte des vereinten Europa.
Aus dem Niederländischen von Jacob Jansen.
Suhrkamp-Verlag,
Berlin 2016. 608 Seiten,
28 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.02.2017Im Tunnel darf es dunkel sein
Luuk van Middelaar rekonstruiert und analysiert vortrefflich den europäischen Integrationsprozess
Die niederländische Originalausgabe dieses Buches erschien bereits 2009, es wurde unter dem Eindruck der globalen Währungskrise von 2008 verfasst. Seither konnte der Autor sein Manuskript mehrfach überarbeiten, weil Übersetzungen in andere Sprachen anstanden. Das Vorwort für die deutsche Fassung wurde wenige Tage nach dem Brexit-Votum verfasst, es liest sich jedoch auch als eine Art Zusammenfassung des Buches insgesamt. Van Middelaar ist der Ansicht, dass der Entschluss einer Mehrheit des britischen Elektorats zum Ausstieg aus der Europäischen Union drei Fragen aufwirft: 1. Wie ist es um das Verhältnis zwischen dem politischen Europa und der Öffentlichkeit bestellt? 2. Ist das durch die Brüsseler Regeln eingeschnürte Europa in der Lage, auf überraschende Wendungen des Schicksals zu reagieren? 3. Wo liegt das Machtzentrum der Union? Seine weiteren Ausführungen zeigen, dass ihn diese Fragen schon lange vor dem britischen Referendum beschäftigt hatten.
Das kann nicht überraschen, denn wer immer sich mit dem derzeitigen Zustand der EU befasst, muss sich solche oder ähnliche Fragen stellen. Die Antworten, die der studierte Historiker und Philosoph und jetzige Professor für EU-Recht und European Studies an den Universitäten Leiden und Louvain-la-Neuve bietet, sind freilich höchst originell - nicht zuletzt deshalb, weil er den europäischen Politikbetrieb als langjähriger Mitarbeiter der Europäischen Kommission und als Redenschreiber des ehemaligen EU-Ratspräsidenten Van Rompuy bestens kennengelernt hat. Anders als die meisten seiner akademischen Kollegen kann sich van Middelaar also auf Insiderwissen stützen.
Dieses Wissen ermöglicht ihm einen ungewöhnlichen Zugang zum Untersuchungsgegenstand. Vom Titel her scheint es sich auf den ersten Blick um eine rein historische Studie zu handeln. Dieser Befund ist ebenso richtig wie falsch. Zweifellos versucht sich van Middelaar an einer Rekonstruktion der Geschichte des Integrationsprozesses, den er unter Bezugnahme auf Machiavelli, Rousseau und andere Größen der europäischen Geistesgeschichte in eine kleine Geschichte des neuzeitlichen europäischen Denkens einpasst. Ebenso schildert er die Geschichte der europäischen institutionellen Integration nach 1945, jedoch präsentiert er seine Befunde bewusst nicht in einer chronologischen Ordnung. Damit will er der Teleologie-Falle entgehen und zeigen, dass unsere heutige europäische Ordnung keineswegs das unvermeidbare Ergebnis einer politischen Entwicklung ist, die von einer kleinen Gruppe kongenialer Staatsmänner unter dem Eindruck der Schrecken beider Weltkriege des 20. Jahrhunderts eingeleitet wurde.
Zwar interessieren ihn die Akteure durchaus, allerdings präsentiert er sie als Menschen, die in ihrem jeweils eigenen biographischen und politischen Kontext agieren, deren Handeln zwar geplant sein mag, dabei aber durchaus von Zufällen beeinflusst wird und die nicht frei von Fehlern und Eitelkeiten sind. In einer solchen Darstellung darf die britische Premierministerin Thatcher dann auch gegenüber dem deutschen Bundeskanzler Kohl ausfallend werden, darf eine Mehrheit der europäischen Staats- und Regierungschefs sich nicht im Klaren darüber sein, welche Folgen die Einrichtung eines Verfassungskonvents nach sich ziehen könnte, oder dürfen Historiker zu Hoflieferanten des Euroskeptizismus werden.
Van Middelaar präsentiert die Geschichte des europäischen Zusammenwachsens als das Werk von Menschen - und diese machen bekanntlich Fehler. Auch er selbst ist nicht davor gefeit. So macht die von ihm gewählte Organisation seines Stoffes dessen Lektüre zu einem harten Stück Arbeit. Das Buch ist für Kenner der Materie geschrieben, als Einführung in die Geschichte des Integrationsprozesses taugt es trotz seiner sehr guten Lesbarkeit sicher nicht. Das ist schade, denn zu Recht weist der Autor darauf hin, dass die Sprache der europäischen Entscheidungsträger wie die der verschiedenen an der Erforschung Europas beteiligten Disziplinen verschiedene Erkenntnisebenen und -räume geschaffen haben, sowohl im Hinblick auf die Gestalt wie auch auf den Charakter des europäischen Gemeinschaftsraums.
Dass die Historiker aufgrund ihrer immer noch primär nationalstaatlichen Herangehensweise den Euroskeptizismus befördern, hatten wir bereits festgestellt. Dagegen präsentieren die Sozialwissenschaften, so van Middelaar, Europa als ein funktionalistisch gewachsenes Etwas, die Juristen dagegen als ein rechtliches Konstrukt. Und wie sprechen die europäischen Institutionen? Hier sieht unser Autor das Wirken dreier Diskursräume, den der äußeren Sphäre, die alle Staaten des europäischen Kontinents umfasst, den der inneren Sphäre des Gemeinschaftsraums und den der Zwischensphäre zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten der EU. Die Teile aller drei Diskursräume nehmen für sich in Anspruch, im Namen Europas zu sprechen, ohne genau zu wissen, an wen sie sich eigentlich richten. So spreche das Europäische Parlament im Namen der Bürgerinnen und Bürger Europas und werde sogar seit 1979 von diesen gewählt, nur gebe es "den europäischen Bürger als solchen" noch gar nicht! Es geht van Middelaar zufolge also nicht darum, dass ein vereintes, aber schweigendes Europa seine Stimme finden muss, vielmehr wird Europa erst durch diese Stimme zu einem politischen Körper. Doch diese Stimme, das unisono vorgetragene "Wir akzeptieren" (die jetzige EU-ropäische Ordnung) der europäischen Bürgerinnen und Bürger, fehlt weiterhin - und deshalb kann die EU auch noch kein politischer Körper sein.
Dieses Defizit sei den europäischen Institutionen durchaus bekannt, so van Middelaar, die deshalb unterschiedliche Strategien entwickelt hätten, um aus den Bürgerinnen und Bürgern EU-Europas europäische Bürgerinnen und Bürger zu machen. Er identifiziert drei Öffentlichkeitsstrategien, eine deutsche, eine römische und eine athenische. In der deutschen gehe es um Identitätsbildung (beispielsweise die Euroscheine), in der römischen um Klientelbildung (zum Beispiel die Landwirte mittels der Gemeinsamen Agrarpolitik) und in der athenischen um die regelmäßige Beurteilung der Personen durch das Volk, die im Namen des Volkes Entscheidungen fällen.
Bislang habe die Anwendung aller drei Strategien es aber nicht vermocht, das für den Erhalt Europas notwendige Wir-Gefühl der europäischen Bürgerinnen und Bürger zu erzeugen, eben weil es uns - die Bürgerinnen und Bürger Europas - noch gar nicht gibt. Und so beunruhige die Frage, ob Europa existiert oder nicht, die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten sehr, obwohl sie wüssten, dass die Idee einer schwebenden sozialen Ordnung, die lediglich auf fortdauernder kollektiver Akzeptanz basiere, für viele Menschen schwer nachvollziehbar sei (falls sie überhaupt darüber nachdenken). Es sei daher an den Staats- und Regierungschefs der EU als den Repräsentanten der van Middelaarschen Zwischensphäre und damit den eigentlichen Gestaltern der EU, der EU-Öffentlichkeit zu erklären, welches Ziel sie mit ihrer Arbeit an der EU eigentlich verfolgten. Es müsse sich jedoch um ein genuin europäisches Ziel handeln, bisher gebrauchte Formeln dürften nicht weiter angewendet werden, nach denen Frankreich beispielsweise Europa als Hebel benutzte, um seine Schwäche zu verschleiern, während Deutschland Europa als Deckmantel zur Verhüllung seiner Stärke missbrauchte.
Überhaupt: welche Bedeutung misst van Middelaar Deutschland bei, welche Position nimmt er in der Diskussion über eine deutsche Führungsrolle in der EU ein? Er sieht in der zweifellos gewachsenen deutschen Macht in Europa keine Allmacht; seiner Meinung nach besteht nicht die Gefahr, dass sich Deutschland zu einer europäischen Hegemonialmacht entwickelt, höchstens zu einer semihegemonialen Macht. Deutschland könne die Herausforderungen der europäischen Politik nicht allein stemmen, schon gar nicht ohne Frankreich. Doch erschwerten unterschiedliche politische Kulturen beiderseits des Rheins weiterhin eine gedeihliche Zusammenarbeit. So betrachte man in Deutschland Regeln als Grundlagen für die Schaffung beziehungsweise Aufrechterhaltung von Gerechtigkeit, Ordnung und Ehrlichkeit, während sie in Frankreich als Einschränkungen und Unfreiheit empfunden und der deutsche Hang zur Anwendung von Regeln als rigide, starrsinnig und machtpolitisch interpretiert würden.
Die Analysen sind lesens- und bedenkenswert, auch wenn man sich nicht allen seinen Standpunkten anschließen möchte. Ihm ist die bisher treffendste Analyse des Zeitraums zwischen dem Inkrafttreten der Römischen Verträge im Januar 1958 und dem Haager Gipfel vom Dezember 1969 gelungen. Er vergleicht diese Phase mit einer Tunnelfahrt, die damals die EWG-6 in Rom begonnen hätten, ohne genau zu wissen, wohin sie führen würde. Dass sie diesen Tunnel letztlich auf dem Haager Gipfel wieder verlassen hätten, sei so etwas wie ein Glücksfall in der Geschichte gewesen.
Dem Autor gelingt es vortrefflich, viele scheinbar höchst komplexe Probleme auf einen einfachen Punkt zu bringen. Und wenn er schreibt, dass es im Moment auf der europäischen politischen Ebene in erster Linie darum gehe, ob es zu einer Renationalisierung europäischer Politik oder einer Europäisierung nationaler Politiken kommen werde, kann man ihm nur beipflichten. Dem sollte man freilich hinzufügen, dass die EU an einem Scheideweg steht und nur durch eine gemeinsame Kraftanstrengung aller beteiligten Akteure, Entscheider wie Bürger, am Leben gehalten werden kann. Allerdings schulden die Entscheider uns Bürgerinnen und Bürgern immer noch eine wichtige Erklärung, nämlich die, in welche Richtung sie den europäischen Integrationsprozess zu steuern gedenken.
JÜRGEN ELVERT
Luuk van Middelaar: Vom Kontinent zur Union. Gegenwart und Geschichte des vereinten Europa. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 610 S., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Luuk van Middelaar rekonstruiert und analysiert vortrefflich den europäischen Integrationsprozess
Die niederländische Originalausgabe dieses Buches erschien bereits 2009, es wurde unter dem Eindruck der globalen Währungskrise von 2008 verfasst. Seither konnte der Autor sein Manuskript mehrfach überarbeiten, weil Übersetzungen in andere Sprachen anstanden. Das Vorwort für die deutsche Fassung wurde wenige Tage nach dem Brexit-Votum verfasst, es liest sich jedoch auch als eine Art Zusammenfassung des Buches insgesamt. Van Middelaar ist der Ansicht, dass der Entschluss einer Mehrheit des britischen Elektorats zum Ausstieg aus der Europäischen Union drei Fragen aufwirft: 1. Wie ist es um das Verhältnis zwischen dem politischen Europa und der Öffentlichkeit bestellt? 2. Ist das durch die Brüsseler Regeln eingeschnürte Europa in der Lage, auf überraschende Wendungen des Schicksals zu reagieren? 3. Wo liegt das Machtzentrum der Union? Seine weiteren Ausführungen zeigen, dass ihn diese Fragen schon lange vor dem britischen Referendum beschäftigt hatten.
Das kann nicht überraschen, denn wer immer sich mit dem derzeitigen Zustand der EU befasst, muss sich solche oder ähnliche Fragen stellen. Die Antworten, die der studierte Historiker und Philosoph und jetzige Professor für EU-Recht und European Studies an den Universitäten Leiden und Louvain-la-Neuve bietet, sind freilich höchst originell - nicht zuletzt deshalb, weil er den europäischen Politikbetrieb als langjähriger Mitarbeiter der Europäischen Kommission und als Redenschreiber des ehemaligen EU-Ratspräsidenten Van Rompuy bestens kennengelernt hat. Anders als die meisten seiner akademischen Kollegen kann sich van Middelaar also auf Insiderwissen stützen.
Dieses Wissen ermöglicht ihm einen ungewöhnlichen Zugang zum Untersuchungsgegenstand. Vom Titel her scheint es sich auf den ersten Blick um eine rein historische Studie zu handeln. Dieser Befund ist ebenso richtig wie falsch. Zweifellos versucht sich van Middelaar an einer Rekonstruktion der Geschichte des Integrationsprozesses, den er unter Bezugnahme auf Machiavelli, Rousseau und andere Größen der europäischen Geistesgeschichte in eine kleine Geschichte des neuzeitlichen europäischen Denkens einpasst. Ebenso schildert er die Geschichte der europäischen institutionellen Integration nach 1945, jedoch präsentiert er seine Befunde bewusst nicht in einer chronologischen Ordnung. Damit will er der Teleologie-Falle entgehen und zeigen, dass unsere heutige europäische Ordnung keineswegs das unvermeidbare Ergebnis einer politischen Entwicklung ist, die von einer kleinen Gruppe kongenialer Staatsmänner unter dem Eindruck der Schrecken beider Weltkriege des 20. Jahrhunderts eingeleitet wurde.
Zwar interessieren ihn die Akteure durchaus, allerdings präsentiert er sie als Menschen, die in ihrem jeweils eigenen biographischen und politischen Kontext agieren, deren Handeln zwar geplant sein mag, dabei aber durchaus von Zufällen beeinflusst wird und die nicht frei von Fehlern und Eitelkeiten sind. In einer solchen Darstellung darf die britische Premierministerin Thatcher dann auch gegenüber dem deutschen Bundeskanzler Kohl ausfallend werden, darf eine Mehrheit der europäischen Staats- und Regierungschefs sich nicht im Klaren darüber sein, welche Folgen die Einrichtung eines Verfassungskonvents nach sich ziehen könnte, oder dürfen Historiker zu Hoflieferanten des Euroskeptizismus werden.
Van Middelaar präsentiert die Geschichte des europäischen Zusammenwachsens als das Werk von Menschen - und diese machen bekanntlich Fehler. Auch er selbst ist nicht davor gefeit. So macht die von ihm gewählte Organisation seines Stoffes dessen Lektüre zu einem harten Stück Arbeit. Das Buch ist für Kenner der Materie geschrieben, als Einführung in die Geschichte des Integrationsprozesses taugt es trotz seiner sehr guten Lesbarkeit sicher nicht. Das ist schade, denn zu Recht weist der Autor darauf hin, dass die Sprache der europäischen Entscheidungsträger wie die der verschiedenen an der Erforschung Europas beteiligten Disziplinen verschiedene Erkenntnisebenen und -räume geschaffen haben, sowohl im Hinblick auf die Gestalt wie auch auf den Charakter des europäischen Gemeinschaftsraums.
Dass die Historiker aufgrund ihrer immer noch primär nationalstaatlichen Herangehensweise den Euroskeptizismus befördern, hatten wir bereits festgestellt. Dagegen präsentieren die Sozialwissenschaften, so van Middelaar, Europa als ein funktionalistisch gewachsenes Etwas, die Juristen dagegen als ein rechtliches Konstrukt. Und wie sprechen die europäischen Institutionen? Hier sieht unser Autor das Wirken dreier Diskursräume, den der äußeren Sphäre, die alle Staaten des europäischen Kontinents umfasst, den der inneren Sphäre des Gemeinschaftsraums und den der Zwischensphäre zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten der EU. Die Teile aller drei Diskursräume nehmen für sich in Anspruch, im Namen Europas zu sprechen, ohne genau zu wissen, an wen sie sich eigentlich richten. So spreche das Europäische Parlament im Namen der Bürgerinnen und Bürger Europas und werde sogar seit 1979 von diesen gewählt, nur gebe es "den europäischen Bürger als solchen" noch gar nicht! Es geht van Middelaar zufolge also nicht darum, dass ein vereintes, aber schweigendes Europa seine Stimme finden muss, vielmehr wird Europa erst durch diese Stimme zu einem politischen Körper. Doch diese Stimme, das unisono vorgetragene "Wir akzeptieren" (die jetzige EU-ropäische Ordnung) der europäischen Bürgerinnen und Bürger, fehlt weiterhin - und deshalb kann die EU auch noch kein politischer Körper sein.
Dieses Defizit sei den europäischen Institutionen durchaus bekannt, so van Middelaar, die deshalb unterschiedliche Strategien entwickelt hätten, um aus den Bürgerinnen und Bürgern EU-Europas europäische Bürgerinnen und Bürger zu machen. Er identifiziert drei Öffentlichkeitsstrategien, eine deutsche, eine römische und eine athenische. In der deutschen gehe es um Identitätsbildung (beispielsweise die Euroscheine), in der römischen um Klientelbildung (zum Beispiel die Landwirte mittels der Gemeinsamen Agrarpolitik) und in der athenischen um die regelmäßige Beurteilung der Personen durch das Volk, die im Namen des Volkes Entscheidungen fällen.
Bislang habe die Anwendung aller drei Strategien es aber nicht vermocht, das für den Erhalt Europas notwendige Wir-Gefühl der europäischen Bürgerinnen und Bürger zu erzeugen, eben weil es uns - die Bürgerinnen und Bürger Europas - noch gar nicht gibt. Und so beunruhige die Frage, ob Europa existiert oder nicht, die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten sehr, obwohl sie wüssten, dass die Idee einer schwebenden sozialen Ordnung, die lediglich auf fortdauernder kollektiver Akzeptanz basiere, für viele Menschen schwer nachvollziehbar sei (falls sie überhaupt darüber nachdenken). Es sei daher an den Staats- und Regierungschefs der EU als den Repräsentanten der van Middelaarschen Zwischensphäre und damit den eigentlichen Gestaltern der EU, der EU-Öffentlichkeit zu erklären, welches Ziel sie mit ihrer Arbeit an der EU eigentlich verfolgten. Es müsse sich jedoch um ein genuin europäisches Ziel handeln, bisher gebrauchte Formeln dürften nicht weiter angewendet werden, nach denen Frankreich beispielsweise Europa als Hebel benutzte, um seine Schwäche zu verschleiern, während Deutschland Europa als Deckmantel zur Verhüllung seiner Stärke missbrauchte.
Überhaupt: welche Bedeutung misst van Middelaar Deutschland bei, welche Position nimmt er in der Diskussion über eine deutsche Führungsrolle in der EU ein? Er sieht in der zweifellos gewachsenen deutschen Macht in Europa keine Allmacht; seiner Meinung nach besteht nicht die Gefahr, dass sich Deutschland zu einer europäischen Hegemonialmacht entwickelt, höchstens zu einer semihegemonialen Macht. Deutschland könne die Herausforderungen der europäischen Politik nicht allein stemmen, schon gar nicht ohne Frankreich. Doch erschwerten unterschiedliche politische Kulturen beiderseits des Rheins weiterhin eine gedeihliche Zusammenarbeit. So betrachte man in Deutschland Regeln als Grundlagen für die Schaffung beziehungsweise Aufrechterhaltung von Gerechtigkeit, Ordnung und Ehrlichkeit, während sie in Frankreich als Einschränkungen und Unfreiheit empfunden und der deutsche Hang zur Anwendung von Regeln als rigide, starrsinnig und machtpolitisch interpretiert würden.
Die Analysen sind lesens- und bedenkenswert, auch wenn man sich nicht allen seinen Standpunkten anschließen möchte. Ihm ist die bisher treffendste Analyse des Zeitraums zwischen dem Inkrafttreten der Römischen Verträge im Januar 1958 und dem Haager Gipfel vom Dezember 1969 gelungen. Er vergleicht diese Phase mit einer Tunnelfahrt, die damals die EWG-6 in Rom begonnen hätten, ohne genau zu wissen, wohin sie führen würde. Dass sie diesen Tunnel letztlich auf dem Haager Gipfel wieder verlassen hätten, sei so etwas wie ein Glücksfall in der Geschichte gewesen.
Dem Autor gelingt es vortrefflich, viele scheinbar höchst komplexe Probleme auf einen einfachen Punkt zu bringen. Und wenn er schreibt, dass es im Moment auf der europäischen politischen Ebene in erster Linie darum gehe, ob es zu einer Renationalisierung europäischer Politik oder einer Europäisierung nationaler Politiken kommen werde, kann man ihm nur beipflichten. Dem sollte man freilich hinzufügen, dass die EU an einem Scheideweg steht und nur durch eine gemeinsame Kraftanstrengung aller beteiligten Akteure, Entscheider wie Bürger, am Leben gehalten werden kann. Allerdings schulden die Entscheider uns Bürgerinnen und Bürgern immer noch eine wichtige Erklärung, nämlich die, in welche Richtung sie den europäischen Integrationsprozess zu steuern gedenken.
JÜRGEN ELVERT
Luuk van Middelaar: Vom Kontinent zur Union. Gegenwart und Geschichte des vereinten Europa. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 610 S., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ein echter Glücksfall, freut sich Rezensent Thomas Kirchner: Luuk van Middelaar verfüge über Erfahrungen als EU-Politiker, Journalist und Wissenschaftler und sei damit geradezu berufen, aus gleich drei naheliegenden Perspektiven über Europa zu schreiben, beziehungsweise diese zu einer umfassenden zu bündeln. Wer dem nahe kommen will, was Europa im Wesenskern ausmacht, ist somit bestens beraten, zu diesem "herausragenden Buch" zu greifen, ermuntert Kirchner in seiner geradezu ansteckend begeisterten Rezension. In dem Buch, so führt er weiter aus, geht es schlaglichtartig um die wichtigsten Episoden der Erfolgsgeschichte, wie aus einer Handvoll Nationen, die gerade noch im Krieg miteinander lagen, eine Gemeinschaft hervorgeht, die an sich und über sich hinauswächst. Zwar ist es Europa nicht geglückt, zu einem eigenen, vereinten Staat heranzuwachsen - und Kirchner ist sich mit van Middelaar einig, dass dieser Weg auch künftig versperrt sein wird. Doch auch die permanente "Vorhölle" der Staatenbildung sei kein Unglück, sondern von hohem Wert - solange Europa auch künftig auf Disruptionen reagieren könne und als Schutzraum seiner Bürger diene.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Wie steht es um das Verhältnis zwischen dem politischen Europa und der Öffentlichkeit? Ist die Union dafür gerüstet, auf große Erschütterungen zu reagieren? Wer übernimmt in Zeiten der Unsicherheit die Führung? ... Ausgehend von diesen Fragen, dringt van Middelaar in seinem erhellenden Streifzug durch die europäische Einigungsgeschichte zu grundlegenden Problemen des heutigen Europa vor.« Thomas Speckmann Neue Zürcher Zeitung 20170310